Der verlorene Schrei
Samstag, 07. Februar 2009
Eigentlich wollte ich heute ganz was anderes schreiben, aber vielleicht lest Ihr auch gerne mal was Positives aus meinem Leben, nun denn!
Wie sich herausgestellt hat, war meine spontane Entscheidung zu dem Kabarettabend von Boris Ruge zu gehen (ich bin erst 7 Minuten vor Beginn losgefahren), zu dem der Verein geladen hatte, goldrichtig! So ein netter Abend war das! Der gutaussehende Kabarettist und Sänger war mir absolut kein Begriff. Ich war zwar schon mal in einer Vorstellung seines Vaters, Helmut Ruge, gewesen, der als Milbertshofener Kabarettist auf bayrisch einen Abend für die Mitglieder meines anderen Vereins (Stadtteilarbeit) abgehalten hat, aber den fand ich nicht so wahnsinnig gut. Der Sohn jedoch war witzig, mitreißend, hat eine tolle Stimme und hat mich und das Publikum absolut begeistert. Das ganze fand in seinem sehr netten Rahmen in einem relativ kleinen Raum des Vereins (ca. 50 Leute) statt, bestuhlt, aber es gab auch 2 Sofas, und auf eines davon habe ich mich gesetzt, einen Teller mit Canapées auf die Lehne gestellt, ein Glas Prosecco zu meinen Füßen, und hatte einen optimalen Blick auf die Bühne, dazu den Kuscheleffekt eines heimischen Wohnzimmers…
Boris berichtete in seiner One-Man-Show „Von der Suche nach dem verlorenen Schrei“ seinen Lebenslauf auf eine sehr lustige Art, immer wieder mit Gitarrenklängen untermalt, die er seinem etwas schäbigen Instrument entlockte, und sang stimmgewaltig und harmonisch und immer wieder für eine Überraschung gut. Als Multitalent im Hineinschlüpfen in verschiedenste Rollen stellte er uns sein neues Programm vor, das er bislang nur in Italien ein paar Mal gezeigt hatte, und für uns auf deutsch umgebaut hatte. Wir haben herzhaft gelacht, über eine Stunde lang.
In der Pause gab es ein venezianisches Essen aus seiner Wahlheimat, dass die Frauen vom Stadtteilzentrum nach seinem Rezept zubereitet hatten, ein Eintopf aus Nudeln mit weißen Bohnen, obendrauf Käse (ich habe nachgewürzt, es war sehr harmlos im Geschmack, aber heavy in der Konsistenz).
Mit Apfelschorle versehen ging es in den 2. Teil der Veranstaltung, der eigentlich völlig improvisiert war, da er kurzfristig zu dem Abend geladen worden war. Seine Stimme war inzwischen schon deutlich eingeschränkt, jetzt trug er auch einen Schal, um den Rest der Stimmbänder zu erhalten. Der zweite Teil sollte nun hauptsächlich aus Liedern bestehen. Beginnen wollte er mit einem Lied aus einem bestimmten Ort in Italien. Und wie der Zufall so wollte, saß eine (mir bekannte) Italienerin (von der Erziehungsberatungsstelle – sie hatte meinen Sohn auf Hochbegabung getestet) im Publikum, und pfeilkrumm (ihr wisst, woher das Wort kommt) kam sie ausgerechnet aus diesem Ort. Und so sangen die beiden im Duett. Ich wusste gar nicht, dass Ada so eine schöne Stimme hat. Und dann begannen wir alle mitzusingen. Das zweite Lied war eigentlich eine Persiflage, Boris erzählte, wie sie damals, als sie noch im schönsten Haus in der K.str.. gewohnt hatten, nächtelang Parties gefeiert hatten, und ein Betrunkener der mal mit dabei war, ihn gebeten hatte, er solle das Lied „Melancholie im September, irgendwas, keine Ahnung, als letztes kommt dann „Zeit““ singen solle. Und da habe er ihm dann folgendes Lied gebastelt „Melancholie im September, dadadadaa dadadadaaaa, Zeit“. Und das sang er dann vor. Aber es war so ein schönes, schräges, brasilianisch-bluesig-klezmerisch-romantisch-trauriges Lied, dass man fast hätte heulen können. Trotz des fehlenden Inhalts.
Zum Schluss sagte er noch dazu: K.straße 22. Da fiel bei mir der Groschen. Und als er dann mit seinem Programm fertig war, und alle sich verabschiedeten ging ich vor zur Bühne und fragte ihn, ob K.straße 22 das Haus gewesen sei, wo immer ein Bett in einer Art Schaufenster von außen zu sehen gewesen sei. Ich hatte direkt daneben gewohnt, und mich immer gefragt, was für Freaks wohl in diesem Haus wohnten. Jetzt weiß ich es. Wir haben uns dann fast ¾ Stunde unterhalten und er suchte schließlich offensichtlich nach Ideen, wie er mich am Gehen hindern könne. Da kamen abstruse Vorschläge, wie man zusammen irgendwie ein Publikum für eine ihm vorschwebende Idee finden könnte, ich mit meinen Connections im Stadtteil und er mit seiner Idee (er ist sonst wohl Schauspiellehrer und hat die Vision, so wie sich das heute durch Zufall ergeben hat – und es war echt ein Zufall – dass er Kurse/Veranstaltungen machen wolle, wo die Menschen, einfache Menschen ohne Gesangsausbildung oder herausragendes Talent – schließlich alle mitsingen und entdecken würden, wie viel Freude das bereitet). Leider weiß ich aber nicht, wie er so was auf die Beine stellen könnte - alle die ich kenne, sind eingefleischte Nichtsinger.
Leider wurden wir von dem Zivi auseinandergetrieben, der wohl schon während des Stückes ein Auge auf mich geworfen hat, hab ich den Verdacht, da er schon in der Pause dauernd hinter mir herschwänzelte, ohne sich ein Herz zu fassen, und der nun die Geschichte seiner gebrochenen Nase zum Besten geben wollte, meineserachtens, um damit klarzustellen, dass es sich nicht um eine Schlägerei handelte und dass er in baldiger Zukunft wieder deutlich besser aussehen werde. ;-)
Nun, das dauerte mir dann viel zu lange, so holte ich meinen Mantel und drückte dem Boris beherzt meine Visitenkarte in die Hand. Mal sehen, ob ich noch mal was von ihm höre. Da er ja in Padua wohnt (wo ich auch schon mal 1 Woche wegen Verliebtheit gewohnt habe, was ich Boris auch erzählt habe), schätze ich die Chancen nicht gerade allzu hoch ein. Selbst wenn er offenbar momentan grad mal ne Weile hier sein will. Sonst würde er ja nicht extra hier irgendwelche Events planen wollen, oder?
Seinen Geburtstag hatte er in seiner Lebensgeschichten-Slapstick-Komödie genannt – er ist 8 Jahre jünger als ich. Hach ja, ich glaub, ich hab doch noch ein paar Hormone!
Als ich zu Hause ankam, fiel mir auf, dass ich auch Kinder habe. Das ganze Wohnzimmer voller Spielzeug, sie hatten eine Truhe ausgeräumt und alles ausgebreitet. Und dass das heute wohl das erste Gespräch seit undenklichen Zeiten gewesen ist, in dem ich mit keinem Wort von meinen Rangen gesprochen hatte.
https://www.xing.com/profile/Boris_Ruge
Boris Ruge wurde in München geboren, studierte in seiner Heimatstadt, in Paris und Padua Gitarre, Jazz-Gesang und Pantomime und komponiert seit seinem zwanzigsten Lebensjahr für Theater, Film, Funk und Fernsehen. Bei der Revolutionsrevue "Jetzt oder nie" arbeitete er erstmals mit seinem Vater Helmut Ruge zusammen.
Neben Konzerten als Gitarrist und Auftritten als Schauspieler ist er Begleiter einer Tanzcompagnie in Padua und tritt im Oktober 2003 ebendort eine Stelle als Gesangslehrer an der Scuola Internazionale di Creazione Theatrale an.
Werkübersicht:
Drum Boogie - Die Gene-Krupa-Story
von Gene Krupa, Boris Ruge und Helmut Ruge
PS, Monate später: Natürlich hat er sich nie gemeldet.
Das Grauen hat mich am Wickel…
Freitag, 06. Februar 2009
Da ich morgen die von der Bücherei geliehenen DVDs abgeben muss und keine Zeit mehr bleibt, beschließe ich, den Uralt-Schwarzweiß-Film „Die Brücke“ nun doch nicht alleine, sondern gemeinsam mit den Kindern anzusehen, in der Hoffnung, dass sie dann den Vorsatz fassen, niemals Soldat zu werden.
R. ist ziemlich beeindruckt von dem Film. Die 16-jährigen Burschen werden zunächst beim ganz normalen Schulalltag gezeigt, dann werden sie, kurz bevor der 2. Weltkrieg zu Ende ist, einberufen. Was tun diese Idioten? Sie freuen sich, können es gar nicht erwarten! Ihre Mütter bewahren mehr oder weniger Contenance, ich persönlich wäre an ihrer Stelle garantiert unter „hysterisches Wrack“ zu verbuchen. Nachdem sie gerade mal einen Tag beim Militär sind und bereits ansatzweise erkennen, auf was sie sich da eingelassen haben , werden sie durch markige Sprüche eingeschworen, dass jeder Quadratmeter verteidigter Boden ein großer Dienst am Vaterland sei. Dann werden alle direkt an die Front geschickt. Durch Intervention ihres Lehrers, der sie nicht als Kanonenfutter sehen will, werden sie schließlich an der Brücke vor ihrem Ort mit dem vollkommen sinnlosen Auftrag betraut, diese zu verteidigen. Diese Brücke soll – was die Jungs nicht wissen – sowieso gesprengt werden, und außerdem gibt es bereits ein kleines Stück weiter einen Brückenkopf. Was zunächst ein Spielchen für die Jungs ist – einer von ihnen geht in ihrem Lieblingsbaumhaus in Stellung -, wird durch das unvermutete Heranrücken der Feinde ausgerechnet an dieser Brücke zum bitteren, und leider für 6 der 7 Jungs zum tödlichen Ernst. Sie haben wie wahre Helden bis zur Erschöpfung gekämpft, mit jeder Faser ihres Körpers die paar Quadratmeter Vaterland gegen die Panzer verteidigt. Und sind blutjung verblutet Der einzige, der übrig bleibt, ist nur noch ein tragisches Häufchen Elend, verheult, verrotzt, verzweifelt, ungläubig im Entsetzen, ein schutzbedürftiges kleines Kind. Die Vorfälle, steht im Abspann, waren es ob ihrer Unbedeutendheit nicht mal würdig, in die Chronik des Krieges einzugehen. R. saß wie erstarrt vor dem Fernseher und brachte kaum ein Wort heraus. L. hatte sich schon zu Beginn des Films abgeseilt und spielte in einem anderen Zimmer. Vermutlich besser so.
Mein Kopf war gefüllt mit Grauen. Mit den nicht eigenen, aber erzählten Erinnerungen meiner Eltern aus dem Krieg, hauptsächlich derer meines Vaters, der bis lange nach dem Krieg noch in Sibirien in Gefangenschaft darben musste. 1 Kartoffel auf 5 Liter Wasser ergab dort eine Suppe für die Gefangenen. Was er direkt an der Front alles mit angesehen hat, möchte ich lieber nicht wissen. Er wollte es auch nicht erzählen.
Und was macht R. da? Schaltet auf die Wii um, nachdem ich die DVD herausgenommen hatte, und spielt online ein Autorennduell gegen seinen Freund. Doch ein Film wie jeder andere? Seine Reaktion erinnert mich an die Situation bei meinem Besuch im KZ Dachau mit Aiesec-Praktikanten aus verschiedenen Ländern – Spanien, Jordanien, Holland, England, Italien... Ich war wie gelähmt vor Entsetzen angesichts der Örtlichkeit, die mir auch noch so verheerend bekannt vorkam und die in meinen Träumen lange vor diesem Besuch existiert hatte, aber vor allem durch die Bilder – Bilder z.B. von abgeschnittenen Gliedmaßen, riesige Stapel von abgetrennten Menschenbeinen, zu hunderten.
Was machten die Aiesecler? Kaum draußen vor dem Tor, fingen sie an zu diskutieren, in welche Disco sie am Abend gehen wollten. Mir war es gar nicht möglich, an so eine profane Rückkehr in den Alltag überhaupt zu denken. Ich hasste sie richtig dafür. So gefühllos, so verfehlt.
