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Au
Red Bull
24.08.2023 22:27

Ränieh, der sanftmütige Stier, lebte friedlich in einem Garten epischer Breite und knapp bemessener Tiefe. Die Höhe pflegte er selbst mit Vergnügen und hielt sie im Allgemeinen akribisch auf genau 5,5 cm, ließ aber an anderen Tagen gern Fünfe gerade sein, weswegen es auch mal 6,6 oder 4,4 cm sein konnten. Auf die Doppelung der Zahlen achtete er jedoch genau, da sie ihm eine gefühlt heilige Befriedigung und den Zuspruch des Universums sicherte.

Da, wo er gemäht hatte (äsen konnte man das eher nicht nennen, dafür drosch er das Gras zu forsch in sich hinein, und als grasen konnte man es auch nicht bezeichnen, weil in diesem Garten die Wildkräuter die Oberhand hatten), ließ er die Pflanzen erstmal stehen und kam nach geraumer Zeit wieder zurück. So etwa nach einem Monat. Pi mal Huf.

So war Ränieh in gewisser Weise konsequent inkonsequent oder inkonsequenterweise manchmal seeeeehr konsequent. Für sich selbst handelte er ja vorhersehbar. Naja, kein Wunder, er plante nämlich, was er tat. Mit einer Vorlaufzeit von 1- 70.000 Sekunden. So in etwa. 70.000 Sekunden sind 19,444 Stunden  - genau so weit kann nämlich ein Stier vorausplanen. Zum Glück nicht viel länger. Es wird ihm der Kopf zu schwer, wenn er längere Zeit so schwerwiegende Verstrickungen in ihm behalten muss.

Dadurch lässt seine Multitaskingfähigkeit zu sehr nach, die ohnehin nur darin besteht, gleichzeitig zu mähen, plus maximal ein oder zwei Schritte dabei vorwärts zu schreiten, und gelegentlich gleichzeitig den Gedanken zu fassen, er könne auch mal muhen. Dies betrieb er sehr gelegentlich und dann nur angelegentlich. Auch klang es kaum wie ein Muh, sondern vielmehr wie ein Möh, das kam davon, dass er einen leichten Akzent hatte.

Er war nämlich unfreiwillig zugereist worden, als die Besitzerin des Gartens ihn bestellt hatte. So kam er also eines Tages angefahren, in einem schicken weißen Kastenwagen mit der Aufschrift Live Stock, was sein Herz höher schlagen ließ, denn er wusste vom Hörenmuhen immerhin, was Woodstock war, und meinte nun, wenn auch, wie sich sehr rasch herausstellte, fälschlicherweise, er habe es nun geschafft, berühmt zu werden. In der Folge beschloss er dann halt, das Berühmtsein sei überbewertet, famos zu sein reiche durchaus aus. Und das war Ränieh ja. Keiner war famoser als er, da konnte ihm niemand das Wasser reichen.

Tatsächlich holte er sich sein Wasser stets selbst. Etwas breitbeinig über dem Pool der Besitzerin stehend. Vor Vergnügen grunzend und leise Laute der Freude und laute des Schmatzens und Schlürfens von sich gebend, zog er einen Wasserstrom in sich hinein von dem Wasser, in dem seine Besitzerin kurz zuvor ihre Runden gedreht hatte. Splitterfasernackt.

Um ehrlich zu sein, betete er sie schon ein bisschen an. Eigentlich hätte er gerne mal an ihrer breiten Pobacke geschleckt mit seiner langen nassen Zunge oder über ihre dickliche braungebräunte Schulterpartie. Auch ihre weichen prallen Oberschenkel hatten es ihm angetan. Aber er hatte beschlossen, er sei ein Kuhjunge und kein Menschenjunge. Und somit stünde ihm das nicht zu.

So stellte er sich gerne an den Rand der Wiese, gleich neben der Terrasse, malmte genießerisch an seinen Löwenzahn- und Gierschstengeln, wedelte genüsslich gelbe Blüten und blaue Akeleien in den Maulwinkeln herum und betrachtete, scheinbar stoisch und ungerührt, die Schönheit der braunen menschlichen Maharani, die sich seinen Blicken ungeniert in ihrem Schwebesitz unterm Baldachin darbot.

