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Stille Wasser
20.10.2023 00:00

Was ist jetzt wesentlich, und was nicht? Was soll ich weglassen? Und wo soll ich anfangen? Bei ihm? Bei ihr? Bei wundersamen Fügungen? Ach, am besten bei Alfredo.

Der gutaussehende Alfredo jedenfalls war derjenige, der ihr zugesagt hatte, ihr Haus zu streichen. Dies tat er, weil er ihr einen Haufen Kohle schuldete, den sie ihm in einem Anfall von Gehirnerweichung (sie selbst nannte es allerdings Herzensgüte) als Hilfestellung für bessere Zeiten in den Rachen geworfen hatte. Zinsloses Darlehen. Die Abmachung war, er solle es ihr durch handwerkliche Hilfestellung im Haus und Garten langsam abzahlen. In Italien sei er Malermeister gewesen, könne auch wunderbar Fußböden verlegen. Hier in Deutschland arbeite er jetzt als Koch. Wegen der Pandemie habe er immer noch Kurzarbeit und drum so viel Zeit.

Ein paar Mal ließ sie ihn für sich kochen, hatte aber den Eindruck, dass es mit seiner Kochkunst nicht so sonderlich weit her war. Zum Beispiel wusste er nicht, dass unterschiedliche Gemüse ganz unterschiedliche Garzeiten hatten, weshalb in seinen Gerichten manches noch unter den Zähnen quietschte, während anderes nur noch Matsch war. Bei der Zubereitung von Rindfleisch könnte er auch dazulernen, befand sie. Mit Gewürzen kannte er sich auch nicht so gut aus. Es endete damit, das Zamzara ihm hausfraulich-kreative Tipps beim Kochen gab und schließlich, wenn er bei ihr vorbeischaute, doch lieber selber kochte. Für zwei natürlich.

Ärgerlich war bloß, dass Alfredo, wie sich zeigte, sehr sehr unzuverlässig, sehr sehr verschwenderisch und sehr sehr untalentiert auch bei der Ausführung jeglicher anderer handwerklicher Tätigkeiten war. Außerdem neigte er zu überhöhtem Alkoholkonsum, was weder für seine Figur, noch für sein Portemonnaie förderlich war. Und halt auch dazu führte, dass er fast jedes Mal, wenn er zugesagt hatte, nun endlich zum Weiterstreichen der längst ausgeräumten, abgeklebten und mit Moltofillklecksen verschönerten Räume zu kommen, sich irgendwie nicht wohl fühlte und auf wann anders vertagte. Er würde sich bald melden.

Leider musste man dann aber unbedingt nachhaken, wann dieses „wann anders“ denn mal endlich stattfände. Jedenfalls hatte er es geschafft, auf diese Weise ein ganzes Jahr auf für die langmütige Zamzara außerordentlich ungemütliche Weise vergehen zu lassen, bis endlich, endlich das letzte Zimmer dran war. In der Zwischenzeit war sie ständig auf der Suche, wo denn dieses oder jenes Utensil im Zuge der Wegräumaktion hingeraten war. Immer wieder mussten Möbel von hier nach dort bugsiert werden, Gegenstände verschwanden auf Nimmerwiedersehen wie von Geisterhand, Bierflaschen fanden sich hingegen überall auf allen Möbelstücken, und kleine Stücke Kreppband und eingetrocknete Farbspritzer zierten Steckdosen, Fensterrahmen, Lampenschirme sowie Lichtschalter.

Am Abend des 12. Februar packte Alfredo die Malerrolle und die Pinsel in eine Plastiktüte mit den Worten: morgen mache ich fertig. Anderntags war er dann wieder mal krank.

Zamzara hatte keine Lust mehr auf sowas und wurde ziemlich stachlig. Das half ihr gar nichts. Er bat darum, ihm ein Taxi zu bezahlen, dass er kommen könne, um mit ihr zu reden.  Nicht etwa, um zu arbeiten. Das Taxi wollte sie nicht zahlen, warum auch, es gäbe genügend Busse. Sie schickte ihm sogar die Abfahrts- und Ankunftszeiten. Er meinte, mit Bussen kenne er sich nicht aus, da würde er sich verlaufen. Ob sie ihn abholen käme. Er wohnte am Ende der Stadt. In seiner winzigen Wohnung (die gemäß seiner Beschreibung quasi nur aus einem Bett bestand) mit ihm reden wollte sie nicht. Ihn vom anderen Ende der Stadt abholen und zu sich bringen wollte sie auch nicht. Also kam er nicht.

Das letzte Zimmer, das so gut wie ausgeräumt war, füllte sich allwöchentlich mit irgendwelchem Kram, der gerade im Wege herumging und am 12. September war es so voll, als würde ein schlampiger Student drin hausen.