Nach dem Film fuhr ich mit L. zu seinem üblichen Therapietermin auf dem Land. Und wieder, so wie letzten Donnerstag auch, stand ich dann am Haus gegenüber vor der verschlossenen Raucherlokaltür mit dem Zettel daran: „Wegen Krankheit geschlossen“. Ärgerte mich. Da öffnete sich die Tür, der Besitzer trat heraus und sperrte die Tür von außen ab. Mit ihm hatte ich im letzten Jahr öfters länger gesprochen. Seine Frau hatte ihn verlassen, der 10jährige Sohn musste bei ihr bleiben, durfte den Papa nur am Wochenende sehen, der Papa litt schwer darunter. Ein netter Mensch eigentlich, ungefähr gleich alt wie ich, schätze ich mal, höchstens vielleicht 2-4 Jahre älter. Er hatte jahrelang bei der Müllabfuhr gearbeitet und sich das Geld für „seine Kneipe“ zusammengespart. Letztes Jahr hatte er zusätzlich noch seine Harley verkauft und war dafür nach Amerika gefahren, um Ausstattung für das Lokal zu besorgen. Er hat alles renoviert, liebevoll mit den mitgebrachten Kleinodien dekoriert, hat es wirklich nett hingekriegt. Und er war stets sehr zuvorkommend und liebenswürdig zu L. und mir, wusste ja, wir haben eine ähnliche Geschichte.
Nun, ich hab ihn erst mal flapsig angeredet, wo ich denn hin solle, wenn er so einfach die ganze Zeit krank wäre. Die anderen Lokale in dem Dorf, die ich kannte, haben um diese Uhrzeit nämlich leider zu. Er empfahl mir einen Dönerladen, ca. 200 m weiter. Ich fragte dann, wie lange er denn noch krank sein wolle, worauf er meinte, von Wollen sei nicht die Rede, aber wahrscheinlich für immer. Da wurde mir ganz anders, denn ich bemerkte auch langsam, dass er irgendwie merkwürdig beieinander war. Was er denn habe? Am 12. Januar einen Schlaganfall bekommen.
So. Das saß. Oh Gott!… Nun muss er jeden Tag zu Ärzten, Therapeuten, Krankengymnastik, Logopädie. Und seine Kneipe muss er verkaufen. Nächste Woche soll das Geschäft über die Bühne gehen. Sein Lebenstraum. Aus. Vorbei. Als er sah, wie gerührt ich wegen dieser Sache war, legte er mir die Hand auf die Schulter und sagte „Was uns nicht umbringt, macht uns halt härter“ und drehte sich um und ging schleppenden Schrittes davon. Mir war ganz kalt vor Entsetzen. In Gedanken verloren steuerte ich auf den Dönerladen zu und das Grauen saß mir in den Knochen.
Einen Kaffee brauchte ich jetzt dringend. Der Dönermann hatte tatsächlich einen. Und nebenbei ein großes Lokal mit einer orientalischen Wasserpfeifenschmauchecke mit Sitzkissen, so wie ich sie früher in der Wohnung hatte – unter großen Schwierigkeiten aus Iran mitgebracht -, bis mein Mann die in seine Wohnung mitnahm und ohne mich zu fragen, entsorgte. Nachdem ich 2 Zigaretten geraucht hatte und mein Hirn nicht mehr ganz so benommen war, beschloss ich, mich etwas abzulenken. Ich hatte mein neues Buch dabei - „Die Asadis“ – eine in der FAZ erschienene Kolumnensammlung über die Geschichten der Anwohner an einem Platz in Teheran. Erst konnte ich mich gar nicht konzentrieren, aber schließlich begann ich zu verstehen, einmal sogar laut zu lachen, und dann wiederum las ich zwischendrin, so quasi als Nebensächlichkeit, in zwei Kapiteln von Folterungen durch die Savak, die iranische Geheimpolizei zu Zeiten des Schahs. Und schon drifteten meine Gedanken wieder ab, wie sollte es an diesem Tag auch sein.
Da ein iranischer Freund damals wegen Verfolgung durch den Savak den Iran verlassen und hier Asyl beantragt hatte, hatte ich mich mit Erzählungen über diese Foltermethoden bedauerlicherweise bereits ca. 1983 auseinandersetzen müssen. Damals hatte ich mich für Asylbewerber häufig engagiert, Hilfestellung gegeben bei Behördengängen, Rechtsanwaltsangelegenheiten, an Informationsveranstaltungen teilgenommen, Besuche im Lager usw. Und die Details über die Praktiken des Savak begannen wieder in meinem Kopf zu spuken. Leider habe ich die nicht nur in einem Buch nachgelesen (da gibt es ein ganz verheerendes), sondern auch persönlich eine Reihe von Betroffenen kennengelernt und von ihnen selber erfahren, wie das ist.
Ich war heilfroh, als ich L. abholen gehen musste, wenigstens ein kleiner Spaziergang zwischendurch und ein bisschen Straßenverkehr.
Ich habe L. von dem Kneipenbesitzer erzählt, woraufhin er schluchzte, jetzt sei er auch ganz traurig, und er würde gerne irgend eine Möglichkeit haben, wie er dem Mann eine Freude machen könne. Aber es fiel uns nichts ein. Und während ich noch sinniere, meint L., er wolle unbedingt ins Einkaufszentrum. Nein, heute wirklich nicht. Er sträubt sich: „Nur zum Gucken, nichts kaufen! Das ist so lustig dort und es gibt so leckere Sachen zum Essen. Naja, und auch Bücher für Dich!“, fügt er noch hinzu, um es auch mir schmackhaft zu machen. Aber das gelingt ihm nicht. Ich bin einfach so down. Stattdessen fahre ich ihn trotz seiner Proteste direkt nach Hause.
Als Symbol für diesen schaurigen Tag finde ich, als ich nach einem 2-stündigen Erschöpfungsschlaf für das Abendessen sorgen will, auf dem Herd L.s süßen kleinen Plüschdalmatiner. Mit coupiertem Schwanz und einem abgeschnittenen Bein. Die Füllwatte ist zu einem Knäuel verklumpt und liegt als Symbol der Herzlosigkeit daneben.
Noch therapierbar?
Donnerstag, 29. Januar 2009
Na, heute war mal wieder ein „traumhafter“ Tag…
Um Mitternacht hab ich noch jemandem eine virtuelle Postkarte geschickt, mit dem Inhalt: "Hier die Wettervorhersage für den heutigen Tag: Es wird bewölkt wenn Du schlecht drauf bist, regnerisch wenn Du weinst, heiter wenn es Dir gut geht und sonnig wenn Du lachst. Mach also das Beste draus!"
Hätte ich die mal am besten an mich selber geschickt!
Morgens schon bekam ich die geballte Ladung pubertäre Unzufriedenheit ab (Grund: ich wollte, dass R. seinen Helm anzieht, wenn er schon auf den vereisten Straßen zur Schule radelt), mit unflätigen Beschimpfungen, Gebrüll in Volllautstärke und Türenknallen, dass das ganze Haus zittert.
Dann die Gewinnbenachrichtigung über eine Reise in die Türkei, die sich als Flop herausstellt – auf der Liste unseriöser Anbieter vermerkt.
Ein Päckchen wird geliefert, es beinhaltet das Profisport-Jojo, das ich für L. ersteigert habe. Nur funktioniert es nicht. Nachdem ich es zerlegt habe, den Mechanismus durchschaut habe, konnte ich es richten. Und wie toll das funktioniert! Ich habe es auf Anhieb fast 80x geschafft, das Jojo wieder hochlaufen zu lassen! Wahnsinn, so ein tolles Jojo hatte ich noch nie in der Hand, ich bin restlos begeistert! Ich glaube, der Grund, warum das Jojo so gut funktioniert, ist neben dem ausgeklügelten Mechanismus an der Engstelle die Spezialkordel, eine umeinander gewickelte verdrillte Doppelschnur, länger als normal.
Ab zum Kardiologen, wo beim Langzeit-EKG zum Glück keine Probleme aufgetreten sind, zwar wieder Extrasystolen, aber im Rahmen des Erträglichen. Der Arzt sagte mir dann, bereits auf dem Flur, ich solle beim nächsten Vorkommnis von „Herzflattern“ (wie ich es laienhaft nenne) mich sofort irgendwohin fahren lassen, wo ein EKG geschrieben werden könne, das sei ziemlich bei jedem Arzt. Mit dem EKG solle ich dann später zu ihm kommen. Auf Wiedersehen! Ich sagte darauf: „Dann vielleicht lieber auf Nimmerwiedersehen!“ Woraufhin er mich sehr sauer und belämmert ansah. Die Helferin auch. Der Arzt verschwand im Praxiszimmer, woraufhin ich der Sprechstundenhilfe versucht habe, zu erklären, wie ich das Nimmerwiedersehen gemeint hatte, nämlich dass ich so einen Vorfall mit Herzproblemen bis zum Umfallen nicht gerne noch mal hätte. Ein typischer Fall von Aneinandervorbeireden. Sie daraufhin nur sehr mürrisch: „Bei so was verstehen wir keinen Spaß!“
Habe die Praxis etwas geknickt verlassen, zumal ich diesen Arzt grade kürzlich im Internet als herausragend nett und sympathisch bewertet hatte.
Zu Hause habe ich mich dann gegen 12:20 ein bisschen ins Bett gelegt, weil ich plötzlich so kaputt war. Um 15:15 weckt mich L., er habe Hunger. Ich hatte 3 Stunden geschlafen! Fühlte mich total benommen und auch selber hungrig. Beide Kinder inzwischen zu Hause, natürlich vor dem Fernseher, statt Hausaufgaben zu machen. Schnell Pizzareste aufgewärmt für uns drei… Gemecker, ob es denn nix Gescheites zum Essen gibt, habe ich an mir abprallen lassen.
Dann sehe ich am Boden etwas Weißes. Als ich mich bücke, stelle ich fest, es ist ein Teil von der Jojoschnur. Etwa 35 cm. L. hat die Schnur abgeschnitten, weil sie zu lang war. Und das Jojo funktioniert nicht besonders, meint er. Ich probiere - was mich vorher daran so begeistert hatte, ist hinüber, die Schnur viel zu kurz und total verzottelt. Ich fange an, mich aufzuregen.
Aber keine Zeit, wir müssen zu L.s Therapie. Vorher muss noch der Müll in die Tonne, aber weil Schnee liegt, hatte ich schon 2 Tage keine Lust, ihn hinauszubringen. Jetzt muss es aber sein. Keines der Kinder lässt sich breitschlagen, also gehe ich schnell ohne Jacke mit meinen Birkenstocks hinaus durch den Schnee. Auf halber Strecke platzt die Tüte. Ich hab alle Hände voll zu tun, den ganzen Mist in die Mülltonne zu befördern, muss mehrfach mit total dreckigen Händen in der Kälte hin und zurück. Total sauer und halb erfroren komme ich schließlich wieder in die Wohnung, wasche die Hände und sehe auf die Uhr. Oh je!
Im Auto gibt es noch jede Menge Streit wegen des Jojos und der nicht gemachten Hausaufgaben und überhaupt bin ich so gut drauf, dass ich eigentlich am liebsten nur noch jemanden richtig zur Schnecke machen würde.
L. kommt natürlich zu spät zur Therapie. Inzwischen gehe ich zu meinem üblichen Cafehaus. An der Tür steht: „Wegen Krankheit Mittwoch bis Freitag geschlossen.“ Schon wieder! Und dabei hätte ich jetzt ein bisschen Ruhe und Erholung mit meinen 3 ungelesenen Zeitungen und einer schönen Riesentasse Cappuccino so gebraucht, um wieder runterzukommen. Ich rauche wütend und unentschlossen eine draußen vor der Tür. Zu dem anderen Cafe brauche ich auch nicht zu gehen, das war letztes Mal um die Zeit auch zu. Also fahre ich zum Aldi.
Dort hatte ich einen Video Frame Grabber gekauft, der aber nicht das tut, was ich mir davon erhofft hatte. Ich kann ihn erfreulicherweise zurückgeben. Die Kassiererin fragt, ob ich einen Cent habe, damit sie nicht soviel Kleingeld zusammenkratzen muss. Aber sicher doch, sagt ein wildfremder Mann in meiner Altersklasse, der gerade nebenan seine Einkäufe einpackt und legt ihr einen hin. Er kriegt ein übermäßig erfreutes Dankeschönlächeln von mir. Dann gehe ich in den Laden hinein, um noch ein paar Getränke und ein bisschen Grünzeug zu holen und überlege die ganze Zeit, wieso ich den jetzt so sehr angestrahlt habe. Wegen 1 Cent. Den ich selber auch gehabt hätte. Und wieso ich mir jetzt überhaupt Gedanken darüber mache.
Da ich im Aldi nichts Interessantes mehr gefunden habe, obwohl ich mich bemüht habe, möglichst lange dort zu bleiben, damit ich nicht im Auto auf L. warten muss, bin ich viel zu früh zurück. Ich gehe also in den Zeitschriften- und Zigarettenladen und kaufe 2 Schachteln Zigaretten und stöbere durch die Zeitungen, ohne eine zu kaufen. Der Händler faucht mich plötzlich an: Wenn sie die eh nicht kaufen wollen, brauchen sie auch nicht ewig hier rumstehen! Nach einigen Widerworten verlasse ich, schon wieder geladen, das Geschäft.
