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Als der Fußbodenbelag beschloss, eine Welttournee zu machen und Teppiche zu treffen
30.09.2024 20:42

Jetzt war es wirklich genug, beschloss der Laminat-Clan. Die Herrin hatte eine neue Zugehfrau eingestellt, und die hatte ihn schmählich missachtet. Sie hatte die beiden kleinen Läufer herausgenommen und vor dem Fenster ausgeschüttelt, sie hatte auch den Teppich vor der Tür genommen, weggetragen und wieder bröselfrei zurückgebracht, aber ihn hatte sie einfach links liegen gelassen, dabei war er unübersehbar groß.

Er bestand aus einer Sippe von unzähligen wunderbaren Dielen und bedeckte ja das ganze Zimmer. Sorgte dafür, dass es hier immer anständig aussah und der Boden nicht so fußkalt war, wenn die Herrin wieder nur in Socken hereingeschlurft kam. Aber letzthin war sie jedes Mal mit ihrem Kakao in der Hand zum Sofa gegangen und hatte dabei fast immer auf ihn gekleckert. Er fühlte sich nun schon seit Wochen unwohl und roch an seinen Fugen wie Menschen sich an der Achsel anschüffeln, wenn sie Angst haben, dass der Sprint zum Bus eine unangenehme Duftfahne auf ihrer Haut hinterlassen haben könnte.

Seit vier Monaten schon ging das so. Vier Monate dreckstarrend aushalten! Und endlich war diese Putze gekommen, aber nein, ihn ließ sie einfach so versifft liegen! Wie unfair! Ein empörtes Murren mit einzelnen lauteren Proteststimmen machte sich bemerkbar, und da fasste der Clanoberste ganz spontan den Beschluss, dass sie sich das nicht weiter gefallen lassen würden. Er befahl den Clanmitgliedern, ganz vorsichtig an den Rändern ihre breiten flächigen Körper zurückzuziehen und zu probieren, ob sie unter der Leiste hervorkonnten. Jawohl, es ging, hier war nicht sorgfältig gearbeitet worden, und so klemmte die Leiste die Bretter nicht mehr richtig fest, sondern kam stellenweise sogar gleich mit, als sie sich von dort Richtung Mitte zusammenscharten.

Glücklicherweise befanden sich die Fugen genau unter den Sofafüßen, so dass man es schaffte, sich rechts und links davon aufzuteilen und an den Alufüßen vorbeizuschnarren. Da, wo zwei Bahnen ineinandergeschoben waren, sprangen die ersten wagemutig aus ihrer Nut-und-Feder-Verbindung und waren plötzlich frei! Was für eine Wohltat, was für eine Bewegungsmöglichkeit man plötzlich hatte! Sofort inspirierte dies die anderen Bahnen, es den Ausbrechern gleich zu tun, und klack klack klack ließen alle mit Getöse in hoher Geschwindigkeit, gleich einem prasselnden Feuer, endlich den langweilig gewordenen ollen Partner los und bewegten sich gleich möglichst weit von diesem weg.

Schnell schlossen die einzelnen Bretter neue Bekanntschaften und fingen an, sich zu unterhalten, da herrschte sie das Oberbefehlsbrett an, das an der Tür lag und hinausspähte, ob die Luft rein sei, dass jetzt nicht der Zeitpunkt sei, sich zu unterhalten, denn schließlich wollte man ja dieses Haus überhaupt verlassen. In die große weite Welt ziehen, andere Wohnungen, ja Städte und Länder kennenlernen, andere Laminate, Vinyle, Kokosmatten und Teppiche, ja, vor allem viele fesche Teppiche, schön bunte in blau und rot und grün, zu denen man gut passen würde, da man ja so ein schlichtes hellgrau trug. Das Clanoberhaupt war ein richtiger Demagoge und wusste, was er sagen musste, um den anderen Feuer unterm Hintern zu machen, sozusagen.

In Nullkommanix hatten sich die Bretter ordentlich gesammelt und schlichen sich leise leise trappelnd hintereinander zur Tür hinaus, das Chefbrett tollkühn vorne weg. Sie hatten rasch den Korridor hinter sich gelassen und schickten sich gerade an, stapelweise in die Vorhalle einzumarschieren, da tat es plötzlich einen heftigen Schlag. Alle Bretter stürzten durcheinander und schrien gellend auf, denn sie wurden von literweise siedend heißem Wasser verbrüht. Das war ein Schmerz, wie sie ihn noch niemals gespürt hatten, nicht einmal als das dicke Lexikon unverhofft heruntergefallen war! Vor allem hatte es sie an ihren empfindlichen Bäuchen erwischt, die in Nullkommanix nass geworden waren und sofort begonnen aufzuquellen. Hilfe, Wasser!

Sie hatten so schnell gar nicht mitbekommen, was passiert war, und während noch panische Schmerzensschreie durch die Luft gellten und verzweifelte Bretter sich an die Wände drückten, versuchten, auf einander zu klettern, wo es ging, um möglichst großen Abstand zu den Wasserfluten zu haben, wurde ihnen klar, dass die Reinigungskraft an ihrer Misere schuld war. Sie hatte einen riesigen Eimer mit Wasser geschleppt und wollte, ohne zu schauen, wo sie hintrat, zum Zimmer, aus dem sie alle gerade kamen. Nun lag die sehr wohlbeleibte Frau weinend mit verdrehten Armen und Beinen am Boden und schluchzte fast noch lautstärker als die armen Bretter.

„Ja nicht viel Wasser für den Boden nehmen!“, rief die Herrin aus dem Wohnzimmer. „Das ist Laminat, das darf man nur nebelfeucht wischen, sonst ist es kaputt! - Was ist denn das eigentlich für ein Lärm da draußen?“

© Manuela Hoffmann-Maleki (Letteratour) – Ich. Einfach unver-besserlich.

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