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Letteratour - Die Insel ist reif für mich

Die bebilderte Variante meines Blogs findet Ihr wo anders. Ich werde in Bälde auch meine komplette Webseite umziehen. Bitte schaut also auf:

Letteratour

 

Vorwehen - 7./8.12.24

Die letzten zwei Wochen waren für mich sehr aufreibend. Zum einen habe ich meine alte Küche entsorgen müssen, damit die neue hineinkonnte. Verschiedenste Termine waren deswegen zu korrelieren, Handwerker waren mehrfach da, die Küche wurde geliefert, war aber nicht ganz so, wie ich wollte, ich musste reklamieren, wurde abgeschmettert, musste militant werden…

Zum anderen hatte ich mich vorzubereiten auf meine große Reise nach La Palma. Zwei Wochen kann ja jeder, aber weil bei mir immer alles anders sein muss als bei Normalsterblichen, sind es bei mir halt gleich drei Monate. Und da verlor ich letztens dann irgendwie fast den Mut. Was hatte ich mir denn da dabei gedacht? Drei Monate mutterseelenallein auf einer Insel unter einem bekannterweise unfreundlichen Vulkan, der 2021 erst größte Verwüstungen verursacht hat!

Und Zuhause sitzt dann mein Partner und muss erdulden, dass er einfach drei Monate viel zu viel Zeit für alles hat. Hinzu kommt, dass wir, wenn wir uns nur schreiben - wie das ja in den drei Monaten hauptsächlich der Fall sein wird - öfter mal irgendwelche Smileys vergessen, (besonders ich), und dann versteht der andere nicht, dass die vermeintlich freche Bemerkung eigentlich nur flapsig-fröhlich und gar nicht ernst gemeint ist… Dabei meinen wir eigentlich eher wenig total bierernst, wenn wir nebeneinandersitzen und miteinander reden. Im Gegenteil, das ist ja das Herrliche an unserer Beziehung, dass wir beide dann so total unernst sind und so wunderbar rumblödeln können! Naja, Exkurs Ende.

Jedenfalls hab ich schon ordentlich Bammel bekommen, ob das wirklich so eine clevere Entscheidung war, da als bezahlende Haussitterin über so lange Zeit zuzusagen. Aber: wat mut, dat mut. Ich hatte ja gesagt, also wird es auch durchgezogen. Ich bin ja sonst auch abenteuerlustig bis leichtsinnig, reise furchtbar gern (wenn ich mich mal von Zuhause losgeeist habe), liebe es, neue Speisen, Blickwinkel, Naturschönheiten und kulturelle Errungenschaften kennenzulernen.

Menschen fehlt in der Aufzählung absichtlich, denn ich bin ungeschickt im Ansprechen von Menschen, durch meine Prosopagnosie (Gesichtsblindheit) dran gewöhnt, dass Begegnungen mit Fremden zwar einmal gut gehen, aber beim zweiten Mal werde ich als arrogante Ziege abgestempelt, weil ich die Person nicht mehr erkenne. Also habe ich das von jeher auf Minimum gehalten, mich in Gesellschaft anderer Menschen stürzen zu wollen. Zweiter Exkurs Ende.

Ich merke, ich neige auch hier zum Prokrastinieren. Immer noch. Um nicht meinen Koffer packen zu müssen, habe ich auch zu bewährten Methoden gegriffen wie endlich mal die verhassten bürokratischen Themen mit ausgetüftelten Beschwerdetexten anzugehen, um meine Rechte bei Institutionen einzuklagen, z.B. einer Versicherung, die mich nicht aus dem Vertrag entlassen wollte, Steuerbelege zu sortieren und abzuheften, ja sogar, die Steuererklärung von 2023 zu erledigen, Schubladen auszumisten, die genauso gut weitere 20 Jahre hätten warten können, Fotos zu bearbeiten usw.

Wenn es darum geht, auf den Weg zu kommen, brauche ich nämlich unendlich lang. Schon allein, wenn ich von Ingolstadt nach München pendle und dann nach einer Woche wieder zurück, schaffe ich es kaum, in die Puschen zu kommen. Ich fahre dann immer erst los, wenn es dunkel wird, weil ich den ganzen Tag so viele andere Dinge zu tun gefunden habe, die ganz plötzlich noch uuuuunbedingt nötig geworden waren.

Aber wenn ich dann unterwegs bin, ist es gut. Unterwegs sein ist herrlich, sofern man selber dafür verantwortlich ist: Die richtige U-Bahn nehmen, mit dem Auto rumfahren. Aber nicht: im Flugzeug sitzen. Ich habe nämlich Angst vorm Fliegen, das geht auch nie wirklich weg. Genauer gesagt, habe ich Angst vor dem Losfliegen. Aber auch hier: wenn das Ding in der Luft ist, ist alles in Ordnung. Dann bin ich wieder völlig normal. Lese, schlafe, fotografiere, esse und kaufe irgendwas vom Bordshop, das ich nicht wirklich brauche. Diesmal ein Parfum.

Nun haben wir es dann also am Abreisetag doch geschafft, pünktlich loszufahren. So früh aufzustehen ist für mich eine Tortur. Aber in allerseltensten Fällen muss es sein, und dann bin ich nicht mal missgelaunt, nur nicht ganz da… Da lege ich vielleicht mein Handy geistesabwesend in den Kühlschrank, um es dann verzweifelt zu suchen. Wir fuhren im Dunkeln zum Flughafen, und ich hab endlich mal wieder einen Sonnenaufgang beobachten können. Alles hat sein Gutes!

Mein Übergepäck habe ich so klammheimlich abgeben können, dass keiner was bemerkt hat und überhaupt war das Personal am Flughafen herausragend liebenswürdig zu mir. Ein Angestellter hat mir sogar einen Geheimtipp gegeben, wie ich die Schlange überspringen kann („Von mir haben Sie das aber nicht!“) – alles lief perfekt glatt.

Und dann… Dann kam der schreckliche Moment, in dem ich mich lösen musste. Nach meiner Vorstellung ist es ja unglaublich, dass mein Partner da einfach 4146 km (64 Stunden zu Fuß für extremsportliche Schwimmer) von mir wegbleibt. Wie kann der mir das antun? Wie soll ich ohne ihn auskommen die ganze lange Zeit? Aber nein, er muss ja unbedingt zuhause bleiben! Und noch schlimmer: ich weiß ja natürlich ganz genau, dass tatsächlich ich die Böse bin. Ich bin es, die von ihm erwartet, da gute Miene zum üblen Spiel zu machen. Das kann ich jetzt echt nicht auf ihn schieben. Selbst wenn ich wollte.

Manu lebt ihren Fluchtreflex aus, und mein Allerliebster muss es schlucken. Aber er war es ja, der mir zugeraten hat, die Reise zu machen, als ich das Angebot bekam: „Das ist doch genau, was du brauchst. Wenn es dich so ruft, dann mach!“ Und ich - brav und gehorsam - mache dann halt. So kann man es drehen. Oder wohl verdrehen. Ich hätte nicht müssen. Aber ich hab wollen. Mea culpa. „Du hast es dir selber eingebrockt“, sagt er nun völlig empathielos, während ich leise in sein Kopfkissen heule. Er habe da schon einen Haken dran gemacht. (Ist halt so, wenn man Manu im Leben hat. Andere haben zum Beispiel ein Atomkraftwerk nebenan. Das ist eigentlich ein guter Vergleich. Zu seiner Ehrenrettung: dieser Vergleich stammt von mir. Und es handelt sich hier nicht um seine wörtliche Rede.)

Aber jetzt bin ich wirklich und wahrhaftig hier. Und in diesem Moment tut es mir auch überhaupt nicht leid. Ich blicke über drei Bananenstauden in Töpfen über den Terrassenrand aufs Meer, die Sonne scheint, eine Kirchenglocke tönt etwas ungewohnt Bimbammbamm Bimbammbamm Bimbammbamm direkt unter mir, und das Meer rauscht wie in einer Muschel am Ohr ganz laut hier herauf. Die Palmen bewegen sich sanft in einer milden Brise, und in der Ferne kläfft ein Hund. Das ist alles. Friedlich, schön, warm. Vor allem warm! Ich grüße ein bisschen mitleidig ins kalte Deutschland, wo wir gestern mit Blitzeis auf dem Weg zum Flughafen rechneten, weil es regnete und fror. Und hier auf La Palma habe ich heute Nacht meine Decke aus dem Bett geworfen, mir war zu warm.

Mein Fuß, der mich die letzten Wochen dank eines angehenden Fersensporns außer Trab gehalten hat, ist heute relativ friedlich. Ich habe durchaus den Verdacht, es könnte psychosomatisch sein, was der sich da erlaubt. Insbesondere, als der Apotheker mir als Gegengift „Hekla Lava“ verkauft hat, dachte ich mir: Nachtigall, ick hör dir trapsen! Ich fahr zu dem lavaspuckenden Vulkan, da will mein Fuß nicht hingehen, das wird der Grund sein, dass er sich so gebärdet. Jetzt bin ich hier, und das Wehen darf jetzt dann mal aufhören.

Der Vulkan ist gar nicht direkt über dem Haus, tatschlich sieht man ihn von hier aus gar nicht mal. Ich muss also nicht auf dem Vulkan tanzen und der Vulkan wird nicht auf mir tanzen. Wir werden uns gegenseitig mit Respekt und Achtung leben lassen und einander möglichst wenig begegnen. Und mein Fuß darf wieder tun, wofür er mir zugedacht ist.

Anfang gut, alles gut!

 

Erster Inseltag 8./9.12.24

Nach meiner Ankunft trafen meine „Land Lady “und ich uns erstmal im Ort und haben Kaffee miteinander getrunken und uns beschnüffelt. Ich roch nach Reisefieber und Angstschweiß, ganztags unterwegs sein und müden Augenlidern. Sie fuhr mir dann mit dem Motorrad voran zu dem Haus, in dem ich nun drei Monate wohnen werde. Für den Anfang reichte es, nur ein paar Zimmer gezeigt zu bekommen. Es ist schön da drin, sie hat es kreativ und liebevoll ausgestaltet.

Allerdings ist es ein bisschen enger als ich gedacht hatte. Aber das ist OK. Momentan habe ich noch kaum Platz, mein Zeug auszupacken, es liegt vorläufig am Boden und hängt an zwei Haken an der Wand. Überblick über das Mitgebrachte: eher Null. Überblick von der Wohnung aus: großartig. Vor meinen Fenster, wenn man etwas schräg kuckt, sieht man das Meer. Und man hört es, sogar ich, die keinen Regen mehr draußen vorm Fenster höre (falsche Frequenz). Die Bananenstauden auf der Terrasse sind gar keine, es sind Riesenstrelitzien.

Zur Ankunft bekam ich eine leckere Suppe kredenzt, die bereits eine Vorbotin der Reise meiner Wohnungsgeberin zu sein schien. In einer Woche düst sie ab nach Sri Lanka. Ihre Koffer sind aber noch leer.

Wir führten sehr interessante, befruchtende Gespräche miteinander. Wir sind zwei Tieferdenkerinnen, und sie ist jemand, die auch versteht, wenn es blumig wird, d.h. ich muss mich nicht so viel übersetzen wie sonst. Das ist großartig!

Andermorgens machte ich mir dann – frisch erfroren in der Dusche - erstmals einen Kaffee mit so einem Kaffeedurchpressgerät. Aß Feigen auf der Terrasse und später fuhren wir zu einem Lokal, in dem sie wohlgelitten ist. Sie spielte ihr altes Spielchen mit dem Kellner, dass sie ausprobieren muss, ob das Essen immer noch so fürchterlich ist wie sonst, und der Kellner hatte vollstes Verständnis für ihre missliche Lage und entschuldigte sich sehr für die bedauernswerten Verfehlungen des Küchenpersonals. Es war dann auch wirklich extrem fürchterlich. Leider war es etwas zu wenig. Und das Rezept hätte man auch gern gewusst. Heute gehen wir wieder hin.

Im Lokal spielten wir ein Spiel, sowas wie Stadt-Land-Fluss, aber tatsächlich war es bei uns Täter-Opfer-Tatort usw. So entstanden direkt vier Kurzkrimis mit skurrilen Charakteren und außerordentlich absurden Geschichten. Wir hatten unseren Spaß. Leider haben wir das ganze mündlich betrieben, weshalb ich euch die Stories nicht vorsetzen kann, so dass euch die Lachtränen das Makeup verwüsten.

Danach trennten sich unsere Wege. Ich dachte leichtfertig, ich fahr mal hoch zur Wohnung, hole mir ein paar Sachen. Mein Navi meinte, einen einfachen Weg zu wissen. Ich hatte ganz sicher „mit dem Auto“ eingegeben. De facto waren das aber alles keine Straßen, in denen etwas wesentlich Raumfüllenderes als ein Motorrad fahren sollte. Wenigstens hat die freundliche Ansagestimme mich nicht auch noch über eine Treppe geführt, aber die Gässchen waren nur sehr geringfügig breiter als das Mietauto und zudem vollgestellt mit Blumenkübeln. In manchen, in die ich abbiegen sollte, standen Poller aus dem Boden. Ich habe tatsächlich neun Anläufe gebraucht, um zum Haus oben am Hang zu kommen. Schließlich landete ich auf einer Art Bundesstraße, von der senkrecht nach unten eine Art Feldweg voller riesiger Schlaglöcher Richtung Haus führte, wo ich Angst bekam, meinen Unterboden auf der Strecke zu verlieren. Aber immerhin kam ich dann tatsächlich an.

Mit Strandoutfit neu beladen ging es seltsamerweise völlig problemlos zur Ortsmitte (immer bergab, das war halt einfacher, und ich versuchte, nur die breiter wirkenden Straßen zu befahren) und von dort aus ein paar Kilometer den Berg entlang in der Richtung, von der ich wusste, da muss es sein. Nur direkt vor Ort dann ein Schild „Hafen, Strand“. Und so landete ich also auf der schwarzen Sandwüste, aus der sich Staub gen Himmel erhob. Ich lag einige Zeit da im Bikini (probierte aber nicht mal die Wassertemperatur, wiewohl auch ein paar Hartgesottene badeten) und kommunizierte mit den Daheimgebliebenen. Dann wurde es etwas frisch und so fuhr ich noch ein kleines Stückchen weiter.

Da waren nämlich viele bunte Häuser mit Sonnenschirmen draußen, die ich zu Recht aus der Ferne als Restaurants eingeschätzt hatte. Ich suchte eines aus und wollte mich setzen, aber eine Frau blickte mich sehr unverwandt an und lächelte mir zu, zwinkerte sogar. Da ich hier gar niemanden kenne, war mir das irgendwie komisch und ich zog noch zwei Lokale weiter. Dort genoss ich dann meine ersten Chipirones auf dieser Insel, das sind frittierte Tintenfischlein im Miniformat. Dazu die runzligen Kartoffeln mit Meersalz, eine Spezialität.

Während eines kurzen Besuchs des Innenraums wurde derweil flink vom Frischlingskellner mein Tisch abgeräumt, obwohl mein Getränk noch drauf stand, und so bekam ich ein neues und noch zwei Entschuldigungsschnäpse aufs Haus.

Beim Beobachten der Menschen stellte ich fest, dass es wohl hier zwei Sorten gibt: die einen, relativ spießig normal, und die anderen paradiesvögelige Aussteigertypen. Mit Klamotten so ähnlich wie meine. Ich saß da mit meinem Hexenmantel ganz der Norm entsprechend. Hernach beobachtete ich sie, wie sie am Boden sitzend oder jonglierend in stark duftende Schwaden gehüllt musizierten bzw. sich im Takt bewegten und ein bisschen auf mitgebrachten Lärmwerkzeugen mitrasselten und klopften. Eine Vorstellung, die sich in ähnlicher Version bestimmt allabendlich wiederholt.

Dank Sprachanweisung für den Rückweg fand ich das Haus diesmal problemlos (wäre in der Dunkelheit auch noch viel übler gewesen, durch den Ort zu kreischen – solche Geräusche macht nämlich mein Mietauto manchmal, wie eine alte Trambahn, die um die Kurve schleift), und den Abend beschlossen wir nach ein bisschen Arbeit am Laptop mit einem sehr guten Gespräch auf der Terrasse in dem Wissen, die breite Schwärze da vor der Balkonbrüstung ist das Meer.

 

Oh Google, warum hast du mich verlassen? 9./10.12.24

Nachdem ich heute schon fast einen schriftlichen Eilantrag per Einschreiben und Rückschein gestellt hätte, wurde mir dann doch eine Begehung der Dachterrasse bewilligt. Mit Kommentaren und amüsanten Anekdoten. Nun kann ich nicht mehr nach Abreise der Gastgeberin sagen, mir gefiele es hier nicht, denn ich hätte es mir ganz anders vorgestellt. Das hab ich mir jetzt gründlich vermasselt. Mein Geld könnte ich jetzt also auch nicht zwecks Vorspiegelung falscher Tatsachen und Katze-im-Sack-Verkauf zurückverlangen.

Und ehrlich gesagt, gibt es auch keinen Grund dafür. Es ist auch nach Besichtigung der Dachterrasse noch schön hier! Von dort hat man einen herrlichen Blick über die Dächer und kann auf einem Tagesbett direkt unterm Baldachin träge beobachten, wie einem die Welt zu Füßen liegt. Shavassieren nennt die Gastgeberin das Flachliegen, abgeleitet von der Yogaübung Shavasana, einer „sauschweren“, da komplett unverkrampften Rückenlage-Figur.

Zum Frühstück wurde mir heute ein selbstgezauberter dunkelroter Fruchtmixcocktail kredenzt, der löblichen Geschmackes war. Selbst besorgt hatte ich mir eine Creme Caramel und eine Cherimoya, die ich 1996 in der Schwangerschaft in München entdeckte und stetig nachkaufte. Mir ging es also auch heute morgen schon wieder bestens, und immer noch finde ich kein Haar in der Suppe, an dem ich mich strangulieren könnte, außer dass die Land Lady erklärte, dies sei ein Rahmapfel, Guayabano, der mir aus Venezuela als Smoothie bekannt war, und den ich dort sehr liebte.

Dank Google stelle ich jedoch inzwischen fest, dass es sich hier um eine andere Frucht handelt, nämlich das Baby der Stachelannone, was auch immer das wieder ist. Das sieht der Cherimoya zwar ähnlich, aber ist außen stachlig, während die Cherimoya nur Mulden auf der Haut hat. Den Guayabano finde ich auch als Guyabano und Guanabano beschrieben. Vielleicht ist das auch nicht genau deckungsgleich. Ich finde es jedenfalls herrlich, dass es noch Früchte außerhalb des deutschen Vorstellungsvermögens gibt und hoffe, dass ich noch viele schmeckenlerne!

Nun aber mein Bericht zum Vortag, bevor er in den Annalen der Geschichte zu Staub zerfällt und nie wieder überdacht wird. Gestern dachte ich, ich fahr mal rasch in die nächste Stadt. Los Llanos, 10,5 km entfernt. Interessanterweise, und das fiel mir schon beim Herweg störend auf, heißt das Los Llanos de Aridane. Als ich das so riesig über der Stadt geschrieben sah, dachte mein Klugscheixxerhirn sofort: Oh Gott, das ist mal wieder typisch, je größer geschrieben, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass ein Tippfehler durchwitscht. Die Korrektoren schauen sich immer nur den Text an, nie die Überschriften. Aber hier geht es tatsächlich nicht um den Faden der Ariadne, sondern um die Ebenen des Aridane oder sowas. Llano die Ebene, lano die Wolle - als Wortspiel auch irgendwie interessant. Jedenfalls hat es mich eine Weile beschäftigt.

Meinem Handy ist das Ganze zu Kopf gestiegen, hat einen unlösbaren Knoten in ihm verursacht, und Tante Google gab mir daraufhin sehr abstruse Vorschläge, wie ich zu fahren hatte. Nach 15 Minuten sollte ich da sein. Ich hätte mir die Route auf der Karte einfach richtig anschauen sollen, aber stattdessen fuhr ich frohgemut den Anweisungen nach, die mein Handy aussprach. Es hätte mich stutzig machen sollen, dass es innerhalb kürzester Zeit mindestens fünfmal Korrekturen vornahm und erst recht, als es mich mehrmals in eine Straße abbiegen lassen wollte, wo überhaupt weit und breit keine war. Irgendwie kam es mir dann doch sehr merkwürdig vor, wie es mich plötzlich in Lavafelder manövrierte, die gar nicht enden wollten. Innerhalb dieser Felder gingen dann vereinzelt Straßen den Hang hoch, und eine von denen, abseits jeder übriggebliebenen Zivilisation wurde ich hochgelotst. Dann befand ich mich mitten in einem unerquicklichen grauschwarzen Trümmerfeld und hatte angeblich nach etwa 20minütiger Fahrt mein Ziel erreicht. Wer beschließt das? Google? Der Internetanbieter? Die Insel? Die Vulkanenergie? Mein egozentrisches Universum?

Empört drehte ich um, und fuhr wieder dieselbe Schotterpiste bergab, woraufhin das Navi sich derrappelte und mir dann einen Weg von 18 Minuten vorschlug. Nach einiger Zeit wurde mir bewusst, dass ich die auf Schildern genannten Ortsnamen auf dem Herweg alle nicht gesehen hatte, dabei war ich ja doch über Los Llanos gekommen. Also hielt ich mal an, und stellte dann fest, dass ich völlig wo anders gelandet war, in absolut falscher Richtung.

Nun gut, wenn man einmal um die Erde herumgurkt, kommt man ja auch wieder am Ausgangsort an bzw. an dem Ort, der in der Gegenrichtung vor dem Ausgangsort käme. Vielleicht war es so gedacht. Ich müsste das Handy allerdings darauf hinweisen, dass da eine nicht unbeträchtliche Menge Ozeans dazwischen liegt, dem es vielleicht auf Dauer nicht so gewachsen wäre. Es hält laut Hersteller nur bis zu 30 Minuten in 1,5 m tiefem Süßwasser aus. Erstens ist das Meer generell leicht bis heftig salzig…

Nun gut. Ich habe also umgedreht, und Tante Google dadurch wohl in extreme Bedrängnis gebracht, denn sie widersprach sich in ihren Anweisungen nun eher zehnsekündlich von „bitte wenden“ bis „der Route 8 km weit folgen“ und dann wollte sie mich nach 200 m doch plötzlich abbiegen lassen. Schilder nach Los Llanos hier Fehlanzeige. Irgendwie musste es wohl genau so sein. Ich durchfuhr weiterhin die Lavafelder, die dräuend, lebensfeindlich und beängstigend weitläufig alles unter sich begraben haben. Und dann sah ich mich Auge in Auge mit ihm, dem Master of Desaster! Gestatten, sein Name ist Neuer Vulkan, Tajogaite, auf dem Alten Höhenrücken (Cumbre Vieja).

Unter seinen Kollegen, den grünbewaldeten Bergen sieht er aus, wie ein ehemals gefährliches Furunkel, dessen Eiter abgelaufen ist. Die Haut rundherum ist leicht bis mittelschwer gerötet, die Behaarung abgeschilfert, der Eiterhort geleert, aber nicht verschlossen, sondern hier starrt einäugig eine tiefe, augapfellose Augenhöhle gen Meer. An sich sollte man meinen, das wäre ja nur ein kleines Kraterchen, da gäbe es durchaus höhere Berge in der Gegend, von denen man größeres Unheil erwarten könne. Aber Skorpione sind z.B. ja auch gefährlicher als Tauben. Der schwarze Körper des verwüsteten Gebiets rund um den klaffenden Schlund hat an manchen Stellen begonnen, wieder neuen grünen Haarwuchs zu bekommen. Unkrautbüschel erarbeiten sich frech ein neues Habitat. Wir waren zuerst da, schreien sie in hellgrüner Grelle und trotzen flexibel dem Bodenwind, der den pechschwarzen Staub über sie hinwegjagt. Andernorts wurden entlang der Straße Palmen aufgeforstet, als entstünde hier eine Prachtallee mitten durch ein Nobelviertel, und nicht mitten in der schwarzbrockigen Pampa.

Ich verneigte mich also ehrfürchtig in meinem sicheren Fahrzeug vor dem Vulkan mit seiner unheilsvollen Höhlung und bat ihn, mir nicht zu grollen, dass ich mich in sein Umfeld gewagt hatte. Vermutlich war er es ja wohl, der mich gerufen hatte, denn als ich später meine Odyssee schilderte, meinte man, ein solches Fehlverhalten von Google sei hier eigentlich nicht ortstypisch, wohingegen ich vermutet hatte, dass das Netz vielleicht so schlecht sein könnte, dass eine genaue Verortung des Aufenthalts in diesem Bereich nicht möglich sei. Nein, anderen Leuten passiere nicht dasselbe. Der Vulkan wollte also was von mir. Wiewohl ich im letzten Bericht noch angekündigt hatte, ihn in Frieden schlummern lassen zu wollen.

Nachdem ich Los Llanos endlich gefunden hatte und nicht unbedingt begeistert von meinem Fundstück war (es war auch gestern ein eher grauer Tag, und die Läden waren aufgrund der Siesta alle zu, als ich ankam), fand ich eine Tourist Information, zu der man von der Straße aus ausschließlich mit einem Lift in den Untergrund Zugang hatte. Ich ließ mich detailreich über alle sehenswerten Orte auf der Insel aufklären. Insbesondere wurden da genannt: Strände, Strände und nochmals Strände. Dann noch Strände, die man nur durch eine Wanderung erreichen konnte. Die habe ich sofort gestrichen, da mein fersengespornter Fuß und mein titanverstärkter Rücken (und mein unmotiviertes Alles) da nicht mitmachen.

Des Weiteren gibt es hier als Spezialität zu besichtigen, man lese und staune: Vulkane. Ach ne. Wer hätte das gedacht. Es gibt Aussichtspunkte auf deM Vulkan, solche auf deN Vulkan, auf eineN alten Vulkan und in eineM alten Vulkan. Und es gibt Vulkanwanderungen zu Hauf. Naja, ebenfalls gestrichen. Dann gibt es ein archäologisches Museum und ein Mojo Museum. Das betrifft mojo rojo oder mojo verde, Saucen, die das Essen verfeinern oder verunmöglichen, je nach Schärfegrad. Vielleicht gibt es ja noch mehr Museen, aber da der Herr hinter mir sehr hörbar aufstöhnte, als ich nochmal zu weiteren Fragen ansetzte, beließ ich es mal vorläufig dabei und ließ ihm auch eine Chance, seinen eigenen Wissensdurst zu stillen.

Nachdem die Läden endlich geöffnet hatten, erstand ich dann noch eine Simkarte mit 100 GB für nur 20 Euro, ein Schnäppchen, würde man meinen, und somit ist das Internet jetzt erstmal gesichert. Alles meins! Na gut, 10 Megabyte auch für Dich, hier bitteschön! (Mit gönnerhafter Miene).

Im Anschluss erledigte ich einen Großeinkauf im örtlichen Lidl-Markt, der natürlich spanische Schätze birgt, die mit dem deutschen Sortiment wenig gemein haben, was ich als durchaus vorteilhaft empfinde, aber was mich natürlich teuer zu stehen kam. Und ich hatte auch etliche Tüten voller Futter zusammengestellt, wohl auch der Tatsache geschuldet, dass ich ziemlich hungrig war. Da kauft man ja alles, was einem irgendwie essbar erscheint und hat sooo viele Ideen, was man alles mit den Köstlichkeiten anstellen könnte.

Auf dem Rückweg nach Tazacorte ließ sich Tante Google weitere nette Scherze einfallen, aber immerhin konnte ich mich noch vage daran erinnern, dass es etwas näher am Meer lag, als was sie mich glauben lassen wollte („in 200 m haben Sie Ihr Ziel erreicht“, und das mitten am Berg). Somit gelang es mir, dann mit einigen weiteren Irrungen nach Hause zu finden.

Ach ja, mittags waren wir ja erneut in dem Lokal von gestern gewesen, um auch diesmal festzustellen, wie grauenerregend schlecht das Essen ist. Diesmal trafen wir eine Freundin meiner Land Lady und speisten unübertrefflich dekorative Pfannkuchen in Soufflé-Optik mit Beeren, dazu gönnte ich mir ein grünes Getränk aus Kräutern und Gurke, das einen herrlichen Farbkontrast bot.

Hier zeigte sich dann noch, dass die Insel ihre magischen Ariadnefäden an die Menschen gebunden hat, die einmal hier waren und immer wieder kehren, auch nach Jahren lässt es sie nicht los. Ein Amour fou. Man kann auch nicht sagen, wider besseres Wissen müsse man immer wieder hier sein. Es ist halt einfach schön hier. Die Leute sind beim ersten Mal drei Monate hier. Und beim nächsten Mal sechs. Und dann ziehen sie her als Neueingesessene und wachsen in die eingeschworene Gemeinde der Einnistpalmeros hinein. Gehen dann ein paarmal im Jahr nach Ehemals-Hause, oder mal zwei Jahre nach Guatemala. Und dann ist die Insel wieder dran. Mal sehen, was das mit mir macht. Zu verzeichnen ist auch eine rein äußerliche Veränderung als Spiegel des Inneren. Sprich: das Äußere wird wilder, authentischer, einzigartiger, entspießert, entnormt.

Wenn Google mich öfter hier so herumführt, werde ich mich über kurz oder lang selber orientieren können und ein Gefühl für vorn und hinten, Nord und Süd entwickeln, auch an sonnenbefreiten Tagen, und das Ziehen der Heimat verspüren. Welche auch immer das dann sein wird.

PS: Die Freundin („Ich bin ja Vulkanopfer“ – ich denke, da werde ich in Zukunft noch nachfragen) las gerade in einem Buch, dass Menschen, die es auf Inseln zieht, meist traumatisierte Menschen seien. Sie suchten einen Zufluchtsort, an dem die Winde und die Brandung sie von ihren traumatischen Erlebnissen befreien, sie reinwaschen. Vielleicht ist das ja ein Grund, warum ich hier bin.

 

Free as a Bird - 10./11.12.24

Gestern genoss ich den Frieden auf dem Berg Tide, den ich in etlichen Serpentinen mit meinem Fahrzeug erklommen hatte. Beim Weggehen zeigte ich mich noch dezent gekleidet, denn die Wohnungseigentümerin wäre z.B. nicht so scharf auf eine Punkerin aus London, sondern stellt sich eine verantwortungsbewusste Person vor. Verantwortungsbewusst wirke ich ja im Allgemeinen. Aber ab und zu kehre ich zurück zu meinen Wurzeln, und so zog ich im Auto dann vor der Begegnung mit dem Berg meine Indianerfedern und meinen gefilzten Hexenmantel an. Am Aussichtspunkt stand ich dann zwischen Dutzenden anderer Leute mit wehendem Federschmuck.

Ich versuchte ein Plätzchen zu finden, wo es nur mich und die Natur gab. Dort freute ich mich dann an der Freiheit, hier zu sein, ließ meine Blicke wie den Flug eines Adlers über das weite Tal bis zum Meer schweifen. Mit stolzer Haltung das Auge gerichtet in die Ferne, gebannt von der vulkanischen Wirklichkeit, die sich aktuell vielleicht vielmehr als freundliche Weiblichkeit darstellt, anstatt als gehässiger Geselle, denn der Vulkan sieht aus dieser Perspektive eher aus wie eine enorme Vulva: gespalten, klaffend offen, und friedlich erschöpft nach dem großen Orgasmus. Die Feinheiten einer passenden Geschichte sich auszudenken überlasse ich dem/r Leser*in, der/die sich gerne ausmalen darf, welche Art von Kissenschlacht in diesem grünen Bette stattgefunden hat.

Aus meinem Haar hingegen flogen die Vögel der Unruhe und der Geruch der Enttäuschung der letzten Wochen, stoben gehen Himmel und befreiten sich und mich. Die Menschen nahmen mich mit Freundlichkeit wahr und handelten, als sei mein Outfit eine Selbstverständlichkeit, die jedem auf der Insel hier zusteht.

Später, wieder daheim, beobachtete ich ohne Möglichkeit, Fotos zu schießen, da mein Akku keine Lust da drauf hatte, bei meinem Zoom, wie sich der Himmel überirdisch blau färbte und einlud, den Blick auf ihn zu fixieren und sich mitnehmen zu lassen in das Zerfließen der Wolken, die „Vercirrung“ der Dunstschleier in luftiger Höhe, während die Sonne sich verabschiedete und einen letzten plötzlich aufflackernden Feuerglanzgruß herüberschickte.

Wolken stapelten sich über den weißen Würfeln des Orts, durchsetzt mit einigen bunten Bauklötzen, die das Ensemble zu einer freudigen Angelegenheit mit kindlich-fröhlichem Charme werden lassen, über die das Auge mit Lust spazieren fliegt. Das Meer hingegen wirkte rau wie ein alter Holztisch, der zu lange im Regen und Wind gestanden hat - ganz in der Ferne durchzogen von flachen Bahnen, vielleicht den Schiffen der Vergangenheit.

 

Ich stelle mich den Bergen - 11./12.12.24

Gleich nach dem Aufstehen, während ich noch versuche, das zweite Auge ebenfalls zu öffnen, begegnet mir im Gang die Zimmerwirtin. „Was kann ein Tag schon bringen, der mit einem Morgen beginnt?“ frägt sie mich und zeigt damit, dass sie in Sekundenbruchteilen erfasst hat, wie mein Befinden gerade ist. Draußen verröchelt immer noch theatralisch ein Hahn seine Seele, während ein Kumpan, mit dem er sich unterhält, japsend, quietschend, lächerlich verzweifelt Gegenwehr leistet. Möglicherweise bereiten sie sich schon auf ihr Schicksal zur Weihnachtszeit vor.

Unweit der Terrasse gibt außerdem eine Taube alles, namentlich wohl ihr Innerstes, indem sie sich die Essenz ihres Gefühlslebens aus dem Hals brüllt. Ehrlich, muss das jetzt sein? Was ist denn das für eine Begrüßung?

Das Meer jedoch wallt friedlich, kaum erkennbar da draußen, und kleine gefiederte Clubgesellschaften besichtigen es mit analytischer Miene von oben und fachsimpeln über die Wellenform und Farbschattierungen. Bilde ich mir so ein, so gut sind meine Augen allerdings nicht. Ich schließe das aus den Bewegungen der einzelnen Vogelscharen.

Was war denn gestern alles, was kann ich euch erzählen? Eigentlich hab ich mir einen eher trägen Tag zu Hause gemacht, endlich das heiße Wasser aktivieren können und die Haare gewaschen, und hab dann aber relativ spät, auf Empfehlung der Land Lady, einen Kurztrip zu einem Lokal am Abhang gemacht. Diesmal keine Begegnung der dritten Art mit dem Vulkan, vielleicht eher ein Versuch, meine Bergphobie zu heilen. Hier kommt man dem Gebirge ja nicht aus, soviel wie La Palma am Meer ist, soviel ist es auch am Berg.

Serpentinenfahren macht mir ja glücklicherweise Spaß. Hauptsache, ich muss nicht, wie damals auf Korsika, mit dem Radl oder zu Fuß hoch. Da hatten meine Freunde, denen ich mit dem Rad voran nach unten gefahren war, was einfach ein herrliches Gefühl der Freiheit gab, zu lange irgendwo getrödelt, und ich glaubte, sie wären an mir vorbeigezogen, während ich in einem Lokal auf sie wartete. Wir waren ja eigentlich mit dem Bus unterwegs. Nur ein paar wenige hatten ein Radl dabei.

Mein Rad hatte nur eine 3-Gangschaltung, war in keinster Weise bergtauglich. Als die Freunde aber nach vielen Stunden immer noch nicht kamen, kriegte ich Panik. Handys waren damals noch nicht erfunden, und so begann ich mangels Informationen über ihren Aufenthaltsort dem nächsten Abendstellplatz hinter den Calanches mit meinem Rad bergauf entgegenzustrampeln. Der Weg führte steil nach oben, es gab nirgends auch nur eine Stelle, wo man sich hätte erholen können.

Das führte bei mir fast zu einem Herzinfarkt, auf jeden Fall zu einem leuchtend roten Kopf, äußerster Erschöpfung gepaart mit tiefer Verzweiflung und dem Gefühl, ich werde wohl, so wie der Gockel von vorhin, gegart im eigenen Sud, kurz vor dem Erreichen des Gipfels den Geist aufgeben und über eine ganze Seite in der Inselzeitung stehen. Vielleicht würden ja freundliche Einheimische an der Fundstelle Blumen und Teddybären für mich ausstreuen und mir ein Marterl bauen. Dann würde das Ganze zu einer auf den Straßenkarten für Touristen verzeichneten Pilgerstätte.

So weit kam es aber nicht - weiß jetzt nicht, ob leider, oder zum Glück - denn kurz vor dem Gipfel, also kurz vor meinem Ableben, kamen die Freunde von hinten mit dem Bus und klaubten mich auf. Sie hatten sich echt einfach einen schönen Tag gemacht und dann im Lokal nach mir gefragt, woraufhin man ihnen den Weg wies, den ich genommen hatte. Anblicks meines Rades vermutlich vogelzeigend. Seither stehe ich jedenfalls mit Bergen auf noch schlechterem Fuß als zuvor.

Gestern speiste ich dann ein mit vielen angeschwitzten Zwiebeln (erinnernd an mich auf meiner Calanchenfahrt) belegtes deftiges Schweinesteak vor der Kulisse der grün bewaldeten Felsfront. In der anderen Richtung war das Meer harmlos silbern wie eine polierte Servierplatte zwischen zwei Sonnenschirmen und den Bergen ganz am Ende zu sehen. Ich saß einmal so herum und einmal anders herum, um die Szenerie in mich aufzunehmen und mich mal wohl und mal unwohl zu fühlen. Ihr dürft raten, was in welcher Blickrichtung zutraf...

Ich erwehrte mich, nicht völlig erfolgreich, den Annäherungsversuchen einer hungrigen Katzenlady. Im Anschluss fuhr ich im Karacho die Serpentinen wieder hinunter, um rechtzeitig zu meinem Abendzoom daheim zu sein. Wiederum fand, extra für mich, ein wunderbarer Sonnenuntergang direkt vor meiner Nase statt, dessen leuchtende Energie ich dann freudig in meine Karmasession mitnehmen konnte, so dass der Tag recht rund und wieder ausgeglichen war. Erstaunlicherweise hat mich der ruhige Abend dann so ermüdet, dass ich, entgegen meinen Gepflogenheiten als Spätschläferin (zwei Uhr), um halb elf bereits eingeschlafen war. Und je länger der Schlaf, desto schwerer gehen die Augen wieder auf. Siehe oben.

 

Ich nehme Kontakt mit dem Meer auf und vermisse ein Standbein - 12./13.12.24

Der Abreisetag meiner Land Lady ist in bedrohlich greifbare Nähe gerückt, dennoch stehen die Koffer für Sri Lanka immer noch gähnend leer im Wohnzimmer. Ich muss schon sagen, als ich mir überlegt habe, was ich für drei Monate hier brauche, habe ich schon ein bisschen früher mit Packen angefangen! Und trotzdem lauter falsche Sachen mitgebracht. Ich hätte viel mehr trägerlose Sommerkleider gebraucht und nicht so viele Jacken. Außerdem habe ich zwei lange Jeans dabei, bräuchte aber Bermudas und Röcke. Was soll‘s, das wird sich auf der Insel finden lassen. Hoffentlich auch ein schicker Koffer, um die Sachen dann in einem weiteren Gepäckstück nach Hause zu befördern.

Gestern gab ich mich dann nochmal dem Strandleben hin. Oder vielmehr dem Strandliegen. Ich hatte mir ein Buch mitgebracht und mich mit meiner horizontalen Wälzerei rundum mit schwarzem Sand paniert, während ich eine bequeme Armhalteposition suchte. Das Meer brauste und tobte, und im Hintergrund stampfte und dröhnte eine Maschine, so dass ich die beiden Geräusche im Geiste verquickte und mir vorstellte, das sei der Motor, der die Insel in Gang hielte. So lange, bis plötzlich der Maschinenlärm verstummte und nur noch das klare, reinigende Rauschen der Meeresbrandung übrig war. Es hallte interessanterweise von Küstenabschnitt zu Küstenabschnitt von rechts nach links wider, so dass jede Welle eine Kaskade von graduell leiser werdenden Geräuschen auslöste.

Von Zeit zu Zeit türmten sich die Wogen plötzlich sehr viel aggressiver und höher zu beängstigendem Format auf, die mit großem Radau auf den bereits ganz feingemahlenen Sand krachten, als wollten sie ihn zu Staub verarbeiten. Es waren immer drei nacheinander, dann tat das Meer wieder handzahm und lächelte mit vermeintlich harmlos-zahnloser Miene.

Ich begab mich schließlich, schon leicht angekokelt von der ungewohnten Sonnenglut, an den Rand der Schaumkronen, noch außerhalb des angefluteten Bereichs, da beschloss das Meer, mich zu begrüßen und seine berühmten drei Brecher noch kräftiger als zuvor aufzufahren. Blitzartig schoss es sogar noch weit hinter mir den Strand hoch. Sofort wurden meine Füße vom Wasser unterminiert, und ich bewegte mich erschrocken ein gutes Stück zur Seite. Da traf schon der nächste Brecher auf und ließ mich spüren, dass unter dem Sand große runde Steine lauerten, überall, der herausgewühlte Sand hatte nur dekorativ oben drüber gelegen.

Und das Meer lechzte danach, diese Steine zu zermalmen. Es ließ mich torkeln und taumeln, nur mit knapper Not entkam ich dem Umfallen. Die nächste Welle erwischte meine Breitseite und ich muss eine bühnenreife Darbietung abgeliefert haben, um nicht zu stürzen. Die Menschen rundherum hatten mich mit Sorge im Blick, aber ohne sich zu rühren. Gottseidank hatte ich das Geschehen im Vorfeld beobachtet und wusste, nach drei Ausbrüchen war Zeit genug, um zu entkommen. Sobald ich meinen Halt wiedergefunden hatte, gab ich Fersengeld und entzog mich dem Einzugsbereich der Wassereinflutschneise in unnötig weiten Abstand.

Trotz derartiger Wassergewalt gingen durchaus mehrere Personen ins Wasser und schwammen da herum, die Temperatur war auch nicht unangenehm. Mir hatte das Meer aber gezeigt, wer hier der Chef ist, und ich verkroch mich demütig zurück zu meinem Buch in sichere Gefilde. Mit diesen Einbauten im Rücken bin ich halt nur noch sehr schlecht in meinem Ringen um ein labiles Gleichgewicht. Ich bräuchte ein weiteres Standbein (wie mein Ex sagte, als er sich während unserer Beziehung hundertfach per Internet mit der holden Weiblichkeit anderer Länder in Verbindung setzte.)