Ungeniert, da die selbsternannte Maharani, die natürlich gar keine war, sondern nur eine gewöhnliche Seele, die in einen etwas zu robusten Körper geschlüpft war, um das Spiel des Lebens in einer weiteren Variante mit neuen Spielgenossen zu spielen, sich dessen in keinster Weise bewusst war, dass der schöne dunkle Stier mit den liebevollen Augen so kleine freche Gedanken hinter seiner stolzen Denkerstirn hegte. Vielmehr hielt sie ihren Ränieh für einen Philosophen wie jeden anderen, mit dem sie sich umgab. Ein jeder von ihnen hatte eine philosophische Ader. Mancher sogar 2 oder 3. Die meisten waren aber ganz normale Menschen, die in Augen der Maharani aber etwas Besonderes darstellten, das nur sie sehen konnte.

Auch Ränieh war da keine Ausnahme. Sie war begeistert von seiner stillen Eleganz. Von seiner Wendigkeit trotz der körperlichen Wucht und Masse, die er unter seinem rötlich-braunen Fell vereinte, das an der Sonne wunderbar schimmerte wie ein alter edler Whiskey im Glas, das man gegen das Licht hielt. Da sie für ihn allabendlich den Wassersprinkler im Garten in Gang setzte, unter dem er sich ausnehmend wohl fühlte, war er meist klinisch sauber und nicht, wie anderes Kuhvolk, von Fliegen verfolgt, gegängelt und gequält. Nein, wenn er mit dem Schwanz peitschte, dann galt dies viel eher den Ameisen oder einer vorwitzigen Hummel, die ihn für eine überdimensionierte Blüte hielt.

Dennoch war Ränieh ein sehr zartfühlender Stier, um nicht zu sagen Küherich, denn er empfand auf weibliche Weise so seelenvoll, dass er eigentlich im Aussehen männlich wirkte, sein Wesen jedoch weiblich aus ihm sprach.

Da die Maharani spürte, dass Ränieh eigentlich einen Schutzpanzer benötigte, ließ sie ihm eine Lederhose auf den Leib schneidern. Diese Lederhose war im Schrittbereich über einen Reißverschluss zu öffnen, wenn Räniehs Blase drängte oder ein Kuhfladen ihm entweichen wollte. Ränieh war zwar nicht der Crack im Multitasking, aber seine körperliche Gewandheit war außergewöhnlich.

Somit gelang es ihm ohne Mühe, seine Lederhose selbst zu öffnen, wenn es soweit war. Hierzu ging er ein paar Schritte rückwärts, wodurch die Lederschnur, die an seinem Reißverschluss befestigt war, sich im Gras verfing und in seinen Maulbereich gelangte. Mit seiner langen Zunge umschlang er gewand die Schnur und wickelte diese mehrfach herum, drehte sie auf der Zunge hin und her, wodurch der Reißverschluss sich problemlos öffnete.

Ein vernehmliches Plätschern und Plumpsen geschah nun hinter ihm. Ränieh entfernte sich geschickt vom Schauplatz des Geschehens, ohne seine schönen braunen Fesseln zu bespritzen, und zog am Ende des Ereignisses mit Trick 17 den Reißverschluss wieder hoch. Hierzu musste er das Bändchen mehrfach vor und zurückschaukeln lassen, bis er es schließlich mit einem eleganten Schwung so weit hochzuwerfen vermochte, dass es zwischen den Hörnern nach vorne vor sein Maul hing. Nun fuhr er wieder die wendige Zunge aus und wickelte und wickelte, während sich der Reißverschluss langsam, aber stetig unter ihm schloss und er sich wieder voller Glück von seinem Schutzpanzer umgeben fühlte, in dem er stark und in Sicherheit war. Niemand konnte ihm etwas anhaben. Die ganze Welt blieb da draußen, und innen drin war nur er, in Frieden, in Einklang mit sich selbst, stark und geharnischt wie ein Rhinozeros. Niemand würde sich trauen, ihm ein Leids zu tun. Niemand würde ihn auch nur schräg anschauen wollen. Der Lederpanzer ließ sein Hinterteil doppelt so gewaltig erscheinen, wie es ohnehin schon war. Allein die Vorstellung, er könne sich in Bewegung setzen, hätte einem jeden genügt, um in Panik zu verfallen.