Im Auto lese ich ein bisschen in den Zeitungen herum, wobei das Lenkrad wirklich stört. Endlich ist L. fertig. Wir fahren zum Obi, bewaffnet mit dem Deckel vom Toilettenkasten, an dem eine Plastiknase abgebrochen ist, so dass die Spülung ewig spült und nicht mehr aufhört. Das Gästeklo habe ich deshalb vor einer Woche bereits von außen abgesperrt, ist nicht mehr benutzbar.
Im Obi werden wir nett beraten, nur leider stellt sich heraus, dass man das Oberteil des Kastens nicht einfach austauschen kann, man muss einen ganzen Kasten kaufen, aber das Problem bei unserer Toilette ist, dass es eine Kombination aus Schüssel und Kasten ist, die ineinander übergeht, also muss ich beides kaufen, jeweils ca. 150 Euro. Und wer installiert mir das? Sie haben da einen Handwerkerservice, Anfahrt 30 Euro, Arbeitszeit 51 Euro pro Stunde.
Nun ist auch L. wütend, weil sogar er weiß, dass wir keine 380 Euro zuviel haben, und er folglich noch mindestens ein Jahr lang nicht mehr dann aufs Klo gehen kann, wann er muss, weil dann jedes Mal R. im Bad ist und mindestens eine Stunde nicht mehr herauskommt. Unverrichteter Dinge verlassen wir das Geschäft.
Ich bringe L. nach Hause und fahre weiter zu dem Parfumladen, den Gutschein von meinem neulich zurückgegebenen Parfum – dem Geschenk von meinem MiGa - habe ich dabei, und gestern hatte ich bei meiner Tour durch die Stadt in einem Parfumladen alles mögliche ausprobiert und mich entschieden, welches Parfum ich als Alternative haben will. Ich stehe also vor der Ladentür, aber die Tür geht nicht auf. Es sind mehrere Leute drinnen, ich probiere alles mögliche, es geht nicht. Prüfe nochmals die Öffnungszeiten: ja, bis 20:00, und es ist kurz nach 18:00. Ich läute. Der Verkäufer macht mir die Tür auf und raunzt, drücken muss man da! Ich sage, hab ich ja, aber es ging nicht. Er macht an der Tür herum, stellt offenbar fest, dass eine Sicherung eingeschnappt war und sagt nichts, aber schaut mich giftig an. Ich gehe zum alphabetisch sortierten Regal, finde aber den Lagerfeld-Duft nicht. Also warte ich eben einfach, bis ich an der Reihe bin. Das dauert. Um halb sieben endlich ist es soweit. Ich berichte dem Ladenbesitzer, dass ich, damit ich nicht wie letztes Mal, so viele Düfte bei ihm probieren muss, dies wo anders getan habe, und hier ist das Ergebnis – reiche ihm die Duftkarte, auf der der Name notiert ist. Haben wir nicht, sagt er. Können wir auch nicht bestellen. Wissen Sie was, mir reicht es jetzt, nehmen Sie ihr Geld und gehen Sie! Er nimmt mir den Gutschein ab, zerfetzt ihn in kleine Stücke, reißt die Kasse auf und drückt mir 50 Euro in die Hand, stürmt zur Tür und hält sie für mich auf. Verdattert begebe ich mich auf die Straße. Es ist mir völlig unklar, was ich ihm getan habe. Ich hab ihn nicht angeschnauzt, hab brav gewartet, nix angelangt, außer dass ich vorher die Tür nicht aufbekam… Also ??? Ich hab ihn noch nicht mal böse angeschaut, obwohl ich nicht gerade gute Laune habe, aber das hatte ich ihm nicht gezeigt!
Ich komme nach Hause, L. ist in der Küche, versucht ein Glas Silberzwiebeln zu öffnen. Schafft es nicht. Inzwischen erzähle ich, was im Parfumladen passiert ist. Währenddessen nimmt L. sich den Glasdeckelöffner und bringt es aber immer noch nicht fertig, das Glas zu öffnen. Ich helfe ihm, erst dreht er am Deckel, ich halte das Glas, dann umgekehrt. Ich schlage von unten mit der Hand hart auf das Glas, es geht nicht. Ich halte das Glas unter heißes Wasser, es geht nicht. Ich versuche, den Deckel mit einem Messer zu lockern. Es geht nicht. R. kommt in die Küche, probiert es einmal kurz, es macht klack, das Glas ist auf. Ihr Loser! sagt mein Großer und verlässt triumphierend die Küche.
Ich sage zu L., „Gib mir mal ein Bussi, ich glaub ich brauch das jetzt.“ L. schwingt sich hoch auf die Arbeitsplatte, umarmt mich fest, gibt mir ein Bussi und sagt: „Das glaub ich. So ein Scheißtag für Dich, Mama, ich kann das verstehen. Morgen wird es wieder besser, bestimmt! Ich hab Dich lieb!“
Ich könnte heulen! Ich liebe meinen kleinen Therapeuten...
Gründe
Reasons to be cheerful: (in willkürlicher Reihenfolge)
Habe heute etwa 30 Mails beantwortet,
bei 4 Bewerbungen nachgehakt,
149 aufbewahrte Mails gelöscht,
etwa 600 aufbewahrte Mails in Ordner sortiert,
1 Waschmaschine fehlerlos gewaschen
Der Gerbil lebt noch.
Ich hab den 79. Geburtstag meines Großonkels nicht vergessen, und es trotz Telefonphobie geschafft, anzurufen!
Ich hab es gestern außerdem geschafft, mich einem seit zig Jahren immer wieder aufgeschobenen Treffen mit einer alten Jugendliebe zu stellen, und souverän zu bleiben. Diese Geschichte kann ich damit endlich ad acta legen.
Die Steuererklärung 2008 muss zwar noch gemacht werden, aber die 2007er bin ich seit Montag endlich los und habe kein schlechtes Gewissen mehr. Und 2008 hat noch Zeit.
Ich hab es geschafft, seit mindestens einer Woche den Couchtisch frei zu halten.
Meine Fieberblase hat sich nicht vermehrt, es ist bei einer geblieben.
Ich hab letzte Woche einen von 2 Kühlschränken endlich abgetaut.
Heute hatte ich erstmals kein Bauchweh mehr.
Reasons to worry:
2. Wäsche klappt mal wieder nicht, die Waschmaschine spinnt ja schon ewig.
Steuererklärung 2008
Formular für die Rente muss ausgefüllt werden
Ich hab meine Adressetiketten verlegt.
Arbeitszimmer sieht aus wie bei Hempels hinterm Sofa.
Die Abfalleimer sind schon wieder voll. Ich muss den Müll trennen und wegbringen.
R. hat am Freitag Englischschulaufgabe und sich bislang geweigert, zu lernen.
Statistik:
Ich stelle fest: Das Erfreuliche ist in der Überzahl! Wow!
Ein Versuch, uns alle ein bißchen zu motivieren: Aus einem Text, den ich grad am Übersetzen bin:
·Ihre Träume sind eine Vision davon, wo Sie sein werden. Ihre Ziele sind die Schritte, die Sie in Richtung Erfolg gehen.
·Wenn Sie nicht bereit sind, hart zu arbeiten und in Ihrem Leben Disziplin einzuführen, werden alle Ihre Träume sich in Luft auflösen, kleine Fantasietrips im Geiste sein, die niemals Wirklichkeit werden.
·Unternehmen Sie konkrete Schritte, um Ihren größten Traum zu verwirklichen, und beginnen Sie mit handfesten Zielsetzungen. Ihre Träume sind es, wo Sie hin wollen, Ihre Ziele sind der Weg, wie Sie da hin gelangen.
·Der unverzichtbare erste Schritt dabei, die Dinge zu bekommen, die Sie vom Leben haben möchten, ist: sich zu entscheiden, was Sie wollen.
·Haben Sie keine Angst davor, in großen Dimensionen zu denken, und wagen Sie es, großartig zu sein. Wenn man träumt, gibt man sich nicht mit Mittelmaß zufrieden. Man träumt nie, nur den halben Weg zurückzulegen!
·Menschen mit Träumen und Zielen haben Erfolg - weil sie wissen, wo sie hin gehen.
Urängste
Dienstag, 06. Januar 2009
Nachdem wir heute im Forum über Aberglauben sprachen, mache ich mir mal so meine Gedanken über unseren Mikrokosmos!
Mein Opa war ja in Italien (1899) geboren, in einem kleinen Dorf namens Ossolaro. Dort wuchs er mit seinen 3 Geschwistern - 2 Brüdern und einer Schwester auf.
Schon seinen Geburtstag hatte man verschoben, denn der 11. Oktober erschien der Familie als ungünstiger Tag, an diesem Tag war angeblich ein weiteres Kind der Familie an seinem 18. Geburtstag die Treppe in solcher Geschwindigkeit heruntergerannt, dass es sich dabei das Genick gebrochen hat. Wie meine Mutter nun kürzlich in den alten Briefen der Familie, die sich im Nachlass befanden, herausgefunden hat, stimmte das ganze gar nicht. Erstens war es nicht der 11. Oktober, 2. war es kein Kind der Familie, 3. wurde es nicht 18 sondern 24, 4. war es keine Treppe, sondern der Heuboden und 5. ist es nicht daran gestorben, war dann aber querschnittgelähmt.
Aber trotzdem wurde der Geburtstag meines Opas auf den 14. Oktober verlegt.
In der Finsternis der grauen Vorzeit waberten Gerüchte um schwarze Katzen und Unheil, das von ihnen ausging und auf allen Schwarz-weiß-Fotografien oder Daguerrotypien der Familie, sowie der Haushälterin des Cousins meines Opas (der übrigens Millionär war und dem die Geigenbaustiftung Walter Stauffer in Cremona ihre Existenz verdankt, weil er alles ihr vermacht hat, und nichts, aber auch gar nichts der Familie) sieht man die Personen mit abgewendetem Blick und dem Fingerzeichen zum Abwenden des bösen Blicks: kleiner Finger und Daumen abgespreizt, andere Finger zur Faust geballt.
Meine Großtante hauste zeitlebens in einem verdunkelten riesenhaften Gebäude (angeblich wegen der Migräne) mit verhängten Spiegeln (und Gewölbekeller). Damit ihrer Seele nichts geschähe. Mit ihrem Verstand ist aber offensichtlich was passiert, denn sie ernährte sich ausschließlich von Gorgonzola, brühheißem Kaffee und Süßigkeiten. Nichtsdestotrotz starb sie erst im hohen Alter von 99.
Die Brüder waren nicht minder abergläubisch, hatten es aber trotzdem geschafft, wenigstens zu heiraten, so dass ihre Spintisiererei wohl von ihren Ehefrauen etwas abgemildert wurde.
Wenn meine Mutter von jemandem redet, von dem sie lange nicht gehört hat, kann man sicher sein, dass am nächsten Tag seine Todesanzeige in der Zeitung steht. Wir fürchten uns alle vor ihren Erinnerungen an alte Bekannte oder Patienten! Sogar von einem ehemaligen Freund von mir (wobei sie niemals wusste, dass ich mit ihm bekannt war, er war ein einziges Mal in der Praxis zur Zahnbehandlung gewesen) sprach sie eines Tages. Er hatte zufällig einen tödlichen Motorradunfall an diesem Abend.
Als Kind hatte ich, wie meine Mutter auch, mehrfach Wahrträume. Das schlimmste war ein Traum, dass mein Opa über ein Bahngleis fuhr und der Zug von links kam und den Wagen überrollte. Ich träumte das direkt vor dem Aufstehen und war vollkommen aufgelöst, als ich die Zähne neben meiner Mutter putzte. Sie fragte nach, aber ich traute mich nicht, ganz die Wahrheit zu sagen, um meinen geliebten Opa nicht dem Untergang zu weihen. So sagte ich, dass ein ganz lieber alter Freund von mir - ich wüsste nicht wer - diesen Unfall hätte. Den ganzen Tag ging es mir schlecht wegen des Traums.
Am nächsten Tag stand groß in der Zeitung, dass die Hebamme, die mich ans Licht der Welt befördert hatte, an einem beschrankten Bahnübergang durch einen Ausfall des Mechanismus von links von einem Zug überrollt wurde und auf der Stelle tot war.
Meine Mutter als echtes Kind ihres Vaters hat mir von Kindesbeinen an gezeigt, was man auf keinen Fall tun darf. Keine Kopfbedeckung auf das Bett - um Himmels willen, das bringt doch Unglück! Am 13. bleiben wir mal schön zu Hause. Besonders wenn es Freitag ist. Ich habe rebelliert, und den 13. zu meinem Lieblingstag erkoren. Ankomme Freitag den 13. um 14 Uhr, Christine von Reinhard Mey war mein Lieblingslied. Kurz vor meinem 13. Geburtstag lief uns eine schwarze Katze zu (über Katzen gibt es ja auch ganz klare Regeln: Schwarze Katze von rechts nach links - Glück bringt's! Schwarze Katze von links nach rechts - bringt Schlecht's!) Ich habe Minouche sofort adoptiert, von da an schlief sie trotz ihrer Krankheit, an der sie bald darauf verstarb, und trotz ihres fischigen Mundgeruchs in meinem Bett.