Zurück auf meiner einsamen Badematte wurde ich dann von einer einzelnen Fliege umgarnt, die einen Narren an meiner frisch erworbenen Salzkruste gefressen hatte und mich sogar während meiner anschließenden Uferpromenadenspaziertour bis schließlich zum Auto hinbegleitete. Ich gönnte mir ein dreikugeliges Eis mit in Deutschland unüblichen Sorten – Mora: Maulbeere (die letzte Kugel ergattert), Turrón: eine spanische Süßigkeit aus Mandeln, ähnlich dem türkischen Honig, und Gofio: Mehl aus geröstetem Getreide, was auf den Kanaren typisch ist.

Allenthalben hört man Deutsche deutscher Spanisch sprechen als ich es wohl selbst in volltrunkenem Zustand täte. Außerdem nervt es schon ein bisschen, wenn man immer alles versteht, was die Leute so alles von sich geben. Einer erklärte in der Schlange beim Eisstand z.B. seiner Begleiterin: wennst Maulbeeren pflückst, siehst aus wie frisch vom Schlachtfeld. Wie frisch vom Schlachtfeld sah dann auch mein Tisch aus mit dem übergelaufenen zu gut eingeschenkten Kaffee und dem völlig unterdimensionierten Becher unter den überbordenden Eismassen, die an der Sonne schneller dahinschmolzen als ich mit Essen nachkommen konnte.

Den Abend verbrachte ich dann noch mit fröhlichen Gesprächen mit der morgen Abreisenden. Den heutigen Tag begannen wir mit dem Hämmern, Klopfen und Pochen eines fleißigen Nachbarn, der begonnen hat, sein Dach zu sanieren. Er schabt und kratzt, ist voller unbremsbarer Energie und betreibt außerdem einen Zementmischer. Schlecht, wenn man meditieren möchte. Dazwischen ertönt der Megaphonruf einer Fischverkäuferin, die mit dem Auto sämtliche Straßen abfährt und alle 50 Meter ihre Ware anpreist. Dazu die Kirchenglocken mit dem bereits beschriebenen Bimbammbamm, das mir nun bereits sehr vertraut klingt. Die Hähne und Taube sind heute eher friedlich.

Das bisherige Hauptereignis war jedoch, dass es uns auch gemeinsam nicht mehr gelang, das Wasser warm zu kriegen. Bisher war es nur ich gewesen, die ständig Pech beim Duschen hatte, sie hatte ja noch warmes Wasser, so dass ich schon langsam davon ausging, dass es irgendwie meine einschüchternde Ausstrahlung sein könnte, die das Heißwasser vor Schreck erkalten ließe.

Aber nachdem wir dann die Nachbarn um Hilfe gebeten hatte, zeigte sich, dass der Boiler zwei dicke Batterien enthält, und die hatten einfach seit Einzug vor ein paar Jahren bis jetzt durchgehalten, wenn auch schon in ziemlich ausgelaufenem Zustand. Zum Glück ist das ja dann heute aufgekommen, sonst hätte ich zähneknirschend drei Monate kalt geduscht mit der Vermutung, man könne halt nix dagegen machen. Bei meiner Freundin in der Türkei gab es ja ein ähnliches Problem, da stellte sich, nachdem ich dort einen Monat nur Eiswasser auf mein Haupt träufeln konnte, erst als ich wieder weg war, heraus, dass es eine Art Lichtschalter im Gang gab, mit dem das Gas zu dem Boiler auf meiner Wohnungsseite angeknipst wurde. Tja.

Irgendwas hat wohl ein Interesse daran, mich abzuhärten. Oder herauszufinden, ob ich mich auf die Hinterfüße stelle. Oder vielleicht ob ich mich lieber auf mich selbst verlasse, oder endlich lerne, öfter um Hilfe zu bitten.

Es (f)liegt was in der Luft - 13./14.12.24

Gerade komme ich vom Flughafen auf der anderen Seite der Insel zurück, an dem ich nun meine Vermieterin Judith abgeliefert habe. Sie hat noch weite Reisen vor sich und sagt, sie habe ein gutes Gefühl, wenn sie sich vorstellt, wie ich bei ihr daheim gemütlich auf der Terrasse sitze und Worte in den Laptop fließen lasse, so wie sie das mit mir ja erlebt hat - trautes Zweisamkeitsgefühl beim Hacken in den Rechenknecht. Auf Persisch sagt man „dein Platz ist leer“, wenn man jemanden vermisst, und das könnte dann sein, denn sie thronte immer zu meiner Linken in einem Ohrensessel, während ich im Holzstuhl vor mich hintippselte. Ich bin aber nicht so ganz der Ohrensesseltyp. Mal sehen, wie sich das entwickelt. Auf jeden Fall gähnt dieser Sessel jetzt bereits leer vor sich hin.

Pünktlich zum Abschied (wir saßen vorher noch gänzlich ungeschoren im Freien in einem Café in Flughafennähe und haben Leckeres schnabuliert) wurde Judith dann noch mit allen Wassern gewaschen. Die Insel, die ja quasi fast immer regenfrei ist, wollte ihr heute den Abschied leicht machen. „Dem Regen muss sie entfliehen, die Arme, kein Wunder, wenn sie es auf La Palma nicht mehr aushält…“ Naja. Ich vermute mal, morgen ist es wieder schön hier! Die Natur hat vermutlich keine Einwände gegen die paar Tropfen.

Nun bin ich also allein hier, kann schalten und walten, wie ich will, zum Beispiel auch endlich das Deckenlicht im Schlafzimmer einschalten. Heute hat sie eine frische Glühbirne bekommen. Schon etwas einfacher damit. Auch habe ich Platz im Schrank freigeräumt bekommen, was auch eine nette Entwicklung ist. Nun ist aktuell also alles perfekt.

Gestern war ich wieder am Strand unten. Eigentlich wollte ich es wagen, in der Bucht, wo keine hohen Wellen sind, wie so viele andere zu baden. Aber dann war es bedeckt und windig und so stellte ich mir das nicht ganz so freudig vor.

Durch meinen Geist flossen aber die Wellen des Meeres, mich salzte schon allein durch die Luftfeuchtigkeit die Ursuppe der Ozeane, meine Haut gerbte der Wind und darrte mich auf meinem blauen Liegegestell, wie ich mich da dem wehenden und dem wärmenden Element darbot.

In meinem Rücken warteten, ohne zu drängeln, die Berge, ob wir das alte Kriegsbeil nicht endlich begraben können. Unaufdringlich sandten sie ihre Botschaft, die hier überall in der Luft schwingt, so dass meine Antennen fast wie von selbst auf Empfang gingen.

Währenddessen träumte ich bereits davon, schlanker und agiler als jetzt vielleicht etwas mehr Fußwerk in meine Tage einbauen zu können, um dem Gebirge eine Chance zu geben. Ich bin ja ein versöhnlicher Mensch... Zwar sage ich immer erst mal reflexartig Nein, lasse mich aber dann leicht überzeugen, wenn die Argumente stimmig sind.

Während ich da so ein bisschen vor mich hinfror, mischten sich auf einmal Sphärenklänge unter das Meeresrauschen und das vielfältige Geschnatter der Gäste aus dem Restaurant hinter der Steinmauer, die mich vor dem Wind abschirmte. Zart schmelzende, dicke, weiche Töne waren es, die trunken vor Purpurrot und Fliederblau mein Gehör fluteten.

Da spielten genau die Songs, die ich liebe, in einer Manier, als hätte die Band eine Lehre bei Pink Floyd, Chris Isaac und Roxy Music abgeschlossen.

Man hätte schmelzen können, wenn jetzt nur noch die Sonne warm geschienen hätte, aber gegen Abend hatte sie an Kraft verloren. Es ist ja auch Dezember und eigentlich Vorweihnachtszeit. Eine Weile noch ließ ich mich von den zauberhaften Tönen umschmeicheln, die mich pastellfarben sanft umarmten und wiegten.

Schließlich packte ich zusammen, um den Musikern in die Augen zu sehen. Es war zu meiner Überraschung nur einer, und der sah völlig anders aus als erwartet, ganz modern mit einseitig raspelkurzer Friese, mit Sonnenbrille, Tattoos und schwarzem Overall. Der junge Mann freute sich sehr über meine Zuwendung. Viele andere hatten ihn nämlich nicht bereichert. Er packte leider ein, kaum hatte ich einen Platz im Lokal mit Blick auf seine Darbietung eingenommen.

Mit seinem Hut ging er an den angrenzenden Tischen vorbei, aber die Leute taten so, als sähen sie ihn nicht. Ich strahlte ihn an und betonte noch einmal, wie schön ich seine Musik fand, und in mir drinnen waberte die Wärme der wunderbaren Klangmuster noch eine Weile nach, während die Sonne sich mit dem jungen Mann verabschiedete.

Eine Fischsuppe und gebratene Sardinen mit Salat gönnte ich mir und traf dann noch Judith auf einen Kaffee im nächsten Lokal, wo sie, mangels rechtzeitiger Absprache unabhängig von mir diniert hatte. Gerne hätte ich ja noch ein bisschen mehr Zeit mit ihr verbracht. Gemeinsam beobachteten wir einen Knaben, der über die Mauer immer wieder einen wunderbaren verquirlten Salto schlug. Ein talentierter, fröhlicher junger Mann ohne Öffentlichkeitsscheu! Mit Erlaubnis zeige ich ihn hier auch, genießt seinen Schwung!

Während ich das hier schreibe, vor Wolkenwänden am zur Unkenntlichkeit bedeckten Himmel, mit Blick auf im Meer versenktes EU-Beihilfegeld (hier für einen von Anfang viel zu klein gebauten Hafen für Kreuzfahrtschiffe, die da aber nur in halber Breite hineinpassen würden) tönen von unten schöne Musikfetzen herauf. Irgendwo scheint eine Party mit Live-Musik zu laufen. Judith, wenn du nach mehreren Etappen am Zielort angekommen bist, feiern wir eine Party, ich hier und du dort. Auf deinen Wagemut sollten wir anstoßen! Gute Reise!

 

Tag der offenen Ateliers - 15.12.24

Ich liebe es, zu fotografieren, was ich beobachte. Dann kann ich mit nach Hause tragen, was mir einen freudigen kleinen Stich ins Herz versetzt hat. Nicht, dass ich aus Prinzip Eindrücke schnorre und den Künstler auf seinem Opus sitzen lassen möchte. Ich könnte das eine oder andere Werk schon anschaffen. Aber ich habe ein echt großes Herz und für alle Liebe-auf-den-ersten-Blick-Werke ein leider unzureichend großes Haus. Zumal meine Familie selbst gemalt hat, und ich so viele Gemälde aus eigenen Familienateliers habe, dass ich sie stehend in Regalen lagern muss.

Im ersten Künstlerraum, wo es gegenüber den 29° draußen angenehm kühl war, wurde mir gleich das Fotografieren aus der Nähe untersagt. Anscheinend hatte jemand sich erdreistet, Fotos zu nutzen, um die Werke der Künstlerin unverschämterweise auszudrucken und damit seine Wohnung zu dekorieren. Da wäre ich aber auch sauer!

Dennoch habe ich festgestellt, wie ein gewisses Ressentiment in mir hochkam, als sei ich in meiner Freiheit beschnitten worden. Freiheit, ein Bild in voller Pracht in mir erblühen zu lassen, benötigt bei mir anscheinend inzwischen den Blick durch den vorgegebenen Rahmen meiner Linse. Wird das Gesehene nur durch das Objektiv subjektiv verinnerlicht?

Ich strafte die Bilder daher mit raschem Vorbeigehen ab. Eine fotografische Draufschau von der Tür aus war immerhin erlaubt. Trotz der mangelnden Bilderaffinität tätigte ich eine Vorbestellung einer kleinen Sonderanfertigung. Eine der Künstlerinnen hier war nämlich meganett.

Dann besuchte ich eine andere Werkstatt in einem schönen alten Haus mit gefährlicher Treppe – gut, dass ich sie nicht öfter betreten muss. Hier wurden in rembrandtartigem Stil gruselige Geschichten gezeigt. Bilder alter Meister waren verfremdet worden und satanistischen Ritualen angemessene Dunkel-Albträume, ziegenbockhörnige Gesellen und magisch-düstere Fesselspiele waren zum Beispiel geboten. Der Nacht-Hyde aus meinem anderen Blog könnte vor diesem Hintergrund gruftige Erzählungen mit bitterbösem Ende kreieren; heute war aber eher die fröhlich grün-gewandete Jekylline in mir unterwegs und hat sich im selben Gebäude in zwei farbenfrohere Sammelmappen für meine Reiseeindrücke verliebt. Hier wurden Blanko-Blatt-Unikate verschiedenster Art in wunderschöne handgemachte Buchrücken gebunden. Das eine Buch enthält auch ein Set Drachen-Karten nebst Anleitungen. Doch, das musste sein! Vielleicht brauche ich bei der Heimkehr dann einen dritten Koffer, wenn das so weitergeht!

In einem weiteren Atelier bewunderte ich das stylische Ambiente, das mir mehr zusagte als die Gemälde. Interessante Künstlerköpfe waren an beiden Orten zu beobachten: Männer mit langen hochgesteckten Haaren finde ich einfach großartig. Ich sehe sie gern, so wie Kunst und Skulpturen– einfach, weil sie schön fürs Auge sind.

Ein paar Straßen weiter fand ich eine Glücksknotenknüpferin mit Bananenblatt-Hut -Kreationen. Einen Piratendreispitz hatte sie auch, der hatte mich fast angemacht. Ein dazu passendes Holzbein würde ja meine Asymmetrie noch betonen, aber eigentlich wäre ich kopfabwärts lieber symmetrisch!

Die Ladenbesitzerin empfand ich als einen sehr sympathischen Menschen. Sie scheint auch eine Freundin meiner Vermieterin zu sein. Ich werde in diesem Ort jedenfalls nicht mutterseelenallein sein, wenn ich mal mit jemandem quatschen will. In natura hat man nicht so viele Bildstörungen wie bei den Videotelefonaten. Das Internet hier macht mir leider ziemliche Faxen. Nur live is live! Mit Standbild bleibt so viel Gesagtes un-erhört.

Nach der Atelierbesichtigung setzte ich mich auf einen niedlichen kleinen Platz mit Blick auf einen Regenbogen über meiner „Villa“ und sorgte dafür, dass mein Bauch eine Wohlfühlmahlzeit bekam. Im Anschluss ging ich zurück zu dem großen Atelier vom Anfang. In dem wurde nämlich nun live Tangomusik gespielt und einige Paare wohlgeübte Füße wagten sich kühn auf das Parkett. Damenbeine züngelten lüstern oder spielerisch an Herrenhosen hoch und versetzten ihre Tanzpartner in glutrünstige Bewegungen. Da ich im Tangotanzen nicht gerade brilliere, signalisierte ich auch niemandem, dass er um einen Tanz bitten sollte.

Gegen Schluss juckte es mich aber dann doch in den Füßen Und so tanzte ich eine Runde allein, was einigen anderen den Mut gab, ebenfalls aufzustehen und sich dekorativ zu bewegen. Eine rot gewandelte ältere Schönheit im Stile Tina Bauschs zeigte jetzt ebenfalls ganz allein ein sicherlich vielfach einstudiertes Repertoire, und wir beide waren etwas traurig, dass an diesem Punkt der Abend offiziell endete. Die anderen standen sicher noch länger beieinander, ich aber begab mich zurück zu meiner Dachterrasse bei immer noch stark überhöhten Temperaturen. Im Kühlschrank fand ich einen nicht gerade lukullischen offenen Weißwein im Tetrapack von der letzten Untermieterin. Ich glaub, an dem Weinvorrat muss ich ein bisschen arbeiten. So geht das nicht!

Wie die Windsbraut mich verkrümelte - 16.12.24

Der heutige Tag ist ein bisschen anders. Heute hat eine fiese Windsbraut die Insel am Wickel. Sie beutelt sie und lässt überall Sand hinbröseln. Mein Laptop ist in Nullkommanix eingestaubt, und selbst meine Handyhülle hinterlässt beim Abwischen einen scheußlichen schwarzen Schatten auf dem fröhlich bunten Microfasertuch. Die Terrasse ist mit Erde bedeckt oder vielleicht Vulkanstaub oder Küstensand – Wüstensand ist das eher nicht, denn er ist ganz schwarz.

In der Nacht hat es außerdem eine der Riesenstrelitzien mit einem Gewicht von mindestens einem sechsjährigen Kind umgehauen, und ich hatte Mühe, den Topf wiederaufzurichten und in seinen Übertopf einzupassen. Die ohnehin sehr zerfledderte Markise flattert spektakulär im Wind und lässt unregelmäßige klappernde Geräusche ertönen, so als schlüge wer mit einem Schlüsselbund an eine Regenrinne. Irgendwo knallt eine Tür ständig zu, immer und immer wieder, aber in dieser Wohnung ist es jedenfalls nicht.

Die Windsbraut denkt lange gar nicht dran, sich zu verkrümeln. Sie verkrümelt lieber mich. Ich ziehe die Konsequenzen und bleibe drinnen. Gestern hat man mir außerdem geraten, wenn es so windig ist, nicht Auto zu fahren. Wer weiß, sonst fegt es mich noch aus den Serpentinen, ohne die man hier ja nirgends hinkommt. Ich bin also ganz brav heute.

Ein sehr seltener Gast, ein abgespaltener, wenig beachteter Bestandteil meines Wesens zeigt sich heute: Die Doña Clementine. Ihres Zeichens putzwütig, gutmütig, treudoof und häuslich. Sie hilft mir, die Waschbecken zu wienern, den Boden zu fegen, dem Staub den Feudel um die Ohren zu hauen, um dann festzustellen, der Dreck wächst stetig nach. Kaum entfernt, ist er wieder da auf der Terrasse. Doña Clementine verlegt sich also wieder auf die Reinigung der Innengemächer. Etliche Blumengrüße sind nun bereits so verdörrt, dass sie nur noch ein trauriges Mahnmal des Zerfalls sind. Beim Forttragen schaffen sie mir weitere Arbeit, nun ist der Boden mit Blütenblättern bestreut. Das wäre schön bei einem Honeymoon, aber dann lieber auf dem Bett.

À propos Honeymoon… Ich überlege, dass dieser Wesensanteil, der sich da heute breit macht, die perfekte ehefähige Hausfrau mit liebevollem Augenmerk für häusliche Belange und wahrscheinlich großartigen Qualitäten als Familienköchin abgäbe. Also schnell, ihr männlichen Leser, heute ist der Tag! Aber nur heute. Schnell gefreit und dann ewig bereut, denn ab morgen ziehe ich wieder andere Seiden auf äh an, dann ist nix mehr mit Putzfrauenlook (Unterhemd und Bikinihose, da es richtig heiß ist), dann flattert hier wieder ein Paradiesvogel durch die Gänge, der sich als haushaltsbereichernde windsbraut-induzierte Winzbraut nicht mehr eignet, sondern eigensinnig und nicht unterkriegbar männlichem Herrschaftsgebaren trotzt.

Schon erlahmen die Anstrengungen der Doña Clementine, denn der Wind schickt sich an, den Weg allen Windes zu gehen also zu entfleuchen, wodurch die Hitze noch ein paar Grad zunimmt, und der Staub vielleicht drunten auf der Straße gelandet ist und nicht mehr in meinen Höhen auf den Terrassen herumwirbelt. Der Horizont ist heute verschwunden. Ich denke, das ist jetzt also die viel beschriene unerfreuliche Calima, die die Kanaren so gerne am Wickel hat. Ich stelle eine weitere Seltsamkeit fest: meine Haut ist heute völlig ausgetrocknet, so wie die Brösel, die hier herumfliegen. Das ist ja direkt zum Haaröl-Saufen! Da wäre man wenigstens von innen in jeglicher Weise wieder elastisch hergestellt.

Was habe ich heute sonst noch geschafft? Ich hab mich ein bissel ausgeruht, dem Namen meines Blogs keine große Ehre gemacht – von Tour ist heute nicht die Rede. Ich sammle einfach Kräfte für die nächsten Ausfahrten. Habe ein wenig in dem bislang ziemlich langweiligen Roman mit dem Titel „Tazacorte“, also dem Namen dieser Ortschaft hier, gelesen. Dann in längeren ruhigen Minuten das wundervolle, gestern erstandene Drachenbuch begutachtet, die liebevoll eingeklebten Drachen und Täschchen mit Drachenfüllung aller Art bestaunt, mir eine Drachenkartenorakel gelegt und dabei festgestellt, dass die Anleitung nur in Teilen zu den vorhandenen Karten passt, bzw. weniger Karten vorhanden sind als beschrieben, dafür ein paar doppelt. Vielleicht sind die ja für mich von besonderer Bedeutung. Der Wasserdrache und der Feuerdrache.

Das Wasser hat ja für mich schon immer eine besondere Bedeutung, denn in einem meiner letzten Leben war ich vielleicht Delfin. Jedenfalls fühle ich mich nirgends so wohl wie im Wasser. Was mit zunehmender Körperfülle auch verständlich sein dürfte. Sobald ich das Wasser verlasse, zieht es mich wieder irdisch schwer zu Boden, wo ich vorher leicht wie eine Feder war. Und mich so gesund fühlte, als wäre gar nix. Im Wasser bin ich stets wieder ganz.

Der Feuerdrache könnte auch ein Lichtdrache sein. Er sitzt vor rotglühenden Kristallen. Vielleicht ist es ein Wärmedrache, der sich am Kaminfeuerchen für Drächinnen wohlig-lasziv räkelt. Auf seinem Eisbärfell. Falls Drachen und Eisbären jemals gleichzeitig auf der Erde existierten. Bei Eisbären bin ich da nicht ganz so skeptisch. Dennoch - die Vorstellung, dass man eine gutmütigen Hausdrächin haben könnte, mit der man durch die Lüfte flöge (was bequemer wäre als der olle Besen-bist-schon-lange-Knecht-Gewesen), hat doch was! Und die einen in bester Hofhundmanier verteidigen würde vor aller Unbill, bösen Avancen und frechen Worten. Einmal kurz das Mäulchen auf und bissel Feuer gespuckt. Und weggeschmurzelt ist alles, was einen anfocht… Nicht übel! Die Drächin macht das natürlich selbsttätig. Sonst wäre ich ja ein Unmensch. Aber wenn die Gute (kutschikutschiku… bift eine Liiiiebe, jaaaa, fooooo if braaaav!) zum Untier wird, kann ich doch nichts dafür, oder? Schließlich zahl ich dann als gute Bürgerin ja pünktlich meine Drachensteuer, wie es sich gehört.

 

Mancher Tage Abend - 17.12.24

Gestern hatte ich nach dem eher ereignislosen Tag einen Spaziergang im Dunkel in den Ort gemacht, dort den Chinaladen inspiziert (die Geschäfte haben hier lange auf, dafür am Nachmittag nicht) und in der Nähe auf einem Platz Essen an einem Kiosk bestellt. Als die Speisen serviert wurden, dachte ich zunächst, das sei wohl ein Witz, im Hintergrund stünde wahrscheinlich bereits jemand von Verstehen Sie Spaß oder wie die entsprechende Serie heutzutage heißt, bereit, um mich ins Bockshorn zu jagen und meinen dämlichen Gesichtsausdruck aufzuzeichnen und an ein Millionenpublikum zu verscherbeln.

Ich hatte bei der Bestellung nämlich gesagt, ich habe Hunger. Bestellt habe ich dann drei Tapas, einen russischen Salat, Käsebällchen und die Scampi. Normalerweise ist sowas relativ klein, und man muss mehreres bestellen, um satt zu werden. Die Wirtin hatte mich gemustert und mich im Vergleich zu ihrer filigranen Statur wohl eher als walroßartig empfunden. Der russische Salat auf der Platte für mich war daher sicher 400 Gramm schwer, die Käsebällchen auf einem zum Glück vernachlässigbaren Salatbett waren zahlreich, so dass vielleicht 3 Hände dafür gereicht hätten, die Bällchen wegzutragen, aber die Scampi waren wohl an die 300 Stück. Die kleinen, nicht ausgepellten Garnelen lagen auf einem riesigen Stapel - unten drunter vermutete ich ein Reisbett oder ähnliches – aber nein, da waren nur weitere Scampi! Sie waren auch kaum angekocht, leicht lauwarm, ungewürzt. Zwei lächerlich kleine Zitronenscheiben waren dabei.

Man ließ mich allein mit meinem Missgeschick, mich dieser Misere zu stellen. Hatte ich mir ja selbst eingebrockt (siehe oben). Gut war nichts davon. Ich schaffte die Hälfte vom Salat, alle Bällchen und 1/4 der Scampi. Als ich zum Kiosk zurücklief, um mir die Reste einpacken zu lassen, sagte die Wirtin: „Mir selbst schmeckt das so auch nicht, zu Hause koche ich ganz anders. Wissen sie, eigentlich kann ich ja kochen.“ Tja. Ehrlich gesagt, hätte mal die Verstehen-Sie-Spaß-Kamerabelegschaft diese Frau aufnehmen sollen. Aber niemand kam. Ich schmunzelte relativ lauthals allein auf dem Heimweg, weil mir das Erlebte nicht aus dem Kopf ging.

Heute habe ich mir dann zum Frühstück den russischen Salat vorgeknöpft, mit Senf, Salz, Pfeffer und viel Zitrone gemischt, da war er dann sogar einigermaßen gut. Und die Garnelen gab es abends. Ich habe mir die Mühe gemacht, die Köpfe abzuzupfen und damit die unzähligen Barteln oder Grannen, die sich daran befanden, entfernt. Dann habe ich die Körperchen mit Chilischoten in der Pfanne in Öl gebraten, gut gesalzen und noch viel besser zitronisiert, eh voilà – jetzt waren sie sogar lecker!

Ansonsten war heute schon wieder Calima, diesmal war vom Meer gar nichts mehr zu sehen, so dass ich meine Zeit mit Kartenschreiben verbrachte und einem langen Abendzoom mit der Schreiberlinggruppe.

 

Urlaub geht durch den Magen und mein Zugeständnis an Weihnachten -18.12.2024

Das Schönste am heutigen Tag war wohl das Essen, jedenfalls abgesehen von den „Spezialitäten“, die ich bei Lidl vor Ort gekauft hatte. Die schmeckten nämlich nach A-und-Friedrich. Aber der Frühstücksmango, Avocado und Käse auf meinem Teller waren dafür großartig. Ich habe dabei durch Zufall festgestellt, dass Mango gut mit roter Zwiebel und Pfeffer harmoniert.

Danach hab ich länger überlegt, wo es mich wohl heute hin verschlagen sollte. Meine innere Stimme befragend, bekam ich als Antwort, dass ich nicht zu den Piraten gehen sollte, dabei hatte ich gedacht, ich könnte heute mal einen Ausflug in die Piratenbucht machen. Dann sah ich mir diverse Tourenvorschläge an, wobei hier in der Nähe hauptsächlich Restaurants genannt waren. Ne, ich bin da ja unbelehrbar, die suche ich selber aus und falle mit schöner Regelmäßigkeit drauf rein. (So auch heute.)

Zuerst aber wollte ich meinen Reifendruck korrigieren. In meinem Mietauto leuchtet nämlich ständig ein Ausrufezeichen-Signal, das laut Internet da ist, wenn der Druck nicht stimmt. Der Tankwart erzählte mir, gestern sei ihm jemand über sein Manometer gefahren, drum habe er jetzt keines mehr. Ich solle doch in die Werkstatt zwei Straßen weiter fahren, denn eine andere Tankstelle gäbe es nirgends in der Nähe. Der schwarzfingrige Geselle in der Werkstatt pumpte mir dann meine Reifen nach, aber nirgends war der Druck besonders schlecht. Das Signal ging auch beim Weiterfahren nicht aus. Mist! Internet sagte: man müsse einige Kilometer weit fahren.

Auf dem Weg zum Strand kam ich am Hafenareal vorbei und wollte nun mal wissen, wie es da aussieht. Zumal in meinem Buch über Tazacorte die ganze Lektüre bislang im Hafen gespielt hat. Ich parkte dort also und schlich ein bisschen herum. Es lagen ein paar nette, nicht allzu große Boote dort vor Anker oder auf Gestellen zum Herrichten oder Einmotten. Die Pyramide von Tazacorte habe ich hierbei auch entdeckt.

In der Zwischenzeit hatte ich, da das Ausrufezeichen in seiner alarmierenden Aktivität nicht eingeknickt war, Telefonate mit der Mietwagenfirma gestartet und Fotos der Fehlermeldung geschickt. Morgen muss ich dort antanzen, um die draufschauen zu lassen. Angeblich müsse man einen Reset machen, wenn man die Reifen aufgepumpt hat. Wie nervig. Dann muss man ja dauernd in die Werkstatt!

Im Hafen sah ich ein Fischrestaurant und dachte mir, ha, da gibt es bestimmt fangfrische besondere Spezialitäten. In dem sehr lauten Lokal stritten sich die Gäste, aber ich versuchte trotzdem mein Glück. Leider habe ich nicht richtig gelesen, denn die bestellten Langusten stellten sich als Garnelen heraus. Tatsächlich stand im Spanischen auch Langustinos und im Deutschen, das ich gar nicht gesehen hatte, war auch korrekt von Riesengarnelen die Rede. So geht es, wenn man im Kopf das Bild einer einzelnen Languste auf einer Platte, lecker gefüllt mit russischem Salat entstehen lässt, ein Bild aus grauer Vorzeit, 1976 auf Menorca, und das zur fixen Idee wird. Nun musste ich also abermals rumfitzeln mit schmierigen Händen, nur dass die Shrimps diesmal deutlich besseres Format hatten als gestern und vorgestern. Es ist ja auch so, dass Garnelen und Langusten anders schmecken. Jedenfalls in meiner Erinnerung. Languste ist süßlich und weicher.

Naja, schlecht war das Essen nicht, und für 10 Riesengarnelen vom Grill war jetzt 12 Euro auch nicht grade teuer.

Dann wartete ich lange auf die Bedienung. Die Bedienung wurde aber minutenlang von einem alten Herren in Volllautstärke angebrüllt. Seinen Rüffel beendete er mit „Señorita!!!!“ Man konnte die Satzzeichen hören. Das erinnerte mich daran, wie früher mein Vater, wenn es bitterernst wurde, die Sätze mit „Fräuleinchen!!!“ beendete.

Und dann wartete ich weiter auf die Rechnung. Und dann auf das Rückgeld. Eigentlich hatte ich es eilig, denn ich wollte noch zum Bananenmuseum. Das sollte von 16-18 Uhr geöffnet haben, versprach das Internet. Um 17 Uhr 15 kam ich schließlich im Ort an. Dann fand ich es natürlich nicht, denn nach meiner Vorstellung war es ganz nah am Parkplatz, aber als ich ausstieg, wurde mir ein wilder Fußweg angezeigt, der länger dauerte. In der Tat gab es anscheinend auch keinen besseren Weg dahin. Ich musste den Berg runter, und das mit meinen flachen Schläppchen, die ich heute trug. Der Weg bestand aus großen flachen Steinen. In wie weit die rutschig sein konnten, wollte ich eigentlich nicht ausprobieren.

So dauerte es lange, bis ich endlich ankam. Da war es schon fünf nach halb sechs. An der Eingangstür fiel mir dann auf, dass ein Gitter davor war. Und auf dem Schild stand zu lesen: Öffnungszeiten 10-13:30 Uhr. Ich hatte also von Haus aus schlechte Karten gehabt. Wutentbrannt klaute ich aus der angrenzenden Plantage eine grasgrüne Banane. (Seit ich hier bin, habe ich noch keine palmensische Banane probiert, obwohl es hier Millionen davon gibt.) Die steckte ich in die Jackentasche und bemerkte später, dass sie an der Abrissstelle eine Art Milch absonderte wie ein blutender Gummibaum. Das klebte wie Teufel.

Beim Durchgang durch den Hof fand ich diverse vom Baum gefallene reife Datteln und aß auch zwei davon, die auf einer Mauer gelandet waren. Der Rest lag am Boden, das fand ich nicht so appetitlich. Jedenfalls schien ich noch irgendeinen Nachtisch zu wollen, und so beschloss ich, nachdem ich mit meinem ungeeigneten Schuhwerk in Etappen den Weg wieder hochgekrochen war, einen Cortado (entspricht Espresso Macchiato) zu trinken. Unterhalb des Lokals entdeckte ich eine Art Laubengang mit einer Menge Fenster hinter vorne hingesetzten Terrassen. Ich dachte, da könnten vielleicht Shops sein, aber das Ganze stellte sich als Seniorenresidenz heraus. Mit Blick auf die Bananenplantagen und das Meer. Vielleicht sowas wie betreutes Wohnen? Fantastische Aussicht hat man da. Überlegenswert. Oben auf dem Dach dieser Gebäude also den Cortado für nur 1 Euro beim Sonnenuntergang geschlürft und auf dem Weg zum Auto einem Christkindlmarkt begegnet, den ich vorher nicht bemerkt hatte. Vielleicht war er auch davor noch nicht da.

Dort sollte eine Aufführung stattfinden, aber die Person, die die Eröffnung vor einer Stunde vornehmen sollte, war nicht aufgetaucht, und die hatte auch den Auftritt auf der Bühne, und danach ein Chor. Ich habe jedenfalls den ganzen Abend gar nichts von Gesängen gehört, und das hätte man oben in der Wohnung sehr wohl vernommen. Nun stellte sich aber endlich heraus, wozu diese ganzen Verzögerungen und Nervereien dieses Tages gut waren: offenbar sollte ich genau zu dieser Zeit an diesen Stand mit Verkäufen aus einer Werkstatt, wo Autisten tätig sind, kommen. Denn dort entdeckte ich meinen diesjährigen Weihnachtsbaum. Klein, aber fein. Nur ein Symbol, aber wenigstens hübsch gemacht, und nadelt nicht. Jetzt kann Weihnachten kommen und der Tag hat doch noch was Gutes gebracht! Außerdem gab es dort eine Tarte mit Thunfisch. Ich nahm ein Stück davon mit nach Hause, was ein Fehler war… Ich hätte besser die ganze Tarte mitnehmen sollen, denn das war etwas, das wirklich herausragend gut schmeckte. Morgen also vielleicht! Nach dem Besuch in der Autovermietung.

Immerhin bekam ich so nach meinen Spaziergängen heute angezeigt, ich habe bereits 1382 Kalorien verbraucht. Vielleicht war das aber auch der Wochenverbrauch. Normalerweise muss man für sowas an die 8 Stunden joggen. Jedenfalls beruhigte mich das so sehr, dass ich zu Hause bei meinen Abendzooms und Telefonaten noch eine Tüte Chips auffutterte. Man gönnt sich ja sonst nichts.

 

Bananentag und sportliche Höchstleistung - 19.12.2024

Der heutige Tag begann für mich viel zu früh. Musste den Wecker stellen, (und das im Urlaub!), und hatte infolgedessen so ein Schwindelgefühl bis nachmittags. Ich fuhr dann zu der Autovermietung, und die vermeintlich bösartige Macke meines Autos stellte sich als lächerlich heraus. Ich hätte nur 3x auf den Scheibenwischerhebel drücken müssen, dann wär das Leuchtsignal weg gewesen. Gut, dass man mir das nicht gleich am Telefon mitgeteilt hat, und ich extra nach Los Llanos fahren musste, damit man mir das sagte. Ihr erinnert Euch – das ist der Ort, bei dem mich das Navi letztes Mal auf den Vulkan gebracht hat. Diesmal hab ich mir die Karte angeschaut und bin frei Schnauze gefahren. Zack, war ich dort!

Da hab ich dann wenigstens im Einkaufszentrum mal endlich all die Dinge gekauft, die mir „schon ewig“ gefehlt hatten. Eine Taschentuchbox, eine Bodymilk, ein Minihandtuch, 15 Guaven, 2 Flaschen Wein für jetzt und Weihnachten und 1 Flasche Sekt für Silvester und ein Pfündchen Inselbananen. Irgendwas hat dann noch weitere 50 Euro gekostet, keine Ahnung, was das war. Übrigens gibt es dort im Supermarkt eine geniale Orangensaftpressmaschine.

Außerdem hab ich eine kurze Hose erstanden, da ich etwa sieben lange dabeihabe und nicht mal einen Rock oder was Kurzes. Dafür ganz viele Oberteile. Fragt sich, wer da eigentlich meinen Koffer gepackt hat. So ein Depp!

Da ich nun schon mal in Los Llanos war, fuhr ich also zielgerichtet nach Tijarafe, um bloß nicht in Los Llanos sein zu müssen. Statt auf einer amalfischönen Küstenstraße easypeasy vor mich hinzuschunkeln in meinem nun nicht mehr sorgenbemäntelten Autochen, musste ich den Weg auf einer Serpentinenstraße hinter mich bringen, wo 18 km 40 Minuten dauern. Es gibt nämlich gar keine Küstenstraße dahin.

Dort aß ich – schlauer geworden – diesmal gemäß Reiseführerempfehlung, und das war auch gut so. Zur Abwechslung gab es Peruanisch, nämlich: geröstete Kochbananenplatte, genannt Patacón, mit Deko aus zerfasertem Huhn, zerfasertem Käse, zerfasertem Blaukraut und noch irgendwas. Das Ganze sah sehr nett aus, aber hätte vielleicht ein bisschen Pfeffer benötigt. Danach futterte ich schwarze Bohnen mit Reis und zerfasertem Kalbfleisch, zerfasertem Käse und ein Spiegelei. Letzteres hätte ich nicht dringend gebraucht, aber auf dem Teller war was sehr Köstliches, nämlich kross gebackene kanarische Bananen.

Danach stieg ich in den Ort hoch, der inzwischen ausgestorben war, da die Siesta begonnen hatte. Auffällig bunte nette Häuschen mit sehr abweisenden verschlossenen Türen. In der Kirche empfing mich eine schwarzgähnende Höhle am Altarende. Als ich eine Weile dort gesessen und mit geschlossenen Augen meditiert hatte, war das Schwarz in Rot übergegangen. Ich wunderte mich über die Fehlleistung meiner Augen, aber als ich vorne in der Nähe des Altars herumstromerte, zeigte sich, dass da ein Pfarrer eingetreten war und wohl Licht gemacht hatte. Er sprach mich an, aber ich verstand ihn nicht. Ich fragte auf Spanisch, ob ich gehen sollte, aber er meinte, ich solle bleiben.

Die Glocke begann, sehr kläglich vereinzelt zu läuten, und als ich dann doch die Kirche verließ, verstand ich warum sie so einen dürftigen Klang hatte: draußen hatte sich eine Beerdigungsgesellschaft mit einem grandios mit einem Blumenmeer geschmückten weißen Leichenwagen versammelt, den ich pietätsvoll mal nicht fotografiert habe. Gerade wurde der Sarg auf die Kirche zu getragen. Ich bat den Toten, der nun ja ohnehin schon tot und von seinen Leiden erlöst war, doch bitte auch den Krebs meiner allerbesten Freundin, die gestern operiert wurde, und meine Fußschmerzen mit ins Nirwana zu schicken, so dass ich wieder normal laufen könne, wenn es ihm nichts ausmacht. Ihm würde das ja nicht schaden, aber uns sehr viel nutzen. Ich glaube, er hat zugesagt.

Daraufhin beschloss ich relativ spontan, heute zu den Piraten in die Schmugglerbucht zu fahren. Das ist in Poris de Candelaria. 3,9 km Luftlinie von Tijarafe. Was sollte schon passieren… Oh weh. Ooooooooh weh! Was für ein Höllenritt! Die Straße dahin war zwar auf dem ersten Kilometer geteert, wenn auch unglaublich steil, aber das gab sich dann. Die Teerung, nicht der Steilheitsgrad. 30% stand da. Also 30 m Höhenunterschied auf einer Strecke von 100 m. Ich habe unterwegs mehrfach überlegt, umzukehren, weil ich Angst hatte, da nie wieder hochzukommen.

Dann bin ich aber doch bis unten gefahren. Jedenfalls so unten wie möglich. Als ich am Parkplatz ausstieg, fragte ich ein englisches Pärchen, wie weit es noch sei, und sie meinten, so 500 m zu Fuß. Das kann gut stimmen. Zu Fuß war es leider nicht weniger steil und brutal steinig. Wenigstens hatte ich heute Turnschuhe an, in denen ich aber mangels Socken schon von der aufregenden Autofahrt schwamm. Außerdem sind die Schuhe eine Nummer zu groß, was sich dann bergab durch Herumrutschen ungut bemerkbar machte. An der Seite gab es aber ein Seil zum Festhalten, meist eher in Kniehöhe.

Jedenfalls schaffte ich es bis unten. Bis zuletzt konnte ich nicht sehen, ob ich überhaupt auf dem richtigen Weg war. Schilder hatte ich nicht gesehen. Ich hatte einfach vermutet, dass es da sein sollte (Blick auf die Karte, nicht aufs Navi). Wieder hatte ich den richtigen Riecher. Als ich die wahnwitzigen Wellen bestaunte, die vor einer Bucht aufgischteten und brüllten, kamen plötzlich die Häuser ins Blickfeld. Sie sind wirklich innerhalb einer großen Höhle unter den Fels direkt hineingebaut. Aber auch hier war alles ausgestorben. Einzig ein junger Mann war da, den ich schon vorher mit meinem voranfahrenden Auto mehrfach blockiert hatte, da ich mitten auf dem Weg nach unten aus dem Auto fotografiert habe. Er hatte aber volles Verständnis dafür, denn er war behängt mit einer großen Kamera und war auch offensichtlich hergekommen, um tolle Fotos zu machen. Der Blick von der Höhle nach draußen ist einfach gigantisch!

Der Weg zurück war sowohl zu Fuß wie auch mit dem Auto erstaunlicherweise weniger anstrengend als abwärts. Ich habe keine Ahnung warum, normalerweise ist es doch immer umgekehrt. Allerdings musste ich, die nicht rückwärtsfahren kann, drei Fahrzeugen durch Zurückfahren bis zur nächsten Kurve Platz machen.

Dann verfuhr ich mich noch, da eine geteerte Straße irgendwo abzweigte, und ich diese für den ersten Teil der Piste hielt, der ja in besserem Zustand gewesen war. Es handelte sich aber um eine Privatzufahrt, die erstmal weit durchs Gelände führte und dann hinter einem Haus mitten am Berg irgendwo in der Pampa endete. Das war gemein, denn da konnte man nicht wenden. Die Straße war so breit wie das Auto, flankiert von kleinen Drachenbäumen, von denen ich mindestens drei fast umgefahren habe in meinem Bemühen, die letzten hundert Meter bergab rückwärts zu holpern, ohne zu sehen, wo die rechte Seite der Straße senkrecht in den Abgrund abstürzte. Vielleicht war das auch besser so. Jedenfalls hab ich den Abgrund zum Glück verfehlt.

