Letteratour's Webseite

Übersetzungen und Letteratour

13
Ok
Der Vier-Personen-Mango
13.10.2024 20:16

Ernestine hatte gestern das neue Paket „Mangos“ aus Spanien von ihrem adoptierten Bio-Baum bekommen und nicht schlecht gestaunt ob des Inhalts, denn es befand sich diesmal nur eine einzige Frucht darin. Diese war allerdings auch schon ziemlich reif, und so stand Ernestine heute bereits am späten Mittag, was für sie und ihren Sohn sowas wie der frühe Morgen war, in der Küche und zersäbelte die riesige ovale Schönheit mit der mittlerweile durch Dutzende von Obstkisten vom selben Versender gewonnenen Expertise in kleine mundgerechte Stücke.

„Das ist ja mindestens ein Vier-Personen-Mango“, teilte sie ihrem Sohn mit, als sie das Wohnzimmer mit zwei großen Schüsseln betrat, in denen jeweils eine Gabel in süßduftenden orangefleischigen Würfeln steckte.

„Dasch trifft schisch gantsch gut“, nuschelte er, noch mit der Zahnbürste im Mund am Werkeln. „Krieg gleich Beschuch! Hab vergeschen, dir tschu schagen, der Alekschisch mit scheiner Alekschandra kommt jetscht.“

Ach so, da musste Ernestine das doch ein bisschen anders aufteilen. Flugs war sie wieder in der Küche verschwunden, wo sie nun vier etwas kleinere Schüsseln füllte und zwei weitere Gabeln herauskramte.

Schon klingelte es an der Tür, und ihr Sohn öffnete. „Kommt rein, gibt grad Frühstück bei uns!“

„Sorry, dass wir nicht gefragt haben, aber wir haben noch Nico und Verena mit, wir dachten, wir können ja alle zusammen hinfahren.“

Die Mutter hörte das, und blitzschnell verteilte sie noch mal etwas um. Zwei weitere Portionen kamen hinzu.

Gerade wollte sie die Schüsseln nach nebenan bringen, da klopfte es von außen ans Küchenfenster. Erschrocken sah sie hinaus, da stand auf der Terrasse ein Freund ihres Sohnes mit seinen beiden kleinen Jungs, drei und vier. „Oh, hallo, ich lass euch hinein!“

Sie ging zur Terrassentür, die in den Garten führte, zu dem man von der Straße einfach durch ein kleines Törchen gelangen konnte. „Nur hereinspaziert, bin gleich da! Haben grad die Bude voll!“

Sie ging schnell zurück in die Küche und holte einen großen Joghurtbecher aus dem Kühlschrank. Himbeer mit Vanille, sehr gut! Den verteilte sie dekorativ neben den Mangostückchen in den mittlerweile 8 Schüsseln.

Dann fiel ihr ein, dass sie sich selber vergessen hatte, und schnell schlichtete sie um, so dass noch ein 9. Schüsselchen heraussprang.

Da läutete es an der Tür. „Ich stör doch hoffentlich nicht, ich wollte dir nur schnell was vorbeibringen“, sagte ihre Freundin Carla von zwei Straßen weiter. Jetzt wo sie da war, konnte sie genauso gut auch hereinkommen.

„Wart mal einen Moment, ich mach nur noch schnell was in der Küche. Kannst schon mal ins Wohnzimmer gehen.“ Sie nahm die Packung mit den Haferflocken und mischte sie in die Joghurtkleckse, so dass es nach deutlich mehr aussah und dekorierte alles noch mit jeweils drei Weinbeeren. Was für ein Glück, dass im Kühlschrank grad noch eine Traube war! Viel hatte sie gerade nicht da, sie müsste dringendst einkaufen gehen.

Da klopfte es wieder an der Tür. Der andere Sohn, der schon ewig nicht mehr da gewesen war, obwohl er im selben Stadtteil wohnte! Mit drei Mädels im Gefolge. Hahn im Korb! Ernestine freute sich für ihn. „Kommt doch alle rein, so wie es aussieht, haben wir grad eine Party!“

Ernestine nahm schnell eine mikrowellentaugliche Schüssel, füllte sie mit Cornflakes und zerkleinerte so schnell und gut sie konnte, eine Tafel Nougatschokolade aus ihrem geheimen Vorrat über den Flocken, die sie dann kurz heißmachte und alles verrührte. Mit den entstandenen Schokoknusperbergen konnte sie auch die 14 frisch hergerichteten Tellerchen perfekt umkränzen, auf die sie nun die Inhalte der Schüsselchen transferierte. Die Gäbelchen waren ausgegangen, so kamen nun auch Löffel zum Einsatz.