Leider starb meine Oma kurz vor meinem 13. Geburtstag. Ich konnte ihr das gar nicht verzeihen, es war für mich nicht fassbar, dass ich nun, anstatt, wie jeden Sommer in unserem schönen Bungalow mit dem Swimmingpool den Sommer zu verbringen, jeden Tag zu meinen Eltern in die stickige Praxis laufen musste, um dort den Nachmittag mit Hausaufgaben und Lesen zu verbringen. Sie hielten mich nicht für in der Lage, allein in dem Haus zu bleiben, bis sie abends nach Hause kämen. Das war ein schrecklicher Einschnitt in mein Leben. Um so mehr, als dann meine einzige und geliebte Freundin wegzog, mit der ich ein Herz und eine Seele war (Blutsbrüder waren wir auch).
Ebenfalls konnte ich nicht glauben, dass mein Vater den bereits 7jährigen Weidenbaum, den ich mir zu meinem 12. Geburtstag gewünscht hatte, und auf dem ich immer so schön hockte und träumte, nach meinem 13. Geburtstag binnen einer Woche fällte. Der 13. Geburtstag war also für mich persönlich der Anfang vielen Elends.
Was war wohl der Grund dafür? Zum einen käme natürlich Minouche in Frage, zum anderen passierte mir kurz vor meinem 13. Geburtstag folgendes: mein Taschenspiegel ist mir zerbrochen. 7 Jahre Unglück inclusive. Das wirkte auch noch bis zu meinem 18. Geburtstag, denn hier hatte ich wieder einen fatalen Fehler begangen: Ich hatte mir als Geschenk gewünscht, in Samuel Beckets "Warten auf Godot" zu gehen. Das lief im Stadttheater. Warten auf den Tod. Hätte ich nicht so darauf bestanden, wäre meiner Tante Magda bestimmt der Unfall in Südfrankreich erspart geblieben, bei dem sie selbst sehr schwer verletzt wurde, dem aber mein Opa väterlicherseits - ihr Lebensgefährte - zum Opfer fiel. Er hatte sich vorgebeugt, um etwas unter dem Sitz herauszuholen und meine Tante fuhr über eine Kreuzung, auf der weit und breit kein Auto zu sehen war. Da kam aus dem Nichts ein Fahrzeug (mit Corps Diplomatique-Kennzeichen) dahergeschossen und rumms. Mein Opa war auf der Stelle tot. Der Anruf aus Frankreich erreichte uns, als wir gerade ins Theater gehen wollten. Das Stück habe ich dann nie gesehen.
Nun, da nicht nur Aberglauben in unserer Familie im Schwange ist, sondern auch allerhand Gemunkel und Verschwörungstheorien, steht für viele fest, dass der Fahrer, der niemals dingfest gemacht werden konnte, der zwar von der Polizei verhört wurde, aber dessen Namens- und Adressdaten auf rätselhafte Weise verschwanden (es fehlten Seiten im Protokoll), ein gedungener Mörder gewesen sein musste, der nur auf diesen Moment gelauert hatte. Seit Jahren, als mein Opa als politischer Flüchtling seine Frau verlassen hatte und sie mit 3 Kindern allein gelassen hatte, die sie mit Hemdenbügeln in der Nachbarschaft durchbringen musste. (Das war meine Oma, die zu meinem 13. Geburtstag starb. Sie starb übrigens an Magen- und Leberkrebs, laut Diagnose meines Vaters, weil sie all ihren Kummer in sich hineingefressen hatte. Danach hat dann mein Opa sich wieder gemeldet - mit einer neuen Frau, die wiederum dann von meiner Tante M. abgelöst wurde, der nie die Chance gegönnt war, ihren geliebten Lebenspartner zu heiraten, weil die Vorgängerin sich nicht scheiden ließ.)
Vor 4 Jahren hat nun R. in unserer Wohnung eine Spiegeltür zerschlagen. (Er ließ eine Hantel hineinrollen.) Ich habe versucht, den Schaden mit Windowcolours zu übertünchen, verzierte den Spiegel mit einer raffinierten Blumengirlande entlang des fast senkrecht verlaufenden Sprungs. Ende des Jahres 2005 trat er jedoch gegen den Schrank, so dass sich ein neuer Sprung daneben bildete. Ich hatte mir vorgenommen, diesen in den Weihnachtsferien zu restaurieren, jedoch kam ich nicht dazu.
Nun, ob nun diese Spiegelmisere ursächlich war, oder die gigantische Spinne, die ich am 5. Januar beim Hochgehen aus der Tiefgarage (wir waren im Mediamarkt gewesen, um eine neue Spülmaschine anzuschaffen und hatten uns gleichzeitig eine Wohnzimmerwand überlegt, in die ein Flachbildfernseher integriert werden sollte, und waren bester Dinge - nur hatte mein Mann darauf bestanden, die Spülmaschine noch nicht zu bezahlen, sondern erst bei Lieferung) an der Wand vorfand und die mein Mann dann mit einem Schuh erschlug, die Strafe folgte auf dem Fuss: Am 6. Januar 2006, heute vor 3 Jahren, geschah in unserer Wohnung das größte Unglück, das in meinem Leben passiert ist: ein Weißwurstfrühstück führte zu unserer Trennung. Mir fiel dann eine Postkarte in die Hand, auf der eine Weißwurst mit halb abgezogener Pelle in Schmetterlingsform prangte - ziemlich ekelhaft - und unter der stand: Die letzte Häutung vor der Imago. Die habe ich mir aufgehängt, um mir vor Augen zu halten, dass dadurch nur alles besser werden konnte als es war. Die Putzfrau hat die Karte jedoch in ihrem Säuberungseifer abgeschrubbt und ich finde sie nicht mehr. Gestern, nach dem Ausstellungsbesuch fiel mir wieder eine Karte in die Hand, auf der ein Weißwurstfrühstück zum Herausschneiden und Zusammenbasteln abgebildet war. Ich habe jedoch auf den Kauf verzichtet. Das Symbol besteht weiterhin in unseren drei Köpfen und wir haben uns damals geschworen, in unserem ganzen Leben nie wieder Weißwurst zu essen.
Die Spülmaschine wurde einen Monat darauf geliefert, und das war das erste, das ich von meinem eigenen Geld bezahlen musste. Das Konto war bereits geleert.
Die fette Spinne vor diesem Vorfall war nicht die erste, die mir Probleme gemacht hatte. Außerdem war ich damals ständig mit meinen Tarotkarten beschäftigt, die ich überall mit mir herumtrug. Die Tarotkarten sagten zum Thema 2. Kind: Der Teufel (Angst als ständiger Begleiter). Der Turm (eine schlimme Überraschung, alles wird sich auf schreckliche Weise ändern) Trotzdem war ich schließlich schwanger, eine ganze Zeit lang. Leider entdeckte ich an der Hauswand einen Haufen Weberknechte. Ich habe sie mit dem Staubsauger eingesaugt, weil ich nicht unter ihnen auf der Bank sitzen wollte. Unmittelbar danach bekam ich schreckliche Bauchschmerzen…
Ein weiterer Versuch ein paar Monate später war wiederum erfolgreich. Als ich trotz meiner Tarottageskarte, die mal wieder der böse Turm war, mit stolzgeschwelltem Bauch (sofern der Bauch nach ein paar Wochen schon dicklich sein konnte) an eine Baustelle kam, konnte ich nicht vorbei, an der Straße war zu viel Verkehr, die Straßenseite zu wechseln war nicht möglich. Also musste ich unter dem Baugerüst durch. In diesem Moment kam von oben eine Ladung Sand und Steine heruntergeprasselt. Ich sprang zur Seite und wurde nicht getroffen, aber ich bin furchtbar erschrocken. Zu Hause saß im Hauseingang am Boden ein Riesenviech von Spinne. Ich bin vorsichtig über sie hinweggestiegen, um das Unheil nicht herauszufordern, aber es war zu spät.
Beim Aller-guten-Dinge-sind-drei-Anlauf wollte ich einen Fleck an der Fensterscheibe im oberen Bereich entfernen wollte. Ganz ohne Spinne bekam ich schreckliche Bauchschmerzen und eine heftige Blutung. Aber das Kindlein war zäh. Obwohl die Karten weiterhin nur Schlimmstes aussagten. Ich ließ, um mich zu beruhigen, dass doch alles in Ordnung sei (als 39-jährige Spätgebärende) zusammen mit einer Freundin eine Chorionzottenbiopsie durchführen. Als wir aus dem Haus gingen, sagte meine Freundin heiter "Ach, schau mal was für ein schönes Spinnennetz da hängt! Kuck mal, so eine seltsame Spinne - ganz gelb, so was habe ich ja noch nie gesehen!" Zugegeben, die Spinne war ungewöhnlich und nicht mal hässlich. Aber ich machte mich nur nach sehr gutem Zureden auf den Weg in die Klinik.
Auf dem Bildschirm konnte ich alles beobachten, was der Arzt tat. Einen Moment sah es mir so aus, als hätte er mit der Nadel das Köpfchen des Kindes erwischt, das Kleine drehte ruckartig den Kopf weg und wurde dann ganz ruhig. Meine Freundin und der Arzt schworen jedoch, sie hätten das nicht gesehen und das sei auch ganz sicher nicht der Fall gewesen.
Zwei Tage später wurde mir mitgeteilt, der Sohn (!) in meinem Bauch habe eine Trisomie, er sei nicht lebensfähig. Ob ich eine Abtreibung wolle. Erst nach einer ganzen Reihe von weiteren Tests zeigte sich, dass das erste Ergebnis aus welchen Gründen auch immer - ein Teil der Mutterkuchens sei wohl durch eine Mutation verändert, das könne vorkommen - falsch gewesen war. Bis zur Geburt des Kindes hatte ich stetige Angst, dass doch irgendetwas nicht mit ihm stimmen würde und nahm vor Angst kaum zu. Als L. endlich in meinen Armen lag, konnte ich mich überzeugen, dass alles dran war, keine überzähligen Finger, keine schlitzförmigen Pupillen, keine Schwimmhäute, nichts Auffälliges.
Die Abschlussuntersuchung wurde von einer jungen Assistenzärztin durchgeführt, die das Kind lange genau ansah und dabei feststellte, neben dem Ohr habe es eine Pore. Möglicherweise ein Gang, der ins Gehirn führt, meinte sie. Was das für Folgen haben könne, wüsste sie nicht. Ob ein Stich mit der Nadel bei der Chorionzottenbiopsie dafür verantwortlich sei, könne sie mir beim besten Willen nicht sagen. Da war sie schon wieder, die Angst. Die Pore ist heute noch gut sichtbar.
Brillantfeuerwerk
Heute habe ich es mal geschafft, meine „Sozialphobie“ zu überwinden und habe meine alte Freundin angerufen und mich mit ihr getroffen. Wir waren dann im Haus der Kunst (während die Kinder zusammen vor dem Fernseher hockten) und haben so ungefähr auf den letzten Drücker noch eine Ausstellung namens Brillant-Feuerwerk angesehen. Diese Bilder und Skulpturen sind normalerweise nur illustreren Kreisen vorbehalten, da sie sich in Firmenbesitz Dax-notierter Unternehmen befinden. Z.B. bei Giesecke & Devrient, Siemens, Hypovereinsbank, Burdaverlag usw.
Am Eingang wurden wir von einem äußerst freundlichen Museumswärter begrüßt, der auf mehrere Kästen mit Porzellannippesfiguren (aus der Commedia dell’Arte) aufpasste. Sicherlich für manche eine tolle Sache, garantiert kostbar, aber so gar nicht unser Fall.
Erstaunlicherweise waren meine Freundin und ich bei den meisten Werken sehr ähnlicher Meinung – ob sie uns gefallen, uns beeindrucken, ob wir uns so was zulegen täten, wenn es spottbillig wäre? Eine ganze Wand war von Andy Warhol mit ausgewählten Bunte-Covern der letzten Jahrzehnte belegt. Das hätten wir bevorzugt genommen. Allerdings käme da ein ziemliches Platzmangelproblem zum Tragen. Aber wenn man das Bild hätte, könnte man sich alternativ auch davon trennen … ein großes Haus müsste schon für den Verkaufspreis herausspringen. Das war eines der Meisterwerke, auf die Burda stolz sein darf. Der Verlag hatte von allen Sponsoren der Ausstellung mit Sicherheit den besten Geschmack, finden wir. Die Warhol-Wand mit Münchner Sehenswürdigkeiten war allerdings nicht so toll wie die Buntetitelblätter.
Die von Giesecke ausgestellten Werke waren allesamt recht morbide, in jedem Bild lagen Leichen herum – es war halt der Radierungs-Zyklus „Vom Tode“, passenderweise in einem gruftartig dunklen Lattenverschlag drapiert. Dazu hätten Gedichte von Georg Trakl oder Georg Heym gepasst. Expressionistische, grauslige.