Unterwegs kam ich dann noch an einem fantastischen Datura-Wald oder so was Ähnlichem vorbei. Noch nie habe ich so etwas gesehen. Als einzelne Pflanzen hatte mein Vater die auf der Terrasse, etwa 15 Töpfe. Leider habe ich sie dann nicht durch den Winter gebracht. (Man hätte sie rauchen können, wie ich inzwischen weiß. Da hätte sich sicher der eine oder andere Interessent gefunden.) Ich nahm heute eine Blüte (zu Dekozwecken!) mit, die aber hier schon nicht mehr schön ist, aber unglaublich fantastisch riecht.

Bis ich zu Hause war, war es natürlich schon wieder stockfinster. Heute hab ich mir einen Rotwein verdient! Und eine Dusche, ich war klatschnass von meiner Wanderung. Ich bin echt stolz, denn ich bin über mich selbst hinausgewachsen. Und im Übrigen: der Fuß hat bei der ganzen Kraxelei überhaupt nicht wehgetan. Nur jetzt, daheim, spüre ich, dass er da ist. OK, er hat Recht, ich war nicht nett zu ihm. Aber zwischendurch hat er so getan, als wäre alles wieder in Ordnung und er und ich beste Freunde.

Schöne Aussichten - 20.12.2024

Heute möchte ich mich vom gestrigen Tag erholen. Habe immer noch genug Adrenalin in den Adern! Somit wende ich mich mal eher dem Nichtstun zu. Und der Innenschau. Ihr bekommt hier einen Schwurbelbeitrag (aber ohne Verschwörungstheorien oder Chemtrails) vorgelegt - esoterisches Geseihere nach Manu-Art. Vielleicht trotzdem nett zu lesen, wenn Being John Malkovich nicht reicht, und Being Manuela mal was anderes wäre. Falls Eure Zeit knapp bemessen ist, lest einfach drüber hinweg und morgen weiter. Ihr wisst: ich kann auch normal.

Da ich selber hier mehr als genug Zeit habe, habe ich mit der Raunachtsvorbereitung begonnen. Obwohl ich im letzten Jahr irgendwie was falsch gemacht haben muss, denn da ist aus meinen Wünschen nicht wirklich viel geworden. Ich hatte mir nur Impulse aus dem tiefsten Inneren aufgeschrieben, die mir selber manchmal richtig merkwürdig vorkamen. Dafür hatte es im Vorjahr unfassbar gut geklappt.

Für die, die noch nicht wissen, was Raunächte sind, das sind einige Tage „zwischen den Jahren“, also von Weihnachten bis Heiligdreikönige, die ganz besonders sein sollen. Wäsche sollte man da nicht waschen und aufhängen, das haben manche von zu Hause gelernt. Angeblich könnten sich negative Energien oder womöglich Geister drin verfangen. Das Haus könnte man räuchern, damit nur Gutes drin hängen bleibt. Überflüssiges darf gehen. Etwas Neues darf kommen. Etwas Besseres!

Da herrscht insgesamt auf unserem Planeten eine sonderbare Energie, in der man Wünsche wahr werden lassen kann und es ist eine Zeit, in der man seine Träume gut anschauen sollte, denn sie wollen einem etwas sagen. Zumindest, wenn man sich darauf eingestellt hat, dass man etwas Vernünftiges träumen möchte, das einem weiterhilft, und zu sich selber gesagt hat, man möchte bitteschön andernmorgens auch noch wissen, was man geträumt hat. Dann direkt aufschreiben, bevor es weg ist! Traumtagebuch ins Bett legen!

Für die Wünsche kann man jedenfalls den Samen setzen. Morgen ist der beste Tag, um diese Wünsche zu formulieren. Zwölf für das nächste Jahr und noch einen dreizehnten. Die schreibt man auf einzelne gleiche Zettel und faltet die. Eine schöne Schatulle wäre ein guter, feierlicher Aufbewahrungsort. Dann wird am ersten Tag (gerne der 25.12., es gibt aber noch andere Möglichkeiten) ein Wunsch gezogen, und der soll dann im ersten Monat wahr werden, der zweite Wunsch im Februar usw. Am Ende hat man einen Wunsch übrig, der dann in der Eigenverantwortung liegt. Den versucht man dann übers Jahr so gut wie möglich wahr zu machen. Die anderen Wünsche lässt man los, viele verbrennen den Zettel dann mit Brimborium, um den Wunsch symbolisch dem Universum zu übergeben. „Mach du, ich halt mich raus! Danke, dass du das für mich erledigst! Love you, Universum!“

Ich nehme also einen dritten Anlauf. Vielleicht sollte ich nicht so sehr meine Seele befragen, was die so möchte, sondern auch vernünftig mitdenken. Die Wahl des Termins, zu dem dann eine Umsetzung naht, überlasse ich weiterhin dem Schicksal. Ich werde aber mithelfen, den Faden nicht komplett loslassen wie 2024.

Wenn man selber nichts tut, braucht man sich vielleicht nicht zu wundern, wenn sich nichts ergibt. Zumindest sollte man stets nach Vorzeichen Ausschau halten, kleinen Wegweisern, die nur für einen selbst gemeint sind – ein Fetzen aus einem Liedtext, der einen anspringt, ein Schild am Straßenrand, ein Satz in einem Buch oder wie hier: auf La Palma bin ich ja auch nur, weil ich nach einem Zeichen gefragt hatte, was ich denn tun soll, und das nächste, was mir ins Auge sprang, war das Angebot meiner lieben Facebook-Mitschriftstellerin Judith, ihr Haus für drei Monate unterzuvermieten.

Hätte ich nicht zugegriffen, hätte nichts draus werden können. Nun schauen wir mal, wo es hinführt, das weiß ja noch keiner außer der Vorsehung, die mir die Laus in den Pelz oder die Kirsche auf die Torte gesetzt hat. Irgendwas wird sie damit schon bezwecken wollen.

Somit habe ich auch heute den Impuls gehabt, dass „Manifestieren“, also etwas handfest zu machen, das von manifestare und vom Wort manus – Latein für Hand – also vom „hand-greifbar und danach dann offensichtlich für alle erkennbar machen“ stammt, ja auch irgendwie mit meinem Namen Manuela (der allerdings aus dem Hebräischen kommt und „Gott mit ihr“ heißt) verwandt ist, zumindest in Anklängen. Vielleicht, da Nomen ja Omen ist, hat es ja auch seine Bewandtnis damit, dass ich besonders gut im Manifestieren sein kann. Aus der Luft greifen und zu Materie oder Situation werden lassen. Brainstorming mit Umsetzung.

Ich habe das bereits erkannt, als ich meinen Lebenspartner in mein Leben gezogen habe, und im selben Jahr bei ganz ganz vielen Dingen. Und mit einigen Frauen mache ich jeden Mittwoch eine Zoom-Runde, in der wir das, was wir in der nächsten Woche erreicht haben möchten, inbrünstig voller guter Energie gemeinsam einer Vision gleich vorhersehen (nachdem jede gesagt hat, was sie braucht). Und tatsächlich haben wir eine überdurchschnittlich gute Erfolgsquote, sagen wir: irgendwas zwischen 70 und 90 Prozent davon klappt. Und was nicht klappt, kommt sehr oft ein bis mehrere Wochen später noch nach.

Wenn was nicht funktioniert, war der Weg, den man sich vorgestellt hat, zu detailliert, dann geht es nach Revision der Wunschvorstellung irgendwie grob auf einem anderen Weg, der aber in die richtige Richtung führt. Ich muss sagen, ich bin begeistert davon, was man auf diese Weise erreichen kann! Joe Dispenza zeigte uns genau, wie es geht, Brigitte Kern, die Ahnenheilerin, erklärte uns ganz viele wichtige Details, und schwupps: es glückt! Das ist eine Power, die wohl jeder irgendwo tief in sich drin trägt - aber da wir in der westlichen Welt erzogen worden sind, an solche Dinge nicht zu glauben, sondern nur das gelten zu lassen, was man messen und belegen kann, kann nicht jeder darauf zugreifen. Es erfordert ein willentliches Umdenken. Eine sehr große Änderung der Sichtweise.

In Bezug auf meine Überlegungen zum Wort Manu – also in Verbindung zu den Händen – I can handle it – viel mir ein: but can I footle it? Das ist ja aktuell das Problem, das ich lösen muss. Welche Schritte will ich nicht gehen, wo ist der Widerstand, der mich zurückhält? Was zerrt da in die andere Richtung, so dass ich nicht richtig ausschreiten kann? Das ist wie bei dem lateinamerikanischen Tanz, der Cumbia. Eine Tanzlehrerin hatte erklärt, den tanzten früher die Sklavinnen, die an einem Fuß angebunden waren. Zum Trotz tanzten sie dennoch. Halt mit dem anderen Fuß.

Dieser wie angebundene linke Fuß mit seiner Achillesferse beschert mir einen beschränkten Wirkungskreis. So wie damals, als ich im Riesenhaus meiner Eltern nur ein neun Quadratmeter großes Zimmer hatte, in dem ich den allergrößten Teil meiner Kindheit verbrachte (wenn ich nicht im Garten war). Mein Wirkungskreis war also immer unter Kontrolle von anderen. Nach den Eltern meine Großeltern, dann mein Lover, mein Ehemann, danach meine Kids, dann wieder meine kranken Eltern.

Auch bei den Elefanten ist das ja so, dass die, wenn sie klein sind, an einen Pflock angebunden sind, der sie gerade so noch hält. Wenn sie aber riesig groß sind, trauen sie sich immer noch nicht, auszubrechen, weil sie glauben, dass dieses inzwischen winzig neben ihnen wirkende Stöckchen sie daran hindert, die große weite Welt zu erkunden. Sie könnten einfach über das Ungemach hinweggehen. Viel größer denken, sich nicht klein halten lassen. Die ganze Welt steht offen!

So wäre das auch bei mir. Aber dann: dann habe ich keinen Halt mehr. Dann bin ich selbst für alles verantwortlich. Oder es geht mir wie einem Luftballon, der aus der Hand des Kindes gleitet, das ihm heulend hinterhertrauert. Der Luftballon, plötzlich frei und ungebärdig, trudelt im Wind und wird hin- und hergebeutelt. Dazwischen jubiliert er bestimmt, wie wunderherrlich es da ist, so viel Raum und so schön hoch droben, mit der spektakulären Aussicht, ganz allein mit dem Wind und den Wolken. Vielleicht wird ihm auch schlecht vom vielen Sich-Drehen oder er kriegt Angst vor einem Vogel, der ihm gerne mit dem Schnabel zusetzen würde.

Letztendlich ist er jedenfalls unbeherrschbar und irgendwann geht ihm die Luft aus. Dann senkt er sich müde herab, oder wenn er Pech hat, wird er porös und rast in einer kreischenden Rückstoßwelle im Zickzack durch die Gegend – ein letztes Aufflackern vor dem traurigen Einstauben als labbriger Gummifetzen in irgendeinem Gestrüpp oder Müll- und Decksammelsurium, das ein leidenschaftsloser Kehrer anhäuft.

Soviel zu meinen geistigen Höhenflügen. Man muss wissen, wann man damit aufhört. Am besten, bevor das Thema der Ohnmacht durch Fremdmanipulation (hier: der Wind) auftritt!

Auf jeden Fall wird mir da bewusst, dass in meinem Innersten noch irgendwas hier Einspruch erhebt. Es ist eine alte Angst, so wie beim armen, demütigen Elefanten. Was wäre ich ohne diese Angst! Was wäre der Elefant stolz, wenn er diese blöde Pflockgeschichte nie erlebt hätte. Was bräuchte ich denn in diesem Fall am meisten?

Meine Seele sagt: jemanden, der hinter mir steht. So jemanden habe ich. Ich bin himmeldankbar dafür, dass er in meinem Leben ist! Dankedankedanke! Auch meine Freundinnen halten zu mir, und mein älterer Sohn unterstützt mich ebenfalls in meinem Tun. Ansonsten braucht man dazu einen gestärkten Rücken. Ja, und wer, wenn nicht ich mit meinem Metallgestänge im Rücken und der zusätzlichen Verstärkung durch Knochen-Beton-Gemisch und der Prothese zwischen den Wirbeln hat einen so gestärkten Rücken wie ich!

Zwar habe ich stetig Panik, dass irgendwas mich umwerfen und zum Zerschellen bringen könnte, aber eigentlich sollte ich mir mal überlegen: mein Rücken hat sogar eine eingebaute Stütze, eine Gehhilfe, eine Stehhilfe, ich hab die Unterstützung immer dabei! Ich hab eine Rückenstärkung und könnte mit Rückenwind der Welt trotzen. Meine starke Rückwand, meine starke Rückhand. In der Hand Gottes oder des Schicksals oder des Universums und der meines Partners und meiner Freunde, die schützend ihre Hände auf mich legen. Eine eingebaute Rüstung. Wer hat denn schon so was? Noch dazu von besonderem Wert. Titan. Ich bin kostbar! Ich hab innere Werte. Im Rücken und in der linken Hand auch dank meines Handgelenkbruchs vor Jahren. Mit der Stütze kann ich noch mehr händeln.

Und mit dem Rücken berücken, zu Leibe rücken, Dinge vom Fleck rücken, aufrücken, vorrücken, Protagonistin sein. In meinem Leben bin ich das auf jeden Fall. Niemand in meinem Leben kann so wichtig sein wie ich, denn wenn ich nicht mehr da bin in meinem Leben, ist das Leben vorbei. Dann ist für alles andere das Licht ausgegangen. Ich bin das Licht in meinem Leben. Ich und mein Rücken. Und mein linker Fuß.

Ist es nicht herrlich, wenn man mal Zeit hat, über sich nachzudenken? Solche Gedanken geben einem doch Kraft. Und hätte ich jetzt nicht den Nachmittag so mit Schreiben vertrödelt, wäre mir das Angebot entgangen, das sich hier hupenderweise auf der Straße eröffnet hat. Ein Lieferwagen fuhr vor, auf dem Pasteleria stand und wartete mit laufendem Motor. Ich war mir nicht sicher, ob das ein Händler war, denn zuletzt hatte ich sowas im Iran erlebt oder in Deutschland, als regelmäßig ein Wagen vorfuhr, aus dem mit Megaphon verkündet wurde: „Scheeene Katoffi, fümf Pfund a Maaak!“ Wie ihr erkennt, ist das schon lange her. Ich ging runter, tat so, als wolle ich nur den Müll rausbringen und fragte mal harmlos, ob der was verkaufen will. Ja, wollte er. So habe ich ein paar kleine Stückchen Kuchen verschiedenster Art gekauft und ein Kartoffelbrot. Wie toll! Jetzt ist genau die richtige Zeit für einen schönen Kaffee mit Kuchen. Was für ein Geschenk!

 

Alles im Blick - 21.12.24

Den heutigen Nachmittag habe ich mit Vorbereitungen für die Raunächte verbracht, das Haus mit im Haushalt vorgefundenen Gewürzen (hauptsächlich Lorbeer) geräuchert und von bösen Einflüssen befreit, dann meine 13 Wünsche für 2025 formuliert und aufgeschrieben. Außerdem meine ersten Online-Lektionen in einem neuen Portal absolviert, in dem Digitale Nomaden gut aufgehoben sind. Ich sage Euch, meditieren auf der Terrasse an der Prallsonne, wenn jemand mit einem Auto vorfährt und beim Warten minutenlang auf Volllautstärke mit offenem Fenster alberne Songs dudeln lässt, ist eine Herausforderung!

Ich hatte all das vorgezogen, weil meine Vermieterin mir geschrieben hatte, heute am Tag der Sonnwende wäre möglicherweise am Strand abends ein Happening mit Feuerchen und so. Im Iran (ich war ja 24 Jahre mit einem Iraner verheiratet) feiert man auch in der längsten Nacht des Jahres, Yalda nennt man sie. Da sitzt man beieinander und erzählt Geschichten, isst Granatapfel und Melone und steckt die Füße unter einer Decke beim Korssi zusammen. Das ist ein Bullerofen. Hier bullerte stattdessen die Sonne heute kräftig herunter, und ich schwitzte auf der Terrasse bei meinen Studien und der Meditation. Eigentlich war heute Regen angesagt und ich hatte in vorauseilendem Gehorsam die Kissen schon wieder hineingetragen. War wohl überflüssig. (Aber besser, der Himmel bullert, als er tut ähnliches mit p vorne dran.)

Am Abend fuhr ich dann in froher Erwartung im großen nachts-am-Strand-tauglichen Gewand (schön warm) nach unten und begab mich erstmal in ein Lokal in Hafennähe. Bei all der Auswahl leckerer Speisen trieb mich dennoch immer noch die Fleischeslust am meisten an. Ein Entrecôte auf Rucolabett hatte es mir heute angetan, auch wenn die Pizza noch so gut aussah und fantastische Salate angeboten wurden. Vor meinem Tisch räkelte sich ein girlanden- und schleifengeschmückter Baum mit seltsamen Blättern. Google klärte mich auf, es sei eine Meertraube. Was es alles gibt! Statt Trauben trug er jedoch rote Glocken. Schließlich entdeckte ich eine Traubendolde dran. Die Trauben waren aber grasgrün und steinhart.

Im Hintergrund versank der allerletzte Rest des Tages golden über der bereits kohlschwarzen Mole mit dem kleinen Leuchtturm. Die Wolken tätschelten den geraden langen Steinkoloss mit besänftigender lilaschwarzer Hand. Während ich die Mole betrachtete, wurde ich zurückbeobachtet. Ein Mann mit Käppi, der auf der anderen Straßenseite rechts Richtung Mole an der Mauer lehnte, hatte nicht verstanden, dass nicht er das Objekt meiner Begierde war, sondern nur was hinter ihm lag. Auf die linke Seite zu gucken, lohnte sich für mich nicht mehr, da war es bereits Nacht. Endlich kam mein Essen, so dass ich einen Fixpunkt für meine Augen hatte, die immer wieder herumirrten und versuchten, diesen Typen dabei völlig zu ignorieren.

Erst später, als ich bereits fast fertig gespeist hatte, gab der Mann auf, mir hoffnungsvoll auf den Mund zu starren. Ich hatte schon überlegt, ob ich mich nicht auf den Stuhl gegenüber setze, wo ich ihm den Rücken zugekehrt hätte. Als säße ein hungriger Hund neben mir. Vielleicht war das auch so einer, der sich stundenlang Videos von nudelschlürfenden Frauen ansieht. Er genoss es offenbar, wie mir Tomatenstückchen von der Gabel purzelten und der Rucola frech aus dem Mundwinkel hing. Das Fleisch schmeckte mir schon bald nicht mehr, während er mir so lüsternen Blickes entgegengeiferte.

Auf das Feuer am Strand wartete ich vergebens, da war rein überhaupt nichts los. Ich ging extra noch am Hafen entlang, nicht dass ich es irgendwo übersah. Aber nein. Mein Freund schrieb mir, ich solle doch alternativ die Kneipen unsicher machen. Wollte ich das? Tut frau sowas heutzutage? Früher ging ich in Kneipen, wenn ich wen aufreißen wollte. Daran habe ich kein Interesse. Da hätte ich ja bloß dem Mann mit dem Käppi einmal genau ins Gesicht schauen müssen. Nene, keine Chance. Nix mit „Auspack und freu!“

Ich fuhr also zurück in meinen Ort und überlegte, was ich mit diesem Abend noch anfange. „OK, der Deal mit dem Schicksal ist: Wenn es einen Parkplatz gibt, schaue ich mir dort noch an, was los ist und ob es überhaupt Kneipen gibt.“ Ich öffnete beide Vorderfenster, um nichts zu überhören, falls irgendwo was geboten wäre. Oh Wunder - im Ort war irgendwie die Hölle los. Es wurde Live-Musik vor einem Lokal gespielt, es waren eine Masse Menschen auf der Straße, der Weihnachtsmarkt sorgte dafür, dass ich endlich ge-wham-t wurde mit Last Christmas und somit in der Challenge ganz schön lange durchgehalten habe, bis es mich ereilt hat, dass ich das Lied dieses Jahr zum ersten Mal abgekriegt habe. Aber kein Mensch schickte sich an, nach Hause zu fahren und einen Parkplatz frei zu machen.

Nun denn. Hier sitze ich also auf Judiths Terrasse und höre dem Kuddelmuddel von unten aus sicherer Entfernung zu. Ehrlich gesagt, klingt es ziemlich erschröcklich. So als würden verschiedene Musiker einzeln jeweils über längere Passagen ihr Instrument in Volllautstärke zum ersten Mal seit Jahren wieder in Betrieb nehmen. Dazwischen Fetzen von Weihnachtsschunkelmusik. Die Spanier sind schon ziemlich laut! Mein Glas Wein wartet friedlich neben mir, ohne dass mich jemand blöd beglotzt, und die Raunachtskerze flackert mir gemütlich und heimelig was vor. Es gibt Oliven mit Anchovis und später Granatapfel.

Ich hatte mir nachmittags einen Zettel vorbereitet, was mit der 1. Raunacht alles gehen darf, was in meinem Leben keinen Bestand mehr haben soll. Ich schreibe noch dazu: Lurerglotzaugen lüsterner Spanner und Machogehabe. Den werde ich jetzt gleich verbrennen, damit diese Dinge dem Universum zurückgeschickt werden. Adieu! Auf Nimmerwiedersehen.

 

Viele Glücksfälle und eine Pleite - 22.12.2024

Da ich früh aufgestanden war, um zwei Stunden Coaching zu meiner sonst nachtschlafenden Zeit mitzumachen, hatte ich die Gelegenheit, noch einen Flohmarkt im Nachbarort Argual zu besuchen. Rastro heißt der Flohmarkt hier. Es waren recht nette Sachen angeboten, vielfältig, sehr viel davon handgearbeitete Sachen. Ein kleiner alter Mann kam sehr langsam und eindrucksvoll mit einem schwarz-weißen Stock daher und sah sehr interessant aus, als hätte er ein großes Leben geführt. Ich durfte ihn ablichten. Mit mehreren Standbesitzern (m/f/d?) konnte ich nette Gespräche führen, ein selbst erfundenes und gebautes Brettspielchen mit dem Hersteller spielen und bekam an zwei Ständen das schöne Kompliment, ich hätte so eine gute Ausstrahlung. Das hört man doch wirklich gern!

Der einen älteren Dame hatte ich in dem Moment, als sie das zu mir sagte, fast etwas Ähnliches gesagt. Gleich und gleich gesellt sich halt gern. Jetzt weiß ich, dass sie im selben Ort wohnt wie ich und Antje heißt, aber ausgemacht haben wir nichts, wiewohl ich schon drauf und dran war, sie nach ihrer Telefonnummer zu fragen, als es anfing zu regnen und auf dem Markt große Hektik ausbrach. Es waren eher nur wenige Tropfen, aber alle packten in Panik ein. Ohnehin war es ungefähr Stichzeit, dass der Markt zu Ende ging und ich hatte fast alles Geld, das ich mitgenommen hatte, auch ausgegeben – für einen Pareo, eine Vorhangquaste, Räuchersalbei und Palo Santo, Lektüre, getrocknete Drachenfrucht und Kanarenbananen sowie drei Schmuckstücke…

Für ein Sandwich von einem Food Truck, das tatsächlich richtig gut war, hat das Restgeld noch gereicht. Mit kross gebratenem Speck und Salat… Hmmmmm! Hatte ich schon vermisst!

Zu Hause stellte ich fest, dass auf der Dachterrasse der Empfang etwas besser ist als unten. Endlich mal ein paar Minuten ohne extreme Bildstörungen beim Videotelefonat! Letztens am Strand unten bei Nacht ging es zwar etwas besser als oben am Hang, aber es war mir dort zu kalt.

Den Advent habe ich dann mal auf den Abend nach dem Sonnenuntergang verlegt, den abzulichten ich nicht müde werde. Als Ziel hatte ich einen Weihnachtsmarkt in einem anderen Ort, ca. 15 Minuten entfernt, ausgewählt. Zuvor bekam ich noch von einer lieben Palmera, die auf Telegram in einer La-Palma-Gruppe geschrieben hatte, 32 Avocados für 5 Euro aus einer anderen Stadt quasi nach Hause geliefert. Ihr waren die Früchte von den Bäumen gefallen wegen des Unwetters, und sie wollte lieber, dass jemand noch was davon hat, als sie wegzuwerfen. Die grünen Dinger sind unbeschädigt und sogar fast alle noch recht hart. Die Avocados sollten nicht „Hass“ heißen, sondern „Liebe“! Allerdings werde ich nach dieser Menge Avocados sicher so schnell keine mehr wollen.

Nach einer bissel anstrengenden Fahrt im Dunkeln nach El Paso (es ging eine lange Zeit steil auf einer Art löchrigem Feldweg den Berg hoch – langsam glaube ich, die ganze Insel hat nur solche Straßen), ging es mir so wie Michel Sardou in seinem Song „8 jours à El Paso“. Im texanischen El Paso hatte er also 8 Tage verbracht und beklagte sich, dass er in der Zeit kein einziges Pferd gesehen habe. In meinem Fall: ich hab keinen Weihnachtsmarkt gesehen. Ich habe auch herumgefragt. Ne, der sei schon beendet. Es gab noch eine festliche Weihnachtsdeko und ein Haus, das sehr adventlich dekoriert war, in dem ein Bett ausgestellt war als Weihnachtskrippe. Was das für eine Tradition sein soll, entzieht sich leider meinem Verständnis.

Auf den Straßen war weit und breit überhaupt nichts los, ein Parkplatz war leicht zu finden. Tja. Geregnet hatte es hier auch, und als ich herumstravanzte, wurde ich auch nass. Na gut. Sollte wohl nicht sein. So kehrte ich also wieder um und fuhr die lange Lochpiste wieder hinunter, in der Hoffnung, dann wenigstens in Tazacorte noch mal den Weihnachtsmarkt unsicher machen zu können. Am Ende erwartete mich dann aber auch ein bereits geschlossener Festplatz im trocken gebliebenen Tazacorte. Gestern hatte da abends das Leben ja noch getobt. Aber heute war dann wohl Schluss wegen Sonntag. In einem italienischen Restaurant (La Locanda) gab’s dann noch für mich Spaghetti Carbonara (nochmal Speck!) zu fortgeschrittener Stunde.

In der Zwischenzeit hatte sich jedoch etwas Tolles ergeben – ich hatte am Flohmarkt einen Künstler kennengelernt, der Workshops in meinem Ort und anderswo auf der Insel gibt. Ich habe mich an seinem Stand direkt für einen Tageskurs am 27.12. angemeldet – Skizzen kritzeln -, aber dann schrieb er mir, der sei leider doch schon voll. Ich könne aber tageweise an seinem Silvester-Workshop teilnehmen. Da gibt er einen 5-tägigen Kurs für Leute, die extra dafür auf die Insel kommen. Den könnte er zum halben Preis durch mich noch aufstocken. Wow! Ich habe mir gleich die Tage 31.12. und 1.1. ausgesucht, denn sie machen scheint’s auch noch eine Silvesterfeier, und dann habe ich da wenigstens schon mal was geplant. Schließlich habe ich hier bislang niemandem, mit dem ich irgendwie feiern könnte. Ist das nicht cool? Wie alles so einfach zu mir kommt. So schön!

Und als ich ihm bestätigte, „dann lösche ich also leider den 27.12. aus meinem Kalender“, hat er es sich nochmal überlegt und mir spontan für den Tag doch noch einen Platz zugesagt. Nun bin ich bestens versorgt.Und vielleicht freut sich da dann auch wer über den einen oder anderen Avocado.

 

Heringssalat schmeckt am besten, wenn man den Hering durch Huhn ersetzt - 23.12.24

Heute morgen wachte ich auf, weil der Regen draußen so laut herunterprasselte! Dabei war es bisher immer so, dass es zwar hieß, es würde regnen, aber dann passierte nicht wirklich so sehr viel. Ich bin sofort, so schnell mein winselnder Fuß mich tragen konnte, die Treppe hinauf zur oberen Terrasse gestürmt, um zu kontrollieren, ob ich noch Sachen hereintragen muss, oder ob es schon zu spät ist. Ich hatte, schlaftrunken wie ich war, vergessen, dass ich das ja vorgestern schon getan hatte. Alles drin unter Dach und Fach, außer der Matratze. Ob die es aushält, weiß ich nicht. Es liegt ein wasserfestes Spannbetttuch drüber, das total morsch ist und nicht mehr an den Enden hält… Jedenfalls war ich dann ziemlich wach, da nass.

Dieser Regen hat in vorweihnachtlicher Pracht und Begeisterung den ganzen Tag angehalten und jetzt ist es hier zehn Uhr abends, und bis auf kurze Ruhepausen hat der Regen mich den ganzen Tag „beglückt“. Warum soll es mir auch besser gehen als Euch daheim? Immerhin hatte ich einen hübschen Regenbogen neben dem Haus.

Ich habe den Tag genutzt, um meine Online-Studien weiterzubringen und Wäsche zu waschen. Dann hatte ich noch ein langes Coaching und habe mir und der Coachin ein Weihnachtsgeschenk gemacht. Ich habe mir ein „Paket“ gegönnt, um ein fundamentales Problem endlich in Ordnung zu bringen. Es ist nicht einfach, sich selbst so ein großes Geschenk zu machen. Dabei sollte man sich das doch ganz besonders wert sein! Mit Sicherheit weiß man zu schätzen, was man sich da gönnt. Schenkt man jemand anderem einen Gutschein, lässt er den womöglich verfallen. Ist mir öfter passiert, dass ich mein Geld so für Freunde in den Sand gesetzt habe. Auch in der Familie waren ungeliebte Weihnachtsgeschenke gang und gäbe, und ich will mich dabei nicht ausnehmen.

Am Nachmittag schlief ich dann noch ganz gut bei einer Meditation ein. Wahrscheinlich hab ich das nach dem Coaching gebraucht. Das geht ja auch immer an die Substanz. Da ich heute keinen vernünftigen Ausflug in Betracht ziehen konnte, habe ich beschlossen, meinen Heringssalat statt an Silvester für morgen zu machen. Kartoffeln hatte ich ja ohnehin schon dafür gekauft. Und an Silvester bin ich ja eventuell mit der Malergruppe unterwegs.

Der große Laden hat zum Glück eine Tiefgarage. Aber leider keinen Hering! Ich hätte alternativ riesige Tintenfischarmstücke nehmen können, die befand ich aber weder geschmacklich noch optisch als geeignetes Äquivalent. Somit habe ich umbeschlossen und mich auf persischen Salat Olivieh konzentriert. Für den konnte ich alles finden, außer den richtigen Gurken. Da braucht man Salzgurken dafür. Saure Gurken scheinen jedoch etwas zu sein, ohne das der Spanier gut auskommen kann. Es gab nur eine Sorte.

Zu Hause machte ich mich dann mit Weihnachtsplaylist im Hintergrund an die arbeitsaufwändige Herstellung, so wie halt andere Plätzchen backen. Eigentlich dauert Oliviehmachen ca. 4 Stunden. Ich hatte beschlossen, ein bisschen zu schludern, denn schließlich werde ich alles nur allein essen. Mein Ex, der mit Argusaugen drauf geschaut hat, dass ja alles fitzelwinzigfein geschnitten wird, ist ja nicht mehr dabei. Hurra! Prompt bekam ich einen Anruf von ihm während der Vorbereitungsarbeiten, hatte wohl zu viel an seine Kommentare gedacht. Ich wurde, ohne die Telefonzeit zu rechnen, nach bloß ca. 2 3/4 Stunden fertig. Puh, Rekord! Er schmeckt dafür nicht so, wie er sollte. Das kann an den Gurken, an der fremden Mayonnaiseart oder an meiner Schlamperei liegen. Vielleicht wird es ja bis morgen besser. Der Salat muss nämlich im Kühlschrank ziehen.

Ich vermache Euch mal das unweihnachtliche Rezept für den Fall, dass Ihr mal viel zu viel Zeit habt (ich habe heute nur die Hälfte der Menge gemacht):

Persischer Salat Olivieh

(Aufwändig, schmeckt aber toll – Portion für eine Party)

Dies ist eigentlich ein Brotaufstrich, z.B. für Fladenbrot - kann aber auch einfach so gegessen werden!

Hält sich im Kühlschrank ca. 3 Tage. Bitte unbedingt auf richtige Kühlung achten! Nicht an heißen Tagen draußen stehen lassen!

10 Eier, hartgekocht

5 Hähnchenbrustfilets, in Brühe mit Zwiebel sehr weich gekocht

1 ganzes Glas Salzgurken

1 ganzes Glas Thomys Delikatessmayonnaise

12 mittelgroße Salatkartoffeln, in der Schale gekocht

1 Handvoll tiefgefrorene Erbsen, in Brühe kurz aufgekocht (keine aus der Dose nehmen!)

1 große Zitrone

Salz

Pfeffer

Die geschälten Eier mit einem Eierschneider in 3 (!) Richtungen sehr klein zerteilen (es sollten in etwa Würfelchen dabei herauskommen).

Die Kartoffeln schälen und in kleine Würfelchen schneiden

Die Salzgurken entstielen und möglichst klein schneiden (mal wieder Würfelchen).

Die Hähnchenbrust mit 2 Gabeln sehr fein zerfasern. Wirklich in Fasern, nicht in Stücke zerlegen! Man sieht sie hinterher idealerweise nicht mehr!

Alles mit den Erbsen, fast der ganzen Mayonnaise und dem Saft der ganzen Zitrone mischen, salzen, pfeffern. Gut abschmecken, nicht zu wenig Salz nehmen.

Oben drauf eine dünne Schicht Mayonnaise streichen.

Kaltstellen, am besten über Nacht.

Vor dem Servieren dekorieren, z.B. mit weiteren Zitronenscheiben oder Wörter mit Erbsen drauflegen.

 

Fröhliche Wein-Nachten! - 24.12.2024

Heute ist es soweit. Bei Euch daheim leuchten die Kinderaugen, solange der Startschuss zum Geschenkeöffnen noch nicht gefallen ist, die Erwachsenen schauen sich weinselig in die Augen, die künstlichen Lichterketten flackern irr am Weihnachtsbaum in allen Farben, Opa fällt das künstliche Gebiss in die Suppe und Oma hat keine Ahnung, wo ihr Hörgerät ist, und den ganzen Abend geht es um nichts anderes. Holder Knabe im lockigen Haar schmiert seine Rotzglocke an Mamas schönstes Festkleid. Die Gans ist angebrannt und ziemlich dunkel. Beim Blaukraut hat „irgendwer“ vergessen, dass man ab und zu mal durchrühren sollte. Die Geschenke, die das „Christkind“ in stundenlanger Mühsal wunderschön eingewickelt und mit Schleifen verziert hat, sind in 7,3 Sekunden von der Kinderschar ausgepackt worden und entsprechen nicht ihren Wünschen, und somit benehmen sich die kleinen Tyrannen noch ein paar Ticks flegelhafter als sonst – kurzum, Ihr habt Spaß!

All dem bin ich entkommen! Hurra! Und weil ich nicht da bin, ist auch meiner lieber Freund entkommen, er muss nicht mit mir gemeinsam feierlich am Tisch sitzen und gute Miene zum missratenen Essen und der seltsam gezwungenen Unterhaltung machen, die an diesem Tag eventuell aufkäme. Der Sohn darf sich zu Essen bestellen, was auch immer er will, und morgen geht er Skifahren. So sind wir alle happy!

Der Tag fing allerdings nicht ganz so gut an, es regnete auch heute morgen noch, und ich musste erstmal Wasser von der Terrasse wegschippen, das da ziemlich tief vor der Türschwelle stand. An Weihnachten barfuß im Hochwasser zu stehen hat was. Ein hoffentlich einmaliges Erlebnis! Im Laufe des Tages wurde es dann aber noch ganz nett. In der Zwischenzeit habe ich von der Couch aus mindestens 50 WhatsApp Nachrichten verschickt und sogar welche zurückbekommen.

Der Vermieterin meiner Wohnungsgeberin, einer alten Dame, habe ich von dem gestern gezauberten Salat die Hälfte herausgenommen und eine Art von Tannenbaum mit den Erbsen draufstilisiert. Eine Anisblütenstern durfte als Christbaumspitze dienen. Sie hat sich total gefreut, auch wenn wir uns kaum unterhalten können. Ich jedenfalls verstehe nicht, was sie sagt in diesem komischen unspanischen Kauderwelsch. Ob sie Schulbuchspanisch versteht, ist auch unklar. Ihre Reaktionen entsprechen nicht dem, was man landläufig so erwartet.

Als dann klar war, dass der Regen erstmal ausgestanden ist, fuhr ich an den Strand hinunter. Da entstand folgendes kleines Geschichtchen:

 

*****Weihnachtswellen

Carmina hatte am Strand zu ihrer Freude eine freie Liege entdeckt. Es war schon nach 17 Uhr und außerdem Weihnachten. Sie vertraute auf ihr Glück, zu dieser Stunde nicht mehr behelligt zu werden, und ließ sich häuslich nieder. Eigentlich hatte sie nur einen Kaffee trinken wollen, aber dann war sie doch noch ein Stück weiter bis an den schwarzen Strand gefahren.

Sie trug ihr schönes rotes Weihnachtskleid mit Elchen und Weihnachtssternen und langen Ärmeln, das nur drei Tage im Jahr seine Existenzberechtigung einforderte. Die anderen Urlauber waren nackt, standen oder schwammen im Meer. Ein paar Kinder bauten eine Sandburg und riefen immer wieder den Vorübergehenden „Feliz Navidad“ zu, voller Freude, diesen Wunsch in der Fremdsprache gelernt zu haben.

Jemand paddelte in einem schwarzen Holzkanu quer über die Bucht. Die Sonne würde bereits in einer knappen Stunde untergehen. Dann würde es sehr schnell kalt werden.

Auf einmal fiel ein Schatten über sie, der einem jungen, freundlichen Mann gehörte. "Sorry, lady, If you sit here, you have to pay, it's for rent."

Sie war erst einmal unschlüssig, was sie tun sollte. Normalerweise wäre sie jetzt verärgert aufgestanden. Aber heute war Weihnachten. Der Wärter musste auch arbeiten. Sein Boss hatte ihn, wie er sagte, heute extra hierher beordert, dabei hatte er gehofft, den Nachmittag mit seiner Freundin verbringen zu können. Am Morgen hatte es nämlich – untypisch für diese Gegend –  in Strömen geregnet.

Carmina rückte also die geforderten zwei Euro heraus: "Feliz Navidad!" sagte auch sie mit einem strahlenden Lächeln. Denn schließlich: Wann sonst sitzt man schon Heiligabend am Meer, genau vor dem Sonnenuntergang, während daheim alle anderen die Bescherung unter dem Christbaum zelebrieren?

Die anderen hier am Strand würden später in ihr Hotel zurückkehren und ihr Diner vom professionell dekorierten Galabuffet auswählen, später einer überdrehten Animation lauschen oder das Tanzbein zu Evergreens schwingen, die ihren Eltern gefallen hätten.

Carmina war aber für sich und mit sich hier. Dies war ihre private Weihnachtsfeier mit dem Meer. Nur sie, die Sonne und die Wellen.******

Als es Carmina bzw. mir (was? Nööööö, meine Geschichten sind doch niiiie autobiographisch!) dort zu kalt wurde, setzte ich mich noch in das einzig geöffnete Lokal. Ich bekam sogar einen Platz im Warmen. Dort bestellte ich das Tagesmenü. Wiederum hatte ich mit dieser komischen Sprache hier zu kämpfen. Der Kellner sprach auch so, als hätte er keinerlei Zähne im Mund. Man hört nur die Vokale, der Rest bleibt fast alles stumm. Jedenfalls stellte sich dann heraus, dass ich eine Semmel mit Mojo Rojo und ein Glas Wein bekam. Die Sauce war recht gut und nicht scharf, so dass eine Semmel schon fast zu wenig dafür war. Danach kam dann ein gräulicher Fisch mit Kartoffeln und Salat. Da war der Rest des Mojos drauf ganz dekorativ. Im Anschluss bestellte ich mir noch eine Süßspeise, die als typisch angepriesen war und sich als ein chemisches Wunderwerk erwies, da hier ja doch etwa ein Pfund Zucker so zusammengeschmolzen worden war, dass alles in ein kleines Gläschen passte. Eigentlich sollten da drin Honig, Mandeln und Kekse sein. Davon war nichts zu bemerken. Bienmesabe heißt dieses Zeug, das Ihr besser links liegen lasst, wenn ihr keinen glykämischen Schock haben wollt.

Nun bin ich wieder zuhause, wo ich dem unbekannten Korkenzieher Paroli geboten habe, indem ich seine Funktionsweise gegoogelt habe. Sehr unpraktisch das Ding, ich werde meinen nicht eintauschen. Der Wein-Nachts-Wein ist jedenfalls gut! Auf unser aller Wohl!

Erster Weihnachtsfeiertag unter Palmen - 25.12.2024

Heute gibt es mal nicht so viel zu berichten. Erstens: es ist immer noch Weihnachten. Zweitens: ich bekomme davon immer noch so gut wie gar nichts mit, heute noch weniger als gestern. Drittens: ich habe mal versucht, meinen Einzugsbereich oder eher Auszugsbereich in die andere Richtung zu erweitern. Meine Fahrt führte wiederum durch die vom Vulkan geschlagene Schneise der Verwüstung, die bedrohlichen schwarzen Lavabrocken, die mir nun bereits bekannt sind wie alte Feinde. Vielleicht sind die auch gar nicht so steinhart wie ich dachte, sondern bergen fruchtbare Erde in sich? Das wäre zu hoffen. Aussehen tut es jedenfalls fürchterlich und lebensunfreundlich.

Am Ende der schwarzen Strecke ging es dann den Hang hinunter, diesmal sogar auf einer recht gut ausgebauten Straße. Nur die Serpentinen erinnern einen daran, dass hier alles Mögliche zu erwarten ist, z.B. große Steine auf der Straße oder einen Bus hinter der nächsten Kurve, die man sicherheitshalber (jedenfalls mit meinem schwachbrüstigen Auto) runterwärts im 2. Gang und raufwärts im 1. Gang nehmen sollte. An Stellen, wo es richtig schön gefährlich wird, fehlt dann auch noch die Leitplanke, und aus dem Nichts schlängelt sich eine Auffahrt von unten auf die Straße, mitten in der Kurve. In einem kaum mehr zu überbietenden Steilheitsgrad.

Na gut, der Ort direkt hinter der schwarzen Hölle heißt Bombilla – Glühbirne wegen des Leuchtfeuers für die Schiffe. Heute ist die Siedlung wegen des Gasaustritts nach dem Vulkanausbruch 2021 nicht mehr bewohnt, man sollte sich dort scheint’s auch nicht aufhalten.

