Wir trödeln im Auto im Hauptverkehr unfreiwillig hinter einem stinkenden Gefährt einher. Mir wird davon ganz schlecht. Wir beratschlagen, ob es besser wäre, das Fenster aufzumachen oder ob dann womöglich noch mehr von diesen grässlichen schwarzen Schwaden ins Auto gelangen. Das erinnert mich daran, dass meine Freundin auf die Frage, was bei ihr Glücksgefühle auslöst, unter anderem aufgezählt hat: „Der Geruch von Diesel.“ Für mich ist der eher grässlich - ich kann das also gar nicht nachvollziehen. Aber in ihrer Kindheit war dies vielleicht ein Geruch, der bei ihr auf dem Land weit verbreitet war. Ihr gefällt es ebenfalls, wenn sie einen Traktor vorbeifahren hört, weil es ihr wohl ein Gefühl von Heimat gibt. Mich als Stadtkind erinnert dieses Geräusch an nichts Besonderes.
Wenn schon, dann rieche ICH gern verbleites Benzin, denn das erinnert mich an Zeiten, wo Freunde mich auf dem Motorrad herumchauffierten. Natürlich ohne Helm. Das ist sehr lange her. Eine Ära, die abgeschlossen ist. Aus dieser Ära und sogar noch aus den Jahren davor stammen jedoch die meisten Dinge, die bei mir, bei meiner Freundin und bei meinem Partner bewirken, dass sich für uns plötzlich das Herz auftut und uns Glückshormone fluten.
Ja, das waren noch Zeiten, als wir weit laufen konnten und springen, Kaugummiblasen machten, ein Windrad in der Hand hielten, und seine Bewegung spürten, als man uns mit Eis essen noch ködern konnte. Als man einen Großteil der Zeit auf dem Boden saß oder lag. Als der Geruch von frisch gemähtem Gras, von Heu oder von nasser Erde den Sommer verschönerte. Als die Meerschweinchen quiekend über die Terrasse trudelten. Beim ersten Schnee dann die Zunge rausgestreckt und die Flocken auffangen…
Höhlen bauen aus Decken und sich drin wohlfühlen, einfach vor sich hinträumen, ganz ungestört, vielleicht gedankenfrei dasitzen. Auch wenn man groß ist, braucht man noch so eine Höhle, in die man sich zurückziehen kann, wenn einem alles zu viel wird. Nur sind keine Decken mehr außen rum. Es handelt sich halt um das eigene Revier in der Wohnung, wo niemand sonst was zu suchen hat. Wo ein anderer nur ein Gast ist, wenn er hineingebeten wird.
Die Zeit war das, als freihändig Rad fahren allein schon genügte, um uns zufrieden zu machen. Einfach zigfach um den Block, ohne weiteren Zweck. Wir hatten keine Verpflichtungen. Wir waren sorglos. Wir wussten nichts von der Welt. Am Sonntag gab es frischgetoastetes Brot. Was zu schwarz geworden war, wurde runtergekratzt. Das Kratzen des Messers auf dem Toast klang uns fast so schön wie das Geräusch eines Füllers auf dem Papier. Gaaaanz viele Briefe wurden mit dem geschrieben. Und als Belohnung folgte ein paar Tage später das wunderbare Gefühl plötzlicher heftiger Freude, wenn man in den Briefkasten langte, und da drin lag ein dicker Antwortbrief. Schon bevor man ihn herauszog, wusste man, der war für mich! In einem roten oder gelben oder blauen Briefumschlag. Damals bargen Briefe noch Freude pur und Herzklopfen der allergesündesten Art! Schenkten so viel Wohlgefühl wie Campino Fruchtbonbons „schwarze Johannisbeere“. Heutzutage kommt es dem höchstens gleich, eine Schachtel mit alten Dingen zu finden, einstigen Schätzen, die man vor Urzeiten voller Verehrung zusammengestellt hat, und diese andächtig herauszunehmen und sich zu erinnern.
Der rosa Glanz einer Seifenblase war ebenso ehrfurchterweckend wie in einer klaren Nacht den Himmel zu betrachten. Manchmal fuhr ich mit den Eltern meiner Freundin an einen Weiher, da gab es Treibsand. Wie schön war es, da drauf zu treten und langsam und stetig zu versinken. Wir übertrieben es nicht so, dass wir nicht mehr herauskamen. Aber dieses Verschlungen werden war ein unglaubliches Gefühl. Zu einem anderen See fuhren wir mit dem Rad und aßen dort heimlich abseits von ihren vegetarisch-gesund lebenden Eltern meine Speckbrote und tranken verbotenes Karamalz aus meinem Rucksack.
Einem Trampelpfad folgen ist auch etwas, was man heute nicht mehr so oft macht, durch unkrautbewachsene Wiesen, dann voller Kletten heimkommen. Heute habe ich Angst vor Zecken, solche Wiesen bereiten mir keine Freude mehr. Aber es war so schön, den Feldpfeffer abzuwutzeln und den unbezwingbaren Geruch der wilden Margeriten einzuatmen. Einfach nur sein zu können.