Nur die Maharani und Ränieh wussten, wie es in Wirklichkeit bestellt war. Und das war gut so.

Eines Tages nun geschah etwas Unvorhergesehenes. Eine neue Pflanze war auf dem Grundstück gewachsen. Eigentlich war dies die Folge eines Aufenthaltes mehrerer Freunde der Maharani gewesen, die sich einen Spaß erlaubt hatten, auf dem Grundstück ein paar Samen einer genehmigungspflichtigen Pflanze auszusäen. Diese hatte für sie erfreuliche Bedingungen vorgefunden und war in Rekordzeit plötzlich groß und stark aufgeschossen.

Ränieh hatte diese Pflanze noch niemals gesehen, und als er sie beschnupperte, schien sie ihm einen ganz außerordentlichen Duft zu verströmen. Er fühlte sich zu diesem Duft sehr hingezogen, und so begann er, ganz langsam und vorsichtig, aber mit immer stärkerem Interesse, die gesamte Pflanze mit Stumpf und Stiel und Blüte aufzufressen. Erst langsam, wie gesagt, aber dann wurde er plötzlich über die Maßen gierig und fing an zu schlingen und zu schmatzen. Auf einmal musste er rülpsen, das kannte er nicht. Der Hauch des wiedergekäuten Krautes umwehte erneut seine Nüstern und er versank in sich selbst, ging in die Knie, legte sich behäbig und besänftigt, ja milde auf die Grasstoppeln, mümmelte und malmte, mahlte und schmatzte, schleckte alle seine Zähne sauber, fuhr mit der Zunge in die Zahnzwischenräume und saugte mit Genuss auch noch das letzte Fitzelchen der unbekannten Faser heraus.

So döste er auf angenehmste Weise im Gras und blickte stier auf die Maharani, die in der Liege lümmelnd in ihrem Buch blätterte und gelegentlich ziemlich angelegentlich in den kleinen Pool stieg, 2 Meter weit rückwärts schwomm, sich umdrehte, und vorwärts kraulend zur Treppe zurückkehrte, sich an dieser aus dem Wasser erhob und wie am Bug der untergehenden Titanic stehend mit ausgebreiteten Armen das Wasser zurück in den Pool tropfen ließ. Sie fühlte sich unwiderstehlich schön und sehnte sich nach zärtlicher Berührung. Lass mich glücklich sein mit einem wundervollen Mann bitte, sendete sie voller Inbrunst ans Universum.

Ränieh betrachtete ihren breiten Rücken und ihre noch breiteren Pobacken, und in seinem Stiervorstellungsvermögen gab es keinen erfreulicheren Anblick als diesen. Gerade nichts Schöneres auf der Welt. Gerade nichts Erstrebenswerteres.

Bevor er sich versah, hatte er sich aufgestellt. Hatte seine Lederhose geöffnet. Hatte Anlauf genommen und war quer über den Pool gesprungen, auf den Rücken der Maharani, um sich mit ihr zu vereinen. Mit einem lauten Schmerzens- und Entsetzensschrei fiel die Maharani unter ihm begraben in den Pool und er oben drauf. Er ruderte und paddelte, schlug und peitschte verzweifelt mit seinen Hufen, denn er konnte nicht schwimmen. Die Maharani hatte er bereits mit den ersten Hufschlägen unbeabsichtigt KO geschlagen. Sie sank auf den Grund des Beckens, während er oben verzweifelt und seltsam dumpf im Schädel herumpaddelte, wild kämpfend, Wasser schluckend, hilflos und ohne Hoffnung, bis seine Atmung gnädig versagte.

 

© Manuela Hoffmann-Maleki (Letteratour) – Ich. Einfach unver-besserlich.

Wenn das Un verloren geht

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