E.on besitzt natürlich technische Skulpturen, die jedoch irgendwie enttäuschend waren. Der echte Jean Tinguely hatte leider nur eine einzige Funktion, dabei ist er doch bekannt für seine äußerst vielseitigen Maschinen, die völlig sinnlose Tätigkeiten ausführen, aber in furchtbar ausgeklügelter Weise. Das andere Werk hätte auch ein Sammelsurium von Flohmarktgängen sein können, in einen Glaskasten eingepasste, unsichtbar miteinander verbundene namenlose Teile, den Abfällen ähnelnd, die die Verkäufer zum Schluss liegen lassen, weil sie keine Lust mehr haben, diese wieder mit nach Hause zu nehmen.
An einer Wand waren 120 (? Habs vergessen) Abfallstücke aus blauem Plastik in Schüsselform aufgeklebt (mit großen Abständen zwischen den Einzelfragmenten). Davor stand eine verbeulte blaue Blechschüssel. Könnte man sich auch selber machen, wenn man so was gerne hätte und nicht weiß, wie man seine kahle Wand dekorieren könnte. Preiswert, ungewöhnlich und schwierig abzustauben.
Ein großes Foto zeigte Verwüstungen in Kabul, da sah es ähnlich aus wie im Iran, also an Orten, die ich dort gesehen habe.
Siemens hatte eine Serie von „Party-Bildern“, die eigentlich abscheulich waren, lauter Nackerte, Besoffene, eine wilde Sauf- und Sifforgie, eine der gezeigten Frauen hatte durch das nackte Bein so etwas wie eine Antenne gestochen, nämlich rechts und links jeweils 8 oder so Metallstangen. Ob es sich um eine komplizierte Art, einen Beinbruch zu richten, oder eine Perversion oder einen Unfall im Vollrausch handelte, war nicht klar.
Die Generaliversicherung hat offenbar eine Sammlung von Telefon-Doodles von David Barbarino auf Post-it-Blättchen, ein paar davon fanden sich auf Riesenformat vergrößert (vielleicht 2 m² oder so) auf gelbem Hintergrund in der Ausstellung und sollten an den Saaleingängen für den Übergang sorgen. Vielleicht werde ich ja auch mal berühmt, wenn ich beim Telefonieren herumkritzle? Telefonieren…Wobei wir schon bei dem wären, was mir in der Ausstellung das Gruseln lehren könnte: Es lief ein 7,5 Minuten langer Film, bestehend aus Filmszenen, in denen zunächst eine Telefonnummer gewählt wurde (vielleicht 30x wählen auf verschiedenen Apparaten in verschiedenen Häusern), dann klingelten alle angerufenen Telefone nacheinander, dann folgten die Reaktionen der jeweils Angerufenen. Alles aus berühmten Filmen (Krimis, Horrorfilmen usw.) herausgeschnitten und zusammenmontiert. Wie ich bereits erwähnt habe, hab ich ja ein Telefonproblem. Da ich mir nicht noch weiteren Stoff für meine Alpträume, in denen es meistens darum geht, dass ich eine Telefonnummer auf einem Tastentelefon anrufe und mich dabei zigfach verwähle, beschaffen wollte, habe ich mich bemüht, den Film nicht anzusehen. Wohl aber war der Ton durch die ganze Ausstellung zu hören.
Verschiedenste Bilder haben wir nicht verstehen können, so z.B. das gigantische Bild eines Soldaten, der -verzweifelt den Kopf in die Hände gestützt - dasitzt, während ihm Dagobert Duck (als Uncle Sam?) von hinten anstupst. Der Titel: Sonst nichts. Dazu fiel mir nur ein: Lucky Strike. Sonst nichts. Das hätte dem jetzt gefehlt. So eine richtig schöne amerikanische Zigarette. OK, ich glaube, ich bin wohl ein Kunstbanause.
Mokiert haben wir uns auch über eine Installation aus Holzlatten in kreischbunten Farben, ähnlich wie Lego oder Mikado. War ja ganz fröhlich – aber das ganze hieß: Sweet baby Jane. Hä? Und wieso?
Auf einem Sims stand eine vergoldete schöne große und ausladende alte Kaminuhr. Daneben – aus einer anderen Sammlung – hing eine große Fotografie eines tränenüberströmten jungen Mannes mit dem Titel „I’m too sad to tell you“ (der Künstler war übrigens bald nach Schaffung des Bildes verschollen – ob es ihn selber darstellt?).
Verschiedene Künstler hatten Fotografien im Riesenformat auf Metall oder Folien aufgezogen. Sehr beeindruckend war Mayday - ein 12 Meter langes und ein vielleicht 2 Meter hohes Bild einer weiteren Party von Andreas Gursky, das mittels Inkjetdrucker auf Folie gedruckt worden war. Mit was für einer Art von Drucker denn? Wo gibt’s denn so breite Drucker? Und da es sich um eine Collage verschiedener Bilder handelte, wo waren die Übergänge von einem zum anderen Bild? Und wie konnte man die Folien so miteinander verbinden, dass man nicht merkt, wo das eine aufhört und das nächste anfängt?
Beeindruckend war auch ein Bild eines Künstlers, bei dem man aus der Nähe nur mit Mühe etwas erkennen konnte, so als bräuchte man normalerweise eine starke Brille und habe diese nicht auf der Nase. Wenn man sich dann bis zur anderen Seite der Halle von dem Bild entfernte, konnte man erkennen, dass es einen Hang mit Büschen darstellte, und wie eine Fotografie wirkte (war aber gemalt).
Ebenfalls schön: eine große Bronzeskulptur (Dreiklang), die jedoch aussah, als sei sie aus edlem, polierten Holz gemacht. Wenn man hinlangte, war sie aber viel zu kalt für Holz.
Mitten in der Ausstellung prangte ein weißer Rennwagen, dem aufgrund seines geringen Abstands zum Untergrund wahrscheinlich ein ganz normaler Bordstein den Garaus machen würde. Spitzengeschwindigkeit 340 kmh, 540 PS. Sehr nett. Sehr breit. Sehr merkwürdig beschriftet. Ehrlich gesagt, hat uns die Beschriftung (auf Englisch) Rätsel aufgegeben. Schütze mich vor meinen eigenen Wünschen! Den Rest haben wir nicht so ganz kapiert. Aber wir haben auch keine Lust gehabt, lange drüber nachzudenken.
An den Wänden standen Sprüche von Karl Valentin, dem alten Münchner Original. Im ersten Teil der Ausstellung ging es über die Atombombe, im zweiten waren die Sprüche etwas witziger, am Ende wollte er „sich dann mit seinem Aeroplan verduften“, da hing dann auch ein Flugvehikel an der Decke – ob es wirklich fliegen könnte, bezweifle ich mal. In diesem Raum war eine interessante Installation – eine sehr lange Reihe bunter elektrischer Bauelemente an Drähten zwischen 2 Lautsprechern. Das ganze fungierte wohl als Bewegungsmelder. Wenn man von einem der Lautsprecher zum anderen ging, ertönte erst aus dem einen und dann langsam auch aus dem zweiten eine Reihe von synthetischen Klängen und Trommelschlägen. Das richtige für jemanden wie mich, der oft rastlos wie ein Tiger im Käfig von hier nach dort und wieder zurücktrabt. Oder wie ein Panther.
Zuvor sprachen wir nämlich von Rilkes Panther-Gedicht. „Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt.“ Da wir uns über Arten von Reimen unterhielten –Binnenreime und Stabreime – und zwar aufgrund einer Sammlung von Fotografien, von denen jeweils 4 als Gedicht betitelt waren. Obwohl es ca. 10 oder 15 Rahmen mit so einem „Gedicht“ gab, kamen wir nicht drauf, wo hier das Gedicht stecken solle. Ich habe nur festgestellt, dass sich auf den Fotografien alte Haushaltsgegenstände, völlig triviale Szenen und pro Rahmen mindestens ein völlig unscharfes Bild befanden. Aber auch nicht mit Stabreimen (wenn alle gezeigten Bilder jeweils mit demselben Buchstaben begonnen hätten) war für uns das Rätsel zu lösen.
Mehrere „Schmierakel“-Bilder waren da zu sehen – z.B. mit dem Titel „Fanta, Sprite, Schinkenbrote – viele Tote im Heimatland“. Na, wer’s mag – Geklecks und sinnlose Formen im Großformat.
Nun, zu guter Letzt war am Ende der Ausstellung eine 2-reihige von hinten beleuchtete, vielleicht 8 Meter lange Draufsicht auf die Erde gezeigt, auf der man die Kontinente sehen konnte, zumindest ausschnittsweise, und die glaube ich „von Tokyo nach London“ hieß. Das wäre eigentlich ganz nett als Nachtlicht in der Wohnung. Und gegenüber war ein Stickbild von Alighiero Boetti, auf dem im Riesenformat alle Länder der Erde gezeigt wurden wie auf einem Atlas, nur war an Stelle jeden Landes dessen Nationalflagge hingestickt, allerdings genau mit den Konturen des jeweiligen Staates.
Am schönsten in der Ausstellung fand ich, und jetzt bitte nicht lachen, einen alten „Schinken“, ein Bild, das auch aus dem Märchenbuch aus alten Zeiten aus den Schätzen meiner Urgroßmutter hätte stammen können – Landschaft am Starnberger See von Karl Millner (1850). Mit Liebe zum Detail war da eine Landschaft mit Öl gemalt, wenn man sehr genau hinsah, konnte man auf dem Weg auch winzigkleine Menschlein und auf den Hügeln ein paar winzige Tierchen erkennen. Und wenn man so weit war, dass man die winzigen Lebewesen sah, dann war man nämlich schon mitten drin in dem Bild und hätte eigentlich da drin spazieren gehen können. Solche Bücher habe ich als Kind geliebt, wo man in einem Bild spazieren gehen konnte. Mary Poppins und so was. Achja. So gingen wir heute quasi in den fremden Hallen fremder Firmen spazieren. Aber ehrlich gesagt, war uns vieles aus diesem sehr bunten Gemisch unterschiedlichster Arten von Kunst (war das noch Kunst? war das schon Kunst?) ein bisschen zu hoch. „So amüsiert sich jeder eben so gut er kann“ – meint dazu Karl Valentin.
Die Freuden des 1. Januars
Donnerstag, 01. Januar 2009
Als ich klein war, war einer der schönsten Tage im Jahr für mich immer der Neujahrstag. Da bin ich unbeaufsichtigt auf den Äckern in der Umgebung herumgestromert, auf den Grünflächen zwischen den neugebauten Häusern und auf den damals recht unbefahrenen Straßen unserer Wohngegend und habe die Stäbe und die kegelförmigen Plastikspitzen der Neujahrsraketen eingesammelt. Die Luft war so klar nach dem Geballere vom Vortag, alles roch wieder sauber und frisch, halt einfach wie völlig neu, so wie das Jahr. Passend und richtig. Nur an diesem Tag war es so, vor allem auch, weil wohl alle Nachbarn erstmal ihren Rausch ausschlafen mussten, und vor dem frühen Nachmittag keiner vors Haus trat. Außer mir und ein paar anderen Kindern mit sehr ähnlichen Interessen, aber nicht den gleichen, denn die hatten es eher darauf angelegt, noch nicht abgebrannte Raketen zu finden und hochzujagen. Es war wie Sonntag, aber doch noch anders. Am Sonntag war mehr los.
Die Stäbe hat mein Vater stets dankbar in Empfang genommen, daran hat er nämlich im Lauf des Jahres dann seine Gartenpflanzen angebunden, all die schönen Blumen, die sonst aufgrund ihres zu schweren Köpfchens haltlos abgeknickt wären. Und ich hab meine Raketenspitzen sortiert, gezählt und katalogisiert. Natürlich haben meine Eltern aufgepasst, dass ich keine Feuerwerkskörper mit in mein Zimmer geschmuggelt habe, aber vor den „Sprengsätzen“ (Dynamit, wie ich meinte) hatte ich auch eine heilige Ehrfurcht. Es hat ganz schön lang gedauert, bis ich mich getraut habe, selber welche zu zünden. Ist erst ungefähr 5 Jahre her, dass ich das zum ersten Mal tat. Gestern ging mir das dann schon fast profimäßig von der Hand. Aber nur fast. Meine Kinder sind da weitaus geübter!
Was ich ansonsten am 1. Tag des Jahres mit Begeisterung tue, ist meine jungfräulichen Kalender mit den Geburtstagen zu füllen und die Termine für Januar einzutragen. Es gibt kaum ein schöneres Buch als einen frischen Kalender! Die blütenweiße Reinheit des Papiers, die Seiten, die sich noch nicht voneinander trennen möchten und am Schnitt zusammenhängen, der Geruch des Papiers… In besonders viel versprechenden Jahren nehme ich meine Kalligraphiefeder und schreibe in schönster Schönschrift, wenigstens die ersten paar Monate, bis meine Hand, die nicht mehr ans Schreiben gewöhnt ist, ermüdet. Dieses Jahr habe ich den Füller nicht gefunden und stattdessen einen violetten Fineliner genommen, aber schön geschrieben habe ich trotzdem. An solchen Tagen gefällt mir meine Schrift, und dann wird sie auch immer schöner, so wie ein liebes Kind immer lieber wird, wenn man ihm sagt, wie wunderbar lieb es ist. Auf Postkarten schreibe ich völlig anders, da bezweifle ich oft, dass der Empfänger überhaupt ein Wort lesen kann, denn während des Schreibens „hoffe ich ganz verstohlen, in rasender Geschwindigkeit mich selbst zu überholen“ (Zitat aus einem Beatlesfilm). Das sieht man dann natürlich.
