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Übersetzungen und Letteratour

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Ja
Reisebettfieber
06.01.2024 20:17

Der Mann wurschtelt um mich herum in einer Tour. Ich liege hilflos gestrandet im Bett und fühle mich waisenkindig. So als störe ich die Linien seines Treibens wie ein Stein im Uferwasser, an dem das Wasser sich zwangsläufig brechen muss. Es muss dauernd aussen vorbei. Neben dem Bett rauscht der Luftfilter und hört sich an wie ein starker Wind. Das erinnert mich an Teneriffa, wenn es draußen vor dem Fenster lärmte und der Wind unseren Balkon hoch über den weihnachtssterngekränzten Palmen angriff. Ich denke mir: wie toll für den Drachenbaum. Er fühlt sich sicher zuhause. 

Der kleine liebe Baum, der seinen Aufenthalt im Koffer mit einem leichten Linksdrall überstanden hat, den er aber bereits in seinen ersten Tagen auf deutschen Balkonerdeboden im Töpfchen ausgleichen konnte, heisst jetzt der Unico Hänsel. So nannten wir in unserer Familie immer jemanden, der als einziger seiner Art übrig geblieben ist. Das war wieder der Spleen meines Opas, des Italienschweizers. Neben seinem Hobby der Haarspalterei, das ich ebenfalls übernommen habe, bastelte er mit Leidenschaft aus Wörtern und Namen etwas, das in unserer Familie für immer einen Platz behielt. Einen Herrn Unico Hensel kannte er scheints. Laut meinen Recherchen hatte der ein Klavierhaus in München und ebenso wie ich und Dorian Gray einen Deal mit einem Gemälde gemacht, das an seiner Stelle alterte.

Ich beobachte aus meinem seit Tagen tränenden Augenwinkel das Verhalten meines Partners. Wenn er krank ist, wehrt er sich scheints. Er hadert mir seinem Schicksal, grämt sich, schämt sich für seine Untätigkeit und versucht, durch überflüssigen Aktionismus seine Existenzberechtigung zu verteidigen. Er kreiselt durch seine Höhle, in steter Bewegung, revoluzzermäßig auf den Barrikaden. Mit ihm nicht! Das darf doch nicht sein! Nein, er will nicht krank sein. Gedämpfte Hustenanfälle zwingen ihn nicht in die Knie. Er lässt sich nicht darauf ein. Wenn er im Bett liegt, beuteln ihn irgendwelche Tagträume in fremden Welten, von denen er nichts wissen will. Also liegt er nicht im Bett. Er nimmt Ibuprofen, damit sein Kopf so tut, als wäre alles normal.

Wenn ich krank bin, ergebe ich mich, lasse mich fluten und von der Brandung des Hustens und der Niesereien überwältigen. Es rüttelt und schüttelt mich, die Wässer fliessen durch mich hindurch, Lärm schleudert sich durch meinen halbgeöffneten Mund an die Oberfläche, lautstark, zyklisch, in katatonischen Spasmen. Wenn ich schlafe, ist mein Schlaf so tief, als wäre ich ausgelöscht. Kein Lichtstrahl stiehlt sich hinein, in dem ich eine Schimäre aus Anderwelten erkennen könnte. Die Träume halten sich fern, haben Angst, sich anzustecken. Am Meer war ein Schwimmer in den hohen kalten Dezemberwellen unterwegs. Der stahlblaue Ozean tobte und bäumte sich vor ihm viele Meter hoch auf, drohte ihm mit Vernichtung. Der Schwimmer steckte seinen Kopf durch den Wellenfuß und kam in Nullkommanix auf der anderen Seite unbeschadet wieder hervor, während die Welle sich voranwälzte und sich immer noch fragte, wo er denn geblieben sei. Sie konnte ihn nicht finden, ihn nicht zerschmettern. Alle Wellen konnte er auf seinem Weg auf diese Weise austricksen. Er wusste genau, was er tat. Dann kehrte er zurück und lief leichtfüßig über die schwarzen Lavabrocken, als wäre das ganz selbstverständlich. Eins mit der Naturgewalt.

Auf einem dieser Spaziergänge über den schwarzen Strand kamen wir später an kleinen Häusern vorbei. Ich stellte mir vor, wie die Wohnungen dahinter so klein waren, dass ein zartes Rappeln am Türklopfer reichte, um den Bewohner aus dem hintersten Winkel aufzuscheuchen. In so einem Haus hatte damals Jannis gewohnt, den wir auf Leros kennenlernen durften. Wir hatten ihn am Hafen getroffen, Fotos von den riesigen orangenen Fischernetzen gemacht, die da vor dem blauen Meereshintergrund zum Trocknen auslagen. 