Spaßeshalber brachte ich mein Navi, auf dem ich was anderes voreingestellt hatte, zur Verzweiflung, indem ich spontan einem Schild zum Astronomischen Turm folgte, was ich dann aber nicht bis zum Ende verfolgte. Dazwischen hatte ich nämlich einen Ausblick auf das Dorf und den am Strand liegenden riesigen Lavabrocken. In meinem Buch hieß es, dass gelegentlich halbkilometergroße Lavastücke den Berg herunterrollten, das dürfte schwer übertrieben sein. Aber dieser Brocken hatte jedenfalls ein sehr ungewöhnliches Format und war fotografierenswert.

Da es erst 14 Uhr war, habe ich den Turm lieber in Ruhe gelassen, vermutlich sieht man mittags nicht viel vom Sternenhimmel. Oder vielleicht doch, aber ich hatte keine Lust, den Turm hochzukeuchen. Die werde ich übrigens auch am Abend nicht haben.

Danach kehrte ich also um und fuhr mit wieder versöhntem Navi in die ursprünglich geplante Richtung zum Puerto-Naos-Strand. Dies soll angeblich der breiteste der Insel sein. Ich finde den von Tazacorte breiter, aber wahrscheinlich bin ich nicht gut im Schätzen. Jedenfalls hat er eine vorgelagerte Strandpromenade mit Lokalen und höhere Preise für die Liegen, auch mehr davon, sowie zwei Strandlokale.

Ich gönnte mir einen Liegeplatz oberhalb des Sandes, obwohl ich mein neu erworbenes riesiges Strandtuch mitgebracht hatte. Es wehte nämlich eine ziemliche Brise, die den schwarzen Staub herumwirbelte, und ich hatte keine Lust auf Panade. So habe ich in meinem Buch gesittet auf meiner Sonnenliege gelesen und aufs Ins-Wasser-Gehen auch diesmal verzichtet, wiewohl der Grund jetzt ein anderer war. Der Strand hier besteht nämlich in großen Teilen aus großen Steinen. Das kann ich gar nicht leiden. Bei mir muss es Sand sein, sonst geh ich gar nicht erst ins Wasser. Mein linker Fuß ist schon malträtiert genug.

Später ließ ich mich auf der Promenade nieder. Alle Stühle waren besetzt, aber ein großes Liegebett für 2 Personen war es nicht. Sowas in der Art gibt es eher in Kinos. Ich habe den anderen Platz sicherheitshalber gleich mit meinen Habseligkeiten vollgestellt, nicht dass sich da noch Anhang fände. Es gab Anchovis mit Tomaten und Tacos mit Guacamole. Dabei hatte ich leider vergessen, dass ich ja in Kürze, sobald meine Avocados reif werden, sicher Guacamole bis zum Überdruss selber herstellen werde. Auch so kann ich schon mal sagen, dass meine besser schmeckt als die im Lokal. Hier habe ich nun auch das Getränk „Barraquito“ (kleine Hütte) zum ersten Mal probiert. Das ist ein ganz leckeres geschichtetes, schön anzusehendes Kaffeegetränk aus gezuckerter Kondensmilch, Likör, Espresso und Milchschaum. Oben drauf war eine Menge Zimtpulver.

Nun bin ich wieder zuhause und mache heute Abend noch einen Zoom mit meinen Getreuinnen. Nicht mal an Weihnachten machen wir Pause. Denn wir haben was davon: es tut uns gut.

Vor meiner Nase schickt sich der Himmel an, ungemütlich zu werden, ich gehe jetzt besser hinein, bevor die ersten Blitze kommen.

 

Lavatoleranz - 26.12.2024

Nachdem ich heute morgen mit meinem Liebsten über 4000 km Entfernung per Zoom gemeinsam gefrühstückt hatte, beschloss ich, auch wenn das Wetter heute nicht so arg vielversprechend aussah, wieder in dieselbe Richtung wie gestern zu fahren. Dort gibt es in nächster Nähe einen weiteren Strand. Sein Name klang mysteriös-verheißungsvoll: Charco Verde. Grüne Pfütze hab ich das übersetzt. Vielleicht ein lebensgefährlicher Chemiecocktail? Bei dem es einem sofort die Haut ablöst, wenn man da ins Wasser geht? Jedenfalls hatte ich vermutet, dass dort irgendwas Grünes ist. Wasser oder Land.

Auf dem Hinweg fuhr ich natürlich wieder über die nun hinreichend bekannte Lavaebene, mitten durch die trübsinnigen Geröllhalden. Heute hab ich übrigens so einen Lavabrocken mit der Hand angelangt, um zu sehen, ob er nicht vielleicht doch zerkrümelbar ist. Aber nein, das ist ja hart wie Beton! Also nichts mit meiner schönen Vorstellung vom sich bald lieblich auftuenden grünenden Tal. Seufz.

Am Strand unterhalb hunderter hässlicher, weißummantelter, riesiger Gewächshäuser mit Bananen und anderem, was nicht zu erkennen war, angekommen, stellte ich dann fest, dass das Einzige, was in der Bucht so tut, als sei es grün, ein bisschen wildwachsendes Unkraut und sich tapfer behaupten wollende Drachenbaumjunioren inmitten der Lava sind. Ansonsten alles wieder komplett schwarz, sogar noch schwärzer als da, wo ich gestern war. Im Wasser vorgelagert außerdem schwarze Felsplatten. Heute wurde es dann richtig heiß und ich hätte gut Lust gehabt, ins Wasser zu gehen. Aber ich will mir weder den Fuß brechen, noch zwar noch mit Müh und Not rein-, aber nicht mehr rauskommen können. Schließlich kann ich ja nur mit allergrößter Anstrengung vom Boden aufstehen dank meiner Einbauten. Im Wasser wird es dann noch ein Stück schwieriger, besonders, wenn einem Wellen auf den Rücken dreschen!

Somit blieb mir nichts anderes übrig, als am Strand zu bleiben und mich wenigstens langsam mal mit dem schwarzen Sand zu versöhnen. Ich finde den nicht schön im Gegensatz zu weißem Sand. Das ist so, wie wenn man mit Sepiatinte eingefärbte schwarze Spaghetti essen soll, irgendwas sträubt sich da. Immerhin habe ich es geschafft, mir unter meiner Decke ein halbwegs gemütliches Bett mit dem Sand zu kreieren und ab und zu mit dem Fuß drin zu graben. Langsames Mich-Aussetzen wie bei Leuten mit einer Schlangenphobie, denen man dann empfiehlt, das niedliche Tierchen – bussibussiiii! - mal ein bisschen zu streicheln. So schön weeeeich, und waaarm… OK, ich kann auch verzichten.

In meinem Buch lässt der Autor (dem es nun eingefallen ist, dass der Protagonist sich, um den drögen, verkommenen Schreckensort Tazacorte möglichst schnell verlassen zu können, prostituieren könnte, um das Geld für die Überfahrt mit einem Schiff, das es aber nirgends gibt, zu erarbeiten) kein gutes Haar an den Lavamassen, Lavafelsen, Lavapisten, Lavagesteinsformationen und im Übrigen - Ihr habt’s sicher erraten – an Lava. Es bleibt nicht aus, dass ich, die ich am Ort des Geschehens bin, mir auch immer die Gedanken mitmache, die er sich macht, die Pisten mit hinauffahre mit seinem alten Mercedes und in der Kipplore mitabstürze, die ein heimtückischer Mensch gekappt hat. Hach ja, und dazwischen das Grauen über die Schwärze der Insel empfinde.

Aber inzwischen ist es eigentlich so, dass mich das Grauen nicht mehr am Wickel hat. Es lässt nach. Ich freunde mich an. Ich beginne, mit der Schwärze zu leben wie die anderen. In dem Buch ähneln die Bewohner der Insel Ameisen, die offenbar immer damit beschäftigt sind, irgendwo neue Lavaverwüstungen mit dem Bagger und Schaufeln zu entsorgen, wieder neue Straßen in die vulkanischen Hinterlassenschaften zu sprengen, wo vor kurzem noch eine Straße gewesen war. Das Buch wurde übrigens lange vor dem Vulkanausbruch von 2021 geschrieben.

Als Trost heißt es, der Vulkan flösse nie an einer Stelle über, wo er das schon mal getan habe. So wie Wespen angeblich nicht mehr im selben Rollokasten nisten, wo sie schon mal ein Nest gebaut hatten. De facto heißt das aber: Insel läuft immer wieder aus, jedes Mal wo anders. Wenn man lange genug lebt, kann man dann wohl sehen, wie die Insel rundherum verschwarzt. Jede grüne Fläche wird verfinstert, das ist dann das Schicksal dieser Insel und der Insulaner. Na merci. Ich hoffe, das ist reine Fiktion, so wie die neue Netflix-Serie mit dem Tsunami vor La Palma.

Die Bewohner auf jeden Fall kultivieren die schwarze Fläche, erschließen sich ihr Refugium ein zweites Mal, kehren zurück, wo es nicht mehr möglich war, beleben Totgesagtes und lassen, im Gegensatz zu dem Romanstoff – so wie ich es empfinde -, Liebe, Freude und Herzblut hineinfließen, so dass auch die verschandelten Bereiche wieder vermenschlicht werden. Der Mensch hat so viel Energie, so viel Beharrlichkeit und Tatkraft. (Also, der Mensch an sich, von mir rede ich hier besser nicht. Ich bin zur Zeit recht bemüht unterwegs.)

Nachdem mir die Bucht genug der Schwärze geliefert hatte (die Pfütze davor war übrigens blau und nicht gerade klein), fuhr ich noch ein paar wenige Kilometer weiter. El Remo hatte ich in der Tourist Information auch als interessant angekreuzt. Als ich dann drüber nachlas, stellte sich heraus, dass dies ein Ort ist, der wohl zweigeteilt ist in ein ordentliches, stinknormales Viertel und eines mit abgerissenen ollen Barracken und Kaschemmen. Die Kioske am Meer, die den Hauptcharme des Ortes ausgemacht hätten, seien aber inzwischen alle geschlossen. In dem Ort wohnen angeblich Leute, die genug Geld haben, sich was Tolleres zu leisten, sie wohnen aber explizit da, weil ihnen der verfallene Look so den Kick gibt, das fänden sie schick. Also nicht zu verwechseln mit San Remo, würde ich mal sagen.

Ich habe etliche Fotos gemacht und irgendwie niemanden gesehen, den ich als reich eingeschätzt hätte. Dafür hat sich seit Erstellung des Blogbeitrags von 2016 aber vieles geändert, denn mindestens 3 Kioske sind am Meer neu entstanden, einer davon hypermodern. Ich habe in einem dann zu Abend gegessen. Inzwischen sogar in der Lage, auf dem Lavageröll zu gehen, lief ich im Stockfinsteren auf dem Damm zu meinem Auto zurück und beobachtete dabei das Meer. Allerdings hat dieses doofe Schwindelgefühl mich im Griff und lässt mich momentan nicht richtig geradeaus gehen. Sieht wahrscheinlich aus, als sei ich angeschickert. Im Bier war aber 0,0 Prozent. Das nennt sich hier „sin“ (ohne – ohne Sünde). Es gibt hier viel mehr „sin“ als in Deutschland, habe ich den Eindruck. Etliche Sorten Getränke.

Als ich dann schon sin - ohne Navi - nach Hause fand, durfte ich von der Terrasse aus noch eine schönes Gospelkonzert im Ort unter mir anhören. Heute kann man endlich wieder im Freien sitzen, dabei hat es heute Nacht wieder schrecklich runtergepfladdert. Wenn es nur nächtens regnet, kann mir das ja egal sein. Die Insel freut sich und begrünt die Lava vielleicht statt in 80 Jahren bereits in 79.

 

Leon – der Wundenheiler - 27.12.2024

Eine der besten Ideen überhaupt war, heute an diesem Zeichenkurs von einem Leon Sieber teilzunehmen, den ich auf dem Flohmarkt kennengelernt hatte: „Skizzen kritzeln“. Ich war ja bislang der Meinung, dass das Zeichen- und Malergen in unserer Familie leider eine Generation übersprungen hat. In dem Kurs unter dem schönen Bougainvillea-Bogen vor der Kirche San Miguel in Tazacorte (die ich heute auch endlich mal von innen gesehen habe) wurde ich zwar nicht direkt eines Besseren belehrt, aber ich hatte jedenfalls riesig viel Spaß am Tun! So viel, dass ich das vermehren möchte und noch weitere Termine ausgemacht habe.

Leons Ansatz gefällt mir total – da ist soviel Spaß, Spielerei und Leichtigkeit dabei: Erst mal loslegen und nachher kucken, ob’s Kunst ist! Das ist doch einen Versuch wert! Wir haben verschiedenste Anläufe genommen: Mit der falschen Hand, hinterm Rücken, mit einer Zeitvorgabe vor nur ein paar Sekunden, im Laufen, mit Weiterreichen des Blatts à la „mein Vater plätschert lustig in der Badewanne“ (hoffe, Ihr kennt das Spiel noch), mit Zeichnen, ohne hinzuschauen, von unten nach oben, von vorn nach hinten, mit Schlenkerarm und rollendem Kreiselstift, mit Sucherrahmen, mit einem mittels Rollorippe um einen halben Meter verlängerten Stift und Pinsel…

Und als alles gelockert und froh gestimmt war und die alten Spießerallüren sich alle von selbst verdrückt hatten, als wir nur noch spielwütig herumtändelten und angemessen unernst waren (noch dazu ein bisschen verschleckert durch meine mitgebrachten Trüffel), als wir die Zeichenstunde nur noch als kleine Schäkerei mit Bleistift und Farbe gesehen haben, drückte er uns Stifte in die Hand, Wasserbecher standen am Boden für unsere ellenlangen Pinsel, und er rückte das Aquarellpapier heraus. „Nutzt die Schraffurtechniken, die wir gerade ausprobiert haben (das waren diverse, abwechselnd im Sekundentakt), nehmt von Material, was Ihr wollt zum Zeichnen (er hatte meterweise Sachen mitgebracht und ausgebreitet), sucht Euch ein Motiv - wenn Ihr wollt, mit dem Rahmen (er hatte welche aus Orangenkisten oder sowas gebastelt), und dann legt los! Die Stifte sind wasserlöslich.“ Mehr Anleitung gab es nicht, aber wir wussten, was zu tun war. Inzwischen loderte das Feuer lichterloh in uns allen!

Und so werkelte jeder irgendwo auf dem Gelände in seiner selbstgeschaffenen Stille vor sich hin, tobte mit dem Stift übers Papier, tritschelte Farbe darüber, konturierte, schattierte, schraffierte nach Herzenslust. Zwischendurch kam Leon und gab keinen Ratschlag, sondern in eigenen Worten ein „Ratstreicheln“, und jeder kreierte ein Kunstwerk nach eigener Façon. So viele Menschen, so viele verschiedene Herangehensweisen! Ein Gemälde schöner als das andere.

Bei der Synopsis fand Leon zu jedem Werk wunderbare Worte des Lobes, fühlte sich komplett in jedes Bild und dessen Entstehung und siegreich überwundene Schwierigkeiten ein und würdigte seine spezielle Eigenart, seine interessanten, charakteristischen Effekte und ließ uns alle die Wirkung von frei gelassenem Raum, Schraffur, leichtherziger Farbträumerei, Detailverzicht, Perspektivgenialität, Weiche und Kontrastgebung und aberwitzig-gelungener Farbzusammenstellung genießen, so dass ein jeder sein derart herausgekitzeltes und gebauchpinseltes Künstlergen aufwachen spürte, sogar ich. Wie er selber so schön sagte: an seinem Unartigkurs soll jeder nicht teilnehmen, der Spaß vermeiden möchte!

Im Anschluss sackte ich noch ein bisserl am Hafen ab, bei fetziger Musik, Tintenfisch in einer neuen Variante und frittierter Yucca. Ich probiere alles, was nicht Standard ist. (Judith sprach ja auch von Freunden, die Improtheater spielen. Wenn es so weitergeht, probiere ich das auch noch!)

Als ich heute gemessenen Schrittes einen Zebrastreifen querte, fuhr ein Auto mit offenen Fenstern heran, aus denen knallbunte lateinamerikanische Rhythmen dröhnten. Und ich in meinem Hexenmantel fing auf dem Zebrastreifen an zu tanzen. Sollen sie sich doch denken „die durchgeknallte Alte!“ Ich umarme das Leben! Viel zu lang habe ich mich in Unsichtbarkeit geübt. Auf meine alten Tage darf das auch anders werden! Das Leben ist zu wunderherrlich, um fade und piefig gelebt zu werden wie von Otto Normalverdrüssler! In mir schreit es nach Bewegung, satter Farbenpracht, Mut zum Experimentieren, zum Auffallen und Aus-mir-Herausgehen. Ich bin nicht was Besonderes, aber ich will auf besondere Weise weiterleben, so dass ich am Ende sagen kann: „Wow! Das hat sich sowas von gelohnt!“ – Kommt Ihr mit?

 

Mit lieben Menschen zusammen - 28.12.2024

Der heutige Morgen stand nochmal im Zeichen der Raunachtsüberlegungen. Ich habe alle blöden Erlebnisse und Vorkommnisse, die mich im letzten Jahr bedrückt haben, aufgeschrieben, auf einem anderen Zettel habe ich dann den Kontrapunkt dazu notiert, so dass das Widernis nicht mehr auftritt – z.B.: “Meine Freunde hatten 2024 so viel Leid in ihrem Leben, das hat auch mich runtergezogen” – und ins Gegenteil verwandelt: “Meine Freunde haben 2025 so viel Freude in ihrem Leben, dass es mein Herz erhebt”. Den Miesmacherzettel habe ich dann verbrannt. Das war einmal. Jetzt ist es vorbei, ab jetzt wird alles gut und rein!

Später hatte ich einen Zoom zum Thema Freiheit – Digitale Nomaden – Überall leben, wo man möchte. Solche Gedanken können einem ja schon kommen, wenn man den Winter hier ist. Da überlegt man sich ja, ob das vielleicht eine Möglichkeit wäre, so etwas öfter zu machen. Und wie man dann den Partner optimal einbinden könnte, wenn der nicht so reisefreudig ist wie man selbst. Ich bin halt irgendwie ein hupferter Typ ohne meterlange Wurzeln, der noch nie ein Problem mit Heimweh hatte.

Nicht mal nach in Indien, wo ich im Krankenhaus lag, habe ich gesagt: Gottseidank, jetzt wieder Deutschland! Denn dort war das Krankenhauspersonal, so unglaublich freundlich zu mir, dass für mich die Anwesenheit dieser Menschen (und es waren viele verschiedene, die täglich in mein Zimmer kamen) jeden Tag ein Geschenk war. Das indische Essen konnte ich nicht mehr sehen, das ist wohl wahr; wenn man zum Frühstück schon feurigscharfe Knoblauchsuppe bekommt, ist der Tag schon gelaufen. Jedenfalls, wenn man so wie ich, Knoblauch nicht verträgt. Meine Wurzeln sind eher die Verstrickungen, die mich an Haus und Hof gebunden halten, Ahnengeschichten, Sentimentalitäten und Erinnerungen. Aber nicht, dass ich nicht wo anders auch glücklich sein könnte.

Nun bin ich aber hier, vergesst Indien ganz schnell! Augenmerk liegt wieder auf La Palma… Nach dem Zoom düste ich mit meinem Töff in Windeseile zum Hafen hinunter, wo heute auch ein Zeichenkurs des Leons von gestern stattfand. Die anderen hatten bereits seit 20 Minuten begonnen, aber das hinderte mich nicht daran, fleißig mitzumachen. Heute ging es um den Themenkomplex Collage, dem ich mich dann in zwei Bildern widmete.

Es hat wieder total Spaß gemacht, und ich war absolut im Flow. So eine Arbeit am Bild ist ja wie eine Meditation. Man vergisst komplett die Welt außenherum. Ich hatte dann noch die Idee, mein Bild am Rand anzuschmurzeln, nachdem ich heute schon mit dem Zettel am Morgen rumgezündelt hatte. Ein einheimischer Tagedieb hatte ein Feuerzeug für mich. Einen Teil des einen Bildes habe ich auch mithilfe eines Gullideckels schraffiert, bzw. diesen durchgepaust (Frottage). Einen 10.000er Geldschein habe ich auch mit eingebunden. Dass es keine Euros waren, könnt Ihr Euch denken, von denen gibt es ja keine so großen Scheine.

Ich war jedenfalls zufrieden mit dem heute neu Entstandenen. Leon fand wieder für jedermann die passenden Worte, belebte intensiv jedes Gemälde von innen, so dass er dessen Einzigartigkeit in einer Wortkaskade erfrischend und wohltuend herabrieseln ließ und jeder sich fühlte, als sei sein Bild das Beste der ganzen Gruppe. Leon beherrscht das einfach. Das ist eine Stärke, die ungewöhnlich ist, finde ich. Ich wünschte, solche Kunstlehrer hätte ich mal gehabt! Stattdessen kamen sie mit einem Rotstift und schmierten ihre Verbesserungsvorschläge in das fertige Bild, so dass es für immer verdorben war. Das war nur frustrierend und ich bekam jedes Mal eine Riesenwut, nachdem ich mich so angestrengt hatte.

Im Anschluss an den sehr netten Malkurs gab es heute ein ebenso fröhliches Abendessen in lustiger Gesellschaft – ich hatte gefragt, ob jemand noch zum Essen geht, und drei Personen, die das eigentlich nicht vorhatten, haben kurzentschlossen ihre Abendpläne umgestellt. Dann bekam ich einen feinen Schmaus – einen Kaiserbarsch (Alfonsiño) mit Weißwein. Da wir den Fisch aber zu zweit verspeisten, war er vorher auf sehr merkwürdige Weise geteilt worden, denn auch der Kopf war der Länge nach durchgeschnitten worden, und das sah irgendwie nicht so prickelnd aus. Ein Bild des Schreckens füge ich bei. Enjoy! Oder gruselt Euch im Stillen. Auf jeden Fall ein toller Nachmittag und Abend auch heute. Es macht so viel Spaß, nicht nur die eigenen schrägen Gedanken zu wälzen, sondern auch über die gedanklichen Höhenflüge der anderen mitzuschmunzeln!

 

Meerweh und Geldbeutel-Ach - 29.12.2024

Willkommen zu meiner Abendrundschau! Heute war ein vielseitiger Tag. Zunächst war ich wieder auf dem Flohmarkt in Argual. Dort traf ich mittlerweile ein paar bekannte Gestalten – ich wurde wiedererkannt und freudig begrüßt. Die ältere Dame von neulich wusste noch, wie ich heiße, diejenige, die die Kette für mich basteln wollte, hatte den Auftrag total vergessen (dafür habe ich wo anders eine ganz hübsche Kette gefunden und noch so einiges), und Leon hatte wieder seinen Kunststand, an dem ich dann heute auch wieder ein bisschen herumdilettierte. Wieder etwas Neues – diesmal Stempelabdrücke in die Bilder einpassen. Und morgen lauf ich ihm schon wieder über den Weg, und zwar absichtlich, da ist Aquarellkurs in der Caldera.

Auf dem Flohmarkt gab es diesmal einen Stand mit frischgepresstem Zuckerrohrsirup, der war super. Dafür hab ich auf den leckeren Toast verzichtet, denn ich hatte mir was zum Frühstück gekocht.

Neben dem Flohmarkt ist ein Museum, Casa del Conde – das Haus des Grafen. Es sollte gerade geschlossen werden, als ich kam, aber dann durfte ich doch noch hinein. Unten waren noch ein paar Möbelstücke einer vergangenen Zeit, oben eine Ausstellung. Eine private Kapelle hatte man hier auch im Haus. Praktischerweise musste man da drin vorbei, wenn man die Treppe hinunterging, also immer schön fleißig beten. Prayer to go.

Auf dem Flohmarkt hatte inzwischen eine Frau ihren SUV im Boden festgefressen. Wie sehr sie auch beschleunigte, flogen nur die Steine, es ging nichts mehr voran. Der Grund: Sie war einfach über einen Baumstumpf gefahren und hing nun mittig auf diesem. 4 Männer kamen auf meine Bitte, um ihr zu helfen, aber auch die konnten den Wagen nicht herunterheben. Ich hatte aber keine Lust, bis zum Ende der „Vorstellung“ zu warten. Man riet ihr jedenfalls, einen Abschleppdienst zu ordern, bevor sie den Auspuff abreißt.

Von dort aus fuhr ich zum Hafen und besichtigte die riesige Bauruine. Hier wurden die EU-Gelder im Meer versenkt, es waren zwei ewig lange Bogenhallen als Wellenbrecher oder sowas gebaut worden, um einen für Kreuzfahrtschiffe geeigneten Hafen zu bieten. Man hatte aber nicht nachgemessen, wie groß so ein Kreuzfahrtschiff wirklich ist. Jedenfalls größer als der Hafen.

Diese Wellenbrecher sehen aus wie eine besondere Art von Wandelgang, mit einem rot-weißen Absperrband und Warnschild versehen. In diesem Lost Place fällt schon der Beton herunter, aber Ich habe mich trotzdem hinein getraut und etliche schöne Bilder gemacht. Ich sehe die vordere von diesen parallelen Bogenhallen ja nachts beleuchtet von meiner Terrasse. Wenigstens weiß ich jetzt mal wie das von der Nähe ausschaut. Dazwischen befindet sich ein enormer Platz, der vollkommen leer ist, man darf auch nicht mit dem Auto darauf fahren. Man könnte da zum Beispiel ein Konzert von den Rolling Stones abhalten.

Nach so viel Bewegung war der Strand dran, und oh Wunder – heute habe ich mich aufgerafft, ins Wasser zu gehen. Es war nicht mal schlimm kalt. Es war nur äußerst ungemütlich, hineinzugehen, und ganz schlimm für mich, wieder rauszukommen. Ich habe fast jemanden um Hilfe bitten müssen. Dabei waren keine hohen Wellen in Sicht. Es ist einfach, dass ich auf Gestein nicht zurechtkomme und ein echtes Problem damit habe, im Gleichgewicht zu bleiben. Der kleinste Wellenhügel schubst mich schon um. Meine Füße haben danach laut geschrien. Sehr laut. Dabei war es grade etwas besser gewesen mit dem Fersensporn. In dem Film A hard day’s night von den Beatles sagt George Harrison die gezeigten Hemden seien richtige „Hauschüs“, abgekürzt für Hautabschürfer. So ging es mir heute auch mit dem Uferbereich.

Diese Eskapaden haben meinen Körper so erschreckt, vor allem meine Füße so zerschunden, dass ich danach sofort in einen tiefen, traumlosen Schlaf fiel – einer Ohnmacht nicht unähnlich. Das ist für meinen Körper ja das probate Mittel der Wahl: Schlafen oder wenigstens weggehen, wegfahren und wenn es schlimm ist – verreisen. Da ich heute bereits mein Tagesprogramm an Schritten erfüllt hatte, erfolgte also die Überwältigung durch Morpheus.

Das erinnert mich: in der Casa del Conde kam ich übrigens zu einer der Ausstellungen zu spät. Man war gerade beim Abhängen. Aber dann wurden mir alle Bilder, die bereits abgenommen waren, einzeln vorgeführt – quasi eine Privataudienz. Es handelte sich bei allen um Götter – künstlerisch inszenierte Aktfotografien von Modellen, die verschiedenste Götter in ihrer, sagen wir mal, natürlichen Umgebung darstellen sollten. Und hier hat mir abgesehen von Pachamama, der Mutter Erde bei den indigenen Völkern, der Gott Hades besonders imponiert. Der sah wirklich gut aus, wäre genau mein Typ gewesen, war ja auch der einzige Mann unter all den gezeigten Schönheiten. Für 135 € hätte ich ihn haben können.

Nach dem Sonnenuntergang, der wie immer traumhaft farbenfroh über dem Meer aussah, fand ich in einem neu entdeckten angrenzenden Restaurant einen Platz mit einem Blick auf dem massiven schwarzen Bergrücken, der einem riesenhaften Tier ähnelte, vielleicht einem Wildschwein, während der Rest des Tageslichtes sich gelb, orange, rot und lila im Wasser ertränkte – im Augenwinkel flitterbegrenzt von der noch weihnachtlich nachklingenden Dekoorgie.

Ich bestellte nach Empfehlung des Kellners. Meine Fischsuppe war gekrönt von einer schwarzen Muschel und einem einbeinigen Garnelenpapa. Das Restaurant schien gehoben zu sein, denn das Besteck samt Serviette wurde nach der Vorspeise ausgetauscht. Auf Servietten legt man hier gemeinhin wenig Wert. Mein lässt anderswo den Gast auch seine Garnelen in Schale trotz der Tomatensoße serviettenlos mit den Fingern herausbrechen. Wenn er selber keine Taschentücher dabeihat, hat er hoffentlich einen passenden Rockzipfel. (Bei uns zu Hause gab es sogar eine Fingerbowle. Ohne Serviette ging gar nichts.) In diesem Restaurant erfreut mich ein Grätenteller neben meiner ganz ausgezeichneten Dorade. Aber auch diesmal ist der Kopf der Länge nach zerteilt; das scheint hier usus zu sein.

Auf der Karte tummeln sich merkwürdige Dinge wie „Zusatzfunktionen“ (z.B. Knoblauchbrot und Mayonnaise) und eine Rubrik namens „Du gräbst“. Darunter steht Benjamin, Codorniú und Apfelwein. Da muss ich erst mal mein Smartphone befragen, was das wohl sein könnte. Ich schlage nach und stelle fest, dass Codorniú ein Cava, also Sekt ist. Stimmt, cava könnte man auch anders übersetzen: er gräbt. Du gräbst heißt cavas, und das wiederum heißt auch Sektsorten. Oooooh je. Ich sage dem Kellner, dass die Übersetzung äußerst fragwürdig ist. Er sagt: „Ja, schlecht gemacht. Kein Problem.“

Zum Nachtisch gönne ich mir heute einen Polvito nach Uruguayischer Art. Das stellt sich als ein dreischichtiges Dessert mit Bröseln, Creme und Meringue-Stückchen heraus. Wäre super, wenn man sich die Hälfte Zucker gespart hätte. Der Nachtisch wird übrigens auf einer Serviette und mit einem Extrateller mit Extraserviette geliefert. Ihr ahnt es schon: die Servietten kamen mich dann teuer zu stehen. Das war jetzt jedenfalls das kostspieligste Essen, was ich bisher hatte. Naja, da das Weihnachtsdiner ja nicht ganz so lukullisch ausgefallen war, hatte ich es dann halt heute. Frohes Fest! Die Weihnachtsdeko war ja noch da.

 

Yes, we can! - 30.12.2024

Puh, heute war ein anstrengender Tag! Sehr schön, aber für mich außergewöhnlich fordernd. Leon, der Zeichenlehrer ist nämlich für alle möglichen Überraschungen gut. Die heutige bestand darin, dass ich wohl eher flüchtig gelesen habe, was auf dem Programm stand und dann auch dachte, das wird nicht weit weg sein, und man kann mit dem Auto hinfahren. Ich trat also blauäugig in meinem grünen Sommerkleid an. Als ich vor dem Wegfahren in den Kofferraum schaute, fiel mir auf, dass mein Mantel nicht da drin war, und auch die warme Jacke nicht, die ich am Abend immer brauche, wenn Spaghettiträger nicht mehr ausreichen, aber da mir nicht bewusst war, was heute bevorsteht, nickte ich nur zufrieden mit mir selbst, dass ich wenigstens die Turnschuhe und eine dünne Jacke da liegen sah. Wieder zur Wohnung hoch wollte ich nicht nochmal, der steile Weg nach oben ist nicht so mein Ding, und ich wollte auch rechtzeitig da sein.

Ich sollte mich mit Leon in Los Llanos treffen. Da stand er auch schon mit seinem Auto. Ich dachte, ich fahr einfach hinterher, aber dann überlegte er erstmal, wie man das am besten handeln könne. Die eine ginge zu Fuß hin und wäre schon dort, wohne da, die andere komme noch. Da war Gerdi auch schon mit ihrem Auto und freute sich, dass ich auch dabei war. Ob wir zwei Autos da parken und mit einem fahren? Ach was, wir fahren bis zu dem Parkplatz da, und danach sehen wir weiter. Ich hab mir nichts Böses dabei gedacht.

„Der Parkplatz da“ war aber nicht gerade in nächster Nähe, wir verließen den Ort, kletterten Serpentinen hoch, kamen am Restaurant Balcón del Taburiente vorbei, wo ich meine erste Begegnung mit den Bergen hatte, und da waren wir auch noch längst nicht da. Der Konvoi zog sich noch ein gutes Stück weiter, bis ein Flussbett uns stoppte. Da mussten wir rückwärts bis zu einem Parkplatz fahren, denn hier konnte keines unserer Autos durch.

Wie sich zeigte, musste man von da an zu Fuß gehen. Ach ja, in dem Flussbett entlang. Ein bisschen Wasser floss da, nicht viel, das meiste waren große Steine. Schon mal genug Quälmöglichkeiten für meinen Fersensporn. Tja, und dann mussten wir da den Berg hoch. Da oben, ein gutes Stück entfernt, sei das Haus, wo wir hinmüssen. Ich schluckte schwer. Es gäbe noch die Option, sich abholen zu lassen, die Alison habe ein Auto, mit dem sie durch das Flussbett fahren könne. Äh ja, das wäre dann mal Recht! Ruf sie doch an. Aber Gerdi sagte, sie ginge so gern zu Fuß. Mit zwei Nordic-Walking-Stecken machte sie sich sofort auf den Weg.

Da blieb mir irgendwie nichts anderes übrig, als auch zu sagen, „OK, ich werde es probieren!“ Meine Kleidung erwies sich als in höchstem Maße unzureichend. Ich hatte zum Glück noch eine dünne Leggings dabei, die ich anzog, ein dünnes Shirt mit langen Ärmeln und die dünne Jacke. Im Zwiebellook dackelte ich los, während Leon frohgemut auch noch einen großen Rucksack mit sämtlichem Malzubehör schleppte. Ihm machte das alles gar nichts aus. Und der tapferen Gerdi, die auch eine Gehbehinderung hat, machte es auch nichts. Sie erzählte auch, dass sie sogar eine Himalayatour gemacht habe. Trotz der Behinderung. Wow! Hut ab!

Ich denke, ich habe das Gehtempo ziemlich gedrosselt, aber tatsächlich kam ich unbeschadet oben an, sehr stolz auf meine Leistung, die ich bis gestern nicht für möglich gehalten hätte. Heute habe ich festgestellt, dass das Bergaufgehen mit Turnschuhen statt den üblichen Schläppchen einigermaßen gut geht und mein Problem tatsächlich jetzt nicht so sehr die Steigung ist, sofern ich oft genug stehen bleiben darf, sondern Treppenstufen. Aufwärts gab es aber nach dem Flussbett eine Rampe, in dem nur in der Mitte eine Art von winzigschmaler Hexentreppe hochging. Und die musste ich jetzt nicht gehen.

Oben bekamen wir dann einen Tee kredenzt. Die englisch sprechende Alison vermietet Zimmer an verschiedene Leute, die lieber herumkraxeln als ich und begeistert sind, in so einer Lage wohnen zu können. Die Aussicht dort ist großartig, das muss ich zugeben! Die hat man am Strand nicht. Überall sattes Grün, Bananenplantage, Bäume noch und nöcher und Berge rundherum.

Dann machten wir uns an die Arbeit, wir waren ja nicht zum Spaß hier. Sondern, wie bei Leon üblich: zum Spaß. Eine Farbe auf ein Aquarellpapier, weitergeben, Pinsel in die andere Richtung weitergeben, die neue Farbe vom Nachbarspinsel aufs Blatt und so weiter. Wir hatten dann vier verschiedene Farben auf den Bildern, und danach ging es noch ein paar Runden so weiter, wodurch die Bilder sich immer stärker unterschieden und jeder so langsam einen Favoriten bekam. Irgendwann durfte man dann eines der Bilder so weiterbearbeiten, wie man es für gut hielt und es behalten. Es war schon interessant, wie sehr sie da bereits in der Gestaltung auseinanderdrifteten, aber doch jedes die Handschrift von jedem von uns trug.

Als nächstes machten wir eine Übung mit Farbpigmenten auf nassem Untergrund. Das Wasser am besten gleich mit der Hand draufklatschen. OK, sowas hatte ich noch nicht gelernt, aber muss schon sagen, das geht viel schneller und funktioniert gut. Dann nutzten wir nur zwei Farben, die wir mit einem Stäbchen auf das Blatt strichen: blau und gelb. Die Farben ließen wir solange verlaufen, bis sich eine wunderschönes grünes Wunder in diversesten Schattierungen zeigte.

Wir bekamen ein herrlich-buntes und megaleckeres Mittagessen, das Alison für uns gezaubert hatte. Es waren ganz viele essbare Blüten im Salat, auf einem Blech gab es eine Süßkartoffelquiche, und Guacamole sowie Brot wurde ebenfalls angeboten. Eine zweite Portion musste da schon sein! Dazu gab es Gurkenwasser. Falls Ihr die Serie Better Call Saul gesehen habt, kennt Ihr das Gurkenwasser, das es nur für die Kunden des Nagelstudios gibt, ganz gut. Und Saul versucht als Running Gag jedes Mal, eines zu erschnorren. Wir mussten nicht schnorren, wir durften.

Die nächste Übung war schon schwerer, wir sollten eine Aussicht von der Terrasse aus festhalten. Ich habe festgestellt, dass das absolut nicht mein Ding ist – die anderen hatten aber auch Schwierigkeiten damit. In mehreren Arbeitsgängen war dann wenigstens Gerdis Bild so geworden, dass sie sich über sich selbst freuen durfte. Mir gab Leon den guten Tipp, mein Licht nicht vor mir selbst unter den Scheffel zu stellen, indem ich sagte, ich habe an dem Bild nochmal „herumgemurkst“. Ja, er hat Recht. Wenn ich selber zu mir sagen würde, ich habe „fleißig daran gearbeitet“, könnte ich es vielleicht auch selber besser würdigen, dass ich es mehrfach verbessern konnte. Dass es trotzdem nicht dem entspricht, was ich für gut befände, ist dann halt dennoch schade. Aber vielleicht kann ich dann wenigstens den Fortschritt in meinem Tun anerkennen.

Dafür kam ich später auf eine Idee, die mir Spaß machte und gut gelang. Gerdi hatte ihr - wie sie meinte - nicht so schön bearbeitetes buntes Bild aus der ersten Runde mir vermacht. Und ich habe aus der Bananenplantage ein Stück Bananenblatt geholt und einfach draufgeklebt. Mit Farbe an ein paar Stellen eingefärbt, und schwuppdiwupp war die ungeliebte Stelle zu einem Highlight geworden. Das Blatt mit seiner wunderbaren Struktur stellte eine feine Brücke zwischen den verschiedenen Bereichen im Blatt dar, die in unterschiedlichen Macharten auseinanderdrängten und sich die Gunst des Betrachters so streitig machten, dass er es möglicherweise als unharmonisch empfinden könnte.

Auf ein weiteres Bild mit nur zwei Farben stempelte ich gleich schwarze Farbe mit so einem Bananenblattstückchen. Das hatte einen Effekt, als seien Musiknoten im Bild gelandet. Auch eine gute Idee, die mir sehr gefiel. Alison gab mir dann noch ein paar weitere Materialien mit – getrocknete Kaktusrippen und ein altes Yukkablatt. Damit lässt sich noch einiges anstellen. Schlimmstenfalls kann ich Mosaik drauf machen, haha.

Nach diesen Stunden an einem gänzlich unerwarteten Ort, wo ich bestimmt nie hingegangen wäre, wenn ich gewusst hätte, dass ich da hochsteigen muss, ging es dann wieder an den Abstieg. Das war anfangs nicht unbedingt einfacher, denn die Rampe musste von mir abwärts auf der Hexentreppe gegangen werden, sonst wäre sie mir zu steil gewesen. Aber das Flussbett stellte dann für mich keinen Schrecken mehr dar. Ich wusste ja, was mich erwartet, und wie weit es ist. Bzw. ich war sogar überrascht, als wir schon am Parkplatz ankamen. Dort trafen wir dann ein junges Mädchen mit einem schweren Rollenkoffer, das zu Alisons Unterkunft hinaufwollte. Das würde nicht einfach werden!

Für morgen haben wir ja einen weiteren Aquarellkurs. Der soll in einem Café in Los Llanos starten. Ich hoffe, es entwickelt sich kein Marathonlauf daraus oder sonst etwas Unvorhergesehenes. Jedenfalls habe ich derjenigen Kursteilnehmerin, die oben auf der Hütte wohnt, angeboten, die Silvesternacht bei mir zu übernachten, denn ansonsten kommt sie im Dunkeln durch das Flussbett nicht wieder nach oben. Ich werde berichten, was morgen geschieht. Könnte aber später werden.

 

Wie ich im Lotterbett flachgelegt wurde - 31.12.2024, 1. und 2.1.2025

So, Tatsache, es ist etwas später geworden bis zur Fortsetzung! Inzwischen schreiben wir 2025, und ich hoffe für uns alle, dass das entgegen der Zeichen, die wir alle am Horizont gelesen haben, ein Jahr der persönlichen Findung, der Freude und der positiv-spannenden Erlebnisse wird! Geburtswehen einer neuen Zeit sind wild und voller seltsamer Energien. Ich wünsche uns, dass wir lernen, auf unseren Surfbrettern über die Wellen zu gleiten und die elementaren Kräfte im Außen durch unsere Gewandtheit, Experimentierfreude und Anpassungsfähigkeit zu unserem Besten nutzen können!

Doch nun erstmal ein kurzer Rückblick. Heute früh, als ich schweißgebadet das Bett verließ (eine gewisse Reinigungsphase gehört zu den Raunächten dazu), fand sich endlich die lang gesuchte, superschön warme Leggings. Den warmen Pulli hatte ich schon gestern ausgegraben. Aber beide haben mich nur hämisch angelacht mit den Worten, hähä, das haste jetzt davon! Hättest uns halt auch zum Strand mitgenommen, wären wir griffbereit gewesen. Aber nein, du musstest uns ja ganz unten in diese finsteren Schubladen sperren. Bloß weil es in der ersten Woche 29 Grad hatte.

