Nach einem anstrengenden Tag habe ich mir eine Meditation von Veit Lindau namens Soul Healing gegönnt. Ich liege perfekt zentriert, denn im Sitzen kann ich sowas nicht, und wenn ich nicht genau gerade liege und alles passt, rebelliert mein innerer Monk, katapultiert mich ständig wieder heraus, und ich verpasse die Hälfte. Somit habe ich mich also ordentlich gestreckt und zugedeckt, und Veit bekommt meine volle Aufmerksamkeit.
Ich soll eine Frage an meine Seele stellen in der Unendlichkeit, wo es nur Licht und keine Zeit gibt. Was für eine Frage das ist, bleibt mir überlassen. Und spontan fragt es in mir, was denn mein Partner für mich ist. Wie üblich bekomme ich eine ganz andere Antwort als erwartet.
Mein Lieber wirbelt in Form von grauen Nebelschwaden durch das helle Licht. Er bildet Zirruswolkenformen. Ich erkenne erstaunt einen Engel, der sich ständig bewegt. Ausgerechnet einen Engel! Zu denen habe ich doch keine besondere Affinität! Was will denn letzthin jeder mit seinen Engeln von mir? Ich bekomme sie geschenkt, das Thema schwirrt in letzter Zeit irgendwie stetig um mich wie ein Glühwürmchen, blinkt auf, verschwindet zum Glück wieder, kommt hinter dem nächsten Strauch schon wieder hervor. Auch mein Partner hat bestimmt wenig Platz für Engel in seinem Leben, würde deren Existenz garantiert ausschließen. Und nun ist der Engel schon in meiner Meditation gelandet, und dann noch gerade beim Gedanken an den Mann in meinem Leben…
Aber hier ist er, ich sehe ihn gegen den Himmel in riesengroß und unumrissen. Wie er sich auseinandersetzt, sich zusammensetzt, Form annimmt, die Form verliert, in verschiedene Richtungen treibt und weht, aber das mit großer Freude zu machen scheint. Er spielt da oben, vertreibt sich und mir die Zeit, ist findig und gewandt, und so, wie er normalerweise in Worten diplomatisch auf weitschweifigen Umwegen umschreibt, was er eigentlich meint, aber nicht geradeheraus sagen will, (weil er nicht kritisieren möchte, jedenfalls nicht so, dass man daran Anstoß nehmen kann), verhält er sich auch als Himmelserscheinung. Er treibt hierhin und dorthin, doch bleibt er immer im selben Gebiet, ufert mal seitlich aus, mal unten, mal oben, verdichtet sich, vergeht unauffällig und kommt ebenso unaufdringlich zurück. Wolkenfäden aus seiner Form ziehen zu mir, sind in mir, wabern durch mich hindurch, und es fühlt sich gut an. Eine Wohltat, durchflutet, durchweht zu werden, liebevoll und schmetterlingsleicht. Ich selbst bin nun nur noch weiße Wolkenkringel, so wie meine Haare im Meereswind, ohne spezielle Form.
Nun soll ich zur nächsten Frage übergehen, und es will in mir sogleich wissen, was mein jüngerer, inzwischen aber erwachsener Sohn für mich ist. Ich sehe im Dunkeln ein grünes Auge mit schlitzförmiger Pupille. Ich denke erst: „der eine soll ein Engel sein, und mein Sohn ist dann etwa ein Teufel?“ Etwas rebelliert in mir. Heftig. Nein, das darf nicht sein. Jetzt wird es doch etwas lächerlich.
Ich bin kurz davor, das Denken in den Vordergrund zu stellen und der Meditation nicht mehr zu folgen. Dann aber lasse ich mich wieder darauf ein. Das linke Auge hat das kleine Wesen zugekniffen. Es schaut mich irgendwie ein bisschen aggressiv in Habachtstellung an, auch wirkt es etwas verschlagen. Dann heben sich die finsteren Schatten, und alles wird ein bisschen heller. Ich sehe, dass der Sohn ja keineswegs ein Teufel, sondern ein kleiner roter Fuchs ist. Jetzt hat er das andere Auge offen und das rechte zugekniffen. Ich glaube, es ist der kleine Fuchs aus dem kleinen Prinzen, der darum bittet: zähme mich!
Mir kommen die Tränen. Ja, das kann ich zulassen, das wäre eine gute Erklärung für sein Verhalten. Ich bin dem zähmen bislang nicht gerecht geworden, die Kommunikation funktionierte nicht mehr. Es herrscht Funkstille. Irgendwie muss diese wieder beendet werden. Irgendwie muss ich einen Weg finden!