Jannis war damit beschäftigt, die Löcher im Netz zu flicken. Ich stellte fest, dass ich mich mit ihm unterhalten konnte, denn Rhodos war mal von den Italienern besatzt worden, und deshalb sprach er etwas Italienisch. Jannis war ein ziemlich alter Mann mit schwarzgegerbtem Windgesicht, aus dem die Freiheit sprach. Er freute sich, dass wir für ihn Zeit hatten und brachte uns mit seinem Motorrad zu sich nach Hause in so ein winziges Türklopferhäuschen, das er ganz allein bewohnte. Da mein Mann so fror, schenkte er ihm ein Hemd. Wie sich herausstellte, war es eines von zwei Hemden, die er überhaupt hatte. Das andere trug er am Leibe. Er lud uns auch zu einer ganz besonderen Spezialität ein, die er brüderlich mit uns teilte: ein altes Stück scharfem Ziegenkäse, den er auf einem Bord hoch über dem Fenster in Deckennähe gelagert hatte. Als wir seinen Vorrat verzehrt und bei ihm am Boden übernachtet hatten, verließen wir ihn am nächsten Tag mit Liebe und Ehrfurcht vor seiner Güte im Herzen. Aus Deutschland schickten wir ihm drei Hemden und bekamen im Laufe der Jahre zweimal Post, die jeweils irgendein Tourist, der zufällig verfügbar war und ebenfalls italienisch konnte, für ihn geschrieben hat, denn er konnte selbst nicht lesen und schreiben. Vielleicht hatte ja das Treffen mit uns noch zwei weitere schöne Geschichten in sein Leben gebracht. Auf jeden Fall waren wir eine in seinem.

Beim Herumlaufen im kanarischen Küstenort ermüde ich stark und halte ein Taxi auf, das uns soweit möglich auf geradem Weg nach Hause bringt. In diesem Städtchen geht es nämlich ständig bergauf und bergab und man muss hoch, um an die Kreuzung hinunter zu kommen und hinunter, um an die Kreuzung oben zu kommen. Von Zweibahnstraßen hat man hier noch eher wenig gehört. Dafür ist die Regelung relativ verlässlich, dass die ungeraden Straßen linksrum und die geraden rechtsrum verlaufen.

Im Hotel angekommen kleide ich mich in mein rotes Weihnachtsgewand, das man aber auch nur an Weihnachten anziehen kann, und wir stürzen uns in die Fluten der Galabesucher. Unter Gala verstehen sie ein festliches Essen. Es erscheinen Damen in Paillettengewändern mit Herren in Hoodies, Damen in Flipflops mit Herren im Revers. Wir haben einen Mittelweg gefunden. Auf den Schildern neben den Speisen sind befremdliche Übersetzungen zu lesen wie: Hakenstöcke (diese stellen sich später als eine Art langer runder Fischstäbchen heraus), geschmorte Kohle und gebratene Kieselsteine. Diese schmecken ungefähr so, wie man sich das auch vorstellt. Hätte ich ja nicht nehmen müssen. Es gab jedoch auch Truthahn, Lachs, Garnelen und Gans. Wir waren halt wieder neugierig und haben anderes ebenfalls probiert. Wie immer, zweifle ich an meiner Geschmacklosigkeit. Mein Partner rettet mich mal wieder: er hat nicht vergessen, mir Tütchen mit Salz und Pfeffer mitzubringen von seinem Fischzug.

Auf unserer Reise wurden wir durch die beiden täglichen Büffets so gut gefüttert, dass wir es nicht nötig hatten, irgendwo fremd und außerkartlich essen zu gehen, was wir auch nicht wirklich bedauerten. Die angefutterten vier Kilo schwinden hier dank der Leidensorgie im Bett bzw. auf den Barrikaden zwar durch unterschiedliche Vorgehensweisen, aber sowohl die Aktionslosigkeit wie auch das Tiger-im-Käfig-Verhalten tragen Früchte und wir verschlanken uns rasant. Eigentlich würde ich nach Genesung gern noch 10 Tage anhängen, um weiteres Gewicht loszuwerden, aber ich fürchte, sobald es mir bessergeht, hält das den Effekt auf. Und ich glaube, es fängt schon damit an, vier Tage war die Manu krank, nun schreibt sie wieder, Gottseidank! Glaubt mir übrigens nichts, was ich hier berichte, denn ich gehöre zur Gruppe der unzuverlässigen Erzähler. Ich liege hier im Bett und deliriere. Personen und Handlungen sind frei erfunden. Alte Zöpfe wurden mit neuen Spangen versehen. Neue Haare in alte Zöpfe eingeflochten. Wenn ich das Kissen so ansehe, leide ich unter gewaltigem Haarausfall. Man könnte Teppiche voller Geschichten draus weben.

 

© Manuela Hoffmann-Maleki (Letteratour) – Ich. Einfach unver-besserlich.

 

 

 

 

 

Eine schöne Bescherung
Ich bins, dein Herz

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