Tja, hätte ich die Sachen im Kofferraum gehabt, als ich unverhofft zu Alison auf den Berg hochmusste, wäre das alles nicht passiert. Aber so hatte ich in der Zwischenzeit Gelegenheit, ein wildes, eigenwilliges Tier in mir hochzupäppeln und zu versuchen, es in den Griff zu bekommen. Ein aggressives Tier, das wie ein Hofhund unberechenbar an der Kette rasselt und urplötzlich wild und gefährlich ohne Unterlass hässlich bellt und Kaskaden von Geifer aus seinem Maul verschleudert. Als einer der Hunde von Alison einen Rappel kriegte, nahm sie ihn hoch und sagte zu ihm (im Original auf Englisch): „He, Süßer, was ist denn, bleib doch im Hier und Jetzt!“ Ich wünschte, jemand hätte mich gedrückt und beruhigt und mich warm zugedeckt und sowas zu mir gesagt. Aber immerhin bekam ich das in Anklängen. Denn das Universum sorgt vor für den nächsten Schritt. Also höret – oder leset…

Der Malkurstag in Los Llanos barg wiederum Überraschungen. Na klar, war ja schließlich mit Leon. Da gelten ein bisschen andere Maßstäbe. Nachdem ich 40 Minuten auf Parkplatzsuche war, weil in dem Ort gerade ein Stadtlauf stattfand und hunderte orangegewandete Menschen durch die Gegend wuselten (und ihre Liebsten anfeuernd am Straßenrand standen, ihre Autos auf jedem für mich möglichen Parkplatz bereits friedlich zurückgelassen), trafen wir uns endlich und gingen, weil es in dem Café, wo sie auf mich gewartet hatten, Leon zu wenig angenehm war, gleich zu einem anderen Lokal. Netterweise orientierten wir uns in Richtung auf meinen Parkplatz, weil ich da bald wieder Geld einwerfen musste. Das neue Lokal war ganz OK, wir zogen nach kurzem, weil es draußen kalt war, nach innen und hatten einen großen Tisch in einer geschützten Nische. Da machten wir uns mit Eifer ans Werk, aber dann konnte Leon es nicht mehr aushalten, weil es ihm da viel zu laut sei. Ich selbst hatte die Geräuschkulisse wie immer einfach ausblenden können und war im Flow.

Wiederum zogen wir also um. Auf einen Platz im Freien, auf eine Treppe mit Blick auf Palmen und einen Park und die Berge. Sehr schön, aber echt zugig und kalt. Zum Glück hatte ich eine Isomatte für Jarka, die von Alisons Unterkunft hier eingetroffen war und ein afrikanisches Tuch für mich, sonst hätten wir uns auf den eiskalten Steinen noch eine Blasenentzündung geholt. Aber seit gestern war ich ja schon zehnsekündlich am Husten und fühlte mich schwach und schwindlig. Ich machte mit, so gut ich konnte, litt aber lautstark und gleichzeitig im Stillen vor mich hin. Obendrein hatte die Bedienung im Lokal mich komplett übergangen, heute hatte ich keine Strahlkraft, ich war wohl für sie direkt unsichtbar – und so hatte ich Hunger.

Es stellte sich dann aber heraus, dass wir den ganzen Tag nichts zu essen bekamen. Mitgebracht hatte ich auch nichts, und nicht gefrühstückt, denn ich hatte ja auf das Café als Start in den Tag spekuliert. Jarka hatte ein durchgeweichtes Knäckebrot mit Käse, das teilte sie schwesterlich mit mir.

Zu dieser interessanten und liebenswerten Frau möchte ich noch hinzufügen, dass ihr Leben gerade in ähnlicher Weise abenteuerlich wird wie meines, und sie angefangen hat, sich darauf einzulassen, was für Eingebungen das Universum oder Schicksal ihr schickt. Und so kam auch sie, ungeplant, unverhofft, aber voller neuer Hoffnungen hier auf die Insel. Sie hatte nur nachgefragt, ob noch ein Platz im Zeichenkurs frei war und postwendend eine Bestätigung bekommen à la "Willkommen im Kurs, du bist hiermit fest angemeldet." Und da sagte sie sich: OK, dann soll es wohl sein. Als sie im Flussbett versuchte, mit Schlamm ein Figürchen zu bauen, und dies ob der wässrigen Konsistenz des Schlammes missriet, entdeckte sie, dass die eigentlich geplante Sonne sich von selbst in einen Engel verwandelt hatte. Wie toll! In diesen Tagen, spielte sie nun ein bisschen Engel für mich.

Im heutigen Malkurs lernten wir dann, parallel zu den körperlich sich zeigenden Widrigkeiten (Hunger, Kälte, Krankheit – Erfahrungen spiegeln sich meiner Erfahrung nach immer auf mehreren Ebenen), mit dem umzugehen, was wir nicht beherrschen können. Mit Frustration zu kämpfen, etwas nicht hinzubekommen, und schließlich doch noch irgendwie eine Lösung zu finden. Einfach beschließen, der Baum ist doch kein Baum, sondern eine Blumenwiese. Der Bogen, der über dem Boden steht, steht doch nicht, sondern liegt einfach auf dem Boden (weiß ja keiner, wer ist denn schon am selben Ort und begutachtet, was wir da so malen) und wenn dir der Inhalt dessen, was du siehst, zu aufwändig ist, kannst du ja auch einfach 2/3 davon weglassen und so tun, als wäre der Rest das Ganze. Somit haben wir dann doch alle noch geschafft, etwas zu kreieren, was wenigstens ein Zeugnis unseres Kampfes mit uns selbst ist. Ein Symbolbild für siegreiche Selbstüberwindung.

Ehrlich gesagt, war ich diesmal froh, als der Kurs für diesen Tag fertig war, denn ich wollte nur noch irgendwo ins Warme. Genauso ging es auch Jarka, wir waren komplett durchgefroren, wiewohl ich bereits doppelt so viel anhatte wie am Vortag, aber das war immer noch nicht genug. In Los Llanos ist es viel kühler als in Tazacorte. Leider war jedoch aufgrund der Neujahrsfeierlichkeiten kein Lokal zu finden, das uns halbwegs ansprach. Wir hätten einen Platz in einem Burgerladen kriegen können, was eigentlich nicht dem entsprach, was wir uns unter spanischem Neujahrsessen vorstellten. Andererseits war in einem zugigen Keller eine Möglichkeit, komplett allein an einem von vier sehr hohen hypermodernen Tischen mit hypermodernen Hochstühlen zu hocken. Das verwarfen wir auch. Nach längerem Herumlaufen durch das Getobe in der Fußgängerzone, wo sich schon die Massen zusammenrotteten und fürchterlich laute Musik spielte, fanden wir in der Nähe von der Treppe, auf der wir gerade noch so gefroren hatten, ein Lokal, in dem es wenigstens was Spanisches gab.

Die Lokale hier lassen aber alle die Tür offen. Es war dann nicht wirklich schön warm da drin. Auch war das Manko, dass es eben ein spanisches Lokal war ohne Erklärung, was die Sachen sind, und da es sich um Eigennamen von Gerichten und nicht deren Beschreibung in spanischen Wörtern handelte, wusste auch ich trotz meiner Spanischkenntnisse nichts damit anzufangen. Da die Preise niedrig waren (3,50 Euro z.B.), vermuteten wir, dass das kleine Portionen seien und bestellten vier Sachen, aber der Kellner (mit dem wir uns auch eher mit Händen und Füßen verständigen mussten, da er wieder einer von der Sorte war, der nur Vokale herausbrachte und alles andere verschluckte) riet uns, 2 davon wegzulassen (Ein Mensch, der die Idee des Weglassens also auch hier verteidigte), sonst würden wir platzen.

Schließlich bekamen wir dann einen riesigen Teller Pommes mit Wurststücken und geriebenem Käse (wir hatten gehofft, es handele sich um eine gefüllte, überbackene Kartoffel), was ziemlich eklig war, und eine Maistortilla, gefüllt mit irgendwelchem Käse. Auch nicht so doll. Aber wenigstens waren wir satt, und Jarka hatte noch jemanden angerufen, den sie im Flughafenbus kennengelernt hatte, und der kam dazu und lud uns sogar ein. Also schien der Abend sich ja noch ganz nett zu entwickeln.

Die nächsten vier Stunden verbrachten wir dann im Getümmel. Jarka hatte unbedingt zu der Livemusik gewollt, um zu tanzen. Ich stellte jedoch fest, dass mir das Tanzen heute gar nicht gut tat. Jeweils nach einem halben Song war ich bereits völlig erschöpft und bekam keine Luft mehr. Das war echt schade. So saß ich die meiste Zeit auf einer Bank herum und fror massiv, während die anderen beiden sich wenigstens durch Bewegung warmhielten und Spaß hatten. Es gab nur Salsa, Cumbia und Merengue, und das in Volllautstärke.

Um Mitternacht erfolgte eine ewig lange Ansage vor dem Countdown. Bei den letzten Gongschlägen im alten Jahr schluckt man in Spanien 12 Trauben, pro Gongschlag eine, und hat dann wohl 12 Monate Glück im neuen Jahr. Wir mussten uns die Trauben halt denken und haben halt versucht, auf andere Weise uns glückliche Monate zu visualisieren. Erstaunlicherweise gab es keine Erstickungsanfälle in unserem Umfeld. Bereits eine Stunde vorher hatten die Spanier aus Hunderten von identischen Plastiktüten, die dann überall am Boden lagen, lilane und blaue Glitzerperücken, Tröten und ähnliche Feiermaterialien herausgezogen und in Betrieb genommen bzw. damit die Glatze verdeckt. Auch hier verzichteten wir auf Hilfsmittel. Wahrscheinlich weil wir alle noch genügend Haare haben.

Nach den fiktiven Trauben brach dann eine sehr harmlose Lichtshow über uns ein. Ein paar Raketchen wurden über unseren Köpfen parallel zum Platz oberhalb eines der Länge nach aufgespannten Tuches abgeschossen, so dass wir von unten gerade so die Lichtergarben erkennen konnten. Dann war es auch schon fertig. Jarka sagte, was man am 1. Januar macht, macht man auch das ganze Jahr. Also tanzte ich mit schwindenden Kräften ein bisschen und eine Viertelstunde später kam endlich der Moment, auf den ich lange gewartet hatte: ich durfte heimfahren. Jarka würde ja bei mir übernachten. Den Freund habe ich auch auf meinen zu Hause kalt gestellten Sekt mit eingeladen, und so schloss sich dann der für mich wertvolle Teil des Abends an, wo wir bis halb 3 noch ein angeregtes Gespräch führten. Von sowas darf das neue Jahr ruhig mehr liefern.

Jetzt konnte ich wirklich nicht mehr. Der Freund ging zu seiner Wohnung und Jarka ins andere Zimmer, und gleich schlief ich wie ein Murmeltier.

Am Neujahrsmorgen bekam ich liebevoll einen Ingwertee gemacht mit einen Bananenblütenblatt drin, das ich ja für meinen Sohn gegen seinen Husten von Alisons Farm mitgenommen hatte. Ich denke, das war auch bei mir hilfreich. Danach ab zum nächsten Malkurs, inzwischen dreimal so warm angezogen! Mal wieder eine Verlegung der Location in letzter Minute. Diesmal auf einen zugigen Platz inmitten von Tazacorte, wo uns die Blätter von der Unterlage stoben wie die Möwen, aber dennoch schufen wir mehrere spannende Werke und lernten viel.

Auch kam ein Junge mit seinen Eltern, der uns am Vortag in Los Llanos gesehen hatte, und nun gerne mitmachen wollte, und der hatte wirklich Talent! Außerdem hat er einen großen Teil des Blattvorrats von Leon aufgebraucht, aber es war so faszinierend zu beobachten, wie er wirklich das Spiel mit den Farben auf dem patschnassen (stundenlang eingeweichten) Aquarellpapier genoss. Wie die Farben da so wundersam miteinander Synergien bildeten, sich liebend oder auch trotzig verbanden, sich gegeneinander aufbäumten oder friedlich Hand in Hand in Neuland spazierten. Und zu sehen, wie er sich daran erfreute, ließ uns selber dieselbe Freude beim Spielen mit unseren Farben in unserem eigenen Bild besser erkunden. Ich bemerkte, wie ich schließlich von jedem künstlerischen Anspruch abkam und nur noch beobachtete, was geschah. Als das Werk dann trocknete, erspürte ich die Konturen, die es selbst gebildet hatte, und betonte sie noch mit den wasserlöslichen Farbstiften und  Kohle.

Später sollten wir uns ein Motiv mit dem Motivsucher auswählen, uns einen von den Hockern nehmen, die Leon mitgebracht hatte, und dann das Motiv jeweils in ca. 3 Minuten skizzieren. Und dann wieder. Und dann wieder. Es wurden 12 Bilder. Ich hatte langsam die Nase voll. Zwischendurch kam zum Glück Leon nachschauen, und veränderte mir die Aufgabenstellung, so dass die letzten Bilder dann mit linker Hand oder mit nur linksseitiger oder nur rechtsseitiger Linie geschaffen wurden, bzw. mit Flächendarstellung statt Linien.

Bereits vor Arbeitsbeginn hatte mich die Aufgabe gelangweilt, und ich hatte ähnlich trotzig gehandelt wie bei einer Strafarbeit, wo ich 100 Mal schrieb „Ich darf mein Turnsäcklein nicht vergessen“. Da hatte ich von unten alle „mein“ einer Seite nach oben in Form einer Säule aufgebaut und die anderen Wörter dann diagonal von oben links nach unten rechts und von unten links nach oben rechts, so dass es eher Musterseiten wurden, die ich immer weiter kreativ ausgefüllt habe. Mit Anweisungen, die mir widerstreben, habe ich auch heute noch ein Problem, und somit habe ich auch hier mein Bild erst von links nach rechts gekritzelt, dann von rechts nach links, dann von vorn nach hinten, dann wiederum mit dem Hintergrund begonnen. Die einzelnen Ergebnisse unterscheiden sich also, und die Arbeitsweise wurde immer noch schluderiger. Vielleicht war die Schludrigkeit ein Ausdruck meiner Krankheit. Vielleicht war sie auch genau, was es brauchte und worauf es ankam.

Dann sollten wir die einzelnen Bilder kolorieren. Auch hier probierte ich verschiedene Herangehensweisen und wurde immer legerer und sorgloser. Musste ja nichts herauskommen. Einfach Experimente. Gut gefiel mir z.B. ein Bild in völlig falscher Farbdarstellung. Die Palmen drauf sind gelb.

Danach konnte ich aber wirklich nicht mehr. Das böse Tier an seiner rasselnden Kette in mir hatte gewonnen. Ich brach den Kurs ab und schlich mich nach Hause. Zwei Stunden später läutete es an der Tür. Da stand Jarka und hatte so einfach meine Behausung wiedergefunden. Ich war baff. Sie kochte mir nochmals einen Genesungstee – was für eine liebe Geste! - und wir sprachen noch eine Weile, bevor ich sie zu einem Treffen mit dem Freund nach Puerto brachte, wohin sie, seines Erachtens doch locker zu Fuß gehen könnte. Für mich auch ein beträchtliches Stück Wegs, so dass ich sie da nicht im Dunkeln allein hinschicken wollte. Und Auto fahren konnte ich ja noch.

Ich ging ins Bett und rührte mich nimmer. Und heute lausche ich kleinlaut in mich hinein und bin gnädig mit mir. Ich hab mir das verdient. Wenn ich schon beim Geschirr in den Schrank stellen Schnappatmung bekomme, bin ich durchaus noch nicht gesund. Heute werde ich gut zu mir sein. Mit mir allein im Lotterbett fläzen. Und eigentlich ist Gut zu mir zu sein der Vorsatz für das ganze Jahr. Ich hoffe, du erlaubst dir das auch! Denk mal drüber nach, wer, wenn nicht du selbst, so wichtig ist in deinem Leben. Und wer jeden einzelnen Tag – Tag und Nacht - da ist, und sich um dich kümmert. Wer all deine Erinnerungen für die bewahrt und mit dir fühlt, weint und lacht, auf dich stolz ist oder dich tröstet, wenn du sie mal wieder herausziehst. Für diesen besten Kumpel muss man gut sorgen.

 

Kleiner fragen - 3.1.2025

Ein weiterer Morgen auf La Palma, versuchsweise wieder auf der Terrasse mit Ausblick auf meinen Kalender, der mich gleich dazu anhält, mir die wirklich wichtigen, vor allem ganz neuen Fragen zu stellen. Mein Ist-Zustand jedoch: Nach zehn Stunden Schlaf bin ich immer noch groggy. Die Krankheit ist noch nicht ausgestanden, aber auch heute Nacht habe ich weiter dran herumgeschwitzt, um ihr Einhalt zu gebieten. Mein Körper weiß wenigstens, was er tut. In einem fröhlichen luziden Fiebertraum habe ich heute alle in der neuen Küche falsch bestellten Teile einfach geschenkt bekommen, aber in echt steht die Küche daheim genauso da wie bei der Abreise. Was wären denn die Fragen, die mir da so einfallen?

Ich habe mich ja in den letzten drei Jahren, in denen ich mich auf den Weg begeben habe, den ganz großen Fragen gestellt, als da z.B. wären: Gibt es Gott? Was ist die Seele? Gibt es Gut und Böse wirklich? Wodurch unterscheiden sie sich? Wo verläuft mein Weg? Was ist mein Ziel? Meine Vision? Was sind meine wahren Absichten? Kann ich die noch schärfer schleifen? In wie weit tut mir das noch gut? Was ist Glück? Woher komme ich? Wohin gehe ich, wohin gehen wir, wohin geht alles? Wieviel von mir ist Tier? Beim Übersetzerstudium lernte ich, Lebewesen sei zu übersetzen mit “man and other animals“.  Eine ganz andere Sichtweise, als die des hochmütigen Deutschen.

Heute, aus dem heraus empfindend, wie ich mich gerade im Moment fühle, würde ich anfangen, ganz kleinformatig zu fragen, kleine Indizien zu untersuchen, unsinniger zu fragen, absurder zu fragen, denn in der Auslotung des Absurden liegt oft ein nicht unbedeutendes Quäntchen an Wahrheit, die sich sonst niemals erschließt. Z.B. wenn ich so auf das Meer vor mir schaue, das mit deutlich erkennbaren Schaumkronen von links nach rechts drängt: Gibt es auch Orte, an denen die Mitte des Ozeans nicht, wie hier offensichtlich, links ist (rechts ist ja die Küste und das Meer prescht immer auf die Küste zu)? Dies ist an sich eine blöde Frage, denn wenn ich rechts von dieser Landzunge stehe, kommt das Meer dann von rechts nach links geflossen. Dann habe ich schon mal den Mittelpunkt des Ozeans gedreht. Durch mein Hinübergehen also quasi. Ja, ich weiß, das ist nicht wissenschaftlich. Gleich hast du über 20 verschiedene Abers parat, die du aus dem Ärmel auf meinen Frühstückstisch streuseln kannst.

Noch weniger wissenschaftlich wird es, wenn ich sage: aber, wenn ich meinen Standpunkt um 180 Grad ändere (dabei wird mir möglicherweise übel), kommt das Meer dann von der anderen Seite. Und somit habe ich den Mittelpunkt des Ozeans verlagert. Ich, der Zwerg. Wie kann ich, der Zwerg, Einfluss auf den Mittelpunkt des Ozeans haben? Andererseits, wieso nicht, wo doch ich, der Zwerg, Einfluss auf das Verhalten von Materie habe, die sich nur zeigt, wenn ich hingucke und sich ansonsten als Welle durch die Gegend schlängelt, wenn ich die Augen zu habe. Ich manifestiere sie also immer wieder, jedes Mal, wenn ich ihr die Ehre erweise, sie anzuschauen, erweist sie mir die Ehre, vor mir strammzustehen. Ist das nicht mehr als crazy? Also ändere ich auch mal flugs den Mittelpunkt des Ozeans. Ich mach mir die Welt widewidewitt wie sie mir gefällt!

Solche Fragen mit all ihren Trugschlüssen und das Schauen in den Kühlschrank, in dem kein Bier steht, zu sehen, dass keines drin ist, und dann trotzdem zu behaupten, es sei eins drin in all seiner Esoterik lassen mich wollüstig erschauern. Sie bereiten mir eine maliziöse Freude, und ich ergötze mich daran, wie blödsinnig und gleichzeitig tiefschürfend sie sein können. Wie haltlos und tief verankert im selben Gedankengang.

Weniger komplex sind Fragen wie: warum tut man sich eigentlich dämliche Erlebnisse mehrfach an? Falsche Menschen, schiefgegangene und längst verworfene Herangehensweisen, Pilleneinnahme auf nüchternen Magen, obwohl man auch die letzten drei Mal davon brechen musste?

Was wäre, wenn das Frühstück die einzige Mahlzeit am Tage bliebe? Dann könnte ich ja mein Ziel, schlanker zu werden, in Nullkommanix erreichen. Wie lange hält so ein Vorsatz? Bis 15 Uhr oder länger?

Welcher Pumuckl oder welcher verstorbene Ahne von mir (oder Ahnin) lässt immer Sachen verschwinden, die ich gerade irgendwo für die sofortige Verwendung hingestellt habe? Was wäre, wenn ich einfach das als Hinweis annehme und künftig ohne die auskomme? Ab sofort keine Zitrone mehr für den Avocado, nie mehr Süßstoff in den Kaffee?

Wenn alles, was gerade nicht funktioniert, nicht mehr in Betrieb genommen werden muss? Wasch dich in Zukunft halt einfach nur noch kalt. Wasch die Haare dann halt nicht mehr. Koch nicht nur einen Kaffee für heute und morgen, also pro Tag dann eine Tasse – eine warme und eine kalte - sondern gar keinen mehr, koche einfach überhaupt nichts mehr? Das Handy will grad nicht laden, weil ich jedes Mal vergesse, den Stromschalter an der Steckdose einzuschalten, vielleicht soll es ja gerade so sein. Statt aufs Handy kann ich ja mal wo anders drauf glotzen. Oder in mein Buch schreiben. Per Hand dann halt. Da sei die Verbindung zum Gehirn noch enger. (Diesen Text hab ich mit der Hand vorgearbeitet).

Was will mir das sagen – probier es doch einfach mal anders aus? Brauchst du das überhaupt noch?

Meine beiden Abreißkalender mit Sprüchen hatte ich normalerweise überall dabei, wo ich hinfuhr. Dann habe ich auf einer Fahrt von München nach Ingolstadt die Kalender zu gut weggepackt. Ich habe sie erst kurz vor meiner Abreise nach La Palma nach ewiger Suche wiedergefunden. Sie waren in der Laptoptasche, wo ich sonst nie etwas hineintue. Und die ich halt nur verwende, wenn ich reise. Und die Erkenntnis dabei war eigentlich: Ha, ich bin nun bereits hinreichend geschult, dass ich diese Sprüche nicht mehr brauche. Ich könnte sogar meinen eigenen Kalender mit derartigen Sprüchen herausgeben. Ich habe über so viele Dinge nachgedacht, an mir gearbeitet, in mich hineingeschaut. Trotzdem habe ich mir nochmal so einen Kalender gekauft. Das Interessante daran ist, dass man z.B. drüber schreiben kann.

Ich habe Zugangsdaten von Portalen verloren und schließlich festgestellt: ich brauch da ja auch gar nicht mehr rein. Ich bin weitergekommen, als ich damals war. Ich hab mich selbst und die anderen dort überholt.

In der Weihnachtszeit habe ich festgestellt, ich suchte nach manchen Leuten in meiner kilometerlangen Bekanntenliste auf WhatsApp, weil ich nicht mehr wusste, wie sie heißen, aber halt doch wusste, wen ich meine. Einen Gruß wollte ich schicken. Aber warum will ich eigentlich einen Gruß schicken, wenn ich die Namen nicht mehr abrufen kann? Wer kann aus meinem Leben gehen? Wenn sie einen Gruß an mich schicken wollten, könnten sie das ja ihrerseits auch tun. Normalerweise bin ich der Kleber, ich halte alles zusammen und wecke alle schlummernden Karteileichen immer wieder auf. Warum eigentlich? Wenn das ganze Jahr von den anderen nie ein Lebenszeichen kommt, warum denke ich dann an sie an Geburtstag, Feiertagen und wenn ich in Urlaub bin? Wer bin ich denn, und wenn ja, wie viele? Für wie viele Menschen ist überhaupt Platz im Leben eines einzelnen, so dass er ihnen noch gerecht werden kann und nicht dauernd irgendwo durch Übersehen und Unachtsamkeit enttäuscht? Wer hat noch Aufenthaltsberechtigung in meinem Leben? Wer darf einen Neuantrag stellen?

Viel trivialer wirkt hingegen die Frage: wie kann ich Zähneputzen oder vor allem: essen, ohne bei jedem 2. Mal niesen zu müssen? Ich wäre so die Horrorvorstellung eines jeden Japaners – wenn die Großnaserten beim Essen auch noch das Schneuztuch schwenken, wird es für sie extrem unappetitlich. Das gehört sich absolut nicht. Sagte mir mein japanischer Brieffreund damals auf seinem Besuch in München. Da war ich noch ganz jung und hatte einen Tellerrand als Horizont, somit ist mir damals nicht einmal aufgefallen, dass er extra wegen mir aus Japan gekommen war, um mich nachdem ich ihn in Schottland kennengelernt hatte, wiederzusehen. Für mich war das damals ein Ding der Selbstverständlichkeit, wenn ich es rückblickend betrachte, war es das auf keinen Fall, und es tut mir leid, lieber Shunji, dass ich das nicht wirklich gewürdigt habe. Meine Welt war damals so unglaublich klein und egozentrisch!

Das führt uns dann zu der Erkenntnis, die darin liegt, zu begutachten, wer – so wie Shunji konsequenterweise im Folgenden – aus unserem Leben herausgefallen ist, und warum. Aus freiem Willen, oder weil er geschubst wurde. In eine andere Wahrheit. Auf eine andere Ebene… Das Leben sieht dann rückblickend so aus wie ein ausgebreiteter Fächer. Über jeder Fächerrippe liegt eine weitere, und wenn man auf die nächsthöhere geklettert ist, ist alles so spannend und neu auf dieser Ebene, dass man ganz vergessen hat, was auf der vorherigen Rippe gerade noch so vor sich ging. Wie viele Rippen allerdings noch übrig sind, weiß man auch nicht.

Vom Thema Rippen zum Thema Brust – warum tut mir selbige weh, wenn meine Freundin sich einer Brust-OP unterzieht? Warum hatte ich Probleme mit meinem linken Auge, als mein Freund am Auge operiert wurde? Es ist mir klar, dass das Empathie ist. Aber auf solche Distanzen? Ist das nicht erstaunlich? In gleicher Weise, wie der Schmerz des anderen, seine Angst auf mich übergreift, muss ja auch meine gute Energie von hier nach dort kommen. Schneller als Lichtgeschwindigkeit. Ich glaube fest daran, dass meine aufmunternde gehobene Schwingung, die ich jemandem sende, bei ihm landet, wenn er sie haben will, wenn er aufnahmebereit ist, bereit, sie zu spüren, darauf eingehen möchte. Und ich sende viel davon. An meine Freundin, an meinen Freund, auch an Fremde, oder neue Bekannte. Und momentan erhalte ich auch gute Energie. Manchmal ist mir fast ein bisschen zum Weinen, da habe ich das Gefühl jemand denkt gerade sehr intensiv lieb an mich und möchte, dass es mir besser geht. Das ist schön. Ich fühle es. Ich kann nicht sagen, wer es ist, aber es kommt zu mir.

Weniger schön sind Fragen wie: warum fallen uns allen so viele Haare raus und wo kommen die alle hin? Eigentlich müsste ja auf den Straßen in jeder Ecke ein Gewölle liegen. Gibt es irgendwo auf der Welt eine Gewölleabgabestelle, wo ein riesiges unordentliches Zottelknäuel aus Haaren aller Menschenhaarvarianten zusammengeknüllt vor sich hin wallt und wogt, oder werden die irgendwie verbrannt? Das wäre eine unschöne Geruchsbelästigung. Sie zersetzen sich ja nicht so schnell. Welche Klein, Winz- oder Mittelgroßorganismen auch immer sie zerlegen, zersetzen, in Nester einarbeiten oder in die Erde verschleppen, die können doch nicht so flink sein, das alles spurlos verschwinden zu lassen. Das rieselt doch ohn Unterlass.

Überhaupt – wieviel Eigenmaterial in Form von Hautschuppen habe ich im Lauf meines Lebens in irgendwelchen Betten hinterlassen? Da liegen bestimmt mehrere Manus weltweit allenthalben. Und auch von dir liegen mehrere Varianten. Und von allen anderen. Wir vermischen uns da überall und leben in engster toter Harmonie als Schuppenmischungen. Europäische, amerikanische, australische… Palmerische mit einer Prise Manu oder Bayerische mit einer Prise Shunji, noch von damals, falls nicht vom Winde verweht.

Gibt es denn einen Ort, an dem man ganz schuppenfrei nur man selbst sein kann? Auf einem Berggrat im schneidenden Höhenwind? Oder wirbelt der auch von unten Reinhold Messner und Konsorten in die eigene Aura? In einem hermetischen Vakuum würde ich mich nicht wohlfühlen, das wäre auch nicht artgerecht. Es gibt da keinen Sauerstoff und die Zellen würden sofort explodieren, da kein Druck vorhanden ist. Also lieber in der Schuppenmischung weiterleben und sich nicht weiter vorstellen, wie das ist mit den ganzen Milben und so…

Jetzt, wo ich Milben gesagt habe, fängt es natürlich an, dich zu jucken. Ich wende mich also lieber anderen Themen zu: Der wichtigen Frage, warum Limonade aus dem Kühlschrank so herrlich erfrischend und lecker schmeckt, und wenn sie einfach warm in der Küche herumdümpelt, ätzt sie den Hals hinunter wie die letzte, falsch abgeschmeckte Plörre. Außerdem: wer stellt eigentlich die ganze Wohnung so voller leerer Gläser, und wer verrutscht immer all diese kleinen Teppiche? Warum bin ich gerade so schwach und siech?

Ich glaube, jetzt habe ich euch die Welt klein genug gedacht und geredet und ihr hofft inständig darauf, dass sich mein Denkanfall sehr bald wieder legt, ich wieder das Haus verlasse und die Welt für euch erkunde und nicht nur im Sitzen oder Liegen meine Gedankenkonstrukte weben muss.

Dann habe ich ja erreicht, was ich wollte: bitte schickt mir eure guten Gedanken, lasst mich mit eurer Energie ratzdifatz gesund werden, damit ich wieder aufstehen kann und sich der Blickwinkel krass erweitert. Und nun erstmal wieder gute Nacht um 14:56, ich bin total fertig von diesen anstrengenden Überlegungen. Ach übrigens hätte ich eigentlich jetzt Hunger.

Noch eins, zum Thema Esoterik, die Zweite (bitte einfach weglesen, wenn Euch das zu viel des Guten ist): gestern stellte ich fest, dass ein Stern mich offenbar verfolgt, den mein Freund beim Videotelefonat bereits hinter mir als auffälliges Element entdeckt hatte. Ich machte nämlich eine Meditation von Veit Lindau und am Ende fragte ich meine Seele, sie solle mir sagen, was ich wissen solle, denn ich war in der Meditation so weggetreten, dass ich nicht mehr wusste, ob ich schlief oder noch irgendwo dabei war.

Also sprach meine Seele aus mir in einer Affengeschwindigkeit und Intonation leiernd in die Diktierapp, als läse sie gelangweilt von einem Zettel ab: "Auf dem Feld der unendlichen Möglichkeiten hast du die eine gewählt, die die richtige ist. Die Würfel sind gefallen, und du hast es im Vorab immer gewusst, dass es soweit ist. Diese Tage sind die letzten, in denen du nicht bestimmst, was du tun sollst, es ist alles vorgegeben. Deine Pläne wären nichtig, wenn du ihnen folgen würdest. Du musst nichts weiter tun als abwarten, es kommt alles auf dich zu. Ein Zeichen dafür ist der Stern in den Wolken und der Stern in deinem Fuß (!). Mädchen, begib dich ans Fenster!"

Und draußen vor dem Fenster, genau vor meinem Zimmer im Mittelpunkt des Fensters stand riesengroß der Stern und tropfte in die Schale der waagrecht liegenden Mondsichel. Meine Kamera hat das leider nicht ausreichend gut dokumentieren können, der Mond sieht auf dem Bild aus wie ein Vollmond, aber es war so. Das führt mich jetzt zurück zu den großen Fragen. Den ganz großen.

 

Neuerfindungen - 4.1.2025

Auch heute stellte mir mein Kalender wieder eine Aufgabe: Wenn dieses Jahr ein Roman wäre, den du schreiben könntest, mit welchen beiden Sätzen würde er beginnen? Ha, nichts leichter als das! Los geht’s!

„Manuela sprang voller Tatendrang aus dem Bett, sammelte die einzelnen Bruchstücke ihrer Persona, die in den letzten Jahren auf den Boden gefallen waren, zusammen und setzte sich ganz neu zusammen. Sie ruckelte ein bisschen nach rechts, ein bisschen nach links, streckte die Arme zum Himmel, schlenkerte mit beiden Beinen, bis alles an Ort und Stelle gerutscht war und zog voller Begeisterung ihr allerschönstes, buntes Gewand an.“

Und das habe ich heute versucht. Den Weg aus dem Bett habe ich geschafft, mir übermütig die Haare gewaschen und mir eine wunderbare Doppelhühnersuppe gekocht. Da war zwar kein einziges Huhn drin, aber 1 Liter Hühnerbrühe aus dem Tetrapack plus 1 ganzer riesiger Brühwürfel Hühnerbrühe. Daher doppelt.

Derart gestärkt wurde ich noch übermütiger und beschloss, nach Los Llanos zu fahren. Im Überschwang der vibrierenden Energie griff ich etwas zu beherzt nach meinen Ringen, die ich beim Duschen aufs Bett gelegt hatte, und durfte dann am Boden herumkriechen wie die Manuela im Roman. Allerdings stellte ich schnell fest, dass damit der Tatendrang schon fast erlosch und ein dünnes Rinnsal Schweiß mir über die Nase lief. Das ist bei mir durchaus nicht normal. Den einen Ring mit den Aquamarinen habe ich nicht mehr gefunden, wiewohl ich sogar die Bettschubladen ausgeräumt habe. Da ist also die längst über den Jordan gesegelte Ahnin, über die ich gestern berichtet habe, mal wieder im Spiel. Sie meint, mein aktueller Stil könne sich mal wieder ändern. Den Ring brauche ich doch gar nicht mehr. OK, ich hör ja zu, wenn sie mir solche Tipps gibt. Den Ring möchte ich bitte trotzdem zurück. Bitte bitte!

Da ich aus der Nähe sah, wie dreckig der Boden in vier Wochen geworden war (ich hatte hauptsächlich da sauber gemacht, wo Staub von draußen reinkommen konnte), schwang ich kurzerhand und sehr kurzatmig den Besen. Ich stellte fest, dass der schwarze Staub auch hier reinkommt. Auf dem vor dem Bett vorgefundene Material könnte man ganz gut ein bisschen Saatgut ausstreuen, es könnte für die Anzucht reichen. Nach der Putzaktion war meine Energie aber endgültig verpufft. Ich legte mich ins Bett und winselte ein bisschen vor mich hin. Eine halbe Stunde schlafen sollte helfen. Gesagt, getan.

Dingeling – der Wecker. Zack, aufgestanden, nach los Llanos gefahren. Einkaufen im Einkaufszentrum, drei schwere Tüten, hauptsächlich mit Getränken. Es gab kein interessantes Gemüse und kein interessantes Obst. Und ich war zu KO zu suchen, wo jetzt dieser von Judith empfohlene Bioladen sei. Eine halbe Papaya, zwei Khakis, nur eine Orange und zwei Zitronen gönnte ich mir. Bisschen mau. Aber ich hab noch Berge von Avocados daheim. Ihr erinnert euch.

Schleppte meine diversen Flaschen ins Auto. Ne, nix - nur brave Getränke, der 1. Januar ist überschritten! Und wieder den guten, frischgepressten Orangensaft aus der Höllenmaschine. Danach war ich schon wieder fix und fertig. Musste mich im Einkaufszentrum hinsetzen und was essen, einen Wrap gab es diesmal. Dann war ich kurzzeitig wiederhergestellt.

Schon kam es von draußen furchtbar kalt herein, und ich wollte hinaus. Also habe ich mir ganz konsequent einen Leopardenmantel gekauft. Keinen echten. Mein Freund sagte angesichts des Bildes, dazu bräuchte ich einen breiten roten Schal und einen Hut. Ich fand tatsächlich beides, dazu noch eine Tasche. Als völlig neuer Mensch betrat ich dann die Fußgängerzone. Manu mal wieder neu erfunden. So kalt war es dann doch nicht, und ich fing an, wahnsinnig zu schwitzen. Oder es lag nicht am Wetter, denn die anderen Menschen trugen ja schon alle dicke Jacken und lange Hosen. Klar, meine Stirn war ganz heiß. Schon wieder.

Der Schweiß lief in ganzen Bächen. Diese zogen sich hinter mir durch die Stadt, so dass ein jeder sehen konnte, wo ich gegangen war, wenn er nicht schon die verrückte Alte in ihrem Leopardenmantel ohnehin bestaunt hatte. Die einzelnen Rinnsale vereinten sich und flossen ab einem gewissen Punkt gemeinsam als breiter Strom in den Barranco, wo schließlich eine Felswand überspült wurde. Der Fluss kippte über diese hinunter in Form eines breiten Wasserfalles, wodurch es mehrere Autos wegspülte, muss ich leider sagen, aber ich kann echt nix dafür, ich hab das nicht absichtlich gemacht. Die Leute müssen halt auch aufpassen, wo sie fahren, ist doch so. Die Leute waren mit Fotografieren des plötzlich neu entstandenen Wasserfalls und des darüber entstandenen Regenbogens beschäftigt, und hatten gar nicht mitbekommen, dass das Wasser ihnen ja entgegenkam. Ziemlich leichtsinnig halt. Trotzdem sorry. Kommt hoffentlich nicht öfter vor.

Jedenfalls musste ich zu dem Laden, wo ich meine Simkarte gekauft hatte. Ja logisch könne ich die App nicht herunterladen oder online aufladen, das können nur die Inländer. Aha. Jedenfalls habe ich jetzt wieder genug Guthaben und kann wieder munter drauflos-zoomen und Blog schreiben. Nach einer Ruhepause auf einer Bank unter immer noch fleißig leuchtenden Weihnachtssternen, war ich dann noch mit letzter Kraft in der Lage, mich im Künstlerbedarfladen mit Zeichenpapier, Kohlestift und Bleistift einzudecken. Die Aquarellfarben habe ich ja schon bei Leon erstanden. Jetzt kann es losgehen. Ich bin gerüstet! Ob ich auch was schaffe, wenn mich keiner triezt? Oder brauche ich die Triezung durch Leon? Werden wir sehen. An den aktuellen Kurstagen nehme ich jedenfalls nicht teil.

Jedenfalls habe ich dank Leon etwas entdeckt, was ich euch nicht vorenthalten möchte: Die neueste Abnehmkur – schlank durch…. Tadaaaaa: Husten! Durch die für diese Diät hervorzubringenden heftigen Hustenanfälle wird das Zwerchfell, die Bauchmuskulatur, der Brustkorb, sowie (weniger gut sichtbar) der Beckenboden immens gestärkt und gestrafft. Erstmal ausgeleiert, und dann, wenn der Muskelkater vorbei ist, tooootal gestärkt. Man bekommt zeitgleich also Muskeln, während man aufgrund der ständigen Hustenattacken keinen Appetit hat, und sich an dem wenigen, was man zu sich nimmt, auch noch verschluckt, so dass man es gerne sein lässt.

Sehr praktisch ist dieser automatische Husten, der auch in der Nacht von selber weitergeht, während man im Bett liegt. Während man da so ohrenscheinlich entkräftet vor sich hinstirbt, arbeitet man in Wirklichkeit an sich und spart sich anstrengende Übungen im Fitnessstudio. Beim vor sich hinröcheln verbraucht der Körper irr viele Kalorien und jagt sie zur Stirn hinaus. Das spritzt direkt, tatsächlich, habe ich ja oben beschrieben. Man braucht natürlich auf jeden Fall einen größeren Vorrat an Taschentüchern, am besten eine ganze Rolle Kleenex, und einen Papierkorb.

Bei anderen Diäten kommt man echt nicht so billig weg! Da muss man einkaufen und abwiegen. 83 Prozent von dem, was man eingekauft hat, ist dann zu viel, und es gibt kein weiteres Rezept, in dem man das verwenden kann. Entweder man wirft es weg, oder man opfert sich und isst es dann doch noch auf, wodurch der Effekt der Diät allerdings sabotiert wird. Also – ich kann nur empfehlen, mit meiner genialen Hustendiät habt ihr nur Vorteile! Zwar sind die Stimmbänder dabei ein bisschen beeinträchtigt, aber auch das ist ein grandioser Nebeneffekt, denn wenn ihr schon immer so tief singen wolltet wie Adriano Celentano oder auch Leonard Cohen, so ist jetzt der richtige Zeitpunkt! Genießt es! So viele Vorteile!

Aufgrund des sich bei reichlicher Hustenaktivität entwickelnden Fieberträume, tags und nachts, seid ihr dann außerdem in der Lage, abstruse Diäten selbst zu erfinden. Oder auch andere Dinge. Schaut mich an! Übrigens habe ich euch nun mein ganzes Geheimnis offenbart, ohne auch nur einen einzigen Cent von euch zu kassieren. Wenn das nicht ein fairer Deal für euch ist! Ich kann euch garantieren, dass ich mit dieser Hustendiät bereits innert drei Tagen 17,5 cm Bauchspeck verloren habe. (Ich habe ihn leider aus dem Kühlschrank entsorgen müssen, da er irgendwie so weißen Schimmel draufhatte.)

Also, nun dürft ihr mir was husten. Zu meinem Husten kann ich jetzt nur sagen: Husten, wir haben ein Problem! Seit diesem Bananenblütentee bist du echt nicht mehr der Alte! Du hast so schön automatisch gebellt, mich gerührt und geschüttelt, und jetzt – jetzt muss ich dauernd dran denken, dass ich husten soll, um abzunehmen, aber ich vergess es ständig. Naja, alles hat Vor- und Nachteile. Immerhin ist das tolle Fieber noch da. Das entwässert so schön. Da fließen sie dahin, die Pfunde. Adieu! Auf Nimmerwiedersehen!

Der Speckwrap nach kanarischem Rezept heute war übrigens zwar mit süßer Nusscreme, aber das war Walnuss. Nix Nutella. Durfte ich! Muss ich weniger Kalorien verhusten. Hat schon alles seine Richtigkeit.

 

 

 

 

Königlich – 5.1.2025

 

Heute findet ihr mich gemütlich beim Shavassieren (siehe mein Eintrag vom 10.12.24 – Oh Google, warum hast du mich verlassen). Ich hab mir das auch redlich verdient! Gestern hatte ich nämlich einen sehr langen und ordentlich anstrengenden Tag. Obwohl ich immer noch nicht fit bin, bin ich auch 6,7 km durch die Gegend getigert, und das ist für mich mit meinen Bewegungseinschränkungen schon an ganz kerngesunden Tagen super viel! Ich darf also mit Fug und Recht auf mich stolz sein und mich in meinem Ruhm suhlen. Oder so ähnlich.

