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Die vergessene Symbiose jenseits des Verstandes
03.11.2024 13:31

Als ich erwache, schwelge ich gerade in Träumen, die außer mir kein anderer kennt. Ich wandere noch durch fremdartige Naturwelten, in denen das Echo der Wildnis und das Gefühl brüchiger Bindungen zur Fauna widerhallt und rätsele über die Unbegreiflichkeit von Tieren. Sie sind seit jeher so wesensfremd, und doch so nah, aber es gibt eine unsichtbare Wand zwischen Tier und Mensch, und ich meine, die Wand gehe vom Tier aus und nicht von mir. Nur bei Katzen und Meerschweinen ist diese Wand nicht vorhanden, wir verstehen uns im Herzen und können auch kommunizieren. Die Katzen wissen, ich gehöre zu ihresgleichen, das Meerschweinchen fühlt mich, ich habe mein Herz genauso geöffnet wie es selbst und es lässt mich hinein, ganz so als sei es unverwundbar. Manches, vom Gebieter gedemütigte Touristen-Kamel erfühlt mich auch und lässt mich einen wehen Blick in seine Seele tun. Dort weint es im tiefsten Inneren und leidet am Menschen. Für manche sind auch Hunde ein Brunnen, in dem ihre Blicke versinken, und sie verstehen das Wesen des Tiers und fühlen sich erkannt, manche sogar verpartnert. Da ich selbst mich nach dem Hundebiss vor Hunden nicht mehr wohl fühle, lasse ich es nicht mehr so weit kommen, weiß aber, dass es mir gelänge, wenn ich denn wollte.

Trotzdem bleibt die seltsame Faszination einer Kreatur, die so wild und archaisch ist, dass sie mit meiner Modernheit nichts zu schaffen haben mag und mit dem mir nichts gemein ist. Ein Verängstlichen durch die Andersartigkeit macht sich breit, wenn ich das fremde Tier länger betrachte, und ich wende mich mit einem gewissen Schauder. Im Tierreich gelten meine Prinzipien nicht, da kann ich nicht vom Guten ausgehen, und ich bin der Fremdkörper, der Eindringling, der Verrückling, der Ausrutscher in der Naturwelt. Ich als Vertreter des Menschen und meiner selbst. Ich gehöre da nicht hinein. Ich bin fehlangepasst. Ich bin derjenige, der sich erdreistet, es besser zu wissen als der Schöpfer, als das Geschöpfte, als die Welt des einheitlichen Überlebenswillens und der überschäumenden Fruchtbarkeit, der vielleicht denkfreien Welt des Einfach-so-Seins, des Da-Seins, des Seins. Und nur das. Zweckfrei, außer fortzubestehen. Fressen und gefressen werden, existieren, um das Leben weiterzugeben.

Und ich, am Rande dieser Schöpfung maße mir an, alles in Worte fassen zu können, zu müssen, zu wollen. Obwohl es auch ganz wortlos und ungedacht geht. Wo der Instinkt regiert und Reflexe, wo Gefahr und Flucht der Alltag sind oder vielleicht nur noch Fressen und Sich Entleeren bei vielen, die Pflanzen als Nahrung bevorzugen. Ihr Leben ist ab einer bestimmten Größe weniger gefahrbelastet, vielleicht in einer Art meditativ.

Der Begriff „meditativ“ kommt mir beim Menschen vor, als wäre da schon das Denken mit enthalten, da es sich ja eben um die angestrebte Abwesenheit der Gedankenströme handelt. Aber auch das Tier kann ja eben meditativ verharren, und merkt nicht einmal, dass es etwas „leistet“ dabei, denn im vielleicht dumpfen Verstand drängen sich ihm nicht ständig belastende Gedanken, Zukunftspläne, Zukunftsängste oder schlechte Erinnerungen auf. Vielleicht hat es ja süße Erinnerungen an warme Sonnenstrahlen, die ihm während des Grasens oder Äsens die Stirn und den Rücken wohlig wärmten. Aber die Fliegen, die da zu Hunderten scharenweise um es herumbrummten, hat es dankenswerterweise vergessen. Nehme ich mir die Freiheit, behaupten zu dürfen.

Die Wildsau versenkt sich sicherlich nicht in die „Meditation vom grauen Keiler“, der aus seiner Wutschnaubigkeit dank des milden Bachenblickes in sanfte Glückseligkeit geholt wird und nun liebevoll Seit an Seit mit ihr nach Trüffeln wühlt und dabei Sat Chit Ananda grunzt. Sie verspürt das Leben als pure, wahrhaftige Existenz (Sat) auch so, lebt in ungetrübtem Bewusstsein (Chit) ohne eine lästige Ego-Stimme, die ihr diktiert, was sie tun oder lassen solle, und kann vielleicht Glückseligkeit (Ananda) im Schlammbad in sich hochwallen fühlen, ganz ohne dafür ein Mantra zu benötigen.

Wenn der Wind weht, genießt sie das prasselnde Rasen der Blätter, die im Herbstwald über die Wege getrieben werden, und sie wartet auf nichts, denn sie ist bereits diejenige, auf die sie gewartet hat, wenn sie überhaupt weiß, was Warten ist. Sie ist in sich selber gut und richtig und hat kein Bedürfnis, dies jemals in Frage zu stellen.

Ganz im Gegensatz zu uns: Wir haben uns der Natur so entfremdet, dass wir in uns selbst ganz verfremdelt sind, wie haben uns von uns selbst so beabstandet, dass wir uns erstmal suchen müssen. Viele Jahre verbringen wir auf der Suche nach uns selbst, probieren uns in diesem und jenem aus - die einen begeben sich in die Rolle des anderen Geschlechts, andere sublimieren, stecken ihren Hauthunger in künstlerisches Schaffen und feingeistige Höhenflüge (solange, bis die Realität sie wieder einholt), manche begeben sich in die Wüste, möge sie pyramidig bestückt oder gar gänzlich leer sein (und das dann vielleicht für die berühmten 40 Tage, die in irgendeiner Weise ja das Nonplusultra an Erfahrung und beim Erlernen der Sprache der Stille bieten sollen), oder in einen Abenteuerurlaub vollgepackt mit unglaublichen Erlebnissen… Es gibt welche, die sich im Sport stetig beweisen müssen, wie sie jede mögliche Angst überwinden und trotzdem überleben, andere drogen sich voll und leveln ihr Bewusstsein hoch und runter bis zur Bewusstlosigkeit. Ihr wisst selbst, wie viele Wege es gibt, sich selbst hinterherzurennen und doch nicht zu finden.

Nun aber genug geträumt, ich schüttle bettens noch meine morgenwilde Mähne und fühle dabei ungut mein Doppelkinn schwingen, ein Gefühl, das einem Tier mit Sicherheit gar kein Missbehagen bereitet, denn es ist, wie es ist, und ob die Gefährten das schön finden oder nicht, ist, außer in der Paarungszeit, irrelevant. Es wird Zeit, dass ich mich in die Vertikale begebe, da hängt sich das Doppelkinn besser aus.

 

© Manuela Hoffmann-Maleki (Letteratour) – Ich. Einfach unver-besserlich.

 

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