Aber bevor ich fragen kann, wie das gehen soll, und wo dieser Weg beginnt, wohin ich mich drehen soll, da kommt bereits die nächste Aufgabe der geführten Meditation. Ich soll jetzt nach dem Zweck meiner Inkarnation fragen. Was für eine große, bedeutsame Frage…
Es dauert sehr lange, meine Seele ist mit dem Themenwechsel überfordert, hängt noch in den vorhergehenden Bildern, und auch sie hat sich ein Bespiel an meinem Sohn genommen und spricht nicht mit mir. Erst als ich die Meditation pausiere, die dafür nur viel zu kurze Zeit vorsieht, nochmal meine Barrieren senke, die gefühlten Mauern um mich im Boden verschwinden lasse, die alltäglichen, problemlastigen Gedanken wie ein Seidennachthemd von den Schultern gleiten lasse, und frei in die Sterne vorbei an Sonne, Mond, durch die Andromedagalaxie bis in die Hantelgalaxie fliege und mich richtig in die Frage hineinfallen lasse, ohne noch irgendetwas sein zu wollen und an irgendetwas festzuhalten, nur noch Energie ohne Gestalt, kommt plötzlich die Vision.
Ich lese in enormen roten Lettern vor der Schwärze des Weltalls die Worte "Der Ritt", wie einen Filmtitel. Dann fängt die Handlung an, abzulaufen. Es ist dunkel, wie sollte es auch sonst im Weltraum sein! Aber stattdessen sehe ich mich nicht mehr dort. Ich bin ganz wo anders. Da gibt es jede Menge Materie, da ist es greifbar und beschreibbar.
Links liegt Land. Rechts das Meer, tief unten. Vielleicht ein Deich. "Der Ritt am Rande des Abgrunds." Ich reite auf einem dunklen Pferd. Oder ich bin vielleicht sogar das Pferd. In meiner Mähne stecken Federn. Vielleicht bin ich Reiter und Pferd zugleich, vielleicht ja eine Art Zentaur. Es versucht, mir als Pferd die Hufe wegzuziehen, ich galoppiere deshalb in Schräglage, nach links geneigt.
Der Rand rechts bricht ein, sobald ich ihn berühre. Die Wellen schlagen hoch, spritzen klatschnass über mich. Meine Aufgabe ist, immer weiter zu rennen, auf keinen Fall abzustürzen. Hinter mir bricht der Wall ein. Ich muss den ganzen Wall abgaloppieren. Wäre der Weg nicht so gerade, würde ich vermuten, ich reite oder galoppiere um eine Tasse herum auf dem Tassenrand. Aber da die Erde so unfassbar groß ist, mag es vielleicht wirklich so etwas wie eine Tasse sein, aber die Rundung ist unauffällig unmerklich. Alles ist hier dunkel und bedrohlich, die Herausforderung ist: ich muss einfach oben bleiben. Ich bin tatsächlich unglaublich geschickt und werde gar nicht müde. Ich weiß instinktiv, ich werde es schaffen. Gewissheit herrscht darüber in meinem Inneren. Nein, ich bin außerordentlich geschickt, ich beherrsche jede Bewegung und ich verliere keine Federn!
Ich bin noch mitten im wilden Ritt, da bittet Veit bereits darum, ich solle wieder zurückkommen. Ich integriere Strähnen der wohltuenden Wolke vom Anfang, rote Fuchshaare und Pferdemähnenfedern sowie strahlend helle Energie von Veit in meine eigenen weißen Wolkenkringel. Ich fühle noch beim Zurückkommen, wie mich Veit gütig in den Arm nimmt und entgegen dem, was ich erwartet hätte, da er muskulös wirkt, überraschenderweise ganz weich ist.
Dann bin ich wieder zurück auf meiner türkisfarbenen Couch mit der schwarzen Decke über dem auf wundersame Weise wieder Materie gewordenen Körper. Jetzt bin ich wieder Mensch. Mein Körper taucht auf, als hätte er viele viele Stunden friedlich alle Schwere und unangenehme Anspannung abgelegt und ich fühle mich geliebt und in Sicherheit. Ich weiß jetzt wieder, was ich kann und ich bin dankbar für das, was ich habe.
Mein Kopf ist ganz freigefegt und verheißungsvoll leer wie ein unbeschriebenes Blatt in einer Prüfung, für die man bestens vorbereitet ist und die man mit Bravour meistern wird. Ich weiß jetzt, dass die Aufgaben, die ich mir selbst herbeigeholt habe und in meinem Leben zu lösen habe, zwar schwer sind, weil ich mich sonst womöglich unterfordert und gelangweilt fühlen würde, aber sie sind mit ein bisschen gutem Willen und unbeirrter Entschlossenheit zu bewältigen.
© Manuela Hoffmann-Maleki (Letteratour) – Ich. Einfach unver-besserlich.