Gestern fuhr ich quer über die Insel in die Hauptstadt, Santa Cruz. Irgendwie heißen die spanischen Orte alle ziemlich ähnlich. La Palma, Santa Cruz, davon gibt es mehrere Varianten. Das ist jedenfalls eine überschaubar große, recht nette Stadt, wie ich festgestellt habe. Mein Auto konnte ich in einer Parkanlage unter der Stadt zurücklassen, die ausschaut, als habe man im 2. Weltkrieg hier Schutzbunker gebaut. Irgendwie auch gruslig.

Oberhalb war es mal wieder steil, wie inzwischen bekannt. Die Insel ist nun mal über 2400 m hoch, und das halt direkt neben dem Wasser. Der Berg kommt also quasi aus dem Wasser, und mit ameisenhafter Ausdauer haben die Menschen Straßen hineingewühlt, geschaufelt und -gesprengt, und Häuschen angeklebt, die sich übereinanderstapeln. Platte Flächen sind absolute Mangelware, deshalb einfach dieses In-die-Höhe-Pappsen der Behausungen. Diese sind erfreulicherweise vielerorts in hübschen, fröhlichen Farben angemalt, was dem Ganzen einen niedlichen Anstrich von Spielzeugstädtchen verleiht.

Immer noch scheint die Insel sich in eine Ost- und eine Westseite zu teilen, die eher nicht irgendwie miteinander verbunden sind, außer, dass in der Mitte der Tunnel durch die Insel schneidet, der ewig lang ist und am anderen Ende das Licht der Offenbarung für einen bereit hält. Auch diesmal war es so, auf meiner Seite war Calima, man sah nichts, es war grau und bäh, und nach dem Tunnel: eitel Sonnenschein, so grell, dass man spontan sämtliche Sonnenblenden herunterklappt und verzweifelt nach der Sonnenbrille tappt (die brav zuhause liegt).

In Santa Cruz war dann noch nicht so viel von dem zu erwartenden Festtrubel zu bemerken. Die heiligen drei Könige waren aber bereits unterwegs, um sich überall in der Stadt zu zeigen, Kinder und Passanten zu begrüßen und Wunschzettel einzusammeln, denn die Könige sind hier Christkind oder Weihnachtsmann: sie bringen die auf dem Zettel bestellten Geschenke am 6. Januar. Sie unternehmen ihre Tour nicht etwa auf dem Kamel, sondern ganz modern stehend in offenen Limousinen, die im Konvoi hintereinander herrollen. Polizeibehütet winken die Könige huldvoll. Wer direkt herantritt, bekommt Kamellen.

Es gibt noch eine weitere Möglichkeit, sich an sie zu wenden, und das ist ein wunderhübscher Briefkasten am Rathaus. Ich schreibe später einen Zettel mit meinen angeforderten, unverpackbaren, vor allem aber auch schwer erhältlichen Präsenten für mich – innigen Herzenswünschen. Erst als ich dem Zettel noch mit einer ordentlichen Portion Puste und meinem Segen unter die Flügel helfe, rutscht er ganz in den Briefkasten hinein. Abgegeben ans Universum. Was die Reyes Magos (heiligen Könige) mit ihm anfangen, ist mir einerlei, ich weiß, ich habe meine Wünsche formuliert und Universum wird liefern. Ich freue mich aufs Beschert-Werden! Die ganze Straße liegt voller Goldflitter. Das ist doch ein gutes Vorzeichen! Außerdem war ich kreuzbrav, bin mir absolut keines Verschuldens bewusst. Ich darf zuversichtlich sein wie ein einjähriges Kind! Später schreibe ich noch einen Zettel für einen Freund, der Fürsprache nötig hat, und werfe ihn ebenfalls ein. Mit Schmackes. Zing! Es werde Wunder!

Meine Shoppinggelüste sind größtenteils gestillt, von gestern noch. Ich ziehe wie eine Königin ohne Untertanen mit wehenden Rockschößen meines umgebundenen Leopardenmantels raumfüllend durch die Gassen. Es tut gut, wenn man wahrgenommen wird. Die Leute weichen auseinander, machen Platz für mich. Später finde ich jedoch tatsächlich noch ein türkisnes Wallegewand, das mir zusagt und mich heute noch etwas außergewöhnlicher macht.

Beim Essen am Hafen setze ich mal auf Hausmannskost – Albondigas – Fleischklößchen. Die Entscheidung erweist sich als gut, sicher auch für meinen fast stimmbefreiten Hals. Laut iranischer Heilkunst soll man bei Stimmverlust folgendes vermeiden: Fettes, Scharfes, Frittiertes, Süßes.

Auf meinen Spaziergängen nähere ich mich nach dem Essen einem Ziel, das ich mir gesetzt hatte – das nachkonstruierte Schiff von Kolumbus, die Santa Maria, will ich sehen. Der Weg dorthin setzt mir so zu, dass ich etwa 100 m vor dem Ziel aufstecke. Ich schaffe es nicht. Ich werde ein andermal wiederkommen, wenn es mir besser geht. Muss ich also nochmal hier her. Schließlich habe ich ja eine Santa Maria zuhause, die mein Opa selbst gebaut hat. Ein schwarzes Schiff, sehr beeindruckend, groß und schwer. Einmal habe ich mir eingebildet, es unter der Dusche saubermachen zu können. Das war eine sehr blöde Idee, denn die schwarze Farbe ist nur aufgemalt. Ich habe den Versuch sofort abgebrochen.

Nun sitze ich also hier auf dem Platz und ärgere mich ein wenig über mich selbst. Hab Milde, sei gnädig zu dir, denke ich mir. Ich blicke auf, ich entdecke etwas da hinten, das könnte das Schiff sein! Ich stehe auf und quäle mich mit letzter Kraft den letzten Rest des Hügels hoch. Es ist gar nicht mehr so weit. Unterwegs komme ich an einer Party im Freien vorbei. Mehrere ältere Frauen sitzen da mit Sekt mitten auf der Straße an einem Tisch und feiern glitzerumgeben – wenn nicht das neue Jahr, dann sicherlich einen Geburtstag. Sie sind so gut drauf, die Damen tanzen plötzlich ein bisschen auf der Straße. Ihr Lebensmut stachelt mich an. Ich schaffe es bis zum Schiff!

Es hat die falsche Farbe, fad braun. Es sieht nach langweilig nachgebaut aus. Mein Original ist viel besser! Aber immerhin – ich habe es geschafft und mich selbst bezwungen! Trotz Kranksein. Ich bin froh über mich selber. Und ich muss nicht wiederkommen.

Auf dem Hochweg hatte ich eine Stelle identifiziert, wo es mir richtig gut gefallen hat. Ein Café im Freien, sicherlich beliebt bei Touristen, da es so ein schönes Plätzchen war, dass es mich schon fast an Rothenburg ob der Tauber erinnert hat. Egal, ich wehe hinunter mit meinem gefühlten Reifrock, abwärts habe ich wieder Power und nehme Fahrt auf. Als ich ankomme, ist kein Platz frei. Dabei hatte ich einen beim Universum bestellt. Wie das? Ich schaue dreißig Sekunden auf den Platz und sage: Hey, ich bin doch jetzt da! Das Universum sagt: du gehst aber sonst langsamer, Moment! Und macht einen Tisch für mich frei!

Ich bestelle sicherheitshalber ein Abendessen, denn inzwischen werden der gesamten Straße entlang Geländer mit Absperrband angebracht. Hier werden die Könige in ihrer Prozession erwartet. Mein Trick funktioniert, ich habe den Tisch den gesamten Abend. Zwar werden mir sämtliche anderen Stühle dankbar abgenommen und für die anderen Gruppen von Großfamilien verwendet, die an den restlichen Tischen Platz genommen haben, aber ich bleibe unbehelligt und kann später dem Festzug beiwohnen. Allerdings ist ein Platz am Tisch halt nicht ein Platz in der ersten Reihe. Ich verlasse den Tisch und muss aus der dritten Reihe von oben das Handy auf die vorbeifahrenden Kampagnenwagen richten.

Auch so gibt es genug zu sehen und knipsen. Die Hauptpersonen – die Kinder - sind begeistert: alle ihre Lieblinge sind dabei, die sie aus ihren Fernsehserien, Online-Spielen und die Älteren vielleicht noch aus Comics kennen. Auch für die Erwachsenen ist etwas geboten, so kommt z.B. Aladin auch mit einer Handvoll fescher Bauchtänzerinnen daher. Die Parade dauert 50 Minuten und endet mit den drei Königen in enormen Triumphwägen, die gerade noch durch die schmale Gasse passen und bedenklich wackeln. Sie sind sich ihres Status bewusst und benehmen sich standesgemäß. Sehr eindrucksvoll sind sie. Bis auf Caspar, der legt plötzlich ein flottes Tänzchen hin. Danach sprüht sein Wagen Lichtgarben. Bei Balthasar, dem Schwarzbemalten, sind die Lichter bereits ausgegangen. Er muss dunkel im Dunkeln munkeln, ist aber bestens gelaunt.

Auf dem Weg zum Auto freue ich mich über eine Mama, die begeistert mit ihrem Kind Konfetti von der Straße klaubt, die sie sich gegenseitig überwerfen. Keine langweilige Moralpredigerin, die sagt: das ist aber doch pfuibäh, lang das nicht an! Sondern eine, die wirklich diesen Moment mit allen Sinnen mit ihrem Kind genießt.

Später entdecke ich einen Vater, der auch so tickt (wo anders, sie gehören wohl nicht zusammen), allerdings mich gleich schuldbewusst anschaut, als ich auf den Auslöser tippe. Darf man sowas denn? Oh ja, man darf! Ihr seid super! Ich wünschte, meine Eltern hätten eine Sekunde lang ihr Leben so genießen dürfen.

Der Rückweg ist nicht einfach. Mein Handyakku ist leer und ich stelle fest, dass in den vielen Kreisverkehren überall auf der Insel sehr oft keinerlei Beschilderung angebracht ist. Bestenfalls ein gutes Stück davor. Mehrfach habe ich das Gefühl, nur nach Gefühl zu fahren, könnte mich womöglich die ganze Nacht kosten. Ich fahre Serpentinen hoch und runter, geblendet von entgegenkommenden Fernlichtern. Lustig ist das alles nicht wirklich. Aber dann, immer wieder, entdecke ich doch irgendetwas, an dem ich auf dem Herweg auch vorbeikam und atme erleichtert auf. Und tadaaaa: das erste Schild nach Tazacorte. Jetzt finde ich es im Schlaf! Hurra! Home sweet home!  Und drei Parkplätze genau vor der Tür. (Wo es übrigens wieder heftig geregnet hatte.)

 

Buntschwarz - 6./7.1.2025

Über die letzten beiden Tage darf ich berichten, dass ich wieder ganz zufrieden mit mir bin. Den bereits angenutzten Shavassiertag hatte ich noch mit einem Neu-Bezug von Judiths Spezialbett auf der Terrasse weitergeführt. Andere Leute bringen als Souvenirs von fremden Orten handwerklich begeisternde Dinge mit, ich mache dies im Sinne des Wortes, aber irgendwie doch ganz anders. So brachte ich damals aus Athen einen Engländer – nein nicht missverstehen, ich meine die Zange! - und einen Küchenvorhang aus Holz nach Hause, und diesmal kam ich von Santa Cruz zurück mit einem Inkontinenzbettlaken und einem Malerteppich (gegen Tropfflecken beim Pinseln). Mit solchen ist nämlich das Krankenhausbett oben auf der Terrasse ausgestattet, um sich gegen die Witterung zu behaupten. Nur hat es hier letzthin so derart ge-wittert, dass die nur noch am seidenen Faden in Fetzen hingen. Nun ist alles so gut wie neu, tschakka!

Als es Abend wurde, hatte ich dann doch genug des Nichtstuns (abgesehen vom Blogschreiben) und fuhr an den Hafen. Dort setzte ich mich mit meinen neuen Pinselstiften und dem Aquarellpapier auf eine Mauer und malte in nur zehn Minuten den Sonnenuntergang ab. Es zeigte sich, dass man offenbar nur beherzt irgendwo in Windeseile im Leopardenmantel pinseln muss und schon wird das, was man da produziert von den Vorbeigehenden mit Ah und Oh bewundert! Qué bonito! – Echt jetzt?

Na gut, wenn ihr meint – ich trenne mich gerne von meinem althergebrachten Makel, die letzte in einer Reihe von Künstlern zu sein. In meiner Familie hatten die alle Talent en masse. Der Opa, seine Brüder, seine Schwester – alle malten genial schön und perspektivisch korrekt, und außerdem waren sie konzertreif am Flügel. Meine Oma ernährte die Familie im Krieg durch das Malen ihrer Ölbilder, die sich wie die warmen Semmeln verkauften. Mein Onkel hatte ein echtes Auge für die Vereinfachung des Gesehenen in Van-Gogh-stilige Bilder. Meine Mutter hatte Modezeichnerin gelernt. Mein Sohn wurde als Wunderkind im Kindergarten gehandelt, weil er so genial zeichnete und rechnete (mein Vater war ein Mathegenie). Danach hat er sich musikalisch unglaublich entwickelt. Der andere Sohn hat früher auch sehr nett gemalt und sich ebenfalls der Musik verschrieben.

Dann kam der Zaun, dann kam der Baum, dann kam die Kuh, dann kam die Katze, dann kam der Hund, dann kam laaange nichts… und dann kam ich. So. Und jetzt hole ich auf. Es darf werden! Wenn man in einer Familie diejenige mit dem wenigsten Talent ist, heißt das ja noch nicht, dass man absolut gar nichts kann, sondern dass der Maßstab halt zu hoch hängt. Ich häng den jetzt mal ein paar Meter tiefer und dann erreiche ich ihn auch. Jedenfalls erdreiste ich mich, daran zu arbeiten.

Nach meiner wilden Pinselei setzte ich mich an einen Tisch zu einem weiteren Tintenfischgericht und schrieb dort gleich drei Geschichten, inspiriert durch das Geschehen um mich herum und den Tintenfisch. Wenn ihr Euch auf meiner Webseite oder der alten Webseite beepworld.letteratour.de umschaut, findet ihr vielleicht was.

So war ich trotz Schwäche an diesem Abend bereits wieder in meinem Element, und gestern ging es mir endlich auch körperlich wieder besser. Dank einer Postkarte, die ich irgendwo mitgenommen hatte, kam ich auf die Idee, zum Mosaikgarten La Glorieta in Las Manchas zu fahren. Das war eine sehr gute Idee. Es ist wunderschön und friedlich-idyllisch, was da alles mit Mosaiksteinchen am Boden, auf Bänken, auf Säulen und dem Brunnen gemacht wurde – alles ist voller fröhlicher Farben und Motive. Entworfen von dem Künstler Luis Moreira und zwischen 1993 und 1996 fertiggestellt, vervollständigt mit wundervollen kanarischen Pflanzen, großen Kakteen und Sukkulenten und natürlich der überall dominanten Lava, ist dies wirklich eine kleine Oase der Freude. Es gibt dort auch eine kleine farbenprächtige Bühne, auf der bestimmt immer mal wieder schöne Musik gespielt wird.

Als ich da saß und wiederum sehr beschwingt, diesmal jedoch mit Aquarellfarben und Kohle, einen Eindruck des Gesehenen aufs Papier brachte, lernte ich ein sehr nettes Pärchen kennen, die das Bild hoch lobten und denen ich von meinem Trip nach Poris de Candelaria berichtete. Durch sie erfuhr ich wiederum von der Möglichkeit, hier ums Eck in die unterirdischen Lavagänge einzusteigen. Das triggerte mich natürlich ungemein, und da musste ich hin. Im Weinmuseum nebenan war es nicht, dessen Besuch habe ich mir auch aufgrund des für Weinverkostung eher ungünstigen Zeitpunkts verkniffen und folgte meinem eingebauten Navi, das mich anstandslos über die Lavafelder nach oben geleitete, wo sich die Straße in einer Lavawüste verlief, eben da, wo der Ausbruch von 2021 alles zerstört hat. Ein wenig entfernt kam ich dann jedoch an einen Wegweiser und fand somit das Museum Caños de Fuego (Feuerröhren).

Wie es das Schicksal so wollte – genau 7 Minuten nach meiner Ankunft sollte die Führung stattfinden. Die war voll, aber der Mann hatte Erbarmen, und so durfte ich mit. Insbesondere für ein spanisches Kind mit Eltern opferte er sich sehr auf und erklärte diesem sehr anschaulich auf Spanisch, was hier geboten war. Die anderen 19 Besucher standen sich derweil die Beine in den Bauch in der Höhle, die man nach zwei Minuten bereits zur Gänze inspiziert hatte. So waren wir hier eine Stunde auf sehr kleinem Raum gefangen, und ich habe wesentlich spannendere Höhlen gesehen, zum Beispiel auf Mallorca (Cuevas del Drach und andere).

Aber diese hier war ja auf andere Weise entstanden. Die Lava hatte sie bei einem Ausbruch des Vulkans San Juan 1949 geformt. Wenn das Magma aus der Erde austritt und zu Lava wird, bewegt diese sich sehr langsam vorwärts. Hier auf der Insel dauerte es das letzte Mal eine Woche, bis sie sich mit dem Meer unter Zischen und Brausen vereinte, eine unheilige Allianz… Über der Lava bildet sich dann eine Kruste, die die Lava im Inneren heiß und fließfähig hält, während oben drauf eine Art Dach entsteht. Später hat sich dann die Lava entleert, aber das Dach bleibt bestehen, und somit diese Höhlengänge darunter. Man kann aber nur zwei davon besichtigen. Dieses hier war die sogenannte Glashöhle. Die Stalaktiten bestehen hier aus Lavaspritzern. Darunter entstehen dann irgendwann in grauer Nachzeit Stalagmiten durch calziumkarbonathaltige Wassertropfen, die von der Decke rieseln.

Tatsächlich war mein Mantel auch ganz durchweicht, als ich wieder nach oben durfte. Der Vortrag war zwar lustig und gut, aber der englische Text blieb hinter dem auf Spanisch Erzählten um ca. 60 Prozent zurück, und ich war noch KO und konnte nicht so lange stehen. Der Guide war dann auch ob meiner mangelnden Dankbarkeit, bei der Führung dabeisein zu dürfen, sichtlich enttäuscht, denn ich hatte es als einzige gewagt, mich auf einen Felsklotz zu setzen, während er sprach. Das Lavafeld um das Museum herum war jedoch total interessant und bedrückend, eine Art Marslandschaft in schwarz. Letzten Winter hatten wir schon so eine Marslandschaft auf Teneriffa am Berg Teide gesehen, allerdings in Weiß. Glaubwürdige Filme über fremde Welten kann man in solchen Gebieten sicherlich drehen.

Auf dem Rückweg, auf den ich mich frei Schnauze stürzte, durchfuhr ich auch diesmal ohne mein durchgeknalltes Navi sämtliche Lavagebiete des neuen Vulkans, schlug absichtlich Wege ein, auf denen ich noch mehr Lava zu sehen bekam. Eine fremde Welt, unwirklich und faszinierend, aber menschenabweisend. Dennoch ist der Mensch mit der Kultivierung dieser Flächen zugange. Weiter unten hat er es bereits geschafft, die fruchtbaren Materialbestandteile für den Obst- und Gemüseanbau zu nutzen. Da ist alles mit immens langen weißbetuchten Zelten verschandelt. Innen drin mag es ja grün sein. Von außen ist das keine Augenweide.

Nach einem wiedermal weniger erfreulichen Schnellschussimbiss auf dem Hauptplatz von Tazacorte (drei Tapas, von denen ich „bitte nur ein klein wenig“ bestellt hatte und drei überbordende Teller bekam, wovon aber nichts gut war) war ich rechtzeitig zu zweieinhalb Stunden Schreibzoom zu Hause und kreierte mit Anregung mal wieder Geschichten (ebenfalls auf den besagten Seiten zu finden).

Mein Resümee der Raunächte war auch gefragt. Ich habe das sehr kurz und knapp gehalten, denn ich hatte bereits im Laufe dieser Tage jeden Tag ein Wort als Tagesessenz abgeliefert. Nun habe ich die sperrigen Wortkreationen à la Lavatoleranz, Schnipselflow, Ad-absurdum-Führung in einer buntschwarzen Kreativitätsimplosion ganz runtergebrochen auf eine extrem reduzierte Form – das Motto fürs neue Jahr: Es darf einfach sein. Hier ist mein Machwerk also – ihr wisst ja, die meiste Zeit war ich einfach platt auf der Nase gelegen und hatte Hustentornados von mir gegeben.

Es werde Licht
Die Schwärze quäle mich nicht
Ich kritzel
Und schnipsel
Hab Meerweh
Und weniger Weh
Es beutelt mich
Und legt mich nieder
Bin schwach auf der Brust
Absurd wird das wieder
Dann erfind ich mich neu
Dem Wunschzettel treu

Mit Jarka, die inzwischen wieder zuhause angelangt ist, habe ich weiter regen Kontakt – eine verwandte Seele – wie schön! Und wir manifestieren uns gerade einen gemeinsamen Mosaikkursurlaub in Kroatien. Und vielleicht noch mehr. Und ich sage: Universum funktioniert!

 

Wie hätten wir es denn gern? - 8./9.1.2025

Weiter geht es im Shavassier-Tempo. Wenn man es einen Tag krachen lässt und dann zwei Tage rumhängt und es sich einfach gut gehen lässt, erweitert sich eine Woche in Nullkommanix auf drei Wochen. Ich entdecke hier die Langsamkeit, versuche mal zu erfühlen, wie es ist, tatsächlich Zeit zu haben, das mit allen Sinnen zu genießen, ohne durch irgendetwas getrieben zu sein und irgendwas zu müssen. Aber durch diese Zeitverbreiterung, so als falte mein ein großes Tuch aus oder rolle einen Teigklumpen für ein ganzes Blech flach, bekam ich das Gefühl, dass mir leider „nur noch zwei Monate“ von den dreien bleiben, was mir ja doch anfangs als eine unglaubliche Zeitspanne vorkam. Und dass mir zwei Monate eigentlich gar nicht mal reichen. Nun sind schon fünf Wochen vorbei und ich habe gefühlt noch viel zu wenig von der Insel in Beschlag genommen. Ich bewege mich in kleinen konzentrischen Kreisen um meinen nächtlichen Aufenthaltsort, erschnuppere ganz geruhsam, was da gefunden sein will - auch in wissentlicher Übergehung von Angeboten, mache es mir zu eigen, so dass ich sagen kann, kenn ich, passt, jetzt brauch ich was Neues.

Kaum wurde mir bewusst, dass die Zeit eigentlich nicht reicht, scheint das Universum also von meinem mir selbst noch gar nicht bewussten Wunsch gehört zu haben und macht mir eine Tür auf. Judith, die Vermieterin schreibt, sie bleibt noch zwei Monate länger weg. Nun hat mein Gedankenkarussell begonnen. Was mache ich jetzt da draus? Ich könnte jetzt also auch noch zwei weitere Monate hier bleiben. Für mich selbst würde ich sofort, ganz ohne zu zögern, ja dazu sagen. Aber was macht das mit meiner Beziehung zu meinem lieben Daheimgebliebenen? Ein Dilemma. Mal sehen, wie sich das löst. Was würdet ihr an meiner Stelle tun, wenn Zeit und Geld keine Rolle spielen würden?

Die eine der beiden Hausbesitzerinnen ist vorgestern ins Krankenhaus gebracht worden. Ich habe ihr jedenfalls eine Good-Will-Genesungskarte gepinselt und geklebt (habe keine Werd-bald-Gesund-Karte kaufen können) und hoffe damit jedenfalls gute Stimmung zu machen, dass sie weiterhin mit mir als Wohnungsbetreuung zufrieden sind.

Gestern hatte ich abends eine große Online-Meditation und morgens lange rumgeschrieben, da wollte ich in der Zwischenzeit nicht so weit weg. Von der Terrasse hörte ich lauten Wellenlärm, und das tagsüber, wo es hier nicht gerade so leise ist. Ich sah hinunter und konnte über die 3 km Entfernung bis zum Hafen riesenhafte Brecher sehen! Es beängstigt mich, wenn das Meer so tobt und wütet. Seit ich damals auf Gomera so winzig klein im Schatten der Berge direkt neben dem Meer stand und mich so vollständig unbedeutend auf dieser Welt fühlte, hatte ich einen Riesenrespekt vor dem gewaltig sich aufbäumenden Meer vor meinen Füßen bekommen, das so urgewaltig ist, dass der Mensch dem überhaupt nichts entgegenzusetzen hat. Wenn ich im Dunkeln auf das Meer schaue, bekomme ich immer so ein Gefühl wie eine falsche Vorahnung, dass es sich zurückziehen könnte und dann in unglaublicher Wucht und Entschlossenheit zurückkommen könnte.

So etwas sah ich von hier aus in der Ferne und besprach das mit meinem Liebsten und der sagte, interessehalber würde er da hinfahren und sich das aus der Nähe ansehen. Und irgendwie hab ich genau das dann auch getan. Ich saß etwas bange auf der Kaimauer und hab erstmal ganz lange zugeschaut, bis mir relativ klar war, das Meer bleibt so in etwa in seinem Bett, auch wenn es furchtbar laut herumbrettert, tost und wütet, sich selbst überbergt und untertalt und den Strand auffrisst als wäre es ein bissel schwarzer Traubenzucker. Auch wenn die Wogen vier Meter hoch werden und rasend schnell nacheinander folgen. Wiederum im Turnus von drei Stück aufs Mal, dann Luft holen.

Das Baden war gestern verboten, der Strandzugang mit einem Absperrband verschlossen, was zahlreiche Leute absolut nicht daran gehindert hat, sich – die einen sogar mit einer Horde kleiner Kinder - auf den Strand zu begeben. Wenn ich jetzt kleine Kinder hätte, wäre ich glaube ich ein besseres Vorbild. „Ach, da ist abgesperrt, also steigen wir mal drüber!“ Ne. Ich fühle, dass mir das als Mutter ein Signal von Recht und Ordnung gegeben hätte, dem ich mich in Anwesenheit meines Kindes nicht einfach widersetzen würde. So als Erwachsener, ganz allein und unbeobachtet, ist es anders.

Aber gestern saß ich jedenfalls brav an der Grenze des Verbotenen und holte mein Malzeug heraus. Das Wasser wollte sich nur wässrig aufgelöst, unfixierbar, struktur- und regellos zu Papier bringen lassen. Egal, wo ich ansetzte, sagte es mir: es könnte aber auch ganz anders sein. Da wo ich gerade dunkel bin, bin ich im nächsten Moment weiß, da wo ich gerade gischte, bin ich gleich eine Milliarden Tonnen schwere feste Wasserwand. Da wo ich gerade glatt bin, werde ich gleich strudeln und neeren, und da wo ich gerade schäume und sprudele, da werde ich gleich zu knallhartem Beton. Entsprechend ist auch mein Bild eine Auflösung alles Gesehenen in Undefinierbarkeit geworden.

Im Anschluss gönnte ich mir ein bodenständiges Essen, Spaghetti Bolognese beim Italiener, die sich aber auch in Unkenntliches auflösten und wenig handfeste Erinnerung an Gehabtes in sich bargen. In meinem Kopf tobte noch immer der Kampf mit dem offenen Tor aus Absatz zwei, und ich telefonierte mit meinem Liebsten, bis der Akku uns schied. Eine Entscheidung konnte mir das nicht einbringen.

Nach der großen Abendmeditation war ich erstaunlich müde, wahrscheinlich immer noch Überhang an Ungesundheit von neulich. Oder das Gefühl, etwas entscheiden zu müssen und gerade nicht zu wissen, was ich tun sollte.

Parallel dazu erhielt ich dann von Jarka, die ihrerseits auf die Kräfte des Universums vertraut, die Information, dass sie wirklich einen Platz im Kroatienkurs erfolgreich bekommen und sogar eine zweite Reise auf die Kanaren demnächst gebucht hat, obwohl sie noch nicht mal um Urlaub angefragt hatte, einfach weil sie das Gefühl hat, sie soll. So könnte das mit dem Manifestieren klappen, wenn es perfekt läuft! Allerdings gab es nur Flüge nach Teneriffa. Mal sehen, was das nun wiederum bedeutet. Und heute schreibt sie, ihr Chef gibt ihr erst morgen Bescheid, ob sie den Urlaub kriegt. Übermorgen in aller Herrgottsfrüh ist aber schon ihr Abflug. Puh.

Heute dann beschloss ich, meinen Füßen wieder etwas mehr zuzutrauen, da sie momentan wieder einigermaßen laufen können, und machte mich auf den Weg ins Dorf über die Treppenflucht nach unten. Bin ja ganz oben am Hang, da wo es nirgendshin mehr weiter geht, und von dieser Straße aus führen diverse Treppengassen schnurstracks nach unten mit vielen Dutzenden von Treppen. Ich kam bei der Tourist Information heraus und stellte im Gespräch fest, dass ich eigentlich alles in der direkten Umgebung, was die Dame für sehenswert erachtete, gesehen habe.

Dann wollte sie mir einen Tagestrip schmackhaft machen, mit dem ich den gesamten oberen Teil der Insel in einem Tag sehen könnte. Ich sagte – Moment – ich hab noch 2 bis 3 Monate, aber sie legte es immer wieder drauf an, mir alles in kürzester Zeit aufzuoktroyieren. Das ist ja überhaupt nicht mein Ding. Ich überlege vielmehr, ob ich nicht da hoch fahre und schaue, wie weit ich entdecken mag, ohne Plan und Zeittaktung, und evtl. irgendwo ein Zimmer für eine Nacht nehme, um nicht wieder umkehren zu müssen. Ihr wisst schon, Tausende von Serpentinen.

Ja, aber man kann das in einem Tag machen! – OK, das glaube ich ja, aber muss ich das denn? Ich will den Weg genießen, es geht mir nicht um das Ziel!

Schließlich landete ich dann unten in dem Café vom ersten und zweiten Tag, wo es die unsäglichen Schlemmereien gibt. Der Kellner erkannte mich auch sofort als Freundin von Judith. Natürlich spielte ich dann Judiths Spielchen mit ihm weiter – wie schlecht und schrecklich alles ist, auch sein Essen, weswegen ich ihm noch mal eine Chance geben muss, es ein andermal doch besser zu machen. Heute „misslangen“ ihm die Eier Benedikt vortrefflichst, äh ich meine grässlichst. Ich bin ja kein Eierfan, und halte mich fern von schwammigem Eiinneren, aber die wollte ich jetzt doch mal ausprobieren, und wenn man genug von der grandiosen Sauce drüber deckt, sieht man auch nicht, was man da isst, und geschmacklich war es einfach lukullisch. Äh, schrecklich. Naja. Euch darf ich ja die Wahrheit sagen. Also echt mega gut.

Danach stolperte ich zufällig in den Laden der Freundin von Judith und hatte ein nettes Gespräch mit ihr, sie umarmte mich sogar, als ich ging, wie nett! Und wusste auch meinen Namen. Im Anschluss kuckte ich mal in den Silberschmiedeladen hinein, der sich daneben befindet. Mir sind vor ein paar Jahren zwei meiner Lieblingsschmuckstücke aus meiner eigenen Wohnung geklaut worden, und ich vermisste diese beiden unendlich. Für eines davon bekam ich von meinem Schatz Ersatz geschenkt. Das andere geht mir immer noch ab. Ich habe damals dafür auf Mykonos ungefähr 35 DM bezahlt. Es hat aber einen ideellen Wert für mich. Hier wollen sie nun 520 Euro, um es zu rekonstruieren. Alternativ kann man sich überlegen, nach Mykonos zu fliegen und dort nachzuschauen, ob man Entsprechendes fände. Jetzt habe ich Zeit, in mich zu gehen. Womöglich noch 2 Monate länger. Ich bitte um Erhellung… Vielleicht gibt es ja auch einen Silberschmiedekurs, wo man sowas selber lernen kann… Ich glaube, auf dieser Insel ist alles möglich.

Fremd- und Selbstbeobachtung - 10.1.2025

Gerade komme ich ganz beschwingt nach Hause zurück. Heute Abend war ich nämlich im Kulturhaus in einem sehr angenehmen kleinen Jazzkonzert von Sabine Essich und verschiedenen Musikern, von denen der Gitarrist nur 21 Jahre alt war, aber echt was auf dem Kasten hatte. Die anderen waren für eine Veranstaltung, die morgen stattfindet, aus Barcelona hergeflogen und gaben heute ein kleines Gastspiel. Morgen ist dann Flamenco-Jazz. Da ich kein Flamencofan bin, weiß ich nicht, ob ich da auch hingehen will. Mal sehen, wie sich der Tag entwickelt, wo ich ja am Morgen schon einen weiteren Kurs bei Leon habe. (Heute hab ich übrigens nur eine kleine Collage gemacht und Malutensilien gekauft). Vielleicht kann ich mich dann mit dem Malen von Wasser besser anfreunden, wenn er Tipps gibt. Im Konzert traf ich auch zwei liebe Damen, die ich vom Malkurs kenne.

Nach der Veranstaltung heute habe ich schon wieder etwas gemacht, was ich normalerweise nicht tue, und wozu mein Liebster mir geraten hat, bzw. es ihm nicht klar war, wieso das etwas ist, das ich nicht normalerweise mache. Nämlich allein in eine Bar gehen. Zu der Musik heute hätte aber so gut ein Glas Rotwein gepasst, und im Münchner Kulturhaus kann man sich das auch holen und dann drin geruhsam vor sich hin schlürfen, während Filme gezeigt werden oder Aufführungen von Musik oder Theater stattfinden. Das hat mir jetzt gefehlt. Ich traute mich also in die Bar. Ein Schwung von Leuten aus dem Konzert kam nach, übersah mich aber komplett. War mir dann egal, die Musik war gerade das, was ich gerade gebraucht habe, und ich habe angefangen zu tanzen. Auch bevor ich vom Wein getrunken habe, bitteschön! Eigentlich hätte ich gern mal wieder gute Musik zum drauf Tanzen irgendwo hier. Aber das ist dann ein anderes Kapitel.

Heute war ich sonst schon wieder in Los Llanos, langsam kenne ich die Strecke aus dem Effeff. Nix mehr mit Lavafeldern! Ha! Dort hatte ich dann eine Pediküre und außerdem Glück, im gleichen Aufwasch einen Friseurtermin im selben Salon zu bekommen. Beides ist gut gemacht worden und war im Vergleich zu Deutschland preiswert. Allerdings habe ich immer das Problem, dass mir die Haare nach dem Schneiden zu kurz sind und irgendwie sonderbar gestylt. Naja, kommt Zeit, kommt Haar.

Danach musste ich irgendwie meinen Magen füllen. Das Essen war auch nur irgendwie. Ich gebe keine Empfehlung. Der Mosaikpark in Los Llanos war leider geschlossen, obwohl Freitag, und er angeblich aber am Montag geschlossen ist. Am Zaun stand „Vorsicht, frisch gestrichen.“ Vielleicht war das der Grund. Ich werde ihn euch ein andermal zeigen. Konnte nur einen kleinen Eindruck von außen gewinnen.

Und Jarka, was soll ich sagen – sie hat den Urlaub gekriegt und darf morgen früh um 5 im Flieger nach Teneriffa sitzen. Mal sehen, ob sich dadurch meine Pläne ändern und ich auch irgendwo anders noch hinfliege oder -schippere. Bei den aktuellen Meeresverhältnissen würde ich lieber mit letzterem warten. Hoher Seegang ist nix für meinen Magen, vielleicht auch nichts für die Fähre.

Und die Nachbarin wurde aus dem Krankenhaus entlassen, hurra!

Gestern hatte ich einen völlig ausgefüllten Abend nach einem ausgiebigen Telefonat mit einem Freund daheim, der mich eine Stunde lang aufklärte, dass die Frau in Folge der Fortentwicklung von den Zwittern in der Pflanzenwelt in zweihäusige Lebewesen zwangsläufig zickig und wählerisch sein muss, um die Gene optimal zu streuen. Danach folgte dann ein Zoom nach dem anderen. Eineinhalb Stunden Jahresrückblick erarbeiten. Dann die Karmasession – und schon wieder bekomme ich heute eine Rückmeldung, dass einer der Teilnehmerinnenwünsche sich prompt erfüllt hat. Was sind wir gut!

Danach hab ich noch mit meinem lieben Daheimgebliebenen weitergezoomt, bis es nach deutscher Zeit eindeutig Heiabettzeit war.

Im Jahresrückblick habe ich festgestellt, dass ich im letzten Jahr viel freier und wilder geworden bin. Nachdem ich erstmal eine Phase des Rückzugs und einer gewissen Unzufriedenheit hinter mich gebracht hatte. Jetzt habe ich wieder angefangen zu malen. Ich habe im gesamten Jahr unglaublich viel und kreativ geschrieben, nicht nur diesen Blog, sondern seit dem Sommer täglich einen „Schnipsel“ und davor Kurzgeschichten. Ich bin icher geworden als ich vorher war und spüriger, ausdrucksstärker, wortversierter. Ich habe so eine Freude an der Sprache entwickelt, die ja vorher auch mein täglich Brot war, aber da habe ich halt als Übersetzerin Information von einem Menschen zum anderen übertragen, ohne mich einzubringen, ohne selbst eine Aussage zu treffen.

Natürlich habe ich stets bestmöglich gearbeitet, versucht jedwedes Rätsel zu lösen und nichts im Ungewissen zu lassen, es sei denn, es war im Originaltext ganz absichtlich drauf angelegt, unverständlich zu sein. Aber es ist ganz etwas anderes, selbst der Autor der Texte zu sein. Ich fürchte, meine wären oftmals sehr schwer zu übersetzen oder verlören stark an Charme und Individualität. Aber noch werde ich nicht übersetzt, es darf mir also schnurzpiepegal sein und ich kann mit Wortgewalt, List und Tücke hantieren wie ich möchte, den Leser ins Bockshorn jagen und wieder hinaus, ihn auf den Holzweg schicken, der plötzlich verschlammt, ihn den Wasserfall mit mir hinunterstürzen lassen und dann gemeinsam feststellen, dass das sogar Spaß gemacht hat.

Im letzten Jahr habe ich ferner zwar Urlaube in Duisburg, der Türkei und Kroatien gemacht, aber mein Urlaubsbedürfnis war nicht vollends gestillt. Irgendwas wimmerte dann noch leise und ungesehen und unerfüllt in mir. Und das hole ich ja jetzt nach. Ich habe halt ein Fremdlandgen, so wie andere Leute ein Fremdgehgen haben. Mit teutschem Reckenthum hab ich nichts am Huthe. Im Haus habe ich sehr viele große Änderungen vorgenommen, so dass ich es auch schön haben werde, wenn ich heimkomme. Und ich habe viel für meine Freunde getan, ich glaub, ich war eine gute Freundin.

Eine für mich überraschende Frage mit interessanten Erkenntnissen war: Welche Entscheidungen hast du 2024 getroffen, und war das für dich leicht oder schwer? Das solltet ihr euch echt mal auch fragen. Die Listen von schwer und leicht sind unglaublich spannend – vor allem wenn man hinterfragt, warum das so schwer oder leicht war.

Welche Probleme habe ich hinter mir gelassen? Was waren hier meine inneren Widerstände? Und wie habe ich sie überwunden? Auch echt wichtige Fragen. Meine Antwort auf schwierige Situationen, die mir unlösbar erschienen, um sie anzugehen: Ich hab es einfach getan. Ist das nicht eine tolle Vorgehensweise? Obwohl man keine Ahnung hat, ob es klappen kann, ob man das beherrscht, ob irgendjemand der Beteiligten es beherrscht, einfach losgelegt – und: in allen Fällen gewonnen.

Auf jeden Fall passte diese Session wieder perfekt in das, was ich eigentlich noch erledigen musste. Ich hatte das alte Jahr wegen meiner Erkrankung nicht richtig abgeschlossen, hatte mir die zu den Raunächten zu stellenden Fragen in der jeweiligen Tagesenergie irgendwann nicht mehr gestellt, weil es mir gar nicht gut ging, und gestern kam das dann in dem Zoom alles hoch, und ich konnte das Jahr nun quasi in Frieden mit meinem Segen gehen lassen und Platz für Neues schaffen. Ich bin happy. Ich bin bereit für Gutes und Wunderbares!

 

Wasserfarben - 11.1.2025

Heute war mal wieder Frühaufstehertag, jedenfalls früh für mich, denn 9 Uhr ist normalerweise noch meine Schlafenszeit. Ich habe es aber hingekriegt und war dann um 11 am Hafen, um mich mit der heutigen Malgruppe von Leon zu treffen. Wir machten mal wieder kurzweilige Übungen im Gehen und Pollersitzen und kritzelten wild herum, um uns locker zu machen. Eine Teilnehmerin hatte Geburtstag und es gab sogar Sekt und selbstgebackene Quiche. Wie schön! Derart beschwingt ließ Leon uns dann auf die Schiffheit los. Irgendeine Szene aussuchen und dann loslegen. Ich habe mich heute tatschlich ordentlich reingesteigert und die gesamte Zeit nur mit einem einzigen Bild von einem im Hafen liegenden grünen Ausflugsschiff verbracht. Damit werden Delphinbeobachtungstouren gemacht. Leon kam immer wieder vorbei und gab mir Tipps, wo ich noch etwas verändern konnte, bis die Zeit dann um war. Besprechung!

Die Bilder unterschieden sich heute sehr stark. Eine Teilnehmerin hatte so wunderschön das wässrige Schwirren des Meeres eingefangen in überwässerten hellen Farben und großstofflichen Kohlefragmentexplosionen, die wie Masten wirkten, denn nichts anderes kann es ja sein, wenn das andere, was auf dem Bild dominiert, von der Farbe her unbedingt Wasser sein muss. Es gelang ihr, mit minimalem Aufwand den maximalen Effekt zu erzielen. Auf diese Weise hatte sie etliche Blätter vermalt, eines schöner als das andere.

Mein eigenes Bild wuchs aus der spielerischen Farbfreude und erst noch wie absichtslos perspektivfrei übers Blatt verstreuten, nur angedeuteten Linien in eine immer deutlicher nachgezogene Farbenpracht heran, die letztendlich durch Verdunkelungslinien dramatisiert wurde und sich aus dem Träumerischen ins Gegenständliche wandelte. Auch wenn es noch nicht überall Hand und Fuß hat, lassen die Konturen nun Sinn drin entdecken. Durch das Nacharbeiten von kleinen Details wurde es immer handfester, wenn auch eher realitätsferner. Ein genaues Abbild des Gesehenen war ja auch nicht das Ziel. Die Farben versüdseelichten sich zusehends in Eigenregie und tauchen jetzt schon fast in eine Disneyästhetik ein. So schwankte also die Bandbreite im Kurs von lichtstrotzender Simplifizierung und Auflösung bis zum comicartig umrandeten Cartoonismus auf meinem Blatt. Heute bin ich fast zufrieden mit meinem Bild!

