Die 29 im April ist meine Zahl.
Sie ist wie ein scharfer Cornichon, an dem man leckt, und die Zähne fangen an, ganz schwach - nicht unangenehm - weh zu tun, aber die Befriedigung, ihn unter den Zähnen zu zerknacken, bleibt verwehrt.
Die 29 ist von der Perfektion genau so weit entfernt, wie ein Kreuzworträtsel, in dem das letzte Wort zu schwierig ist.
Wie eine Akkordfolge auf dem Klavier, die nach Auflösung schreit, aber dann wird genau der Deckel geschlossen.
Wie ein Liebesspiel bis Sekunden vor dem Höhepunkt, und dann lässt man einfach voneinander ab.
Wie ein Musikstück früher im Radio, auf das man wochenlang mit dem Kassettenrecorder gelauert hat, und kurz vor Schluss kommt der Signalton, der die Nachrichten ankündigt, und der Song wird einfach nicht zu Ende gespielt.
Wie ein Bild in schönen Gelb- und Weißtönen, und dann kleckst einer mit dem dreckigen graubraunen Pinselwasser vom Nachbargemälde aus Versehen drauf.
Wie ein glatter fließender kühler dunkelblauer Stoff, und dann bleibt man damit im Rosenbusch hängen.
Wie eine Katze, die man am Bauch streicheln will, und sie schnurrt und genießt, und plötzlich verpasst sie Dir einen blutigen Striemen quer über die Hand und rast fauchend davon.
Wie das Wasser, das man laufen lässt, damit es kälter wird, und in dem Moment, wo man das Glas drunter hält, kommt Rost raus.
Wie ein Kuss, der unglaublich schön und sanft ist, aber plötzlich stößt Zahn auf Zahn, und man prallt erschrocken zurück.
Wie eine zahlentechnisch richtig gelöste Matheschulaufgabe, bei der man jedoch die Eintragung der Maßangabe neben dem Zahlenwert vergessen hat.
Oder ganz simpel wie ich beim Getränke einschenken! Bei mir steht alles immer in einer Pfütze.
Diese 29 bräuchte nur einen einzigen winzigen Kick zur Perfektion, ein bisschen Lenkung, ein klein wenig Schutz, eine liebevolle Hand zum Festhalten, eine aufmunternde Geste, ein bisschen Wohlwollen, um erlöst und glücklich zu sein und damit Glück und Zufriedenheit wie ein sprudelnder Quell stets ebenfalls zu spenden.
Der April ist mein Geburts- und Lieblingsmonat, er hat mich geprägt, er ist blau und grün, manchmal zickig und launisch mit orangegelben Zacken und Kurven und "weiß nicht, was er will", aber eigentlich weiß er es schon: mehr Sonnenschein, mehr Wärme, viele Knospen, letztendlich gute Ernte, denn er führt in den Sommer und taut den gefrorenen Boden und auch Eiswände auf, und wenn es regnet, riecht manchmal der Boden sogar schon verheißungsvoll nach Sommer und Freiheit und Sonnenglück.
Der April ist ein extrem vielseitiger Monat, immer für Überraschungen gut, meines Erachtens ein sehr aktiver Monat, der ungewöhnlich, unerhört und nicht reproduzierbar ist.
Glaubst Du, ihn durchschaut zu haben, hat er doch noch was Neues in petto. Sicher ist nur eins: er kommt zuverlässig wieder. Auf seine Vielschichtigkeit ist Verlass. Und nach Regen folgt Sonnenschein.
Man traut sich schon, gelegentlich den Fahrtwind am geöffneten Fenster hereinzulassen und dreht beim Fahren beschwingte Musikstücke schon mal lauter auf.
Manchmal zwingt er einen noch ein letztes Mal in die Knie mit plötzlichem Schnee, der April, ganz am Ende, aber in der Walpurgisnacht fliegen die Hexen, in lila, schwarz und violett, genau nach meinem Geburtstag, und ich als weiße Hexe flöge gerne auch, wenn ich könnte.
Hexenmeister fliegen da auch. Weiße und straßenköterfarbene, naturbelassene mit gelben Augen, unscheinbare und scheinbare, verhießene und verheißungsvolle. (Die schwarzen Hexer und Kabbalisten können gefälligst wann anders ausschwärmen. Exorzisten und Inquisitoren haben daheim zu bleiben.)
(Leichte Abwandlung einer Notiz vom 18. Januar 2019)
© Manuela Hoffmann-Maleki (Letteratour) – Ich. Einfach unver-besserlich.