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Ma
Gesammelt sind sie weniger allein
02.05.2024 18:10

Pedronella öffnete ihre linke Hand und betrachtete, was sie da die ganze Zeit umklammert gehalten hatte. Ein paar flache runde Steine in schwarz und weiß, einige vom Meer abgerundete Glasbruchstücke in nunmehr mattierten Farben, eine schwarze Miesmuschel mit einem Krakel auf der schönen Außenseite, der die ansonsten makellose Muschel mit der blau-weiß schimmernden Innenseite verunzierte wie ein Vogelschiss, und ein winzig kleines Sepiaschiffchen. Das Schiffchen war nicht wesentlich größer als zwei der Steine gewesen, aber durch den Druck der anderen Teile in ihrer Hand war es entzweigebrochen. Mit ein klein wenig Bedauern warf sie beide Teile zurück auf den Strand. Vielleicht fände sie ja noch ein anderes. Aber es war nichts zu sehen. Eine Menge merkwürdiger Meerespflanzen lagen hier verdorrend auf dem Schwemmgutrand von der letzten Flut.

Sie fand ein schönes rötlich-marmoriertes Schneckenhaus, das wollte sie mitnehmen. Das gäbe einen schönen Effekt. Dann entdeckte sie jedoch einen vertrockneten Einsiedlerkrebs darin. Vielleicht könnte er ja wundersam wiederaufleben, hoffte sie und warf das Schneckenhaus in flachem Bogen ins Meer. Dann hob sie eine Möwenfeder auf und steckte sie sich wagemutig ins Haar. Ein kleines Stückchen weiter fand sie noch eine zweite, etwas zerrupfte, und auch diese fand einen Platz in ihrer wirren salzstarrenden Locken. Die letzte Mohikanerin, dachte sie sich, auf einsamem Pfad, ohne Kriegsbemalung, friedfertig, aber als gefährlich beleumundet.

Sie drehte sich um und ließ den Wind ihr Gesicht liebkosen. Es war sonnengebräunt von den paar wenigen Stunden im Freien. Stets war der Sturmwind gegen sie gewesen, so dass sie viele Tage voll angekleidet auf dem Balkon verbracht hatte, ohne sich ans Meer zu begeben, das eine Stunde zu Fuß von dieser Unterkunft entfernt lag und unter dem Wind ächzte und brauste.

Sie legte das Strandgut in einen provisorischen Beutel, den sie aus der Vorderseite ihrer langen Bluse geknotet hatte. Viel mehr konnte sie nicht mitnehmen, denn da war kein Platz mehr. Für ein seltsam geformtes urweltlich anmutendes, drachenförmiges Knollenungetüm hatte sie jedoch jetzt die Hand frei. Vielleicht stammte es von einem Kaktus, irgendwo auf der anderen Seite des Meeres?

Des Meeres, das um die Welt schaukelte, des wilden Wassers, das überall hinkam und sehen durfte, wie es dort war, aber nirgends Fuß fassen konnte, nie auf Dauer ein festes Zuhause hatte, von dem es sich vielleicht insgeheim erhoffen würde, einfach dort zu bleiben. Vielleicht war es aber von Herzen glücklich und freute sich wie wahnsinnig, wenn der Wind es zuließ, dass die Sonne sein Wasser aufsog und verdunstet nach oben beförderte. Und dort durften die Tropfen in Wolken befremdend schöner Formen mit Millionen anderer Tropfen über den Himmel jagen, weit weit weg, wo man dann ganz kurzentschlossen hinuntersprang, um einen Ausflug zu machen. Dann regnete es vielleicht auf München hernieder oder hagelte in Enna auf Sizilien und verschreckte die Einheimischen, indem es uralte gelbtönerne Dachziegel herunterriss, wenn die abenteuerlustigen Wassergesellen manchmal einen maliziösen Spaß an ein bisschen Verwüstung hatten, oder es schneite friedlich und sanftmütig im Schaukelschritt auf den Montblanc, wo das Meereswasser, das nun keines mehr war, sich eine Weile ausruhen konnte, bis die Reise weiterging.

Mit solchen Gedanken und einem leichten Summen, das ihr selbst gar nicht so bewusst war, tappte Pedronella in ihren Turnschuhen vorsichtig über den Strand, um keinen Sand in die Schuhe zu wirbeln. Wie das Wasser immer neue Wege fand, wie die Strandfundstücke, die sie nun in ihr Zimmer bringen würde, um daraus ein Bild zu kleben, so hatte das Leben auch für die Menschen vorgesehen, dass ihr Leben sich immer wieder wandeln würde. Mal zum Schlechten, mal zum Guten, aber letztendlich ging es nach jedem Ab auch irgendwann wieder auf. Und nach jedem Hoch auch wieder hinunter.

Sie fragte sich, an welcher Stelle im Schicksalsrad nun gerade ihr Leben stand. Wie weit würde es sich in einer Drehung bewegen? Wie bei einem Glücksrad, das man nur ganz sacht angestoßen hat, um den Hauptgewinn geschickt anzusteuern, so hatte auch sie das Rad in Schwung versetzt, aber über den Hauptgewinn war der Zeiger, der in die Felder hineinragte, bereits hinweggeratscht und das Rad klapperte Feld um Feld weiter.

 

© Manuela Hoffmann-Maleki (Letteratour) – Ich. Einfach unver-besserlich.

 

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