Am Abend besuchten wir ein Restaurant. Es lag auf der halben Höhe eines Hügels, war aus groben Steinblöcken gebaut und wies ein paar Brücklein über einen kleinen netten wurligen Bach auf. Wir saßen also auf einer Holzplattform über dem Wasser und hatten gleichzeitig einen herrlichen Ausblick aufs Meer. Wir bestellten Cevapcici mit Djuvec-Reis und Ajvar - ein urwüchsiges Mahl, unverfälscht, gut gewürzt und genau so, wie es sein sollte.
Während des Essens fiel uns plötzlich die Musik auf. Auf einmal war sie präsent. Zuvor hatten wir uns wohl zu gut unterhalten und hatten dazwischen dem Murmeln und Rauschen des Baches gelauscht. Nun zeigte sich, dass Wahrheit drinsteckte, als die Oma damals sagte: Vögel, die fressen, singen nicht. Und da wurde uns klar, dass man es hier wohl extra gut mit uns meinte - wir bekamen nicht nur authentisches Essen, sondern auch authentische Musik. Genauer: kroatische Volksmusik.
Es war ein schnulziges Hummtata-Geschrammel mit grässlich blödsinnig wirkenden Refrains, und das, obwohl wir nicht in der Lage waren, auch nur ein einziges Wort darin als einer der uns geläufigen Sprachen zugehörig zuzuordnen. Wir konnten es uns auch so recht gut vorstellen, was da gesungen wurde.
Danach wurde es noch wilder und eine Mischung aus Country-and-Western-Hillbillie-Style und Polka fegte uns um die Ohren, dass wir uns entsetzt mit hochgezogenen Augenbrauen ansahen und kopfschüttelnd in unserem Berg von Fleischfingerchen untertauchten, der sich immer noch auf dieser großen Platte türmte, von der wir zu zweit aßen, ich hier, er dort drüben. Man hatte uns eine Portion für etwa sechs Leute vorgesetzt. Wir sahen wohl ausnehmend hungrig aus.
Wir gruben auf dem Hochplateau vor uns immer tiefer und tiefer, bis auf einmal das ganze Konstrukt einstürzte, zuerst bei ihm, dann bei mir. Und uns beiden erging es gleich. Wir rutschten den öligen Abhang hinunter, bis wir unten in einer Pfütze Zaziki landeten und verzweifelt nach den paar Krautsalathalmen griffen, die sich uns über das Fleisch-Gebirge zuneigten, aber hämisch grinsend unseren Händen auswichen, sobald wir sie erhaschen wollten.
Durch unser Zutun schlitterten die Krauthalme uns hinterher und begruben uns unter sich, so dass wir bis zum Hals in die Mischung aus Zaziki und Ajvar gedrückt wurden, in der wir nun paddelten. Sie wirkte recht dickflüssig, aber trügerisch treibsandig. Wir trauten uns beide nicht, den Boden mit den Füßen zu berühren, aus Angst noch weiter hineingesogen zu werden, sodass unsere Nasen womöglich nicht mehr über den matschigen Brei hinausragen würden. Das wäre das Ende gewesen!
Schließlich gelang es uns, mit vereinten Kräften und Rückenschwimmen mit vorsichtigen Bewegungen, die eher an das Flösseln der Fische mit ihrem Schwanzende erinnerten als an kräftig ausholende Kraulbewegungen, den Rand des Sumpfes zu erreichen und uns sehr sehr vorsichtig auf festen Boden hinauszuschieben.
Schließlich schafften wir es beide, aufzustehen, uns vorsichtig mit den Händen etwas von der inzwischen schon leicht verkrustenden Masse zu befreien, und den Aufstieg zu wagen. Ein paar Stückchen rohe Zwiebeln ragten aus dem Berg der Cevaps, die mit der Verkleinerungsform Cici nun nichts mehr zu schaffen haben wollten, und machten uns das Leben schwer. Sie wären nämlich zu gerne, von uns geritten wie freche weiße halbmondförmige Schlitten, den Hang hinuntergeglitten, wo sie uns erneut in den Sumpf katapultiert hätten. Es war tatsächlich recht schwierig, nicht auf sie zu treten oder zu stolpern und rücklings auf einem zu landen, das sich sofort an die Talfahrt gemacht hätte.
Noch immer polterten von oben vereinzelte Weißkrautfasern herunter und nahmen ihre liebsten Kollegen und Freunde mit. Mit knapper Not konnten wir einer solche Lawine ausweichen, die uns unweigerlich mitgerissen hätte.
Zu guter Letzt konnten wir nach anstrengendem Aufstieg und etlichen verfrühten Jubelschreien in der irrigen Annahme, den Gipfel erklommen zu haben, das Gipfelkreuz aus zwei halben Tomatenscheiben erreichen, von dem aus wir den rot gemusterten Tellerrand erblickten und mit letzter Kraft noch eben erreichen konnten. Von diesem seilten wir uns an einem dekorativen Rucolablatt auf den Tisch ab, und konnten endlich mithilfe des blaukarierten Tischtuchs die weißroten Saucenschichten abwischen.
„Hat‘s denn geschmeckt?“ fragte die Bedienung in perfektem Deutsch. "Oh ja, doch, großartig!", bekundeten wir unisono und saßen wieder manierlich auf unseren Stühlen. Wir stießen mit unseren beiden eisgekühlten „Radler Grejp“ an (Bier mit Grapefruitgeschmack, man beachte die Schreibweise). „Schivilli!“ (Die Kroaten sprechen Prost aber anders aus). Dann baten wir darum, uns den Rest einpacken zu lassen.
© Manuela Hoffmann-Maleki (Letteratour) – Ich. Einfach unver-besserlich.