Dann fuhr ich auf die andere Hafenseite, wo die Restaurants sind, und gönnte mir eine Portion Ziegenfleisch, was ich nicht zur Nachahmung empfehle. Es war nämlich zu meiner Überraschung eine Suppe mit einer Menge Knochen drin und nicht so sehr viel Fleisch. Dazu die üblichen Runzelkartoffeln. Präsentation ned so gut, und Geschmack auch nicht so sehr viel besser. Zu wenig Spannendes drin, ich habe mal wieder das Gefühl, ich selbst koche leckerer. Außerdem hatte ich in Venezuela mal Ziege mit Zitrone und Runzelkartoffeln. Mei war das gut… Kein Vergleich. Und kein Viertelliter Wasser dabei.

Als ich dann aufstand und weiterging – wen treffe ich da? Leon, an einem Tisch mit zwei anderen Teilnehmerinnen. Ja, er macht grad noch einen Kurs, ob ich auch will? Sie hatten schon vor einer halben Stunde angefangen, die Kritzelübungen waren schon durch, aber doch, ja, ich wollte! Und ich habe mich nochmal hineingesteigert! Heute hab ich das Malergen gehörig angestupst. Vielleicht ist es ja jetzt aufgewacht. Wenn ich meinen Telomeren täglich vorsinge: Ich bin eine Künstlerin, ich bin eine tolle Künstlerin – vielleicht glauben sie es mir ja mal und schalten das schnarchnasige Kunstgen auf Empfang und volle Funktion. Andere Leute fallen auf den Kopf und wachen als Savant wieder auf. Plötzlich können sie unglaubliche Dinge. Die Möglichkeit besteht also theoretisch. Naja. Sogenannte erstaunliche Inselbegabte gibt es weltweit etwa 100. Die haben dann einen IQ unter 70. Das ist jetzt auch nicht erstrebenswert. Außerdem sind 6 von 7 männlich. Das alles behauptet Wikipedia. Also – versuchen wir es mal lieber mit gesundem Mittelmaß. Eigene Zufriedenheit als Maß der Dinge! Mit meinem Meeresbild nach einem Foto von kürzlich bin ich auch happy. Es hat sich auch verselbständigt, ist aber irgendwie in sich schön, finde ich. Feuer über dem Meer, zwei Frauen, die hastig ihre Sachen wegbringen müssen, weil sie geflutet wurden.

Ansonsten gönnte ich mir heute drei Kilo Obst von einem fahrenden Händler, der da unten am Hafen stand sowie fünf wunderschöne Blumen, alles zum Spottpreis, später ein Eis und einen Sonnenuntergang über der Bucht, wo die Wellen immer noch heranbretterten, als wollten sie die ganze Welt überfluten und sich weit über die Hafenmauer hinweg ausbreiten, was sie zum Glück nicht schafften, denn auf der Mauer saß ich und ein Stückchen weiter Leon, der dieselbe Idee wie ich hatte, wenigstens auch vom Sonnenuntergang zu profitieren. Heute sagte die Frau, die jetzt fünf Monate und 11 Tage auf der Insel ist: jeden Morgen Sonnenaufgang und jeden Abend Sonnenuntergang, was gibt es Herrlicheres, davon werde ich nie müde. Geht mir auch so!

Jarka ist inzwischen auf Teneriffa gelandet und weitergeschippert nach La Gomera, was ich bei diesem Seegang vermieden hätte, aber wenn man nur eine Woche Zeit hat, möchte man halt keine Zeit verlieren, und sie verspürt den Ruf dieser Insel. Ich bin gespannt, was sie für Jarka in petto hat. Auf jeden Fall jede Menge romantische Himmelsstunden.

 

Fleissaufgaben - 12.1.2025

Und wieder hat die Insel über meinen Kopf hinweg entschieden, was ich zu wollen habe. Ihr erinnert euch an meine erzwungenen Vulkanbegegnungen. Heute durfte ich zunächst noch frei entscheiden und zum Markttreiben in Puntagorda fahren. Ich habe allerdings mehr fotografiert als gekauft. Das lag auch hauptsächlich daran, dass es da insbesondere Obst, Gemüse und Kuchen gab, weniger andere Sachen – nur ein bisschen Kunstwerkhandwerk und bedruckte T-Shirts. Frische Maracujas kaufte ich aber gerne. Mit einem Stück Kuchen und einen Ginseng-Kaffee mit Meringue-Eis saß ich dann glücklich nach langem Anstehen auf der Terrasse und fühlte mich durch den Ginseng gleich unsterblich.

Allerdings sollte ich partout nicht ins wunderbare Tal schauen. Ein einzelner, optisch herausstechender Stuhl wartete tischlos auf mich mit Blick auf ein nur wenig tiefer liegendes Gelände. Alles Sonstige war besetzt. So wurde ich visuell weniger abgelenkt und meine Aufmerksamkeit richtete sich mehr auf die Geräusche. Da war so etwas wie das Surren von einer sehr lauten Drohne. Es wiederholte sich. Aber es war gar keine Drohne! Da sauste ein Mensch von rechts nach links durch das Tal! Beim nächsten Mal bekam ich es besser mit. Der Mensch hing an einer Leine.

Das musste ich auskundschaften! Ich verließ die Halle und ging in Richtung des vermuteten Anfangs des Metallseils. Gefunden! Ein Aussichtspunkt, vor dessen durchsichtiger Glaswand sich ein sehr sehr tiefer Abgrund auftut. Ich stellte fest: Heute hatte ich keine Angst. Mit Abgründen war es bisher immer so gewesen, dass ich mich da unglaublich zusammenreißen musste, weil ich so ein Bedürfnis bekam, einfach mal so auf die Schnelle runterzuhüpfen – so quasi, um mal kurz eine Runde zu fliegen. Natürlich ist mir klar, dass das wenig erfreulich enden würde. Es hat aber gar nichts damit zu tun, dass ich etwa lebensmüde wäre, vielmehr habe ich diesen seltsamen Reflex bereits seit meiner Kindheit.

Infolgedessen habe ich heute ernsthaft überlegt, ob ich die längste „Tirolina“ der Kanaren, die ich hier durch Zufall entdeckt habe, für die läppischen 25 € ausprobiere. Was mich zurückhielt, war nicht eine Angst, hinunterzuspringen, das hatte ich ja schon so oft fast getan, sondern eine Angst, dass durch den Rückstoß der Bremsung am anderen Ende die Metalleinbauten in meinem Rücken verrutschen könnte. Ich habe meinen lieben Arzt in Dubai per WhatsApp um Rat gefragt, ob ich sowas machen dürfte, aber er hielt die Frage wohl für so absurd, dass es sich nur um einen Scherz handeln könne, jedenfalls habe ich keine Antwort darauf bekommen.

Und dann wurde ich für dieses Mal, als ich mich gerade dazu durchgerungen hatte zu sagen: „ich tu’s!“ weiterer Überlegungen enthoben, da die Betreiber der Anlage ankündigten, dass sie jetzt schließen und ich nicht mehr fahren kann. Somit musste ich irgendetwas anderes mit dem angefangenen Tag machen. Ich hatte ja gehört, von Puntagorda nach Garafía oder Las Tricias zu fahren, könne ganz nett sein. Somit schlug ich den Weg weiter nach Norden ein. Das Schild nach Las Tricias tauchte jedoch so unverhofft auf, dass ich schon vorbei war, als ich es erkannte. Tja, dann sollte das halt heute nicht sein. Irgendwann wurde es dann komisch. Ich folgte einem Schild nach Garafía, wich dem Roque de los Muchachos, dem höchsten Berg der Insel (2420 m) mutwillig aus. Ich fahre doch nicht hoch in die Berge, ich bin doch nicht verrückt! Ich bin eine Meerliebhaberin. Außerdem war da oben ja gerade ohnehin alles wegen Schneewarnung geschlossen, las ich gerade noch in den Inselmedien.

Ich kurvte also weiter den Berg hinunter, Serpentine für Serpentine. Irgendwann kamen keine für mich aussagekräftigen Ortsangaben mehr, ich kannte weder das eine noch das andere. Also zückte ich das Handy und gab im Navi „Garafía“ ein. Umkehren, nur sechs Minuten, sprach es. Hä? So nah? Ich schien es total übersehen zu haben. Also fuhr ich die ganzen Serpentinen wieder nach oben. Da kam das Roque-de los-Muchachos-Schild wieder, und genau da schickte mich das Handy hinauf. Nach sechs Minuten sagte mir das Handy „Sie haben Ihr Ziel erreicht“. Weit und breit kein Mensch, kein Haus und natürlich kein Garafía!

Da habe ich verstanden! Auf meinem Kalender stand heute: Ruf das Leben und gib dich hin! Das klappte nur zu gut. Wenn ich schon nicht gegen meine Abgrundspring-Dämonen vorgehen wollte, hatte ich heute den Kampf gegen die Bergscheu-Dämonen auszufechten. Ich suchte also nicht weiter nach diesem unauffindbaren Ort. Ich bin sicher, er wird sich mir ein anderes Mal freiwillig zeigen, genauso wie das bei Los Llanos passierte. Die Serpentinen wurden enger, die Straße auch. Gestein lag auf der Fahrbahn, Löcher rumpumpelten unter meinen Reifen. Habe ich schon mal erwähnt, dass Schlaglöcher hier in manchen, weniger gepflegten Straßen so groß sein können, dass der Reifen darin komplett versinken könnte? Man muss also sehr gut aufpassen.

Die Vegetation hier würde wie Zunder brennen, wenn einer eine Zigarette unachtsam wegwürfe, dachte es in mir. Auf der Insel wird auch in den Nachrichten davor gewarnt, mit dem Auto in eine Wiese zu fahren, da der heiße Auspuff die vertrocknete ehemalige Grünpracht zum Brennen bringen könnte. Wenig später änderte sich das Bild, und auf einmal lag da jede Menge Schnee! Aber die Straße war heute geöffnet, besagte ein Schild. Ich hatte es also richtig gefühlt: ich musste hoch bis ganz oben. Nein, die Touristenstation war nicht gemeint, sie schloss nämlich 21 Minuten nach meiner Ankunft, so dass ich auf den Museumsbesuch verzichtete. Höher, noch höher!

Natürlich zeigte sich hinter jedem Gipfel, den ich für die Endstation hielt, ein weiterer, der noch weiter oben lag. An den riesengroßen Teleskopen und Observatorien ging es vorbei. Ich rief dort spontan an, ob man besichtigen könne, erst auf Englisch, dann auf Spanisch. Man nuschelte Unverständliches auf Spanisch und legte auf. Drei Anrufe verliefen mit demselben Resultat, dann hatte ich auch hier begriffen, mir war das heute nicht zugedacht. Bei allen Zufahrten zu den enormen technischen Wunderkonstruktionen, die surreal am Berghang klebten, stand „nur für Mitarbeiter“. Ich musste also noch höher hinauf.

Endlich ging es echt nicht mehr weiter. Nur noch wenige Meter zu Fuß hoch und dann wieder auf der anderen Seite hinunter. Die Aussicht war bombastisch! Ich genoss sie mit allen Sinnen. Hier oben war es nämlich sehr kalt. Der Leopardenmantel, den ich gestern überflüssigerweise am Hafen dabeigehabt hatte, hatte über Nacht zum Glück im Auto campiert, und heute durfte er fauchen. Mehr Existenzberechtigung als mit Manu im Schnee würde er auf dieser insel gewiss nicht mehr bekommen!

Und jetzt stand ich wieder am Abgrund. Diesmal war es aber in Ordnung, ich hatte keine Gelüste, hinunterzuspringen. Ich stand da ohne eine Spur von Schwindel und freute mich, auf dem Höhepunkt meiner Inselfahrt angekommen zu sein. Von da an ging es ja zwangsläufig nur noch bergab, aber ich hoffe auf viele weitere Highlights auf meinem Trip!

Eben habe ich im Ort El Jesús in der Brauerei Isla Verde eine Komposition aus Lachs und geschmorten Birnen mit Reis und dazu ein süffiges „Indiana vom Fass“ kredenzt bekommen und für gut gefunden. So darf es weitergehen! Ich war eingekehrt, da die Sonne mir in vielen Straßenkehren genau in die Augen knallte, so dass ich Angst hatte, von der Fahrbahn abzukommen oder den Gegenverkehr nicht rechtzeitig zu bemerken. Nach insgesamt tatsächlich sechs Stunden Serpentinen stehen jetzt nur noch 35 weitere Minuten Fahrt im inzwischen Dunkeln an. Das Handy schläft den Schlaf des Gerechten, aber ich finde heim. Es hat sich überanstrengt und die Powerbank, die ich gestern extra für den heutigen Ausflug geladen hatte, pennt friedlich daheim auf dem Nachttisch.

 

Gordische Knoten und deren Auflösung - 13.1.2025

Nach den gestrigen Exzessen am Lenkrad machte sich heute Nacht irgendwas im Bereich des Nackens ganz fürchterlich bemerkbar, so dass ich stundenlang wach lag und mir überlegte, was genau mein Körper mir jetzt sagen will. Wollte er mich nur darauf hinweisen, dass so viel Serpentinen die Muskulatur nicht unerheblich beanspruchen? Oder dass ich mit meinen Absprunggelüsten einfach drüber hinweggegangen bin, dass ich ja keine gesunde Mittzwanzigerin bin, sondern ein angehendes altes Wrack mit Aufenthaltsberechtigung auf Zeit? Quasi prophylaktisch schon mal zeigen, wie das wäre, wenn man sich noch einen Halswirbel ausrenkt zu all dem kaputten Rest dazu?

Ich konnte es in der Nacht nicht herausfinden. Oder ob ich mir etwas aufgehalst habe, was ich nicht schultern kann, ob ich mich be-schwert habe, etwas seinen Fuß auf meinen Hals gesetzt hat, ich mir etwas aufgebürdet habe. Die Schmerzen sind zwischen der Halswirbelsäule und dem Schulterblatt, und ich habe alle möglichen gymnastischen Bewegungen bereits in der Nacht ausprobiert, die aber nichts gebracht haben. Erschöpft schlief ich dann gegen halb sieben ein mit einem kleinen winzigen Kissen, das ich in Judiths Bett fand, als einzige Lagerungsfläche für meinen Kopf.

Beim Erwachen dachte ich erstmal, es sei vorbei, aber sobald ich mich bewegte, wurde ich eines Besseren belehrt. Ich hatte dann ein langes Coaching, was möglicherweise auch der Grund war - dass mein Unterbewusstsein vielleicht vermeiden wollte, diese alten Probleme endlich mal zu lösen, und deshalb meine Selbstfindung sabotieren wollte. Es war ja ganz gemütlich mit dem alten Mist in meinem Leben. Der verkrustete Mist, der von außen Struktur gibt. Wenn man aber alles zerbröselt und runterkrümeln lässt, gibt es da auf einmal so viel Platz, und wenn man noch die Energie von den anderen Leuten zurückholt, die einem in so einem Leben begegnet sind, entsteht da so ein Gewabere von Energiewolken, die erstmal wieder zusammengehalten und konzentriert werden müssen. Entwässrigt, versubstanziert. Dann braucht es irgendeine neue Struktur, und die ist noch nicht da. Vielleicht war die Angst davor groß.

Nun habe ich dies alles also zugelassen, habe eine 49-stellige Anzahl (!!!) an Leidensfaktoren zurückgegeben, die mir in meinem Leben durch die Verbindung mit einer bestimmten Person in diesem und vorherigen Leben zugemutet wurden, oder die anzunehmen ich mich selbst damals bereiterklärt habe. Bis dass der Tod Euch scheidet. Wir schieden uns aber schon davor, und das Leid zipfelte weiter in mir herum, würgte und schnürte ein, stachelte und piesackte, hemmte und bändigte mich, stumpfte mich ab und verstummte mich, dämpfte mein Wohlbefinden und meinen Forscherdrang.

Aus diesem Mindset herauszukommen hat mich schon sehr viel Zeit und unglaublich viel Kraft gekostet, und Verluste innerhalb meiner Familie. Einen Sohn, der sich absentiert hat. Alles sind Dinge, die weh tun. Ob so etwas sich dann körperlich manifestiert, wenn man „ans Eingemachte“ gehen will, und die Konserven zu öffnen beabsichtigt? Heute haben wir jedenfalls begonnen.

Gleichzeitig löst sich anscheinend ein Knoten für meinen „verbliebenen“ lieben Sohn, und ich gönne es ihm so, wenn sein Leben wieder Fahrt aufnimmt und freudige Lichter aufleuchten. Heile dein Leben, und du heilst das deiner Ahnen und deiner Nachkommen. Ich wünsche mir sehr, dass das so geschehen möge.

Heute habe ich dann nach dem Coaching sehr lange geschlafen, ich war unglaublich erschöpft und wie ausgewalkt und durchgeknetet. Ein Hefeteig, der vor sich hin blubbert und aufgeht, aber erstmal noch nicht weiß, wozu er dienen wird, bis eine kundige Hand ihn in eine schöne Form bringt und was aus ihm zaubert.

Eine kundige Hand auf meinem Nacken wäre auch nicht schlecht, aber erstmal versuche ich es mit einem Muskelrelaxans. Einmal hatte ich eines genommen, als ich noch studierte, und dann wachte ich auf, und konnte zwar noch denken, aber nicht einmal einen Finger bewegen. Ich hatte im Laufe des Tages ein Glas (nur eines!) Wein getrunken, und das vertrug sich mit dem Medikament nicht. Ich hatte eine Wahnsinnsangst, denn ich dachte, das wäre jetzt permanent, ein Schlaganfall oder ähnliches, aber zum Glück hörte die Lähmung nach etwa einer Dreiviertelstunde wieder auf. Seither habe ich total Manschetten vor solchen Medikamenten und lasse mir keine verschreiben. Heute probiere ich es mit einem Glas Rotwein. Vielleicht hat das ja einen Placeboeffekt, und morgen bin ich wieder wie neu!

Nach meiner langen Schlafenspause habe ich mir auf der Terrasse mit der linken Hand vier Skizzen von den Hafenszenen vorgeknöpft. Koloriert und mit Kohle „bekräftigt“. Die Bilder haben eine ganz andere Anmutung als die mit der rechten Hand gemalten, aber ich finde sie dennoch irgendwie total schön und freue mich an ihnen. Die Malmeditation ließ mich den Schmerz sogar vorübergehend ganz vergessen, ich war so im Flow. Wie Leon es nennt, hatte die Muse zugebissen. Vielleicht hilft der Musenbiss in homöopathischer Weise als Gegenschmerz gegen den Schmerz, so dass sich Schmerzberg durch Schmerztal ausgleicht und auf Null setzt, so wie die Hahnemann'sche Medizin eben wirkt. Dann soll es mir recht sein! Malen als Therapie wird nicht schaden. Nun habe ich also etwas Neues entdeckt, dass gegen meine physischen Missstände wirken kann. Toll!

Abends machte ich mir Bratkartoffeln, ein Gefühl von Heimeligkeit geht von ihnen aus. Ein inneres Bratkartoffelessen nennt meine Schreiblehrerin Nadine manches Wohlgefühl, und somit habe ich mir heute in mehrfacher Hinsicht versucht, Gutes zu tun. Manches braucht allerdings Zeit. Zum Beispiel die Antwort von meinem Arzt in Dubai. Aber ich glaube, mein Body hat mich schon Mores gelehrt, ich sollte wohl die Tirolina nicht selbst befahren. Wenn ich körperliches Unwohlsein haben will, geht das auch ganz ohne spezielle Happenings.

PS: Nein, liebes Universum, ich will vollständig gesund sein und mich so wohl und zufrieden fühlen, wie es gestern war. Nimm mal das bitte als Zielzustand. Danke.

 

Wie ein Flamingo als Vorbote des Rauchverzichts vorbeikam - 14.1.2025

Heute hab ich erstmal weiter meine Wunden geleckt, bzw. mit meiner ungleichgewichteten Wirbelsäule möglichst platt im Bett gelegen, damit sie sich aushängt. Judith und ich haben beschlossen, dass das Wort Shavassieren Einzug in den Duden halten musst. Heute habe ich mich dafür wieder inaktiv eingesetzt.Als ich dann das Gefühl hatte, es geht wieder so halbwegs, hab ich mir einen halben Weg zugemutet, nämlich bis zum Strand, wo heute immer noch die Brecher brechen und die Wogen wogen. Unterwegs bemerkte ich, wie das Lenken in den Serpentinen mir weh tat, also möglicherweise ja auch zu dem Schmerzgeschehen ursächlich beigetragen hat. Ich lehnte mich am Strand an die Mauer aus groben Natursteinen und probierte mal, ob mir ein herausstehender Stein in passender Größe Linderung am Schulterblatt verschafft. Das ging eine Zeitlang ganz gut, aber dann musste ich mich doch hinlegen, um in meinem Buch weiterzuschmökern. Es zog und zog sich (ist immer noch dasselbe), so dass ich einschlief. Dann war es schon Zeit, zurückzukehren, denn heute hatte ich wieder Schreibworkshop.

Den habe ich dann gut hinter mich gebracht. Als der Zoom anfing, knallte mir die Sonne gerade noch voll in die Augen, während es in Deutschland schon Nacht war, aber später fiel der Vorhang der Dunkelheit auch bei mir in aller Schnelle herunter und sofort kam der Nachtwind auf, der mich etwas auskühlte. Die verkrümmte Haltung durch das Frieren scheint irgendwie gut getan zu haben, denn jetzt gerade ist es relativ gut.

Im Schreibworkshop kaute ich zum wiederholten Male den Unfall in Indien durch, was meine friedliche Stimmung etwas ins Wackeln brachte. Es ist halt immer noch schlimm, genau an den Moment zu denken, in dem es geschah. Auch wenn ich nun schon mehrfach drüber geschrieben habe, was normalerweise die Dinge ins Lot bringt.

Im Lauf des Vormittags hatte ich heute jedoch eine eher niedliche kleine Geschichte kreiert, die zu dem noch weiter überarbeiteten Kritzelkrakel von Leons letztem Kurs gehört. Hier ist sie (auf meiner Webseite letteratour.com samt Bild) und freut euch wahrscheinlich mehr als meine Unfall-Story:

Während ich an meinem Diabolo-Menthe nippte, gesellte sich ein Flamingo zu mir. Wir hatten uns noch nie zuvor gesehen. „Darf ich auch mal probieren?“, fragte er mit träger Mittagsstimme. Völlig überrascht hielt ich ihm mein Glas hin, und er tauchte seinen Schnabel ein. „Aaaaah, wie gut das tut!“, seufzte er mit schnarrend-gedehnter Stimme.

Dann begab er sich in den Schatten des nächsten Sonnenschirms und schlug elegant ein Bein über das andere. Kurze Zeit später schlief er ganz offensichtlich bereits, vollständig im Gleichgewicht mit sich selbst.

Ich bestellte mir einen zweiten Diabolo, dann einen dritten, da mein Körpergewicht wesentlich höher als seines war. Der Kellner weckte mich zum Schichtende.

Und hier erfolgen wieder seltsame Koinzidenzen… Kaum schrieb ich vom Diabolo Menthe, bekam ich eine Nachricht von dem Freund, mit dem ich damals in Frankreich war, und mit dem ich 2023 Kontakt wiederangeknüpft hatte. Mit ihm hatte ich dieses Getränk in Besançon täglich getrunken. Seit Ende 23 schlummerte der Kontakt aber wieder friedlich. Und genau heute meldete sich mein alter Freund aus Frankreich und berichtete, dass meine Worte ihm so geholfen hätten, dass er durch meinen Input es geschafft hätte, nun bereits 2 Monate rauchfrei zu sein, denn ich hatte ihm gesagt, es lohnt sich, das wieder anzugehen. „Ich bin überzeugt, du schaffst es“, hatte ich geschrieben.

Es freut mich sehr, dass er sich darüber ernsthaft Gedanken gemacht hat. So kann ein jeder Mensch mit dem was er sagt, für einen anderen eine Inspiration sein, selbst wenn er selber schon längst vergessen hat, dass er überhaupt zu dem Thema was geäußert hat. Also, falls jemand von euch mit dem Rauchen aufhören wollte, und es zum Stichtag 1. Januar nicht hingekriegt hat – es ist egal, wann man diesen Vorsatz fasst – es ist eine Angelegenheit, die man hinkriegen kann. Ich habe es am 21.7.2010 in Angriff genommen und bis jetzt durchgehalten. Davor hatte ich 3 Schachteln täglich geraucht. Das war schon ein Einschnitt!

Das Problem ist, dass man drei Tage durchhalten muss. In diesen drei Tagen geht es halt nur um die 1. Zigarette am Tag. Die darf man nicht rauchen. Und wenn der 3. Tag vorbei ist, ist der Drang am 4. Tag überhaupt nicht mehr so groß. Ab da geht es nur noch darum, dass neue Situationen unverhofft dazukommen können, in denen man bislang immer eine geraucht hat, z.B. bei einem Stammtisch draußen vor der Tür, beim Heimweg vom Konzert oder am Flughafen nach der Landung, so Sachen, die einem im Alltag halt nicht ständig, sondern in größeren Abständen passieren. Und wenn man jede erste solche Situation überstanden hat, ist die zweite kein Problem.

Trust me, ich hab das mehrfach gemacht, aus wohlüberlegten Gründen, aber auch mehrfach Minus eins wieder angefangen. Aus ausschließlich saudummen Gründen. Wie: „dir werde ich‘s zeigen, wenn du mich so ärgerst, dann rauch ich halt wieder. Sieh, was du mir angetan hast!“ Wer dann am meisten drunter gelitten hat, dass er hustet, sich schwach fühlt und einen Haufen Kohle verpulvert, ist dann ohnehin klar.

Nun gut, ansonsten habe ich von der Insel heute nichts zu berichten, außer dass es ein bissel windig ist. Und nebenan La Gomera liegt, wo Jarka herumklettert und fragt, ob ich auch rüberkomme.

Das innere Navi - 15.1.2025

Wiederum habe ich heute Kritzelkrakel-Bilder aus unseren Übungssessions ein bisschen nachgemalt. Es macht mir Spaß, aus meinen lausigsten Bildern noch irgendwie was rauszuholen. Ein richtiger Künstler könnte natürlich noch mehr damit anfangen, aber man muss auch mal klein anfangen. Es erinnert mich daran, wie ich noch ganz winzig war und auf dem Papier einfach Schmierischmari gemacht habe, und dann hat meine Mutter, die Modezeichnerin, aus irgendwelchen Kritzelschlingen, die ich aufs Papier gebracht habe, Gesichter und Tiere herausgearbeitet, so dass plötzlich etwas Tolles entstand. Leider hat sie das nur dreimal gemacht, aber heute ist es mir wieder eingefallen, wie stolz ich darauf war, dass wir gemeinsam so wunderbare Werke geschaffen haben. Ich hätte das gerne noch viel öfter gemacht, aber meine Mutter sprang leider nicht mehr drauf an.

Zu meinem Bild gehört folgender Text (intuitive Eigeninterpretation des Bildes):

Hab keine Angst, du bist sicher aufgehoben unter meinen Flügeln. Du fliegst im Windschatten meiner Schwingen, geschützt vor den Regentropfen. Und so fliegen wir mitten durch die Sonne.

Was auch immer die anderen da unten über uns sagen und über uns denken, nach uns greifen, uns Verbote setzen und mit Wedeln nach uns feudeln… Das sei uns nur Schall und Rauch!

Wir lassen uns nicht unterkriegen, zu ihnen auf ihre Ebene hinunterzwingen. Wir sind diejenigen, die den Überblick bewahren, sind diejenigen, die unangreifbar sind, sind diejenigen, die nicht darauf hereinfallen, in deren alte Spuren hineinzustürzen, um den Rest unseres Lebens in den Schienen zu fahren, die irgendjemand vorgegeben hat.

Wir sind König und Königin der Lüfte und überlassen den anderen ihr selbstgebasteltes Traumaland. Hier oben sind wir frei, und der Wind sträubt unser Gefieder und kitzelt uns zwischen den Federkielen.

Judith hatte mir beschrieben, was sie so in Sri Lanka zum Essen bekommt, was mich dann inspiriert hat, ein ähnliches Mittagessen auf die Schnelle zu zaubern. Inclusive gebratenen Kochbananen und gebratenem Khaki. Dazu Fischkroketten und Blumenkohlcurry mit Käse. Die Kombination war ungewöhnlich, aber sehr schmackhaft. Danach ließ ich mir von Judith Tipps geben, was ich in der restlichen Zeit heute anfangen könnte, und sie wies mich auf die Cumbrecita hin. Das ist ein Wandergebiet hinter El Paso, natürlich oben am Berg bzw. in den Bergen. Als ich ankam, fragte man nach meinem Berechtigungsschein, den ich natürlich nicht hatte. Man hätte online einen Parkplatz reservieren müssen, weil es da oben nur ganz wenige Parkplätze gibt. Da es aber bereits eine halbe Stunde vor Ende der reservierungspflichtigen Zeit war, ließ man Gnade vor Recht ergehen, und so durfte ich die restlichen 4 km mit dem Auto auch noch hochfahren.

Das war so eine wunderschöne Strecke. Ich fuhr sie sehr langsam mit Genuss und rief mich stetig zur Ordnung, im Hier und Jetzt zu sein, wie bei der Fahrt auf den Roque de los Muchachos auch, wo ich George Harrison mir zusingen hörte: “Be here now! A mind that wants to wander around a corner is an unwise mind…” Also schaute ich genau auf das, was vor mir lag, und fragte mich nicht, was hinter der nächsten Serpentine wohl auf mich warten würde. In dem Bereich gab es außerdem wenigstens nicht so viele Serpentinen wie sonst und auch sehr wenig Verkehr, so dass ich mehrfach unterwegs einfach anhielt, mitten auf der Straße, und mich traute, Fotos zu machen. Es war so schön dort! Dieses Grün tut so gut. Es befriedet. Es heilt die inneren Wunden. Es macht glücklich.

Am Parkplatz stellte ich dann fest, dass der von Judith angekündigte Spaziergang von einer halben Stunde wohl irgendwo anders angesetzt wurde, denn hier war laut Landkarte die allerkürzeste Wanderroute 2,5 Stunden, während die anderen zwischen 5 und 7,5 Stunden lagen. Also – für mich ist nichts davon möglich. Ich dachte, ich gehe dann halt ein Stück und kehre wieder um. Dieses Stück war mir dann bereits viel zu steil, auf groben Steinen. Wanderoutfit habe ich nicht, meine Schuhe sind nicht gerade optimal für so etwas, und mein Energielevel und mein Beinhebewinkel völlig unzureichend. Also kehrte ich nach ein paar Wegkehren, wo es nur den Berg nach unten ging, lieber wieder um und fuhr mit dem Auto wieder zurück. Ich genoss nun den Blick von der anderen Seite und entdeckte Neues. Es gab mehrere Stellen sowie ein Bachbett, in denen wohl Wasser fließen sollte, aber alles war komplett ausgetrocknet.

Ich hatte jedoch, weil mir jemand von der Malgruppe gesagt hatte, da gäbe es eine natürliche Quelle, wo man für Zuhause Wasser holen kann, 4 große leere Wasserkanister mitgebracht, und schließlich fand ich auch den Hahn, wo man das Wasser zapfen konnte. Zum Glück war der nicht auch trocken, sondern es gab genug. Während ich da meine Behälter füllte, kamen noch zwei andere mit ihren großen Wasserflaschen. Offensichtlich ist das ein offenes Geheimnis. Leider hatte ich keine kleine Flasche dabei vor lauter großen Gedanken, und so blieb ich längere Zeit durstig, weil ich nicht aus dem Kanister trinken wollte. Und das Wasser gluckerte so laut bei jeder Kurve, und ständig musste ich anhalten, um die Flaschen wieder hinzustellen, die auf steilen Wegen halt zum Umfallen neigen.

Weiter unten stellte mich die Wegweisung vor die Entscheidung, nach El Paso zurückzufahren oder nach Valencia. Ich versuchte auf dem Handy herauszufinden, was in Valencia sei, aber es zeigte nur eine Flugstrecke von Valencia nach La Palma. Da hupte es vehement hinter mir, und so fuhr ich erschrocken los, und zwar nach Valencia. Ich habe dort (in Spanien) einen Orangenbaum adoptiert, und so kam mir der Name freudig orangefarben leuchtend vor. Wie sich zeigte, war die Entscheidung gut. Es war eine sehr schöne Strecke, auf der ich den Eindruck hatte, die Natur befände sich hier fast in einem deutschen Frühling. So fröhlich hellgrün und gelb wie frisch gewaschen und neu geknospt blühte es allenthalben, so duftig nagelneu waren die Farben. Ich fuhr im Schneckentempo und genoss einfach. Es war niemand hinter mir.

Dann wurde die Straße definitiv von jetzt auf gleich bedeutend schlechter und endete plötzlich vor einem unwegsamen Gelände, durch das ich mich nicht mehr traute, weil ich meine Reifen nicht ruinieren wollte. So setzte ich zurück und wurde auf dem Rückweg bereits wieder von der niedrig stehenden Sonne gepiesackt (übrigens, die Sonnenbrille liegt immer noch gut zu Hause). Auch diese Entscheidung war richtig, denn hinterher stellte ich fest, dass Valencia scheint’s gar kein Ort, sondern ein Wandergebiet ist.

Auf dem Weg nach El Paso kam ich dann an einem Wegweiser zur Virgen del Pino (Jungfrau der Pinie) vorbei, die Judith mir ebenfalls empfohlen hatte. Ein kleines Kirchlein in Weiß mit einem zum Schmunzeln anregenden Schild vor dem Altar (siehe Foto). Daneben der älteste Pinienbaum der Welt, behauptet ein Aufsteller, nennt aber nicht einmal ein annäherndes Alter. Der Baum hatte wegen Ungezieferbefall und witterungsbedingten Schäden ziemlich gestutzt werden müssen ging ebenfalls aus dem Geschriebenen hervor. Trotzdem ist er majestätisch und unsagbar ehrfurchtgebietend. Leider kann man nicht hin und ihn umarmen, bzw. die Arme auf ihn legen. Drum herum fassen würde eh nicht gehen.

Auf dem weiteren Heimweg sah ich auch noch einen anderen, wohl sehr alten Baum, möglicherweise eine Platane, jedenfalls mit einem sehr beträchtlichen Umfang.

So hat mich heute mein inneres Navi wieder an genau die für mich richtigen Orte geführt, an denen ich mich wohl gefühlt habe und eine fette Welle von Freude empfand. Es lebe die intuitive Routenplanung! Einfach machen, gar nix fragen.

Im Anschluss gönnte ich mir noch eine Pizza über der Balustrade der Hauptstraße von Tazacorte und einen Zoom mit meinen vier getreuen Ladies, die mittwochs mit mir ihre Wünsche manifestieren. Auch diesmal herrschte wieder so eine gute Energie und fröhliche Stimmung. Es tut einfach wohl. Online-Meetings mit lieben Menschen sind fast so gut wie real life. Und das über 4000 km Entfernung. Schön, dass so etwas möglich ist!

 

Salzgischt - 16.1.2025

Endlich habe ich heute mal einen Ausflug bis ans südliche Ende der Insel gemacht. Nun habe ich also die eine Seite so ungefähr angeschaut. Die andere Seite wird aber noch mehr Zeit in Anspruch nehmen, weil man ja jeweils erst über die Insel fahren muss und auf der drüberen Seite dann hin oder her nach Nord oder Süd. Mein Weg heute führte mich jedenfalls nach Fuencaliente.

Auf dem Weg dahin über Kurvenstraßen - wie kann es anders sein - aber oftmals mit recht netter Aussicht (und fehlender Leitplanke) kam ich an einem kreisrunden Kirchlein vorbei, der Eremitage der Heiligen Cäcilia. Ich war vorbeigefahren und ein gutes Stück Wegs weiter unten dachte ich mir, ich hätte das aber gern gesehen. Umdrehen konnte ich nicht, nur irgendwo blöd am Rand parken. Also machte ich mich zu Fuß auf, wieder zurückzugehen.

Unterwegs fiel mir auf: was machst du da eigentlich – sonst wärest du bestimmt nicht ausgestiegen, um einen Berg hochzulaufen. Irgendwas in mir hat sich geändert, und ich bin auch fitter als zuvor. Ich musste dann die an dieser Stelle mal vorhandene Leitplanke im Grätschklettermodus hinter mich bringen und auf der anderen Straßenseite den Hügel hinauf. Die Eremitage hatte jedoch leider eindeutig geschlossen. An einer Stelle hatte ein Neugieriger das Fenster zerschmettert und man konnte ein kleines bisschen vom Inneren entdecken. Das kam mir jetzt nicht so absonderlich toll vor. Eigentlich weiß ich nicht, warum ich unbedingt da hochwollte. Manchmal macht das Universum vermutlich Witze mit mir. Oder es wollte mir die Erkenntnis vom Fußweg auftischen.

Heute morgen hatte es auch schon einen blöden Witz mit mir gemacht, denn bisher konnte ich immer schön vor meinem Haus parken, aber der Nachbar hatte mir gesagt, wenn ich an der Stelle parke, wird man mich anzeigen. So dürfe man nicht parken. Gestern war dann noch weniger Platz als sonst und ich habe deshalb mal sicherheitshalber hinter dem Hügel geparkt an einer Stelle, wo keine Markierung am Straßenrand ist und alle mit 2 Rädern auf dem Fußweg standen. Habe ich dann auch gemacht. Heute früh einen Strafzettel über 200 Euro vorgefunden. Wenn ich binnen 20 Tagen bezahle 50% Rabatt. Sehr nett. Sooo preiswert…

Nach dem zweiten Scherz im Laufe des Tages kam dann auch noch der dritte, denn aller guten Dinge sind ja drei. Restaurante Era in einem Ort namens Los Canarios beglückte mich damit. Gerne hätte ich im schönen Garten gesessen, aber Essen gibt es nur innen in der guten Stube. Ich bestellte eine Wasserkressesuppe. Ich stellte mir vor, das sei ein leichtes, wässriges Süppchen mit einer Handvoll Wasserkresse drin schwimmend und vielleicht noch einem Gänseblümchen als Deko. Ich bestellte eine halbe Portion, weil ich danach ein Entrecote schlemmen wollte. Was ich bekam war eine dicke, erbsensuppenartige Pampe mit undefinierbarem sehr saurem Geschmack, einer Konsistenz, dass man den Löffel drin stehen lassen konnte, und Maiskörnern zwischen nicht wirklich erkennbaren zermatschten Körnern oder Hülsenfrüchten oder was auch immer. Ein richtiger Wintereintopf für kalte Tage, so etwas, was man aus dem Schnee heimgekommen vor dem Kamin mit gerösteten Brotwürfeln langsam isst, um wieder warm zu werden. Heute hatte es 20 Grad und alles da draußen ist grün und lebendig und sommerlich.

Das Entrecote sollte dann laut meiner Bestellung ¾ durch sein, war aber de facto maximal halb durch, denn es blutete in die weiße Sauce, was mir den Appetit verschlug. Schade. Ich ließ es dann stehen. Die Wasserkressensuppe blieb nicht ohne Folgen. Also ich tippe auf zehn verschiedene Arten von Hülsenfrüchten.

Damit waren dann aber die drei Dinge abgehakt, und es durfte wieder positiv weitergehen. Ich fand die Salinen, über die ich gerade gelesen hatte, dass dort gestern noch irrsinnig hohe Wellen herrschten. In der Hoffnung, dass dies der Erkundung keine Abbruch tun werde, parkte ich mein Auto und traf direkt auf einen Händler von handgebastelten edelsteingeschmückten Drahttieren, hauptsächlich Spinnen, Krabben, Skorpione, Ameisen. Einen türkisverbrämten interessanten Gecko hatte er auch, dessen Körper aus einer eingetrockneten Avocado bestand, wie er sagte, was aber ganz anders wirkte.

Diesen Händler glaubte ich schon in Tazacorte gesehen zu haben, und als wir ins Gespräch kamen, zeigte sich, dass ich Recht hatte. Dort habe er sein „Büro“. De facto arbeitet er unter freiem Himmel, angesichts des für ihn unerlässlichen Meeres, auf meditative Art täglich an seinen Tierchen, die er dann in Tazacorte am Hafen oder hier bei den Salinen abwechselnd feilbietet. In dieser Umgebung fühlt er sich so richtig daheim. Als Holländer hat es ihn hierher nach vielen vielen Reisen verschlagen, und momentan glaubt er, dass er wohl hier, am schönsten Ort der Welt bleiben wird.

Gerade die unwirtliche Schwärze und für mich eher menschenfeindliche Umgebung des Lavamaterials liegt ihm so, da fühlt er sich ganz heimisch, während ich genau an dieser Stelle so das Gefühl habe, wie wenn zwei Magnete sich abstoßen. Diese hier ebenso wie bei Tazacorte überall alles bedeckende schwarze Kruste zeigt mir eigentlich, dass ich da ein Fremdkörper bin, der da nicht dazwischen gehört. Fatal ist, dass die Lava, die hier so frisch aussieht wie die auf dem 2021 von ihr verschlungenen Ort Todoque schon seit 1971 hier liegt. Der Vulkan Teneguía hat sie ausgewürgt.

Nur ganz wenig Grünzeug, niedrige einfache, sehr resistente Büschel unkrautanmutender Gewächse quälen sich hier durch den Boden. Das ist alles. Ich hatte geglaubt, das müsste viel schneller gehen, bis sich das regeneriert, aber Pustekuchen. Das wird ein Mensch in seinem Leben wohl nicht mitbekommen, dass die Grünkraft hier wieder Oberhand gewinnt. Wow. Und schaurig. Echt schaurig. Ein Gänsehautgefühl! Tja, Thomas‘ Lieblingsort. Täglich schwimmt er 40 Minuten im Meer sagte er, außer jetzt gerade, denn die Wellen sind gerade unglaublich imposant und lebensgefährlich. Nächste Woche sollen sie noch höher werden, kündigt er an.

Was für ihn denn das so Außergewöhnliche an der Insel sei? Das Feeling hier, die Freiheit, die Ruhe, das Sich-jederzeit-zurückziehen-Können, aber wenn man nicht zurückgezogen sein mag, das angenehme Wesen der Leute. In all der Zeit, die er jetzt hier ist, wird ihm nicht langweilig. Ich bin mir nicht sicher, ob es mir nach fünf Jahren nicht vielleicht doch zu wenig würde. Oder vielleicht bräuchte ich einfach nicht mehr mehr, weil das, was man hier hat, einfach völlig ausreichend ist.