Da läutete das Telefon: „Hey, wir sind zufällig gerade in München, sind schon vor deinem Haus! Wir hoffen, wir stören nicht!“ Das war das nette Pärchen aus dem letzten Urlaub mit ihren 13jährigen Drillingen. Sie wollten kurz vorbeikommen, wenn sie mal auf der Durchfahrt durch ihre Stadt wären. Uff, jetzt war es auch schon egal. Gestern hatte Ernestine Reis zum Thaicurry gekocht, davon war noch etliches übrig. Sie wusch den Reis rasch in einem Sieb unter dem Wasserhahn aus, damit er nicht so salzig ist, und mischte ihn in einer Schüssel mit Vanillezucker und H-Sahne. Da es Basmatireis war, sah er nicht ganz so aus, wie er das eigentlich sollte, aber das machte nicht so viel, sie versteckte ihn einfach unter einer Decke aus Zimtpulver.

Jetzt war es aber genug. Sie betrat das Wohnzimmer mit einem großen Tablett mit der Mangokreation. Dann holte sie schnell das zweite Tablett. Gerade so hatte sie alles darauf unterbringen können. Alle setzten sich freudig auf den Teppichboden, und offensichtlich fanden sie das Ensemble gelungen, das Ernestine noch mit je einem Pfefferminzblatt aus dem Topf vom Fensterbrett und einer eingelegten Amarenakirsche aus dem aus Italien vor Jahren mitgebrachten blau-weißen Behälter dekoriert hatte. Es entspann sich eine lebhafte Diskussion, ob es der, die oder das Mango heiße, aber man konnte sich nicht einigen.

Auf jeden Fall war es ein sehr fröhliche Gesellschaft, die sich aber rasch auflöste, weil jeder noch etwas geplant hatte. So schnell wie alle gekommen waren, stand Ernestine auch schon plötzlich ganz allein in der Küche und sortierte jede Menge Geschirr in die Spülmaschine. Gerade suchte sie einen Platz für die letzte Schüssel, da ging die Tür auf und Carla spitzte hinein.

„Hilft dir gar niemand? Ich war auf dem Klo, da fiel mir ein, ich habe dir mein Mitbringsel vor lauter Trubel ja gar nicht gegeben. Kuck mal, ich habe hier einen Gutschein bekommen von so einer Obst-Hacienda in Spanien, die bauen Bio-Obst an, Mangos. Wie ich sehe, isst du die ja gern. Das wäre doch was für dich oder? Den wollte ich dir schenken. 5 Euro Rabatt bei der ersten Bestellung.

Wieso hast du jetzt eigentlich alles allein eingeräumt? Hättst doch stehenlassen können. Wenn dein Sohn wieder heimkommt, hätte er das doch machen können. Übrigens, den Kern von dem Mango kannst mir gerne mitgeben. Ich schau mal, ob der bei mir auf dem Balkon anwächst. Falls Du diese Amarenen nicht aufessen willst, ich nehm die auch gern mit.“

„Ne, sorry, die hab ich gerade erst aufgemacht, das war so eine Art Heiligtum noch aus der guten alten Zeit mit meinem italienischen Opa, da essen wir schon noch davon. Die sind jetzt fantastisch durchgezogen. Den Kern kannst du natürlich haben.“

Hinterher winselte sich die ganzlebig schlecht gelaunte Carla dann bei ihren anderen Freundinnen aus, wie sie Ernestine einmal ein echt tolles Geschenk gemacht hatte, und als sie sie dann gefragt hatte, ob sie sie die restlichen fünf Amarenen aus ihrem ollen Vorrat schnabulieren lassen würde, weil die so lecker waren, hätte die geizige Ernestine sie ihr nicht gegeben, und ihren Müll hätte sie ihr auch noch rausbringen müssen. Aber Enttäuschung gehöre ja zum Soundtrack ihres Lebens. Früher oder später musste das mit Ernestine ja so kommen.

 

© Manuela Hoffmann-Maleki (Letteratour) – Ich. Einfach unver-besserlich.

 

 

 

Hochmut kommt vor dem Fall
Butter bei die Fische

Kommentare


Kostenlose Homepage von Beepworld
 
Verantwortlich für den Inhalt dieser Seite ist ausschließlich der
Autor dieser Homepage, kontaktierbar über dieses Formular!