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Letteratour - Manuela Hoffmann-Maleki

07
Ja
Ein Traum in Sepia
07.01.2025 01:20

Pendecita saß in ihrem Stammlokal am Hafen. Sie war zwar erst eine Woche hier und schaute sich eigentlich erst mal alles an, aber hierher kam sie nun bereits zum dritten Mal. Sie wusste nicht genau, was sie herzog. Das Essen war absolut in Ordnung, der Kellner nett, aber nicht spektakulär gutaussehend, der Sonnenuntergang, der von hier aus herrlich sein müsste, jedes Mal bereits vorbei, wenn sie anrückte.

Sie stellte ihre Tasche auf den freien Stuhl neben sich und genoss einfach das Hiersein. Auch zum dritten Mal bestellte sie dasselbe Gericht. Sie liebte Tintenfisch über alles. Wie es nun mal so war, der Tintenfisch liebte auch sie. Er kannte sie bereits in- und auswändig. Am liebsten kam er zu ihr in frittierter Form, ganz knusprig und mit kleinen Knisterbeinchen, die in seinem wässrigen Königreich noch Tentakel waren. Er umgarnte ihre Gedanken auch ohne ihr von der Karte entgegenzuspringen. Er nahm einfach gegen Abend von ihr Besitz und verunmöglichte ihr ein Abendessen in einem anderen Lokal. Hier musste es sein, hier wartete er auf sie. Heute würde er seine Pläne in die Tat umsetzen. Voller Wollust biss sie auch heute in die panierte Pracht, so dass der Saft aus ihrem Mundwinkel spritzte.

Pendecita musste lauthals lachen. Sie stellte sich vor, wie sie auf andere Menschen wohl wirkte. Eine sprühende Genießerin mit verzücktem Blick, die kleine Tintenfischchen zwischen zwei Fingern zum Munde führte und schwärmerisch ihre Finger ableckte.

Plötzlich wurde die Hecke auseinandergeschoben und es blickte sie ein Kleinmädchengesicht mit vom Spielen gerötetem Gesicht und wildem Haar ernst und bittend an. Das Kind deutete auf den kleinen lilafarbenen Schirm, der auf ihrem Getränk in einer Orangenscheibe balancierte. Pendecita verstand und reichte dem Mädchen die Orange. Mit schmutzigen Fingerchen pulte es sich das Schirmchen heraus und strahlte im Davonhüpfen ein glückliches Dankeschön. Pendecita steckte die Orangenscheibe zunächst ans Glas zurück. Dann aber besann sie sich eines Besseren und saugte die Orangenspelzen genussvoll aus ihrer Schale.

„Ist da noch frei?“, fragte plötzlich eine Stimme. Eine weibliche Stimme. Eine sehr schöne Frau in ihrem Alter, mit aufregendem Makeup – einer schwarzen Betonung der schräg stehenden grünen Augen und einem dunkelroten Lippenstift. Das Gesicht selbst war hell, die Haare waren lang, dunkel und ganz glatt. Sie trug etwas elegantes Sepiafarbenes, und darüber eine geklöppelte dunkelrote, seidig schimmernde Stola.

Erstaunt zuckte Pendecita zusammen, lächelte dann jedoch ganz unwillkürlich und stellte die Tasche auf den Boden. Die Dame nahm ohne weitere Umstände Platz. Sie musterte Pendecita und flüsterte etwas heiser mit tiefer Stimme: „Du hattest so eine Freude an diesem Essen und dann habe ich dich mit dem Mädchen beobachtet. Wie du dann die Orange gegessen hast… Ich muss dich einfach kennen lernen. Darf ich dich nachher auf einen speziellen Nachtisch einladen?“

„Sehr gern!“, antwortete Pendecita ganz überrascht von sich selbst. Warum eigentlich nicht? Heute fühlte sie sich so frei. „Auch ein Tintenfischchen?“, fragte sie vergnügt. Die Schöne öffnete den dunkel umrahmten Mund und deutete mit spitzen Fingern darauf. Pendecita nahm den schönsten, perfektesten, niedlichsten Tintenfisch zwischen Daumen und Zeigefinger und steckte ihn ihrem Gegenüber in den Mund. „Himmlisch!“, stöhnten die faszinierenden Lippen. „Ich liebe diesen Geschmack…  Noch einen bitte! Oh, diese Tentakel, die kitzeln so schön…“ Dabei blickte sie Pendecita tief und unergründlich in die Augen. Pendecita wurde es ganz heiß.

Und so teilten Sie die gesamte Platte schwesterlich. Den Nachtisch gab es dann aber woanders. Sie hatten keine Zeit zu verlieren.

 

© Manuela Hoffmann-Maleki (Letteratour) – Ich. Einfach unver-besserlich.

 

 

Es grünt so grün
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