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Letteratour - Manuela Hoffmann-Maleki

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De
Eins nach dem anderen
03.12.2024 23:35

1982 habe ich meine Übersetzerprüfung abgelegt. Kaum hielt ich das Zeugnis in Händen, bekniete mich meine Mutter bereits, ich solle möglichst sofort anfangen, Bewerbungen zu schreiben. Schließlich würde es bestimmt sehr lange dauern, bis ich eine Stelle fände. Obwohl ich zu dem Zeitpunkt eigentlich davon träumte, ein halbes Jahr durch Indien zu reisen, um mal etwas mehr von der Welt zu sehen und in die Fußstapfen meines Idols George Harrison zu treten, tat ich ihr den Gefallen.

Eine eher unscheinbare dreizeilige Annonce in der Süddeutschen fand ich, wo nach einer Übersetzerin gesucht wurde. Ich schrieb hin, und gleich anderentags wurde ich zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Wie jetzt? So schnell? Ich war absolut unvorbereitet für so etwas. Ich hatte gar keine Ahnung, was man da anzieht! Was ich da sagen sollte! Was mich da erwartete! In der Fachakademie hatte man darüber leider Nullkommanix gelernt.

Meine Cousine gab mir ein blaues Kostüm, das solle ich tragen. Kostüm sei immer gut, wenn man wo arbeitet, meinte sie. Ich aber hasste Röcke! Das Kostüm war wirklich nicht gerade mein Stil. Aber ich war brav und schüchtern, und so beschloss ich, dieses biedere, gestrickte Ding anzuziehen. Dazu musste ich natürlich auch noch Seidenstrumpfhosen tragen, das war mindestens genauso grässlich, ich hatte überhaupt keine Lust drauf. Und dazu dann auch noch ein bisschen höhere Schuhe. Ich wackelte unsicher damit vor dem Spiegel herum. Oh Mann, aber es ist ja nur für den einen Tag, tröstete ich mich.

Das Vorstellungsgespräch war direkt am nächsten Morgen, ich hatte also keine Chance, noch eine Woche mit Bauchweh und Panik krank im Bett zu liegen. Ich hatte aber Bauchweh und Panik, als ich mit schmerzenden Füßen zu der möglichen Arbeitsstelle angetrippelt kam. Erstmal fand ich gar nicht, wo diese Firma sein sollte. Schließlich entdeckte ich, dass im Hinterhof eine etwas morsche Betontreppe über den Garagen hoch ging, und da stieg ich vorsichtig hinauf und fand ein unauffälliges Schild mit dem gesuchten Namen.

Ich wurde empfangen von einer dunkelhaarigen Dame mit einer tiefen Männerstimme und leichtem Kuhblick. Sie trug schlabbrige graue Hosen, die gänzlich unmodern wirkten, und einen braunen Strickpulli. Sie hatte ziemlich männliche flache, sehr breite Schuhe an und trampelte resolut, während sie vor mir herstürmte. Ich hatte spontan das Gefühl, dass ich mit ihr nicht wirklich viel gemeinsam hätte.

Auf jeden Fall brachte sie mich in ein „Besprechungszimmer“, in dem eine altmodisch geblümte Couch stand, die sicherlich für zwei ausziehbar war, sowie ein Marmortisch und ein paar Stühle. Ich bekam ein Glas Wasser, und dann kam der Chef. Ein Kerl wie ein Baum, groß, imposant, gutaussehend, ein breites Strahlen auf dem Gesicht. Er hatte außerdem eine angenehme, kräftige Stimme und eine charismatische Ausstrahlung, der man sich nicht entziehen konnte.

Ich fühlte mich gleich besser. Er musterte mich wohlwollend von oben bis unten und erklärte mir dabei ein bisschen, was sie hier so alles machten, und dass sie eine Mitstreiterin suchten, die verschiedene Sprachen spräche. “How is your English?” fragte er mich plötzlich. Ich dachte, das würde jetzt ein größeres Verhör, und wollte ausholen, was ich alles gelernt hatte, aber die ersten paar Wörter “quite fine“ genügten ihm schon. Sofort fragte er: « Vous parlez français? » – « Bien sûr » – na klar, antwortete ich, und damit war er schon zufrieden.

Welches Gehalt ich mir denn vorstelle, wollte er wissen. Ich beichtete, dass ich gar keine Ahnung hätte, was ich verdienen könnte, es war ja mein allererster Job. Ich nannte eine Summe, die mir reichlich hoch vorkam, ihm aber nicht, und er sagte, naja, nach der Probezeit von drei Monaten können wir das schon noch ordentlich aufstocken. Ob ich morgen anfangen könnte?

Mich traf fast der Schlag. Aber ja. Ich konnte.

Meine Mutter war natürlich begeistert. Töchterlein war untergebracht. Und sie war überzeugt, dass er mich genommen hatte, weil ich so großartige Noten hatte. Jahre später erzählte er der kompletten Mannschaft bei einem Glas Wein, dass er meine Bewerbung und Noten gar nicht angeschaut hatte. Er hatte nur mein Foto gesehen und fand meine Augen so besonders.

Und so musste Indien ohne mich auskommen.

 

© Manuela Hoffmann-Maleki (Letteratour) – Ich. Einfach unver-besserlich.

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