Papier ist ja eine Leidenschaft von mir - und Schreibmaterial, ich horte Unmengen davon. Damals, als ich täglich nach der Schule in die Praxis zu meinen Eltern musste, um dort mittagzuessen und Hausaufgaben zu machen, war schräg gegenüber ein Gwinner & Ullrich Schreibwarengeschäft. Ach, wie gern bin ich da hineingegangen und habe gestöbert, Papiere angeschaut, Tonkartone herausgezogen und wieder hineingeschoben, Transparentpapiere, Hefte und Collegeblöcke bewundert, an Radiergummis gerochen (manche erinnerten dabei an amerikanischen Kaugummi), Füllfederhalter ausprobiert, Bleistifte in der Hand gewogen, mich am Kampferduft der Lesekästen berauscht. Vielleicht ist das der Grund, dass nun mein Blutdruckmittel (Kampfer als Hauptinhaltsstoff) so gut wirkt? All die verschiedenen Buchumschläge, die Zirkelkästen, und vor allem die Blankobücher und Kalenderbücher – HIG-Bücher mit blauem Einband für Buchhaltung und verschiedenste Arten von Abrechnungen, großformatige Bücher mit schwarzen Einband für Termineinträge, feine Lederbücher mit Goldrand für persönliche Notizen und Geistesblitze, Poesiealben für hochgeistige Ergüsse wie „Manuela, wenn ich an Dich denke, wackeln alle Tisch und Bänke, selbst das alte Kanapee hüpft vor Freude in die Höh“. Das Personal des Ladens fragte immer dezent, ob ich etwas Bestimmtes suche und ich habe mit hochrotem Kopf das Weite gesucht, denn ich war sehr schüchtern. Aber das hat mich nicht gehindert, ein paar Tage später wiederzukommen. (Erinnert Ihr Euch noch an das Blankobuch, in das ich mich kürzlich so verliebt hatte? Ich bin am 31. mit gefülltem Portemonnaie sehnsüchtig in das Geschäft zurückgegangen, aber das Buch war bereits vekauft...)
Tja, was am Neujahrstag noch immer für mich wichtig war: der Heringssalat. Nach Art von meiner Oma. Den keiner mag außer unserer Familie, wie ich festgestellt habe. Denn wo auch immer ich schon zu Silvester „unseren Heringssalat“ mitgebracht habe, hatten die sich unter Heringssalat stets was anderes vorgestellt und waren sehr enttäuscht. Unserer besteht aus Hering, Kartoffeln, vielen Kapern, Äpfeln und sauren Gurken. Alles klein geschnitten, mit wenig Salz, viel Pfeffer, Zitronensaft und Öl. Oben drauf ein gekochtes Ei in Scheiben. Das wars. Aber dieser Salat ist etwas, an dem ich stundenlang essen könnte, während des Essens bekomme ich immer noch weiter Appetit. Und er macht gute Laune. Ich gebe erst Ruhe, wenn alles aufgegessen ist. Heute habe ich nachmittags 5 Teller gegessen. Und um 21 Uhr hab ich dann die Schüssel geleert. Und es geht mir gut. Er schmeckt nach Jugend, nach Hoffnung, nach Tatendrang, nach „Ich bin gespannt, was dieses Jahr an Schönem bringt!“ Ich bin bereit! 2009, I’m coming!
Rückblick auf 2008
Mittwoch, 31. Dezember 2008
2008 geht ja gleich zu Ende. Letztes Jahr schrieb ich meine Neujahrsvorsätze auf:
Weniger ärgern, weniger schimpfen, weniger essen, weniger Geld ausgeben, weniger rauchen, weniger am PC sitzen, mehr wegschmeißen, mehr lesen, mehr Klavier spielen, mehr rausgehen, die Steuererklärung früher machen, die Scheidung in die Wege leiten - oder mindestens 3 davon.
Und an anderer Stelle im Forum klagte ich:
Jahresende naht geschwind,
wäre ich doch noch ein Kind,
würde ich mich jetzt drauf freuen,
so aber muss ich bereuen:
dass ich dieses Jahr wie oft
nichts geschafft hab, nur gehofft,
dass da kämen bessere Zeiten,
wärmre Tage, Nettigkeiten,
stille Stunden, SUB-Abbau,
gute Noten, 'ne Putzfrau,
neuer Job mit Spaß am Tun...
Nichts davon gabs, kein Ausruhn,
stets nur Hasten ohne Ende,
schwielige Altweiberhände,
immer noch Zigarettenrauch,
Zunahme an Bein und Bauch,
die meisten Fragen ungeklärt,
nicht Nein gesagt, und nicht gewehrt,
zu wenig lieb gewesen häufig,
im nächsten Jahr wirds gegenläufig!
Zumindest in den ersten Tagen,
dann kommt der Trott mit meinen Blagen,
und spätestens im Februar
ist alles, wie es immer war.
Tja, äh, ich glaub, letztes Jahr habe ich das ganz richtig vorausgesehen! So gut wie alles ist so, wie es 2007 auch war. Immerhin habe ich die Putzfrau, und zwar alle 6-8 Wochen oder so. Weniger geschimpft hab ich dieses Jahr auch, denn L. nimmt seit August sein Medikament und ist weniger problematisch, und damit erübrigt sich manche Schreierei. Das Ziel, dass er in der Schule seinen Fähigkeiten gemäß auch entsprechende Leistungen erbringt, haben wir damit in etwa erreicht. Leider bietet mein anderer Sohn einen passenden Ausgleich und treibt mich immer wieder zur Weißglut – ob es Dickkopf, Jähzorn oder Pubertät ist, ist schwer auszumachen. Die ersteren beiden könnte er ja sehr wohl von seinen Eltern geerbt haben.
Die Steuererklärung wollte ich in den Weihnachtsferien machen. Ratet mal, worauf ich absolut keinerlei Lust habe…
In Bezug auf den MiGa – die Beziehung hat sich leicht verbessert, von Scheidung war letzthin nicht mehr die Rede. Wenngleich die Trennung ganz klar ist. Wir leben halt jeder wo anders. Allerdings ist seine Tendenz, mir überall reinzureden, jetzt noch stärker. Ein neuer Mann ist nicht in Sicht. Zwei Jugendlieben haben sich bei mir gemeldet, und ich habe beide ziemlich erbarmungslos vor den Kopf gestoßen. Wenigstens bin ich so weit, dass ich weiß, was ich ganz bestimmt nicht will!
Zum Lesen und Klavierspielen bin ich kaum gekommen, die Kleidung vom letzten Jahr ist zu klein geworden, rauchen tue ich noch mehr als zuvor, die Gesundheit lässt zu wünschen übrig, an meinen Lungen ist irgendwas nicht wie es sein soll…
Im letzten Jahr hatte ich vermehrt Hexenschuss, eine gebrochene Rippe, einen gebrochenen Finger - ob ich die linke Handkante mit Handgelenk letztes Jahr oder Anfang diesen Jahres gebrochen hatte, hab ich schon vergessen! Dann suchten mich diverse Zahneiterungen heim, und zu allem Überfluss nun auch noch die Herzflattergeschichte. Von kerngesund kann man da nicht wirklich reden! 2008 war nicht gerade ein gutes Jahr! Dafür muss ich ja auch meine Krankenversicherung nun selbst zahlen, wenigstens lohnt sich das im Moment auch.
Was ich lange wollte, einen Mensa-Aufnahmetest machen, das habe ich dieses Jahr erledigt, allerdings hat sich dadurch nicht viel geändert, außer dass ich jetzt Gewissheit habe, schwarz auf weiß. Aber eigentlich wusste ich das ja vorher schon, jedenfalls seit 2001.
Eine Arbeit habe ich immer noch nicht, aber nun auch gar keine Lust mehr auf eine, und meine Kraft und „Multitaskingfähigkeit“ nehmen einfach weiter ab. Ich hoffe, mich durch Aufträge von zu Hause aus über Wasser zu halten. Derzeit spiele ich schwach mit dem Gedanken, mich in einen der beiden mir angedienten Strukturvertriebe mit einzugliedern und so mein Glück zu versuchen, aber vermutlich werde ich das auch lassen, da ich keine Verkäufermentalität habe, und bloß mit Daten eingeben ist es da nicht getan.
Vielleicht schaffe ich ja doch, mein Buch herauszugeben! 2 Buchgutscheine im Eigenverlag habe ich gekauft. Mal sehen, was daraus wird. Gültig sind sie ein Jahr lang. Für das Kinderbuch suche ich noch einen Zeichner. Am besten „ehrenamtlich“…
Meine eigenen Ehrenämter habe ich ganz gut abgebaut, oder es hat sich so ergeben. Dadurch verlasse ich das Haus zwar noch seltener als zuvor, aber ich habe auch weniger Stress. Doch langsam geht es bei mir zu wie bei meinen Eltern, die ich in dieser Beziehung früher so gar nicht verstehen konnte, nämlich gar nicht! Kein Besuch, gehe kaum je hinaus, nicht ins Kino, sowieso nicht ins Theater, besuche niemanden, gehe nicht mal spazieren (das haben sie immerhin stets getan), meine Besuche im Fitnessstudio in diesem Jahr belaufen sich auf ganze sieben Mal.
Der Leihopa kam als Geschenk des Himmels, und ist inzwischen wohl aber wieder dabei, in der Versenkung zu verschwinden – zum einen waren die Kinder nicht so begeistert, und zum anderen hatte ich immer das Gefühl, ihn auszunützen und ihm das zu verweigern, was er sich eigentlich erhofft hatte (ich glaube, seine Beweggründe waren eher eine Frau zu finden, nicht so sehr Enkel) – er schrieb mir jedoch „letztes Jahr hatte ich keine Zukunft und nun habe ich dank Euch wenigstens eine schöne Vergangenheit“.
Meine schöne Vergangenheit 2008 aber waren meine Freunde im Forum - Ihr habt mich das ganze Jahr über bei Laune gehalten, und dafür bin ich Euch unendlich dankbar! Ihr habt stets zu mir gehalten und mich aufgemuntert, wenn es wieder bachab ging. Und es gab Gottseidank auch viel zu lachen! Und manchmal hat mich auch einer zurechtgewiesen, und ich habe schließlich gesehen, dass er nicht so unrecht hatte. Leider gab es zwischendurch Unstimmigkeiten, und da habe ich jedes Mal gemerkt, wie sehr Ihr mir fehlt, wenn ich ein paar Tage versucht habe, fernab des Forums einen klaren Kopf zu bekommen. Dass auf diesem Weg einige alte Kumpane verloren gingen, ist schade, aber vielleicht wiederum auch für die verbliebenen Getreuen eine Chance, es besser zu machen. Wir wissen nun eben auch, was wir ganz bestimmt nicht wollen!
Auf jeden Fall wünsche ich mir, dass wir weiterhin alle miteinander so gut auskommen und so friedlich und angenehm mit allen umgehen wie bisher. Wir kennen ja nun Stärken, Macken, Schwachpunkte und spezielle Empfindlichkeiten von einander, und es ist schön, dass alle so fair sind, dies nicht auszunutzen! Unbezahlbar ist das Gefühl, unter guten Freunden zu sein, die einem verzeihen und etwas schnell Dahingesagtes nicht auf die Goldwaage legen, die mittrauern, wenn es Grund dafür gibt, und ebenso sich von Herzen freuen, wenn man Glück hat, die einem einen wunderbaren Geburtstag bereiten, und mit denen man sogar auf Treffen genauso gut auskommt, wie in der virtuellen Welt!
In L.s Kindergarten war das Motto eines Sommers „Komm, wir finden einen Schatz“! Wir haben jedenfalls einen gefunden!
Kommt gut ins Neue Jahr - aber schreibt Euch Eure Vorsätze lieber gar nicht erst auf!
Weihnachten – warum tut man sich das an?
Sonntag, 28. Dezember 2008
Ehrlich gesagt, ich glaube nicht mehr ans Christkind und glaubte auch noch nie an den Weihnachtsmann. Nun ist es soweit, dass die Kinder auch nicht mehr dran glauben, letztes Jahr hat da was nicht geklappt, ihr Vater hat sie trotz Absprache direkt am Wohnzimmerfenster vorbeigeführt, und sie haben gesehen, wie ich die Geschenke unter den Baum gelegt habe. Nicht, dass sie sich so was nicht vielleicht schon gedacht hatten. Aber irgendwie ist das recht dumm gelaufen. Und dass ich dem Christkind helfen musste, haben sie mir nicht abkaufen wollen.