Was mir selbst hier so gefällt, ist dass ich mich sicher, akzeptiert fühle, egal wie ich gerade herumlaufe, sehr frei, völlig unabhängig und vor allem ganz unbeleckt von den miesen Nachrichten aus aller Welt. Hier ist gefühlt so eine Art heile Welt, ein Mikrokosmos unter der Calima-Glocke - wie bei Jim Knopf und Lukas dem Lokomotivführer, einer Insel mit zwei Bergen und dem Scheinriesen (vielleicht dem Roque de los Muchachos), der, wenn man näher kommt, immer kleiner wird. So möge es mit allen Problemen sein bitte!

Ich besichtigte dann die Salinen, um die ein netter, flacher Rundweg herumgeht. Es war ausgesprochen interessant, die verschiedenen Verdunstungs- und Kristallisationsphasen in den vielen vielen Becken anzusehen. In Bereichen bestand der Boden aus einer dicken Salzkruste, als wäre es verharschter Schnee. In den Becken nährten sich Algen. Von den roten Algen zehren wiederum Kleinstorganismen, die z.B. Flamingos verzehren und deswegen rosa sind. Verschiedenen Vogelarten ist hier reichlich der Tisch gedeckt. Sie sind wohl in großer Zahl an den Rändern der Becken beim Beuteaufpicken zu beobachten. Ich sah in den Abendstunden allerdings nur einen einzigen Kandidaten, der sich da redlich nährte.

Thomas hatte mir den Tipp gegeben, ganz ans Ende des Geländes zu gehen. Dort ist ein großes Loch im Boden, genannt El Bufadero, ein Teufelsloch, aus dem geysirartig wie auf Island das Meer in Abständen in einer riesengroßen Fontäne hervorbricht. Aus der Ferne konnte ich die Fontäne sehr gut beobachten, jedoch vor Ort lauerte ich mit dem Auslöser im Anschlag lange und vergeblich. Dann fragte eine Spanierin mich, ob sie ein Foto von mir machen sollte, und sobald ich dem Geysir den Rücken zugewandt hatte, explodierte er wirklich mit voller Gewalt und ich wurde total durchnässt. Das war richtig lustig. Wir konnten den Effekt dann reproduzieren, als sie ewig wartete, ihrerseits etwas aufzunehmen, und erst als ihr Mann sich dann umdrehte und zurückkam, wähnte sich der Geysir wieder unbeobachtet und griff hinterrücks an. Selber Effekt.

Im Restaurant vor dem Sonnenuntergang bekam ich dann, weil es sofort wieder kalt wurde, einen sauberen Niesanfall über meinem Barraquito. Der Andenkenshop war nicht sonderlich salzlastig, sondern beinhaltete sogenannte Kunst aus verschiedenen Teilen der Insel, ohne die man auch ganz gut leben kann.

Auf jeden Fall war dieser Ausflug es heute mal wirklich wert, gemacht zu werden. Ich hatte noch gelesen, am Interessantesten sei es bei Sonnenuntergang und hatte so blauäugig vermutet, da sei ich schon längst wieder weg, aber tatsächlich fuhr ich im Stockfinsteren wieder nach Hause. Ein schöner Tag, alles in allem!

 

Drauf pfeifen in drei Variationen - 17.1.2025

Tadaa, da bin ich wieder, falls mich jemand vermisst haben sollte! Habe es doch geschafft, wieder aufzustehen, nachdem ich mich – total ausgepowert wie mein Handy – hingelegt hatte. Jetzt ist es halb 12 nachts. Gute Zeit zum Aufstehen! Noch ist es jedenfalls heute. Erledigt habe ich: Zahlung meines kostspieligen Strafzettels in der Cajasiete. Das hat ganz schön lange gedauert. Ich hatte vermutet, dass das dort Standard wäre, dass jemand kommt und so etwas von denen erwartet, aber anscheinend bin ich die Einzige, die in Tazacorte Strafzettel bekommt. Und dann hat der Angestellte meine ganzen Vornamen für meine ganzen Nachnamen gehalten und musste alles erst mal von mir absegnen, dann stornieren lassen und dann noch mal von vorne machen. Puh. Jetzt bin ich schuldenfrei. Wenn auch mir immer noch keiner Schuld bewusst.

Danach ging es Serpentinen hoch wie immer. Je länger ich herumfuhr, um so unfroher wurde das Wetter hier. Grau, diesig, verhangen. Dann kam der Tunnel. Ich vermutete also, am anderen Ende wäre dann das Licht, wie üblich, aber nein, heute waren beide Seiten nicht gerade freundlich gestimmt. Als ich aus dem Auto ausstieg, musste ich mir gleich mehrere Jacken von meinen Zwiebeloutfits anziehen.

Leider war in der Zwischenzeit bei meinem Auto schon wieder eine Warnleuchte angegangen. Ich konnte wen bei der Autovermietung erreichen und bekomme morgen, obwohl sie da nicht arbeiten, und nicht in Santa Cruz, sondern in Los Llanos, was ein ganzes Stück entfernt ist, ein anderes Auto. Das ist dann natürlich völlig mackenfrei und fährt super und ist gegenüber meinem jetzigen Auto noch ein Upgrade. Manifestieren wir das mal bitte!

Wo ich heute hinfuhr, ist der Rastro-Kulturflohmarkt in Breña Alta. Ich hatte Schwierigkeiten, diese Finca zu finden, sie liegt etwas merkwürdig. Aber im zweiten Anlauf gelang es dann. Leider war ich offenbar zu früh da. 14 Uhr fängt das an, ich kam so gegen Viertel vor 3, und man sagte mir: ja, aber das ist doch Spanien! Um 17 Uhr ist dann hier was los, und da gibt es auch Live-Musik. Bloß – was sollte ich da tun bis 17 Uhr, wenn noch nichts geboten ist? Ich kaufte also Mangosaft und Mangomus, drei Strelitzien und zwei Feldfrüchte, die ich noch nie gesehen habe, und die angeblich wie Kartoffel schmecken sollen – eine andere Person sagte, wie Kohlrabi. Heißen tut das Zeug Chayota. Stachelgurke oder Gemüsebirne übersetzt sich das angeblich. Ich werde berichten, ob man es essen kann.

Da ich Hunger hatte, habe ich auch die dortige Küche geplündert. Es gab nur kalte Sachen, aber wenigstens einen sehr schönen Platz zum Sitzen in maurischem Ambiente. Dann wollte ich aber nicht die Zeit bis zum Musikbeginn da absitzen und sah nach, was in der Nähe ansehbar wäre. Ich fand einen kleinen Zoo, der eine Auffangstation für weggegebene, gefundene oder z.B. vom Lavafluss entheimatete Tiere ist: Maroparque. Der Eingang befand sich in einer steil nach unten führenden engen Straße, wie ich auf dem Rückweg bemerkte, die einen weit ab vom Schuss führte. Aber egal, ich hab es gefunden und für 10,40 Euro durfte ich hinein und nochmal für 2,50 Euro oder so Futter für Tiere kaufen.

Erstaunlich viele Vögel waren da weggegeben oder vom Vulkanausbruch vertrieben worden, zwar grad noch zählige, aber reichlich Papageien, Aras, hübsche Vogelarten, Pfauen unterschiedlicher Farben, Krähen, Erdmännchen, Wiesel oder so etwas, Reptilien, Schildkröten, Schlangen und sogar zwei kleine Kängurus, davon eines ein Albino. Die kamen mir beide merkwürdig vor, sie schlichen seltsam vor sich hin, und zwar mit allen 4 Beinen am Boden, was sehr unkänguruisch tollpatschig wirkte. Vielleicht haben sie einen Käfigkoller, auf jeden Fall kamen sie mir nicht wirklich lebensfroh vor. Auch einer der Kakadus hatte sich alle Federn im Brust- und Rückenbereich ausgerissen, hatte aber noch einen wunderbaren gelben Federschmuck am Kopf, den er für mich aufstellte.

Es gelang mir, mit einigen der Vögel zu kommunizieren. Das war lustig, der eine pfiff mir was vor, und ich pfiff nach. Als ich dann modulierte, änderte er auch seinen Gesang. Er wollte sich das aber nicht aufoktroyieren lassen und fing dann wieder in der alten Schiene an, und als ich weiterhin kreativ blieb, passte ihm das nicht, und er verstummte. Mit den riesigen Krähenvögeln konnte ich auch mittuten, sie hatten nur jeweils einen Ton drauf. Ich einen dritten.

Es gab auch kleine Kapuzineräffchen, die ich aber nicht füttern wollte, denn da habe ich als Vierjährige was Schlimmes erlebt mit einem Schimpansen, der meinen Arm in den Käfig hineinriss und mich in den Oberarm biss, als ich ihn mit einem Butterkeks fütterte. Vom Affen gebissen stimmt also bei mir. Außerdem hatte ich heute einen Vogel. In einigen Volieren waren die Papageien nämlich sehr zutraulich und rissen sich um Erdnüsse (alles andere war ihnen völlig schnurz, was in der gekauften Box war). Die kamen dann und besetzten einen, und wenn man nicht spurte und was hergab, fingen sie auch an, an Ketten zu kauen. Zum Glück war ich heute nicht behängt, aber an meinem Hexenmantel haben sie sich schon vergriffen.

Als ich mit dem Zoo fertig war, spielte gewiss längst die Band auf dem Kulturmarkt, aber mein Handy hatte schon wieder Akkusausen dank meiner Fotografiererei und mein Magen war auch nicht mehr so ganz zufrieden von dem bissel Kleinkram heute. Also machte ich mich auf den Weg, solange das Handynavi mir noch irgendwas sagen konnte. Bis zur Hauptstraße irgendwo oben am Berg musste ich ja noch kommen (und stellte dann fest, dass ich halt erstmal ganz hinunterfahren muss, um dann hochzukommen).

Schließlich fand ich dann bei El Paso ein Restaurant, das mir auf dem Hinweg schon heimelig erschienen war, ein Grillrestaurant La Cascada. Hier probierte ich es nochmal mit der Ziege, nachdem der nette Kellner (irgendwie erinnerte er mich an Sheldon) mir versichert hatte, dass das nicht wieder eine Suppe sei. Allerdings brach die Ziege dann auch nicht alle Geschmacksrekorde, sondern war zwar butterweich und im Zerfallsstadium, aber eher identitätslos gewürzt, so dass ich nach Salz und Zitrone verlangte und sie mir geschmacklich korrigierte. Auch Yucca hatte ich dazu bestellt. Die kam in frittierten Stäbchen, die zwar enthungernd, aber ebenfalls völlig geschmacksneutral waren. Manchmal frage ich mich, ob Corona mein Geschmacksempfinden damals so dauerhaft gestört hat, oder ob die hier auf der Insel echt so lasch würzen.

Da es mir nicht so sonderlich geschmeckt hatte, kredenzte der Kellner, der recht volle Teller abräumen musste, mir aus Sympathie zum Nachtisch eine Banane, die jetzt hier zuhause auf morgen wartet. Ohne Navi, das inzwischen den Geist aufgegeben hatte, habe ich es dann wieder nach Hause geschafft und mich erstmal warmzittern müssen. Ein Spaghettiträgerkleid war heute wohl in Tazacorte noch geeignet, aber sonst leider nirgends, wo ich war.

 

Ein paar Seltsamkeiten - 18.1.2025

Die heutigen Aushäusigkeiten habe ich schon früh hinter mich gebracht. Ich musste doch nach Los Llanos, um mein Auto umzutauschen. Ich hatte ja auf ein Upgrade spekuliert, nachdem dieser Wagen, den ich hatte, bereits zweimal eine Störung verzeichnete, aber was ich bekam, war genau derselbe Fahrzeugtyp, jedoch mit dem Upgrade, dass der „Neue“ 20.000 km mehr auf dem Buckel hat. Sonst alles wie gehabt. Nur, dass die Kupplung anders eingestellt ist, und man diese fast ganz loslassen muss, um endlich eine Bewegung zu produzieren, weshalb ich am Anfang im ersten Gang da stand wie der Ochs am Berg, das Auto wollte einfach nicht fahren. Ach so, na, dann fährt er doch. Da muss ich mich für die Serpentinenfahrten jetzt umstellen, aber das wird bald in Fleisch und Blut übergehen.

Das war Rückgabe Nummer eins. Für Nummer zwei zwar ich im Einkaufszentrum und gab den Glasöffner zurück, den ich euphorisch erstanden hatte (endlich niemanden mehr fragen müssen, um mein Essen zu öffnen), da er rein gar nichts taugt. Wieder ein Patent auf nix, falls das Ding überhaupt ein Patent hat. Dafür musste ich dann etwas anderes nehmen, und so hab ich mir eine Himalayasalzmühle ausgesucht. Die sollte ich am besten in jedem Restaurant dabei haben, dafür ist sie allerdings zu groß.

Dazwischen habe ich zwei Dinge in Los Llanos erledigen können, die ich schon geplant hatte. Zum einen hatte ich gelesen, dass der Eismacher El Drago am Park Gómez Felipe (neben dem ebenfalls El Drago betitelten Mural - fragt sich, was zuerst da war) so gut sei. Und heute war ich dort, sprach erst Spanisch mit ihm, stellte dann fest, dass das eher nicht seine Muttersprache ist, und wir uns vielleicht besser gleich auf Deutsch unterhalten sollten. Seine Kreationen Feigensahne, Tonkabohne und Avocado probierte ich aus.

Der Eishändler ist eine coole Socke, sieht aus wie ein Original-Aussteiger, oder so, wie die früher aussahen. Seit 20 Jahren mache er das Eis nur aus natürlichen Zutaten ohne Zusätze, auch mit wenig Zucker (was mir sehr entgegenkommt, denn wenn ich jetzt z.B. den zuckerstrotzenden Bienmesabe genannten Nachtisch nur angucke, fallen mir schon fast die Zähne aus dem Mund – die Palmeros haben eine ungewöhnliche Immunität gegen süßen Geschmack – vielleicht weil ja Bananen und Zuckerrohr hier bereits in der Muttermilch nicht wegzudenken sind) und er meinte, es gäbe Leute, die kolportierten, sein Eis sei das beste auf unserem Planeten.

Freilich hat er da eine heftige Konkurrenz bei mir zuhause im Münchner Stadtteil Milbertshofen bei seinem türkischen Kollegen, würde ich mal behaupten, der die Gelateria Romana führt. Der heutige Eismacher ist einer, der nach eigenen Angaben nicht mehr an Karma glaubt, so oft habe er schon Eis verschenkt, und denoch sei er einfach trotzdem nicht reich geworden. Tja, also musste ich wohl löhnen. Immerhin bekam ich noch zwei Probiererl zugesteckt.

Im Anschluss besuchte ich Strelitzien in ihrem natürlichen Umfeld im unteren Teil des Parks, der ansonsten in keinster Weise spektakulär ist, außer dass er einen Spielplatz aufweist, der wahrscheinlich vom deutschen TÜV nicht abgenommen würde, da man sich dabei sehr gut einen Schädelbasisbruch oder wenigsten eine Prothese holen könnte.

Am oberen Ende befindet sich jedoch der Mosaikpark mit Werken, die ebenfalls von Luis Morera stammen, dessen Park ich ja schon in Las Manchas besucht hatte. Hier setzte ich mich gemütlich auf eine Bank und wollte was skizzieren, aaaaber – jetzt erzähle ich euch, weshalb ich euch nicht verrate, wie mir das Eis geschmeckt hat, denn, Schockschwerenot – hier setzte sich ein angetrunkener oder einfach durchgeknallter rotgesichtiger Stadtstreicher zu mir und drohte mir spontan auf spanisch an, mir den Arm abzuhacken, wenn ich sage, dass das Eis gut schmeckt. Ich fragte mehrfach nach, aber auch dann wurde sein Spanisch und seine vernuschelte Zungenschlagaussprache nicht besser, so dass ich nicht mit Sicherheit sagen kann, ob er jetzt wirklich meinte, falls es gut schmeckt oder falls es mir nicht gut schmeckt. So hülle ich mich sicherheitshalber in Schweigen und behalte meine beiden Arme, bin nicht so ganz experimentierfreudig wie sonst. Ich könnte aber empfehlen, selbst hinzufahren und es auszuprobieren. Haltet euch aber vor dem Penner fern.

Ich musste mir dann noch einen (vermutlich geklauten) knallgelben, komplett verknüllten Bikini aus seiner Hosentasche zeigen lassen, der noch das Klebeetikett im Schritt aufwies, und den er mir für 2 Euro unbedingt verscherbeln wollte. War weder meine Größe, noch meine Farbe, und auf Drohungen möchte ich auch nicht weiter eingehen. Also verließ ich diesen ungastlichen Gesellen, der mir dann noch überall hin nachging, aber zum Glück waren in einem anderen Bereich des Parks Leute, und so wurde ich ihn dann los. Aus nicht näher zu erwähnenden Gründen war mir irgendwie die Seelenruhe abhandengekommen und ich fotografierte nur die schönen Stellen des Gartens, anstatt irgendwas zu zeichnen, und machte mich dann auf den Weg. Ich schaffte es dann auch, im 1. Gang von der Stelle zu kommen, und bin zuversichtlich, dass sich das wiederholen lässt.

Beim Einkaufsbummel fiel mir mal wieder auf, wie so viele Leute hier (auch auf Mallorca dasselbe Phänomen) vollkommen selbstvergessen und versunken in Läden vor einem Regal stehen, und keinerlei Notiz davon nehmen, dass man sich dazugesellt hat, und höflich darauf wartet, dass derjenige sich mal einen Schritt wegbewegt, weil keinerlei Möglichkeit besteht, vorbeizukommen. Andererseits stelle ich auch fest, wie Frauen Fußgänger, die nicht schnell genug queren oder Autos, die zögerlich irgendwo hineinfahren, wirklich gehässig aus ihrem Wagen heraus auf Spanisch ankeifen, was um so übler zu hören ist, als hier jeder die Fenster beim Fahren offen hat.

Als ich in Los Llanos dann in einem Café saß und frühstückte (ein frischgepresster Karotten-Apfelsaft und ein Schinkenbrot plus Cortado-Winzkaffee), was ich dann auch zeichnete (hier meinte ich, Ruhe zu haben), kam der nächste Stadtstreicher und laberte mich voll. Dabei warf er eine Erdbeere nach der anderen aus einer frisch gekauften Plastikschale ein. Er wollte Geld, weil er angeblich verhungere. Wenn ich mir aber überlege, dass er recht gut angezogen war und außerdem Erdbeeren, die auch hier nicht Saison haben und daher teurer als andere Sachen sind, aß, um nicht gleich ohnmächtig zu verschmachten, fand ich das ganze irgendwie unlogisch und ging auch auf ihn nicht weiter ein. Die Freude an meinem Aufenthaltsort hatte sich aber auch hier gerade durch sein aggressives Einwirken gelegt.

Auf dem Heimweg kam ich dann wieder an einem Schild vorbei, auf dem stand „Salta si puedes“. Spring, wenn du kannst. Ich glaube, das ist ein Restaurant. Sah aber jedes Mal sehr verschlossen drein. Auf jeden Fall habe ich mir überlegt, dass es eigentlich schon sehr lange her ist, seit ich nicht mehr springen kann. Du Springinkerl, sagte mein Opa anfangs oft zu mir. Aber irgendwann wird man alt und die Gummiballeigenschaften lassen nach. Das fing 2013 mit der Bandscheiben-OP an. Sehr schade. Danach war ich einmal beim Tanzen und war richtig gut drauf und hatte jede Menge Energie, ich erinnere mich, dass ich da gesprungen bin wie ein junger Hupfer. Aber inzwischen springe ich ungefähr so gut wie eine Schildkröte. Traurig, aber wahr. Wenigstens springe ich im 1. Gang noch zuverlässig an, wenn auch nicht weit.

 

Mit dem linken Fuß zuerst aufgestanden - 19.1.2025

Den heutigen Tag habe ich mir ganz langsam und genügsam um die Ohren geschlagen. So dass es nur ein bisschen geschlappt hat, aber nicht wehgetan. Ich war nämlich schon fast im manuelitischen Stillstand begriffen. Fast. Um 12 Uhr bin ich immerhin noch zum Rastro-Flohmarkt in Argual aufgebrochen, nun zum dritten Mal. Um zu schauen, ob meine bestellte Kette jetzt mal fertig wäre. Vorletztes Mal hatte die Dame es vergessen, letztes Mal war ich nicht da. Heute sagte sie mir in anklagendem Ton, das sei aber schon so viele Wochen her, dass ich sie bestellt hätte. Aber sie hatte die Kette gemacht. Sie ist schön geworden und passt perfekt zu meinen Sachen.

Warum geht man eigentlich auf Flohmärkte? Ich jedenfalls, weil das für mich so eine Art Spaziergang ist. Spazierengehen ist was für alte Leute, die müssen das machen, damit die Osteoporose ihnen kein allzu schreckliches Schnippchen schlägt. Gut, ich hab Osteoporose, und wenn man in meinem Ausweis nachschaut, wie alt ich bin, hebt sich da auch keine Augenbraue. Außer bei mir. Ich fühle mich halt nicht so und hebe alle beide. Aber mei, spazieren gehen sollte ich, mag aber nicht. Das ist so öde. Also gehe ich auf Flohmärkte, alibimäßig, da hat man ja was zu tun, und auf Fotoausflüge, da hab ich auch was zu tun. Ich muss ja irgendjemanden mit meinen Bildern beglücken. Ich geh ja gar nicht für mich selber raus, ne, für mein Publikum. Schade, wenn man dann nur ein Like absahnt, wenn man sich schon so viel Mühe gemacht hat, wegen der anderen extra das Haus zu verlassen. Nun gut, wer die Ironie gefunden hat, darf sie für eigene Zwecke weiterverwenden.

Ansonsten geht man natürlich auf solche Märkte, um Schätze zu entdecken, die man überhaupt nicht braucht, aber irgendwie toll findet. Irgendeine kleine Sache bringt man dann ja mindestens nach Hause. Bei mir war es abgesehen von der Kette und drei kleinen Drachenbaumbildern noch ein Schraubdeckelöffner. Nachdem ich den anderen ja gestern zurückgegeben hatte. Dieser hier kostete mich jetzt mehr als der nagelneue viel ausgefeiltere kostete, ist allerdings rostig und auch mit Fairy Spülmittel, das hier auf der Insel das einzig wahre ist (die bezahlen mir nichts für diese Aussage – jedenfalls bisher!), nicht mehr aufzuhübschen. Aber er hat ein Patent, das mich tatsächlich überzeugt und in Deutschland zumindest gute Dienste geleistet hat. Mal sehen, ob er während meines Aufenthalts durchhält.

Der Händler war allerdings für Flohmarktverhältnisse ungnädig. Als ich einen Euro von fünfen herunterhandeln wollte, meinte er, das wäre das letzte Mal, dass das bei ihm ginge, wenn ich je wieder an seinen Stand käme, solle ich die Preise akzeptieren, wie er sie macht, denn die seien schon inclusive jeglichem möglichen Rabatt. Aha. Diesen Stand werde ich dann künftig eher auslassen. Flohmarktmentalität geht irgendwie anders. Aber ich brauchte das Teil. Ich hatte hier zwei Gläser stehen, die nicht aufgingen. Was muss ich auch Artischocken und Palmherzen kaufen, ich Snob.

Heute kam ich dann noch an den Ständen der beiden vorbei, die ich kenne, bzw. die ältere Dame hat mich heute erkannt, war aber so sehr in Verkaufsgespräche verwickelt, dass ich nicht dazwischengrätschen wollte, und dann war mir heute früh auch eine Laus in Form eines Traumes über die Leber gelaufen, die mich irgendwie miefig machte. Das zeigte sich dann am Stand von Leon, der wieder Malsachen aufgebaut hatte und mich (wie alle anderen, die vorbeigehen auch) in seiner unnachahmlichen Art köderte: „Hilf mir bitte, Kunst zu machen!“ OK, ich ließ mich natürlich breitschlagen, war aber vom Resultat heute nicht so begeistert.

Der Zuckerrohrsaft schmeckte mir heute auch nicht genauso gut wie letztes Mal, und sogar das Sandwich war irgendwie weniger lecker. Wahrscheinlich weil ich diesmal nicht widersprochen hatte, etwas Mayonnaise mit hineinzutun. Aber ich vermute, es war einfach meine heutige maue Stimmung und der Wetterbericht. Wenn der stimmt, wird es jetzt mal vier Tage immer wieder regnen, auf der Insel, auf der es laut Judith im Winter ja sonst nie regnet. Die Matratzen, die ich oben vom Terrassenbett hineingeschleppt habe, habe ich noch immer nicht wieder hinausgebracht, nutze diese Terrasse also überhaupt nicht.

Zu Hause habe ich dann meine Fernbeziehung gezoomt und Kontakt mit einigen Freundinnen in Deutschland gehalten, und sonst nur gelottert und gelesen. Judiths wunderbar bebilderter und betexteter Vulkanbildband fasziniert mich immer wieder, und ich habe heute erneut drin gelesen. Hier bietet ein Portal mir per Mail ständig auch geführte Wandertouren, wo man direkt auf diesen Vulkan kann, aber das glaube ich, werde ich lassen. Ich kann auch Spinnen jetzt einigermaßen aushalten nach drei Hypnosesitzungen, aber ich muss sie nicht unbedingt anfassen.

 

man zwischen Kokon und Bananenblüte den Faden nicht verliert – 20.1.2025

Nachdem ich heute morgen wieder ein bisschen den Pinsel geschwungen habe, um eine Kritzikratzi-Schnellskizze, die ich am Hafen in einer Minute nach Anweisung erstellt hatte, aufzuhübschen, fuhr ich ratzfatz los, um in El Paso ins Museum zu gehen, denn der Wetterbericht war sehr wenigversprechend, und da wollte ich gerne was zu tun haben. Die seltsame Straße, die mein Navi mich da hochführt („folgen sie 800 m dieser Straße“ - die schnurgerade sehr steil nach oben geht und tausendundein tiefes Schlagloch hat), schreckt mich inzwischen nicht mehr. Runterwärts bin ich sie heute sogar freiwillig gefahren, obwohl es andere Wege gab. Die von der Autovermietung hatte mir gesagt: „Unbefestigte Straßen dürfen sie doch nicht fahren!“ als ich ihr berichtet hatte, dass es hier so viel Serpentinen und schlechte Straßen gibt. Ich bin halt ein Flachland-Stadtkind. Bei uns kommt sowas nicht vor, dass man über 800 m im ersten Gang bergauf kriechen muss. Befestigt sollte man diese theoretisch asphaltierten Straßen schon nennen. Sie sind halt wohl einfach jahrzehntelang nicht mehr repariert worden.

Auf dem Weg nach El Paso sah ich mal wieder den nunmehr leeren Vulkanschlund in seiner ganzen rötlichen Pracht. Bei Ankunft gab es dann weit und breit kein Museum, wo mich das Navi hingeschickt hatte. Ich hatte ganz schön wild geparkt, allerdings inzwischen mit schlechtem Gewissen, denn hier wusste ich, dass man das nicht soll und was es kostet… Ich musste dann jemanden fragen, wo das Museum denn sei, und ein Bauarbeiter geleitete mich dorthin. Ob die Bauarbeiter in Ingolstadt auch wissen, wo da ein Museum ist, frage ich mich?

Im Inneren befindet sich im oberen Stockwerk der Ablauf der Geschichte, wie die Seide zu uns kam und schließlich nur noch in El Paso als letzter Bastion gewonnen und gesponnen wird. Alles begann mit der Entdeckung, dass man aus einem Kokon einen Faden gewinnen kann. Das passierte, weil Hsi Ling-Shi, der Kaiserin von China, 2600 vor Christus zufällig ein Kokon in den heißen Tee gefallen war und sich dann da drin zerfaserte. Sie muss eine clevere Person gewesen sein, dass sie gleich erkannte, dass man mit diesem Faden vielleicht was Interessantes anfangen kann. Dann kam die Seide über die Seidenstraße durch sehr viele verschiedene Länder und über Städte mit illustren Namen zu uns, außerdem auch über den Seeweg.

Das Museum enthält viele Exponate, Dinge und Kleidungsstücke, die aus Seide gemacht wurden, sowie Muster von verschiedenen Stoffarten, die Seidenfäden benötigen. Alles etwas schummerig, denn bei zu viel Licht würde die ganze Pracht zerfallen, weswegen man auch nicht mit Blitz fotografieren darf.

Auf Paneelen sind genau die Arbeitsschritte beschrieben, wie ein Taschentuch hergestellt wird. Man braucht ungeheuerliche Mengen an Seidenraupenkokons und wahnsinnig viel Zeit. Ein einzelnes Taschentuch braucht 9 Stunden in der Herstellung. Bei mir dümpeln die schönen alten, von meiner Tante bestickten Taschentücher in großen Stapeln in der Schublade - Papier ist so viel praktischer, nässt einem nicht die Hosentasche voll, muss nicht gewaschen und gebügelt werden…

Es wurde auch ein Film, gefühlt in Echtzeit, gezeigt, wie Seide gewonnen wird (leider ist der Anfang, den ich sehr spannend fände, aber ganz kurz geraten) und wie der Faden dann von Hand gezwirbelt und getrietzt wird, dass da brav ein schönes verwendbares garnartiges Material entsteht. Die Raupe da drin im Kokon wird erstmal ungefragt tot gekocht, bzw. Tausende von Raupen ereilt da gleich dasselbe Schicksal. Und dann geht die Wickelei tausendfach los. Man braucht unglaublich viel Geduld. Wäre was für die Mönche in einem Zenkloster. Bis da mal ans Färben gegangen werden kann, dauert es schon unendlich lang.

Dann färben sie nur mit natürlichen Substanzen, die auf der Insel wachsen. Auch in den Vitrinen habe ich kein scheeles Grün gefunden, was ja so unglaublich schön ist. Ich hatte als Kind ein solches zerschlissenes großes altes Seidentuch und auch ein lilanes, das wie ich heute gesehen habe, mithilfe einer Orseille genannten Flechte gefärbt wird. Dass das giftgrüne giftig ist, hat mir keiner gesagt, wahrscheinlich auch nicht einmal gewusst. Ich habe oft damit gespielt, weil ich seine Farbe und den Glanz so wundervoll fand.

Schließlich wird das Ganze dann auf den Webstuhl gespannt, was wiederum ewig dauert, da es ja so unendlich feine Fäden sind. Und dann fliegt das Schiffchen hin und her, als hätte es ein Eigenleben und wäre kein Sklave der Schwerkraft. Man hat früher nur schmale Bänder oder 70 cm breite Bahnen gewebt.

Im unteren Bereich des Museums sind zwei Damen damit beschäftigt, Seide zu verarbeiten, außerdem sind da die Färbesubstanzen ausgestellt und die gefärbten Seidenfäden zu bestaunen in ihren wunderbaren Farben. Zum Auffressen schön!

Draußen freute ich mich über das Fehlen eines Strafzettels und besichtigte ein Kirchlein mit einer Madonna, die einer Erscheinung gleich überirdisch leuchtete, zumindest auf meinen Fotografien, in echt, sah sie etwas dezenter aus, aber auf dem Bild kam es jedes Mal so überwältigend heilig raus. Eine größere Kirche war geschlossen, und so schaffte ich es genau um 14 Uhr noch, bei dem Bioladen unten anzukommen, der vor meiner Nase schloss (hier ist ja nachmittags wegen der Siesta immer alles geschlossen), aber als die Frau sah, dass ich zu ihr wollte, machte sie nochmal auf, und nach mir kamen gleich nochmal 4 Leute hinein. Leider entdeckte ich kein exotisches Obst bei ihr und kaufte anstandshalber ein Brot, was ich dann gleich bereute, weil es so extrem hochpreisig war.

Beim Hipermercado, also dem riesengroßen Einkaufsmarkt, fand ich auch nichts Besonderes. Immerhin gab es rote Bananen, die wollte ich auch mal probieren. Danach ging ich essen. Ich bestellte nach einem Bild und fragte dann hinterher, was das jetzt eigentlich gewesen sei. Es war ein Rührei mit unglaublich vielen dunklen Fleckchen drin. Die Fleckchen waren, wie sich dann mithilfe der Übersetzungsfunktion herausstellte, eine spezielle Blutwurst aus Burgos. Hat trotzdem gut geschmeckt. Während des Wartens sah ich aus dem Augenwinkel einen Mann mit einem niedlichen Kleinkind vorbeigehen, so hab ich versucht, das Kind aus dem Gedächtnis zu zeichnen bis mein Essen kam.

Unterwegs nach Hause kam ich an der Bananenfabrik vorbei und wollte mal nachfragen, ob die vielleicht eine Bananenblüte für mich haben. Nachdem der Bananenblütentee ja gut gegen Husten geholfen hatte, wollte ich noch mehr davon als Vorrat für Deutschland. Aber in der Fabrik wusste keiner, dass die Bananen überhaupt eine Blüte haben. Die kriegen die Stauden geliefert, verpackt in Mülltüten, und da ist keine Blüte mehr dran. Ich musste dort aufpassen, dass ich nicht von enormen Containern erschlagen werde, die mit Kran und riesigem Gabelstapler durch die Gegend gehievt werden. Am Ausgang war ein großer Container mit Abfällen aus der Bananenverpackung. Da lagen auch mehrere Kubikmeter grüne Bananen drin. Die waren denen wohl zu grün, dabei würden die mit der Zeit auch gelb. Man hätte seinerzeit etliche Bürger der neuen Bundesländer damit glücklich machen können. Wenn ich denke, wie mein Cousin aus der damaligen DDR mich besucht hat und täglich wirklich kiloweise fast faule Bananen und Kiwis gekauft und gemampft hat. Sicher gibt es auch hier Leute, die die Früchte gerne genommen hätten. In einer Woche wären die ja auch genießbar.

Gegenüber von der Fabrik sah ich eine Bananenplantage, und herausfordernd hing eine welkende Blüte straßenseitig heraus. Da musste ich ihrem Ruf nachkommen und habe sie mir abgebrochen. Sie wiegt wahrscheinlich zwei Kilo.

Wieder daheim hatte ich einen Tanzzoom, in dem die spannende Frage gestellt wurde, wie wohl ein Duft sich bewegt, oder auch wie man einen Duft tanzt. Hierzu habe ich einen Schnipsel geschrieben, weil ich das ausloten wollte. Wenn Ihr Lust habt, könnt Ihr den ja nachlesen. Ich selbst habe an meiner Bananenblüte gerochen, um zu überlegen, wie man den Geruch tanzt. Das ist ein Geruch, der irgendwas mit Kindheit zu tun hat, stark pflanzig, leicht unangenehm, so als wäre es vielleicht giftig oder bitter, aber es zieht ein Aroma von wärmender Sonne auf Blättern der Gartenwelt im Geiste auf, und das kenne ich eher aus meiner Kinderzeit, als ich mit dem Garten auf du und du war.

Ich habe dann wieder den Impuls gehabt, dass ich als Kind so viel gehüpft bin, aber bin auch heute wieder am Hüpfen gescheitert. „Tolle Hüpferung“ hatte der kleine Hase den großen bewundert im Buch „Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich habe?“ Sowas vergisst man nicht. Bei der Frage, welchen Sinn ich wieder stärken und mehr fördern möchte war es mir dann ein Leichtes zu antworten: 1) den Tastsinn (bin schon so lange von zu Hause weg, da kriegt man Hauthunger) 2) den Hüpfsinn und 3) den Unsinn (vielleicht der 7. Sinn).

 

Meerglasfischerin - 21.1.2025

Wieder mal ist das Meer ganz verstört, aufgeschreckt durch die Wasserfluten, die nachts den Himmel verlassen haben, während Tazacorte friedlich schlummerte. Da klopfte es nicht nur auf mein Dach und an mein Fenster ohn‘ Unterlass, sondern da wurde auch das selbstreinigende Meer von oben heftigst geduscht und zieht nun ziellos mit seinen Wellenkämmen in jegliche Richtung, ganz ohne Exerzierordnung und Eleganz. Die im Sonnenlicht silbern schimmernden Wogen weit draußen leuchten zu mir herüber und zeugen von der Verwirrung dieses kleinen Zipfels des großen Ozeantuchs hier vor meiner palmerischen Haustür. Dabei weiß das Meer doch gar nichts vom Weltgeschehen. Es spiegelt das Durcheinander, das gerade herrscht jedoch auf seine unnachahmliche Art und hat wie auch wir Menschen im Moment keine genaue Vorstellung davon, wie es jetzt weitergehen wird.

Die Wassermassen standen heute Nacht wieder bedrohlich auf dem Balkon, so dass ich sicherheitshalber meine Zeichenmappe, die ich mir angelegt habe, und alles was sonst noch nass werden könnte, in luftigen Höhen platziert habe. In der Nacht dann knallte die Terrassentür und ich sprang aus dem Bett, denn ich dachte, so, jetzt ist es soweit, das Wasser kommt herein, aber es war zum Glück blinder Alarm. Heute früh haben sich die Wässer verzogen und die Sonne saugt dran, um auch alles wieder trockenzumachen. Die Pflanzen brauche ich so schnell nicht wieder gießen, höchstens den Übertopf auskippen.

Sauber geworden ist der Boden nicht, denn jetzt ist alles richtig schön verteilt und ich muss mich dran machen, hier Ordnung zu schaffen.

In meinem Inneren habe ich heute auch schon Ordnung geschaffen, denn das Wetter sah echt unerfreulich aus, so dass ich beschloss, nicht mal das Bananenmuseum, das um 14 Uhr schließt, müsse heute sein. Stattdessen habe ich eine Psychedelic Breath Session mitgemacht, die über eine Stunde dauerte. Wow, das war wirklich krass! In acht Durchgängen wurde man an eine selbstinduzierte Trance herangeführt. Diese wurde erreicht, indem man in den einzelnen Sätzen viele Minuten lang eine Art Hechelatmung durchführte. Also so wie auf 1 ruckartig durch die Nase einatmen und auf 2 stoßartig durch den Mund ausatmen. Und zwar in der rasenden Geschwindigkeit, wie man 1, 2 nacheinander sagt. Durch das Hyperventilieren kommt man dann in diesen speziellen Bewusstseinszustand.

Nach jedem Set kam dann eine Pause, in der man ausatmete und sehr lange keine Luft mehr nachholte. Für mich war die Pause des Nicht-Atmens gefühlt noch viel zu kurz, ich hätte gerne länger ohne Atem da gelegen. Sauerstoff hatte man ja noch wirklich genug von vorher. Mit der Zeit fing der ganze Körper an zu pulsieren und sich gefühlt, wenn auch nicht de facto, algengleich zu bewegen. Ich war wie in einer Unterwasserwelt mit einer kristallklaren Brillanz und Sehschärfe mit mindestens dreifacher Pixelzahl als die, mit der ich sonst sehe. Da sah ich in diesem Raum gelbe und blaue Farben wie Ölflecken auf Pfützen irisierend schillern und fühlte den Raum an- und abschwellen. Meine Hände wurden schwer und pflaumig, sie fühlten anders als zuvor, so als würde ich durch Obst hindurch die Umwelt be-greifen. Das war in dem Fall nur meine Matratze.

Es stellte in mir die Frage, was meine Aufgabe in dieser Welt eigentlich sei, und die Antwort, die der Trancezustand mir verschaffte, erfolgte in Bildern. Der Boden des Bereichs, in dem ich da unter Wasser unterwegs war, war mit vielen vielen grauen Kieseln wie das Flussbett der Isar bedeckt. Darunter lag, wie sich dann zeigte, eine Kohleschicht, die vermutlich mein Nacht-Hyde, der immer so irre Geschichten kreiert, ist, und durch den alles gefiltert wird, so dass ein vollkommen pures, schadstoff- und mikroorganismenfreies Wasser die darunter liegenden Ebene kennzeichnet. Erstaunlicherweise war es da trotz der Kohledeckschicht ganz hell, und es glitzerten und glänzten Tausende von bunt gefärbten Glassteinen am Boden, vielleicht waren es auch Edelsteine, aber sie waren sehr bonbonfarben, manche auch wie Muranoglas mehrfarbig mit konzentrischen Ringen. Meine Aufgabe sei es, diese erstaunlichen Schätze, von denen keiner weiß, dass sie da lagern, nach oben zu bringen und sie auszustellen, vorzuzeigen, allen zugänglich zu machen.

Auf meine Frage, wie ich das machen sollte, kam dann die Vorstellung, wie das, was ich unter meinen pflaumigen Fingern betastete, das Fleisch der Menschen sei, mit denen ich zu tun hatte. Es sei z.B. Wissen, das von Fleisch und Blut in meinem Umfeld erhältlich sei, aber das diejenigen selbst nicht zur Kenntnis nehmen und selbst gar nicht wissen, was für Schätze in ihnen verborgen liegen, während meine Fingerspitzen diese kleinen Preziosen entdecken und bergen können.

Wieder war mir nicht klar, was ich mit dieser Erkenntnis anfangen sollte, und wie denn das vermittelbar sei, auf was ich da stieße, und so zeigte es mir, mein Blut sei nicht normal rot, sondern purpur (sagen wir mal wie die Farbe der Bananenblüte von gestern). Ein solch dicker Saft schwamm dann hier in einem riesigen viereckigen Glastank und ich wurde angewiesen, diese Tinte, mein Herzblut zu nehmen und zu schreiben, mit dem purpur auf schwarzem Grund. Vielleicht mit Jekylline oder Schnipselhumor auf Hydeuntergrund? Jedenfalls schrieb ich schwungvoll und schnörkelig mit einem altmodischen Füller, und jedes Glasnugget, das ich beschrieb, wurde Wort.

Nun könnt Ihr Euch mal überlegen, welche Art von Erkenntnis wohl von mir in der Welt verbreitet werden sollte. Vielleicht ist es ja auch nur genau das, was ich täglich mache – ein kleiner Einblick in meine Farb- und Freudenwelt mit einem Touch von hyde’scher Hintersinnigkeit. Ob dadurch die Welt wirklich besser wird, weiß ich nicht, aber vielleicht ist ein kleiner Ausflug in die Gehirnwindungen eines anderen ja entspannend genug, um ein paar Menschen einen Hauch von Entspannung und Abstand vom eigenen Alltag zu geben. Ich muss jetzt mal überlegen, ob ich den Blog umstellen kann auf purpurne Schrift auf schwarzem Hintergrund, fürchte aber, das wäre schwierig zu lesen.

Inzwischen ist es wieder wärmer geworden und es gäbe keinen Grund mehr, den Tag zu Hause zu verbringen, aber ich möchte mich noch auf mein Schreibworkshopfinale heute Abend vorbereiten und meine während der acht Wochen entstandenen Schreibergüsse durchlesen, also heute eher keine größeren Ausflüge mehr. Ihr seid also für heute huldvoll entlassen. Gehabt Euch wohl!

© Manuela Hoffmann-Maleki (Letteratour) – Ich. Einfach unver-besserlich.


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