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Letteratour - Manuela Hoffmann-Maleki

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Ja
Duftproben
21.01.2025 00:42

Frederikson hatte sich ins Bett gelegt. Es war ein enormes Bett, ein absolut übergroßes Bett, sowohl in der Breite, als auch in der Länge, wie auch in der Höhe. Ein Queensize-Bett ist noch harmlos dagegen. Er hatte es selbst gezimmert. Das war kein Doppel- oder Tripelbett, nicht mal ein Quadrupelbett. Da passte eine ganze Fußballmannschaft hinein. Dafür passte sonst nichts mehr in den Raum, denn der war so ausgefüllt, dass man vom Fußende aus ins Bett hechten musste. Wenn man krank war, war das unangenehm, denn dann fehlte die Kraft, und ganz schlimm war dies z.B. bei einem Magen-Darm-Virus. An so etwas hatte er natürlich im Vollbesitz seiner körperlichen Kräfte beim Bauen des Bettes nicht gedacht.

Der Oberhammer aber war, dass dieses Bett nicht etwa in seiner 2-Zimmer-Wohnung stand, sondern im Büro. Da gab es diesen netten Lagerraum, und Zugang zu diesem hatte nur Frederikson. Den Schlüssel trug er an einem Bändchen um den Hals, und weder sein Chef noch irgendwelche Kollegen hatten eine Ahnung von diesem Bett. Oder dass Frederikson, der nach der Arbeit immer so tat, als ginge er nach Hause, in Wirklichkeit zu Hause gar nicht schlief, sondern immer hier.

Was hatte ihn dazu veranlasst? Nun, er hatte sein Zuhause zu einem Chemielabor umgestaltet. Das hätte er auch mit diesem Raum machen können, aber es war halt so Zug um Zug erfolgt, und auf einmal stellte er fest, dass dieses Chemielabor in seinem Schlafzimmer mit den Experimenten, die er da machte, nicht für seinen Schlaf förderlich war. Und darum hatte er begonnen, sich auf den Arbeitsplatz zu konzentrieren, was die Idee vom gesunden Schlaf betraf.

Seines Erachtens war es wichtig, sich im Schlaf sehr viel zu bewegen, vor allem immer wieder zu rollen. Und zwar stets in derselben Richtung, damit der Körper wisse, woran er sei. Er legte sich also direkt beim Eingang, wo die Tür war, ins Bett, und rollte dann bei jedem Mal, dass er sich im Halbschlaf drehen wollte, um eine Vierteldrehung Richtung gegenüberliegende Wand. Also erstmal vom Rücken auf die rechte Seite, dann auf den Bauch, dann auf die linke Seite, dann wieder auf den Rücken, dann wieder rechts… Ihr versteht das Prinzip. Das hatte nach seinem Dafürhalten den positivsten Effekt, und darum brauchte er auch das riesige Bett, in dem er vollkommen allein schlief.

Dass es auch so hoch war, lag daran, dass er die Motoren, die eigentlich in diesem Lagerraum vorgehalten wurden, unter dem Bett verstaut hatte. Dazu hatte er große herausziehbare Fächer konstruiert, auf denen alle Maschinen fein säuberlich platziert waren. Benötigte ein Kunde einen Motor, zog Frederikson das entsprechende Fach heraus, fuhr mit dem kleinen Rollwagen, den er speziell für diesen Zweck konstruiert hatte, darunter und dadurch hob sich das Brett, auf dem der Motor saß aus den Angeln und blieb auf dem Rollwagen. Somit musste niemals jemand in diesen Raum, denn Frederikson fuhr mit dem Motor vor. Der Kunde konnte ihn direkt im Vorraum begutachten. Frederikson hatte sogar so weit vorgebaut, dass er einen zweiten Hubwagen im Schlafzimmer unter dem Bett eingeschoben hatte, falls ein Kunde auf die Idee käme, zwei Motoren vergleichen zu wollen. Wollte einer sogar drei vergleichen, log Frederikson schamlos, dass das dritte Modell nicht auf Lager wäre.

Was aber machte Frederikson zuhause in seinem Chemielabor, wofür hatte er sich das denn eingerichtet? Anfangs hatte er einfach mit Gerüchen experimentiert. Er hatte verschiedene Sorten von Estern produziert, um herauszufinden, welche wohlriechend seien, und welche nicht. Er hatte den seltsamen Spleen, gerne unangenehme Gerüche zu riechen, diese jedoch vermischt mit einem guten Geruch, so dass der gute Geruch rein offiziell die Oberhand haben sollte, während der weniger gute Geruch im Untergrund schwelte und die Psyche unterschwellig drangsalierte. Diesen Zwiespalt fand er gut und meinte, dass dieses ständige heimliche Triggern des Fluchtreflexes die Quelle für Heilung und Wohlbefinden sei, also, dass rasches Gesundwerden unweigerlich einsetzte, wenn man auf diese Weise unmerklich ständig zwischen Gehen und Bleiben zwangsoszilliert würde. Hierdurch bildeten sich nämlich nach seiner Theorie in Blitzesschnelle neue Synapsen, die wiederum im Körper zu vermehrter Hormonausschüttung, der Entwicklung von Antikörpern und einer stark verbesserten Resilienz führten.