Dieses Jahr haben wir es also ganz offiziell ganz ohne Christkind gemacht. Die Kinder haben ellenlange Wunschlisten mir direkt auf den Schreibtisch geknallt, haben mit mir zusammen im Internet Preise und Ticketanzahlen verglichen, haben herumgerechnet und auf Heller und Pfennig oder Euro und Cent ausklamüsert, wer jetzt wem womöglich 3 Euro mehr zahlen würde, wenn der andere dieses oder jenes Geschenk von ihm bekäme, und haben sich entschlossen, mir ein teures Geschenk von ihrem Taschengeld zu stiften - sehr teuer, in Anbetracht ihres Taschengeldes. Ich habe es aber nicht etwa extra erhöht. Soooo weit sind wir noch nicht.
Als dann alles gesammelt war, haben sie, um mich netterweise zu entlasten, versucht, die Geschenke selber einzupacken, wobei jeder sich geweigert hat, die Geschenke für den anderen einzupacken. Nein, es mussten die eigenen sein. Damit sie auch ganz sicher waren, was alles unterm Baum dabei sein würde. Der jüngere hat dann recht schnell aufgegeben, das war ihm zu langweilig. Er meinte, er nimmt das ganze dann auch uneingepackt, woraufhin der ältere sich erbarmt hat, und ihm die Sachen doch noch einwickelte. Nicht mit viel Liebe, aber dafür mit viel Tesafilm. Auf Geschenkbänder haben wir dieses Jahr fast gänzlich verzichtet.
Nur die Geschenke für die Frau Mama, da war keiner zuständig. Damit ich nicht zu traurig aus der Wäsche kucken musste, habe ich dann mal wieder meine eigenen Sachen selber eingepackt, dabei noch kräftig aus den mithilfe von Tickets erstandenen Beständen der letzten Monate, die noch nicht gelesen/angeschaut waren, mit eingepackt, damit es sich auch lohnt.
Den winzigen Christbaum hatte ich ja mit Sohnemann zusammen besorgt. Leider hatten die Kinder nicht so viel Lust, den Baum fertig zu schmücken, geschweige denn, die nicht benötigten überflüssigen Christbaumkugeln, die sonst auf den riesigen Baum gepasst hatten, wieder in die Weihnachtsschmucktüte zu legen (oder die Scherben aufzusammeln).
Beim Vanillekipferlbacken taten sich beide Kinder zu Monatsanfang durchaus eifrig hervor und wollten unbedingt nochmals welche backen. Die sollte der Opa von ihnen als Weihnachtsgeschenk bekommen. Leider haben sie dann trotz Mahnung bis auf den letzten Drücker „keine Zeit“ gehabt, die gekauften Vorräte an gemahlenen Mandeln, Fett, usw. zu verarbeiten, weshalb Muttern die ganze Fuhre selber backen musste. Nun, so konnte ich wenigstens sicher sein, dass der Opa vorzeigbare Kipferl bekommt.Die Kinder waren immerhin bereit, der Nachbarin ein paar Stück hochzubringen, aus gutem Grunde, denn das war schon immer sehr lohnend, ihr was zu geben: da doch postwendend der Briefkasten mit Gummibärchen gefüllt wird.
Damit sie etwas wesentlich Einfacheres machen könnten für den Opa, wozu man nur einen Bruchteil der Zeit braucht, habe ich eine Silikonform für Christbäumchen, sowie Marzipan, Puderzucker und grüne Streussel besorgt. Leider hatten sie „keine Zeit“, die kleinen Tannenbäumchen binnen 10 Minuten für Opa zu basteln. Da ich leider keine Verwendung für eine ganze „Marzipanwurst“ habe, habe ich also selber Tannenbäumchen geformt und kam mir dabei vor wie ein Kind beim Sandkuchenbacken. Immerhin wurden der Nachbarin wieder ein paar Stück hochgebracht und unser Briefkasten füllte sich.
Die Geschichte von meinen Zitronen kennt ihr ja, die Kinder waren ebenfalls bereit, den Nachbarn im Haus Zitronengläser vor die Tür zu stellen. Die Nikoläuse, die die Kinder falten sollten für die weihnachtliche Verwendung fanden sie zwar putzig, aber nein, gefaltet hat nur L. einen. Dass Muttern eine Massenproduktion vorhatte, entlockte ihnen nur ein verächtliches „Püüüüsch, kannste selber machen, bin doch nicht blöd“. Muttern war blöd und hat selber gefaltet. Für die meiste Weihnachtspost und für die Nachbarn. Ein Päckchen Origamipapiere ist dabei draufgegangen.
Nun, man sollte meinen, die Kinder würden dann vielleicht beim Zum-Briefkasten-Bringen helfen, zumindest, wenn man die üblichen 10 Cent pro Brief in Aussicht stellt. Nein, nicht einmal bei Erhöhung der Prämie auf das Dreifache ließ sich jemand breitschlagen! Da musste ich schon selber hin. Meine Übersetzungen wären ja sonst auch zu anstrengend geworden, ist ganz gut, wenn man zwischendurch mal die Birne etwas kühlt.
Es wurde beschlossen, die Feier von 16:00 nachmittags auf vormittags vorzuverlegen. Die Geschenke sollten morgens unter dem Weihnachtsbaum liegen. Nun, die Kinder wollten aber nicht beim Hinlegen mithelfen, das sollte passieren, wenn sie nicht dabei wären, denn schließlich – ach ne! – bringt die ja das Christkind…
Allerdings wollten die lieben Kinderlein nicht ins Bett gehen. Nach lautstarker Aufforderung und etlichen wütenden Drohungen gelang es gegen 1 Uhr nachts endlich, die Bande ins Bett zu komplimentieren. Oder werfen! Und zwar im ehemaligen gemeinschaftlichen Kinderzimmer. Eine halbe Stunde später waren immer noch vereinzelte Gesprächsfetzen zu hören. So kam das hundemüde Christkindl schließlich gegen 3 Uhr nachts endlich ins Bett.
Dass die Nacht viel zu kurz war, versteht sich von selbst, denn früh aufstehen an wichtigen Tagen wurde ja schon lange geübt.
Die Bescherung war kurz und freudlos. 2 Papierkörbe wurden gefüllt und – von wem wohl – zur Papiertonne gebracht? Ich hatte gerade erst meine Post geöffnet, da waren schon alle Geschenke der Kinder ausgepackt, die holde bzw. ätzende Weihnachtsmusik (ist leider Ansichtssache!) wurde pietätslos durch eine „geilere“ CD ersetzt und Weihnachten konnte über die Bühne fetzen. Daneben wurde die Wii in Betrieb genommen, der andere wollte lieber fernsehen. Da jedoch derjenige, der Wii spielen wollte, den anderen nicht an seinem neuen Privatfernseher kucken ließ, aber die Wii auch nicht am Privatfernseher angeschlossen wurde, gab es schon mal kräftigen Ärger.
Der 1. Weihnachtsfeiertag verging sehr unweihnachtlich mit Wii-Spielen, Wii-Spielen und Wii-Spielen, zwischendurch mit Fernsehen. Dem angefangenen, selbst zu füllenden Bastel-Jahreskalender 2009 fehlten noch die Monate Juni, September und Oktober, dafür war im November ein Weihnachtsbaum zu sehen (von L.) und einer im Dezember (von seinem Bruder).
Am 2. Weihnachtsfeiertag fuhren wir zu den Großeltern. Und zwar so spät, dass die Großeltern schon fast vor Wut schnaubten, als wir endlich ankamen. Die Kinder hatten sich nämlich nicht von der Wii trennen können, keine Lust gehabt, sich anzuziehen, keine Lust, die Zähne zu putzen, keine Lust, die Haare zu kämmen, keine Lust für Juni, September und Oktober. Aber meiner Meinung nach, war eben dies alles nötig, um überhaupt losfahren zu können. Bei meinen Eltern angekommen, stellten wir nur kurz einen der Kindersitze in den Garten, packten die Großeltern ins Auto und fuhren los, so dass wir 2 Minuten vor der Reservierung im Restaurant ankamen. Natürlich ohne den liebevoll hergerichteten Aperitiv mit Antipasti zu uns genommen zu haben. Meine arme Mutter!
Das Essen lief unerwartet glimpflich ab, außer dass der Wildschweinbraten unter den Zähnen knackte, weil er nicht durch war, und die Steinpilzsoße ganz offensichtlich nur zermahlene Steinpilze enthielt, es war keiner sichtbar. Mein Vater fasste kurz zusammen: Das beste am Essen waren die Preißelbeeren.
Zu Hause waren wir gegen halb drei. Die Kinder riefen: Bescherung! Bescherung! Mein Vater sagte: nein. Geduld! So kamen nach dem Essen die Antipasti dran, wobei jedoch niemand mehr Lust darauf hatte. Die Kinder fingen an, Oliven, Salzstangen und kleine Brezeln herumzuwerfen. Die in Öl eingelegten Spezialitäten wurden schleunigst in die Küche in Sicherheit gebracht. Meine Stimme wurde immer schärfer. Mein Vater wurde immer lauter. Meine Mutter entfloh der Situation, brühte Kaffee auf und richtete Stollen und Kekse her. Wir setzten uns zu Tisch, aber natürlich hatte keiner Appetit. Die Kinder riefen: Bescherung! Bescherung! Mein Vater sagte: nein. Geduld! Also fingen die Kinder an, Kekse durch die Gegend zu werfen. Sie stießen sich gegenseitig von den Stühlen und die Großeltern brachten in Panik Saft und Kaffee in die Küche. Ich fing an zu schreien. Mein Vater fing an zu schreien. Der Kleine weigerte sich seit mehr als einer Stunde bereits standhaft seine ADHS-Medizin zu nehmen, und warf diese wiederholt durch die Gegend.
Die Drohung, dass es keine Geschenke geben würde, quittierte er mit einem trotzigen „Und wenn schon!“ Der Große fing an, den Bruder zu schlagen, weil er nämlich sehr wohl Geschenke haben wollte. Der Kleine schlug zurück. Der Großvater hatte keine Lust mehr und brüllte durchs ganze Haus. Im Hintergrund dudelte viel zu laut holde Weihnachtsmusik. Die Kinder sangen manche Verse so scheußlich wie irgend möglich mit und verballhornten die Texte (Stihiller Pups, heiliger Furz, alles stinkt, einsam kackt usw). Zwischendurch traten sie sich gegenseitig, rissen einander Haare aus oder kugelten raufend unter dem Tisch herum. Sie schrien: Bescherung! Bescherung! Ich schrie: Wenn nicht sofort Ruhe ist, gibt es überhaupt keine Bescherung! Die Oma brüllte: Ihr solltet Euch was schämen! Das ist alles dieses ausländische Erbgut! Doch der Opa meinte beschwichtigend, wenn die LP fertig sei, nach dem Glockenläuten gäbe es Bescherung. Der Kleine griff daraufhin umgehend zum Tonarm und wollte diesen auf die letzte Rille der LP setzen, da wurde er von zwei Erwachsenen aus dem Zimmer getragen und ins Kinderzimmer gesteckt. Die Türe musste man lange zuhalten, bis er nicht mehr herauszukommen versuchte. Dafür randalierte er im Zimmer. Man hörte, wie Bücher aus dem Regal auf dem Boden landeten. Schließlich herrschte Ruhe.
Ich hatte eigentlich, offenbar fälschlich, in Erinnerung, dass LPs kürzer als CDs seien. Wir saßen in finsteren Gedanken versunken auf den Sofas und warteten. Niemandem war feierlich zu Mute. Ich schlug vor, nach Hause zu fahren, jedoch die Großeltern wollten eisern durchhalten. Den Einwurf „blöde Sau“ von meinem großen Sohn bekamen sie nicht mit, wohl aber meine zornverzerrten Gesichtszüge. Manchmal ist es vielleicht nicht so schlecht, wenn man nicht mehr so gut hört. Schließlich ertönte das Glockengeläut.
Das Licht wurde romantisch gedimmt, der Plattenspieler schwieg endlich, der kleine Sohn sollte aus dem Zimmer kommen, der andere fand sich bereits bei den Geschenken ein. Nun, der große schaffte es, seinen Geldumschlag als erstes aufzureißen und seine anderen Geschenke in ca. 1 Minute alle zu entblößen. Sein Gesicht wirkte ob der Fundstücke abgesehen vom Geldumschlag ziemlich unerfreut. Der Kleine brauchte etwas länger, denn er öffnete die Geschenke mit den Füßen und sprang auf einigen herum, die dem Bruder gehörten. Er wurde schließlich von 3 Erwachsenen und seinem Bruder an Händen und Füßen festgehalten und von vier Seiten angeschrien. Es war alles sehr feierlich.