Zamzara hatte Alfredo gar nicht mehr angeschrieben, da er sich ja von sich aus melden wollte und sie einfach die Faxen dicke hatte. Sie hatte sogar überlegt, das Zimmer selbst zu streichen. Im Prinzip beherrschte sie das, aber sie hatte ein Problem mit ihrem Rücken und konnte nicht mehr alles genauso gut, wie sie wollte. Das Geld, das sie Alfredo geliehen hatte, war wahrscheinlich ohnehin, wie eine iranische Redensart besagte, auf Eis geschrieben. Howard Carpendale hätte es mit Spuren im Sand verglichen, und der Cineast mit Vom Winde verweht.

So suchte sie an jenem denkwürdigen Tag jemanden über den Freundeskreis und am selben Morgen schon fand sich wer und hatte gleich Zeit. Er kam, pünktlich, sogar eine Viertelstunde zu früh. Hatte alles Erforderliche dabei. War anstandslos mit dem Bus gekommen, ohne zu fragen, wann der denn führe, und welche Linie. Er räumte aus, brachte die Sachen aus dem Zimmer in den Keller, wo sie sie hinhaben wollte, erledigte die gewünschte Malerleistung in ein Drittel der Zeit, die Alfredo gebraucht hätte, räumte tadellos auf, machte alles inklusive der Pinsel penibel sauber, trank keinerlei Bier während seiner Arbeit, sondern nur ein einziges Glas stilles Wasser, und ansonsten war er angenehm, charmant, attraktiv und kein Mann großer Worte. Sie hatten sich kurz lachend über Alfredo ausgetauscht. Den kenne er, was für ein Schlawiner! Nun gut, jetzt hatte es sich aber ausschlawinert. Das Zimmer war nun endlich fertig. Was für ein gutes Gefühl!

An der Haustür fiel Zamzara ein, dass die Garage auch mal gestrichen werden müsste. In der Woche drauf wurde das Heim ihres geliebten Automobils schön hergerichtet. Neue Besen kehrten sogar die Spinnen aus jedem Winkel und hinterließen den Ort des Geschehens picobello, so dass Zamzara abends mit Freuden ihr braves Autöchen in die Garage zurückfahren konnte.

Als der Maler sich verabschiedete, zeigte sie ihm, dass der Hauseingang auch ein bisschen Farbe vertragen könnte. Die Woche drauf bekam dieser einen hellen, freundlichen Anstrich, und alles sah plötzlich licht und fröhlich aus. Auch in Zamzara war es licht und fröhlich geworden. Sie freute sich schon unwahrscheinlich auf die nächste Woche, wo der Anstrich der Außenfassade beginnen würde. Diese Aktion würde längere Zeit in Anspruch nehmen. Sie hatte deshalb vier ganze Kisten stilles Wasser gekauft. Inzwischen kochte sie aber auch Mittagessen für ihren fleißigen Handwerker, und der ließ es sich munden. So dünn wie er war, schadete ihm das gewiss nicht.

Nach der Hausfassade gab es am ganzen Haus nichts mehr, das noch gestrichen werden müsste, aber zum Glück stellte sich heraus, dass dieser Mensch ein Faktotum war. Böden verlegen konnte er auch. Und da gab es ja nun wirklich viele Möglichkeiten, denn das Haus hatte wirklich viele Zimmer.

Ein paar Monate später wog der inzwischen unabdinglich gewordene Helfer etliche Kilo mehr dank Zamzaras guter Küche und Zamzara selbst wog etliche Kilo mehr dank ihres merklich gerundeten Bauchs, dank dessen wiederum sie dann in Erfahrung brachte, dass der Maler- und Bodenlegermeister auch ein talentierter Schreiner war. Voller Hingabe baute er eine wunderschöne Doppelwiege für die Zwillinge und ein stabiles Doppelbett mit vielen geheimen Spielereien für sich und seine Zamzara, eine neue Küche, einen großen Einbauschrank für Spielzeug, etliche wundervoll funktionelle Seifenkistenautos für alle fünf Kinder, ein mehrfach erweitertes Spielhaus für den Garten, später ein riesiges Baumhaus, und sechs Jahrzehnte später ließ er es sich nicht nehmen, einen geschmackvollen weißen Doppelsarg für seine über alles geliebte Frau und sich selbst zu fertigen. Im Kräutergarten kannte er sich auch bestens aus, und so kam es, dass sie beide friedlich und Hand in Hand diese Welt verließen, als ihnen der gemeinsame Weg zu beschwerlich geworden war.

Nicht weit von diesem von den Nachkommen liebevoll gepflegten Grab auf dem kleinen Dorffriedhof, wo die Gräber für alle Ewigkeiten bestehen bleiben konnten, weil so viel Platz war, befand sich eines, das verstörend vernachlässigt aussah. Der Grabstein inmitten hässlichen Gestrüpps stand ganz schief und war schon ganz grau und schmuddelig. Mit Müh und Not konnte man noch den Vornamen lesen: Alfredo. Gestorben war er an einem 12. September. Zufällig genau in dem Jahr, wo Zamzara und ihr Liebster sich kennengelernt hatten.

 

© Manuela Hoffmann-Maleki (Letteratour) – Ich. Einfach unver-besserlich.

Eine Frage der Reichweite
An Tagen wie diesen...

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