Er hatte eine Serie von Duftmischungen kreiert, die er Genie-Genesung nannte, und die neben einer abartigen Geruchskombination auch noch eine erschreckende Farbe hatten. Sehr stolz war  er zum Beispiel auf die folgenden Kreationen : frischer Misthaufen mit Zitronenmelisse (knallgelb), Hundepups mit Brathähnchen (ockerfarben), Rollmops mit Zuckerwatte (zweischichtig, oben rosa, unten dunkelblau), Kichererbsenwasser mit Bockshornklee (ebenfalls in gelb und grün geteilt), Rosenkohl mit Rindersteak vom Barbecuegrill (grün und purpur), Schimmelkäse mit Honigmelone (türkis mit gelben Schlieren), unfrischer Fisch mit Bratapfel (grellorange), sowie Terpentin mit überbackenem Käse (silberfarben).

Seine neueste Spezialität hatte er Eau de Schwefel genannt - sie roch im ersten Atemzug pestilenzartig und griff die Nasenschleimhaut an, so dass einem die Tränen aus den Augen schossen, aber war im Abgang sanft und friedlich wie ein Kaninchen im Streichelzoo, denn die zweite Komponente war frisch gemähtes Gras, und die beiden Grüntöne (schrilles Jadegrün und sanftes Smaragdgrün) hatte er so clever wie die Düfte miteinander verquickt, dass der erste Eindruck nur etwa eine halbe Sekunde von der Nase Besitz ergriff, das Hirn durchpfiff und dann aber sofort einem unendlichen Wohlbefinden Platz machte, das extrem lange anhielt und den Körper vollständig entspannte. Entsprechend lag auch das Jadegrün im Behältnis wie ein dünne Ölschicht an der Oberfläche des ruhigen Ozeans, der in der Tiefe kaum je eine Bewegung vorweist.

Wie bei allen seiner Produkte, die er inzwischen über das Internet vertrieb, führte er vor der Markteinführung einen Eigenversuch mit stark übertriebener Dosierung durch, denn man konnte ja nie wissen, auf was für dumme Ideen die Verbraucher kommen könnten. Man musste sichergehen, dass sie sich keinen Schaden zufügen konnten. Um diesen Selbstversuch vorzunehmen, legte er sich also am Freitagabend ins Bürobett und goss dann eine ganze Standardflasche von dem Gebräu auf eine Großpackung Watte, mit der er eine Salatschüssel gepolstert hatte. Die Schüssel hatte er neben sich gestellt, natürlich links, so dass er nach rechts rollen könnte, falls er einschliefe. Tatsächlich schlief er ein. Auf der Stelle. Eigentlich schlief er nicht, sondern er fiel ins Koma. Die Dosis war wirklich viel zu groß, und diesmal hatte er die Tinktur so teuflisch gut gebraut, dass er ihr erlag.

Wochen später, nachdem man überall mit Plakaten und polizeilichen Aufrufen vergeblich nach Frederikson gesucht hatte, wurde er gefunden, da aus diesem Raum in den angrenzenden Verkaufsraum nach einem heißen Sommertag so ein grauenerregender Gestank drang, dass die Mitarbeiter sich mehrfach übergeben mussten. Die Feuerwehr wurde gerufen, um die Tür aufzubrechen. Niemand hatte diese Tür jemals offen gesehen, aber nun offenbarte sie ihr Geheimnis. Inmitten des Leichenodeurs schwebte lieblich und wohltuend ein Geruch von frischgemähtem Gras heraus. Dieser war so süß und lindernd, dass allen ganz selig zu Mute wurde. Auch den Feuerwehrmännern.

Es wird berichtet, dass an diesem Tag mehrere völlig unerklärliche Wunderheilungen chronischer Erkrankungen erfolgten, sowohl bei den Mitarbeitern, als auch den Feuerwehrleuten und der herbeigerufenen Polizei. Der Gerichtsmediziner und die Tatortreiniger waren jedoch nicht erfreut, denn ihre spezielle Eigenart, die sie dazu befähigt hatte, ihren Job tagaus tagein treu und unermüdlich ohne das geringste Problem zu erledigen, war ihnen an diesem Tag abhandengekommen. Zuvor hatten sie nämlich alle drei aufgrund früherer schwerer viraler Infekte ihr Riechvermögen verloren gehabt, und das war auf einen Schlag zurückgekehrt.

 

© Manuela Hoffmann-Maleki (Letteratour) – Ich. Einfach unver-besserlich.

 

 

 

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