Nun waren die Erwachsenen dabei, auszupacken. Die Kinder schwiegen verstockt. Meine Geschenke waren: 3 Fotoalben (ich habe keine Papierfotos mehr), 2 Sätze Zahnbürstenaufsätze für eine elektrische Blend-a-Dent-Zahnbürste von ca. 1975. Vielleicht kann ich die auf Ebay versteigern. Ich habe keine elektrische Zahnbürste. 6 Packungen Lebkuchen (ich bin aus meiner Kindheit ziemlich schwer lebkuchengeschädigt, d.h. man macht mir damit keine Freude. Das ist meinen Eltern im übrigen auch bekannt). Eine riesengroße Flasche Wein für ca. 10 Personen. Die habe ich frustriert zurückgegeben, und es geschafft, halbwegs freundlich zu erklären, dass ich im Jahr ungefähr 2 Flaschen Wein trinke. Nicht, dass ich das noch nie gesagt hätte. Wenn keiner mit mir trinkt, macht das ja halt auch keinen Spaß. Eine Flasche Prosecco, die hebe ich für Sylvester auf. (Meiner vom letzten Jahr ist ja nun endlich aufgetrunken.) Ein Kinderbuch aus meiner Kindheit: Kinderstube der Tiere. Fotos von Tieren mit ihren Jungen. (Für mich, nicht für meine Kinder!) Weihnachten 1966 von meinem Onkel bekommen. Da war ich 6 und es war auch altersgerecht. Ein Buch aus meinem eigenen Bücherregal. Dann noch ein Buchumschlag aus Bast. Über den habe ich mich gefreut. Beim Ausprobieren habe ich festgestellt, dass das Buch, für das er geeignet wäre, höchstens so hoch wie ein Taschenbuch sein darf, aber ca. 1 1/3 mal so breit. Ob ich ein solches Buch in meinem Fundus habe? Auf jeden Fall kein ständig verwendbarer Bucheinband, sondern eher für nur ein Buch, drauftun und immer dranlassen. Schade.
Dann bekam ich noch ein paar handgestrickter Socken in rosa-hellblau-lila-gelb-Tönen von einer treuen Patientin meines Vaters. Sie hatte schon, als ich noch Gymnasiastin war, für mich neckische Kleidchen in knallgelb mit roten und braunen Blümchen gehäkelt, so ca. in der 7. oder 8. Klasse, wunderbar untragbare Chassubles und Ponchos in schreienden Farbkombinationen, weite Schlaghosen, Pullover mit stets zu kleinem Schulterloch und wunderhübschen Bommeln und Troddeln, die jedem Clown zu rasender Beliebtheit verholfen hätten. Mir eher nicht. Nun, ich muss sagen, die altersmilden Pastellfarben der Socken sind in diesem Fall direkt eine Wohltat. Ein warmer dunkelblauer Schal. Schön, aber leider mit dem Aufdruck "Mucosolvan". Zum Schluss öffnete ich noch den Briefumschlag mit dem erwarteten Geldsegen und wenn ich anerkennend pfeifen könnte, wäre dies vielleicht ein passender Moment gewesen. Immerhin.
R.s ultimativ sinnvolles Geschenk ist ein Kronkorkenöffner (!!!). Nett ummantelt von einem äußerst praktischen weißen (!!!) handgehäkelten Tropfenfänger (!!!) für eine Flasche. Bier? (Ich möchte mal anmerken, dass meine Eltern keine Ahnung haben, was Schrottwichteln ist.)
Meine Eltern packten geduldig ihre Geschenke aus, wie immer, alles, was man essen kann, damit es nicht auf Dauer Platz benötigt.
Aber abgesehen davon, bekamen sie dieses Mal noch ein Geschenk, über das ich mir eine Menge Gedanken gemacht hatte. Meine Mutter hat im letzten Jahr fast einen Monat lang davon gesprochen, dass sie am Nachthimmel 5 rote Objekte gesehen haben, die geleuchtet haben „wie das Rot an einer Ampel“, von innen heraus, und ganz langsam in einer Höhe von vielleicht 200 m in Richtung Westen schräg nach oben in den Himmel zogen. Dann seien sie noch lange da ganz ruhig dahingeflogen. Völlig lautlos.
Nach umfassender Recherche im Internet, u.a. auf Ufoseiten, war ich nach einigen Wochen zu dem Schluss gekommen, dass dieser Anblick ebenso wie die Sichtung vieler anderer solcher Flugobjekte, über die eine Menge verstörter Bürger aus ganz Deutschland berichteten, durch chinesische überdimensionale Sky-Balloons ausgeöst worden war - das sind Ballone aus rotem Papier, ca. 1,10 m hoch, in denen eine Brennpaste angezündet wird. Sie haben eine Steighöhe bis zu 400 Meter und fliegen sehr weit. Sie leuchten auf den Fotos im Internet ungefähr wie eine rote Ampel von innen heraus und fliegen stetig etwas schräg nach oben, langsam und gleichmäßig. Es gibt sie einzeln oder im Fünferpack zu kaufen. Nach alter chinesischer Sitte flüstert jeder seinen Wunsch in den Ballon hinein und dann lässt man gemeinsam die Wünsche zum Himmel steigen, damit sie sich erfüllen können.
Stolz wie Oskar habe ich meinen Eltern also in einem großen Karton einen Fünferpack für uns alle verpackt. Wir sind ja auch fünf. Nun, offenbar waren sie jedoch davon alles andere als begeistert. Ob ich vorhabe, das Erbe in Schutt und Asche zu legen, die gesamte Nachbarschaft abzufackeln, einen Großbrand auslösen möchte, die Felder und Wälder abzubrennen? Was ich mir eigentlich gedacht hätte? Wie könne man nur so kindisch und leichtsinnig sein! Das sei doch Mord an den Mitmenschen, wir kämen alle ins Gefängnis, ich sei doch vollkommen verrückt.
Schließlich haben mich die in schulmeisterlichem Ton vorgetragenen Kommentare so wütend gemacht, dass mir – ganz vorbildlich - der Kragen geplatzt ist. Ich schrie sie an, ich hätte überhaupt keine Lust mehr, was sei das für ein Scheißweihnachten, ich halte das nicht mehr aus mit Euch allen! Ich nahm den Karton mit den Ballons und meinen Mantel, stürmte zur Tür hinaus, schleuderte den Karton in die Mülltonne und rannte blindlings davon. Meine Mutter rief noch hinterher: Nimm wenigstens eine Mütze! Ich schrie zurück: Das werde ich bestimmt nicht tun!!!
Ich bin lange im Dunkeln durch das Viertel geirrt, an Stellen, wo ich mich bei wachem Verstand niemals hingetraut hätte. Und habe geheult. Und geraucht. Und mir gedacht, jetzt soll mir nur einer über den Weg laufen und mich schwach anreden, den schlage ich zu Mus! Schließlich bin ich umgekehrt, weil mein Feuerzeug nicht mehr funktioniert hat und es mich ohne Halstuch und Handschuhe und zugegebenermaßen ohne Mütze fürchterlich gefroren hat.
Vor dem Haus setzte ich mich ins Auto und dachte nach, was ich tun könne. Ich habe überlegt, ohne Kinder einfach nach Hause zu fahren. Oder die Kinder zu packen und nach Hause zu fahren. Oder Andrea anzurufen und ihr mein Leid zu klagen. Dann habe ich es aber doch gelassen. Sie hätte sowieso kaum etwas verstehen können, wenn ich ihr was vorgeschluchzt hätte. Im Auto war es jedoch auch eiskalt, und so stand ich schließlich kleinlaut vor der Haustür und läutete. Meine Mutter ließ mich ein. Ob ich mich beruhigt hätte? Wie ein trotziges Kind fauchte ich: Nein, habe ich nicht!!! Das erste, was mir drinnen auffiel, war, dass die Ballons in der Diele lagen und nicht mehr in der Mülltonne. Ich stürmte ins Kinderzimmer und knallte wie in alten Zeiten die Tür hinter mir zu, machte das Licht aus, watete durch die am Boden liegenden Bücher zur Couch und legte mich unter die Wolldecke. Kurz darauf ging das Licht an, ob ich jetzt zum Essen käme, es gäbe Garnelen. Ich schnüffelte nur „Mir egal!“ Dann ging das Licht wieder aus und leise Schritte entfernten sich.
Bald darauf ging das Licht wieder an, mein kleiner Sohn trat neben mich und sagte „Mami, ich hab meine Medizin genommen, kommst Du zum Essen?“ Ich röchelte taschentuchlos „Nein, lass mich in Ruhe!“ Das Licht ging aus, Ruhe. Ich versuchte, mich mit autogenem Training in den Griff zu bekommen.
Ein paar Minuten später ging das Licht an „Komm jetzt zum Essen, lass Dich nicht so gehen, es ist wirklich eine Schande! Meinst Du, nur Du hast Dich bemüht? Wir haben uns auch seit mindestens einen Monat Gedanken gemacht für heute abend, also komm jetzt endlich zum Essen, es steht alles schon auf dem Tisch!“ Schließlich bin ich aufgestanden und mit rotgeheulten Augen wie ein drittes Kind bei Tisch erschienen. Ich habe gegessen wie ein Spatz, die Jungs waren lammfromm. Es wurde so gut wie überhaupt nichts gesprochen. Die Garnelen haben mir nicht geschmeckt, sie waren roh und zum Teil noch gefroren. Ich habe sie auf meinen Toast zum Auftauen gelegt, aber der war schon zu kalt.
Das Schlimmste war dann, dass nach dem Essen meine eingelegten Zitronen geöffnet wurden. Sie schmeckten scheußlich. Ungefähr wie ein bitterer, aber scharfer Zitronenschnaps. Wir Erwachsenen aßen mit Todesverachtung. Die Kinder hatten Glück und mussten wegen des Alkohols nicht probieren.
Dann kam mein Vater mit einem der Ballons daher und sagte, einen könnten wir ja mal steigen lassen. So Gott will, würde vielleicht nichts passieren. Wir gingen hinaus. Es dauerte ewig, bis die Brennpaste Feuer fing und bis der Ballon sich endlich mit heißer Luft gefüllt hatte. Dann flog der Ballon davon. Man konnte das Rot der Hülle nicht sehen, man sah nur das helle Licht des Feuers. Es sah nicht aus, als ob da ein Rotlicht wie das einer Verkehrsampel fliegen würde. Wir beobachteten bangen Herzens den Ballon lange am Himmel, bis nichts mehr zu sehen war, nicht einmal mit zusammengekniffenen Augen. Die geflüsterten Wünsche haben wir nicht von einander gehört, aber man konnte überdeutlich fühlen, wie ein jeder sich gewünscht hat, dass der Ballon nicht abstürzt und irgendetwas in Brand setzt.
Dann saßen wir lange still im Wohnzimmer und lauschten, ob wir die Feuerwehr hörten. Nichts geschah. Schließlich kam jemand auf die glückliche Idee, den Fernseher anzuschalten. Es kam Shrek. In den Pausen wurde auf das Traumschiff umgeschaltet. Die Großeltern atmeten deutlich auf, als der Film zu Ende war - freiwillig würden sie nie so etwas ansehen. Zu ihrem Leidwesen schalteten sie aber nicht schnell genug um. Denn danach kam: Shrek, ein weiterer Teil. L. schlief inzwischen im Sessel und bekam nicht mehr den wichtigsten Satz des Abends mit: Weihnachten ist nicht Weihnachten, wenn nicht wenigstens einer heult. Ich bin froh, dass den niemand kommentiert hat. R. ging am Ende des 2. Teils freiwillig ins Kinderzimmer und legte sich im Schlafsack auf die Couch.
Meine Eltern forderten mich auf "So, Zeit, ab geht’s ins Bett!" und ich folgte meiner Mutter gehorsam zum Zähneputzen und dann in ihr Schlafzimmer. Ich sollte auf dem stets freien Teil des Doppelbetts schlafen, hatte dazu meine neueste Errungenschaft, frisch ausgepackt mitgebracht: Das Buch „Der Geschmack von Apfelkernen“. So früh gehe ich schließlich nie ins Bett. Nein, kommt nicht in Frage, meine Mutter könne nicht schlafen, wenn ich das Nachtlicht anhätte. Ich solle wo anders lesen. Also verzog ich mich wieder ins Wohnzimmer. Für 45 Seiten brauchte ich 1 ½ Stunden. Mein Kopf war nicht bei der Sache, obwohl das Buch toll ist. Schließlich resignierte ich und ging auch ich ins Bett. Es war hart wie ein Brett. Ich schlief etwa 3 Stunden, danach wälzte ich mich mit Schmerzen bis zum Morgen. Wenn mir L. nicht aufstehen geholfen hätte, wäre ich nicht mehr aus dem Bett gekommen, weil mein Rücken total verspannt war, ich kam mir vor wie meine eigene Urgroßmutter.
Ja, jetzt versteht Ihr sicherlich meine Überschrift. Ich hoffe, Ihr hattet alle schöne Weihnachtstage.
Das beste an Weihnachten waren bei uns die Preißelbeeren. Und Eure liebevolle Post.