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Letteratour - Manuela Hoffmann-Maleki

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Der Hexenlöffel
25.11.2024 15:46

Früher war es in Wales und auch in Schottland traditionell üblich, dass junge Männer für ihre Auserkorenen in den dunklen Winterstuben am Feuer saßen und sich schnitzenderweise die Augen verdarben. Das Produkt ihrer hingabevollen Tätigkeit waren wunderbar verzierte Holzlöffel, so genannte Love Spoons. Wenn sie Pech hatten, war dann ein anderer mit dem Schnitzen früher fertig und beglückte die angepeilte holde Maid mit seiner Liebesgabe, und dann war alles umsonst. Die verschmähten Kunstwerke konnten dann nur noch in Touristen-Souvenirshops verkauft werden, falls es damals sowas gab. (Alle zehn Jahre kam bestimmt einer mit einem Fuhrwerk aus einer fremden Stadt vorbeigekarrt und hatte Interesse an örtlichen Handwerksprodukten.) Heutzutage spricht man zwar unter der älteren Generation noch mit romantisch verklärtem Blick vom Love Spooning (hat nix mit der Löffelchenstellung zu tun, sondern mit flirten, den Hof machen und knutschen). Möglicherweise war das auch damals schon ein Vorläufer des eher unschönen Love Bombings, wo der/die Geliebte durch den hinterhältigen Plan des Lovers, ihn/sie letztendlich zu kontrollieren, schier unter der Menge der Komplimente und Präsente zusammenbricht und emotional völlig ausgeleiert wird.

Löffel kriegt man heutzutage jedenfalls eher nicht überreicht. Ich hab jedenfalls nie einen von einem jungen Mann überreicht bekommen. Oder auch einem älteren. Weder in Großbritannien, noch hier. Nur einen vergoldeten von meiner Mutter zur Geburt meines Sohns. Vielleicht gibt man auch hierzulande ja noch zum Lebensende den sprichwörtlichen Löffel ab, was einfacher zu bewerkstelligen ist, wenn man bereits mit dem silbernen oder gar goldenen Löffel im Mund geboren wurde. Was ich mir allerdings als unbequem und riskant vorstelle, auch für die Mutter während des Geburtsvorgangs. Mit diesem Löffel hat man dann idealerweise auch alle Suppen selber ausgelöffelt, die man sich so im Lauf des Lebens eingebrockt hat.

Aber welchen Löffel gibt man da korrekterweise denn ab? Will doch nichts falsch machen auf den letzten hundert Metern. Ich hab hier ja nicht nur einen. Ich habe welche aus Silber, schwarz angelaufene, gelbliche und schön glänzige, versilberte, welche aus Nirosta und welche mit Holzgriff, sogar einige Plastiklöffel von Bestellungen bei irgendwelchen Restaurants in der Umgebung. Welchen sollte ich dann da ans Himmelsportal oder in den Höllenschlund mitbringen? Vielleicht sollte ich sicherheitshalber immer einen mitführen? Aber dann hält man mich ggf. vielleicht für drogenabhängig, wenn ich das nächste Mal im Krankenhaus lande und die Polizei meine Habseligkeiten durchstöbert. Oder für eine Kleptomanin.

Naja, wenn wir schon bei der Geschichte von den Löffeln sind, oder dem was mir gerade dazu einfällt – ich erhebe ja keinen Anspruch auf Vollständigkeit und perfekten Wissensrundumdieohrenschlag:

Mein Opa erzählte mir auch gerne und mit Gusto, dass der Landesfürst im Mittelalter beim Vorführen eines Wiederholungstäters das Todesurteil wie folgt verkündete: „Was – keine Löffel mehr? Kopf ab!“ Als kleines Kind habe ich die Zusammenhänge nicht so ganz erfasst, glaube ich. Die Vorgeschichte, dass im Mittelalter Dieben als Strafe ein Ohr abgeschnitten wurde, (so wie im Namen der Scharia in Iran eine Hand abgehackt werden sollte, wenn einer beim Stehlen erwischt wird), fehlte nämlich. Hasen haben ja auch Löffel, und zwar solche, die weder klappern noch klirren. Das wäre auch ziemlich blöd, wenn der Jäger sie schon von weitem kommen hören würde. Oder der Igel in seiner Ackerfurche, wenn der nochmal seine Pfotennägel an den krummen, rennuntauglichen Beinen inspiziert, bevor der Hase keuchend angehoppelt kommt, und ihm dann frech-gelangweilt ins Gesicht behauptet: Ick bün all hier! (Ich bin schon da. Schon längst natürlich!).

Um mich jedenfalls standesgemäß auszustaffieren - und jetzt kommen wir endlich auf den in der Überschrift angekündigten Gegenstand zu sprechen - habe ich mir vor einiger Zeit von einer chinesischen Plattform, deren Namen nicht genannt werden darf, nicht nur eine Hexentasse in Form eines Kessels für meinen Krötenbein-und-Frosch-und-Fisch-Zaubertrank gekauft, sondern dazu auch den passenden Löffel bestellt, auf dem auf Englisch „Hexengebräu“ steht. Der hat einen ellenlangen Stil, was günstig ist, denn damit kann man in langen Tüten auf dem Grund nach Resten des Inhalts stöbern. Und um eine schöne Hexe zu bleiben, helfe ich mit einem natürlich total geheimen, geheimnisvollen Pülverchen nach, das täglich in meinem morgendlichen Hexengebräu landet, und in ebensolchen langen Tüten verkauft wird. Unterm Ladentisch oder online überall erhältlich. Beim Hexentrank handelt es sich eigentlich um schnöden Kaffee, ich geb’s zu. Ich bin schließlich eine sehr zivilisierte Hexe.

Nun zeigte sich letzthin leider, dass in meiner Beziehung zum besten Hexenmeister der Welt irgendwie der Wurm reingekommen war. Die Missverständnisse häuften sich und seltsame Vorkommnisse in seinem und meinem Leben kamen ebenfalls ins Spiel. Zeit- und Ortslöcher taten sich auf, durch die der Wurm schlüpfen konnte, und Synchronizitäten spielten eine seltsame Rolle. Erschwerenden Umständen gelang der Einzug in viele alltägliche Angelegenheiten, so dass die Mücke zum Elefanten anschwoll und erstmal spektakulär die Luft rausgelassen werden musste.

Unter anderem habe ich den sagenumwobenden Hexenlöffel im gesamten Haus gesucht. Er war einfach nirgends mehr zu finden. Obwohl er keinen nennenswerten Wert hat, außer dass er ganz cool ist, hat mich das recht verwundert, und ich fand es irgendwie nicht angemessen, einfach einen neuen zu bestellen und den Gedanken ohne weiteres gehen zu lassen, dass der Löffel weg ist. Irgendwie bedeutete er für mich auf einmal etwas mehr als normale Löffel. Und wie gesagt, dank der Bestecksets meiner Vorfahren könnte ich vielleicht zwei Monate lang täglich einen neuen Löffel hernehmen.

Gestern haben wir uns dann wieder zusammengerauft. Und heute früh fand ich den Hexenlöffel in der Schublade, in die ich bislang bereits an die 100 Mal hineingeschaut hatte. Mein Hexenmeister wusste nichts von dem Löffel und hat ihn auch nicht da hineingelegt. Fragen über Fragen. Wenigstens hab ich jetzt wieder alle Löffel im Schrank und kann die Weisheit aufs Neue mit Löffeln fressen.

 

© Manuela Hoffmann-Maleki (Letteratour) – Ich. Einfach unver-besserlich.

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