Mit fortschreitendem Lebensalter sind einige Elemente dazugekommen, die zum Teil noch aus dieser Zeit stammen, aber ins Erwachsenenleben hinübergerettet worden sind. Zum Beispiel bei Regen hinter dem Fenster schön im Trockenen zu sitzen, den Regengeräuschen zu lauschen (was ich schon fast nicht mehr kann, denn wenn der Regen nicht richtig runterdrischt, höre ich diese Frequenz leider nicht mehr). An Seifen riechen geht immer noch, Kiwi oder Pfirsich ohne Schale essen ist auch heute noch gut.
Das Grün des Sees und der Bäume rundherum oder wenigstens ins Schwimmbad gehen und aus dem Chlorwasser auftauchen gehört im Sommer dazu. Der Genuss der warmen Brise auf den Armen beim Radfahren. Im Urlaub die Vorfreude, wenn man sich auf den Weg zum Sandstrand macht, im Meerwasser sein und sich drehen und wenden, auf und ab schaukeln und danach wieder Sonne auf den Bauchnabel scheinen lassen, das brauche ich im Sommer, sonst ist das Leben nicht lebenswert. Sehen, wie hell die Handflächen sind im Vergleich zum Rest…
Und an diesen warmen Tagen: der Duft von Espresso! Als Kind war mir der ein Gräuel. Im Auto wurde mir total schlecht, wenn meine Mutter frisch gemahlenen Kaffee gekauft hatte und der mittransportiert wurde. Im Winter hingegen ist es auch wunderbar, eine Tasse Tee in der Hand zu halten, das wärmt schon vom Halten allein. Dazu am besten noch salzige Sandkekse.
Monotone Tätigkeiten monoton ausführen, aufräumen, Bad putzen, Geschirr mit der Hand waschen, das ist auch so entspannend wie eine Meditation, währenddessen sind Ärger, Kummer oder Überdruss verschwunden. Und ordentlicher ist es dann auch. Wäsche waschen und im Freien aufhängen – überhaupt der Geruch frisch gewaschener Bettwäsche, wenn man das Bett neu bezogen hat. Auch in anderen Tätigkeiten kann man völlig versinken, so dass man voller Überraschung feststellt, dass es bereits dunkel geworden ist. Zu den monotonen Beschäftigungen gehören auch spazieren gehen oder gedankenverloren wandern in dem Tempo, wie es einem gerade Spaß macht. Ohne großes Ziel und ohne Zeitdruck. Vielleicht dabei Steine sammeln und irgendwann mal bemalen.
Aufgaben erledigen ist eigentlich auch befriedigend, die To-Do-Liste abhaken zu können! Oder ganz sinnfrei Kreuzworträtsel oder Str8ts zu machen, schöne Bilder aus dem Internet herunterladen und vielleicht per Whatsapp verschicken. Eigene Fotos machen, bearbeiten und posten. Dinge bestellen und Pakete kriegen, in einem Lebensmittelgeschäft lange alle Regale genau inspizieren. Die Beine eincremen und sich schön anzuziehen, schöne Unterwäsche drunter, die nicht kneift.
Manchmal hört man einen Menschen, der eine ganz warme Stimme hat, das tut so gut. So wie wenn man das Radio andreht und da kommt Seasons in the Sun. Wenn man ein Kinderbuch findet, das man mal geliebt hat, und es wieder liest. Es sich selber vorliest quasi. Ich lese aber auch gerne anderen vor, es macht mir Spaß. Durchaus auch ein ganzes Buch. Nein, ein richtiges, dickes Buch, nicht nur ein Kinderbuch.
Wie schön es auch ist, wenn man dem anderen eine Freude bereiten kann, wenn man sieht, dass der andere sich richtig freut, spürt, dass er tatsächlich dankbar ist. Mein Partner liebt es z.B. etwas Gutes für mich zu kochen oder wenn ich auf seiner Schulter einschlafe. Und ich mag seine Hand auf meinem Bein liegen zu haben. Ihm tut es so gut, wenn er von seinen „Leihkindern“ umarmt wird. Mir hingegen tut es gut, wenn ich andere Leute umarme, weil ich oft das Gefühl habe, jemand anderes braucht das gerade, es gibt zu wenige Menschen im Leben dieser Person, die sie einfach mal fest drücken, wenn es ihr nicht so gut geht.
Wenn wir feststellen, dass unseren großen Jungs etwas gefällt, erfüllt uns das mit Freude. Besonders, wenn es was ist, das uns auch gefällt. Ansonsten genießen wir es, unabhängig zu sein.
Und was das Allerschönste ist, und jederzeit überall möglich: Blödsinnige Gedanken denken. Den Kopf verlieren. Oder das Verstandesdenken. Und dann nichts gegen den Lachanfall tun können.
Endlich ist dieser stinkende Kleinbus abgebogen. Fenster auf, rechts und links, aufatmen! Das Leben ist gleich wieder doppelt so schön ohne Diesel!
© Manuela Hoffmann-Maleki (Letteratour) – Ich. Einfach unver-besserlich.