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Letteratour - Manuela Hoffmann-Maleki

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Ap
Heute ein Held
11.04.2025 00:34

Es hatte so schlimm geregnet. Dass die Schlucht unterhalb des Hauses voller Wasser war, wo sonst höchstens ein dürftiges Rinnsal durch ein ansonsten staubtrockenes Flussbett voller Geröll rieselte, konnte man hier oben sogar hören. Es brauste und tobte zwar nicht, aber es gluckerte und rauschte. Von den Bergen herab hatten sich die kleinen Bächlein vereint und hatten Einzug in diesen Einschnitt zwischen den Bergen gehalten.

Leon war gerade vor zwei Tagen hierher gezogen. An schönen Tagen war es hier herrlich, aber jetzt bot die Lage des Hauses durchaus ein bisschen Material für Alpträume. Aber so leicht konnte man Leon nicht ins Bockshorn jagen. Das frühe Aufstehen machte ihm nichts aus und außerdem hatte er einen Plan. Mit Notfallplan B sogar. Zum Glück nannte er zwei Fahrzeuge sein Eigen. Und er hatte in weiser Voraussicht alles dafür getan, dass er rechtzeitig zum Unterricht da sein würde, den er für heute angesetzt hatte. Gestern hatte er noch überlegt, alles abzusagen, denn die Regenfälle waren nicht mehr wirklich normal, aber dann war ihm eingefallen, wie er das Dilemma mit dem Hinkommen seinerseits lösen könnte.

So machte er sich mit einem dicken, langen Prügel als Wanderstock bewaffnet auf. Auch eine andere Frau, die ebenfalls da wohnte, musste hinunter und in die Stadt. So schlidderten sie zu zweit den steilsten Teil des Weges nach unten. Es war gut, dass Leon nicht da oben geparkt hatte, denn Steinschlag und Erdrutsch waren auf dieser Insel keine Seltenheit. Gestern erst war ein Steinblock im Norden der Insel niedergegangen, der eine ganze Straßenseite komplett blockierte.

Weiter unten stiegen sie ein, wo der Wagen in einem sichereren Bereich parkte und fuhren mit ihm nach unten. Das war auch nicht so einfach, aber jedenfalls schneller und bequemer, als alles zu Fuß zurückzulegen. Von der Ferne sah Leon schon, dass Plan A, bei der Brücke über den Fluss zu kommen, wohl keine gute Idee sein würde. Also parkte er das Auto in der Nähe des Flussbetts, das nun tatsächlich ein Fluss war. Aber nicht so sehr nahe, man wusste ja nicht, wie schlimm es da oben heute noch weiterregnen würde. Dass der Fluss so viel Wasser führte, hatte er hier auch noch selten gesehen, obwohl er diesen Bereich schon sehr lange kannte. Normalerweise war das Wasser kurz und gewaltig in Form einer Wasserwalze durch das Kiesbett gerauscht und dann war wieder Ruhe, so dass nur noch kleine Tümpel da standen. Vorne an der Mündung ins Meer wäre dann alles braun, das schmutzige Schlammwasser würde sich einen Tag lang an der Küste entlang verbreiten, und das war es dann wieder. Aber heute war hier immer noch alles unter Wasser. Wahrscheinlich kniehoch, schätzten die beiden.

Und so half alles nichts, die Schuhe und Socken mussten runter, die Hose auch. Im Rucksack befanden sie sich nun wenigstens nicht mehr auf Wasserhöhe. Leichtgeschürzt stürzten sich beide, allerdings sehr vorsichtig in die Fluten. Der dicke Stock leistete nun sehr gute Dienste. Man konnte ihn in den Boden rammen und hatte so ein Minimum an Halt, während der Fluss an den Beinen zerrte und eine stetige Änderung des eingeschlagenen Kurses erzwang. Obendrein rollten im Flussbett Steine in der Unterströmung heran und schlugen auf den Knöcheln auf, was höllisch schmerzhaft war. Sie gingen zu zweit, indem er voranging, und dann immer ihr den Stock überließ, so dass auch sie, den Schritt nach vorne tun konnte, während er ihr noch eine helfende Hand reichen konnte. Dann ging es weiter. Es dauerte ziemlich lang, und das Wasser war auch alles andere als gemütlich warm, denn es kam von weit oben, wo auf der Insel die Temperaturen ohnehin immer viel niedriger als unten waren. Sie hatten langsam Zweifel, ob ihnen nicht etwa die Zehen erfrieren würden. Oder ob sie sich im unwegsamen Flussbett vielleicht schon verletzt hatten, denn die Füße waren schon völlig taub, so dass sie vielleicht gar nicht mehr bemerkten, wenn sie in etwas Scharfkantiges hineingetreten wären.

Nach gefühlt unendlich langer Zeit - auf der Stirn und am Rücken schweißnass vor Anstrengung, dem Strom ausreichend Widerstand bieten zu können, um an der anderen Seite wenigstens noch in etwa in dem Bereich anzukommen, den sie anvisiert hatten - und mit Eisbeinen (im wahrsten Sinne des Wortes) kamen schließlich beide doch drüben an. Wohlbehalten, wie sich nach schleunigster gegenseitiger Inspektion ergab. Keine Blutlachen, die sich unter den Füßen bildeten. Die blauen Flecken von den Steinen wären aber sicherlich morgen deutlich zu sehen!

Schnell trockneten sie sich notdürftig mit einem kleinen roten Handtuch ab, das Leon schon in weiser Voraussicht eingepackt hatte. Die Plastiktüte, um es danach einzupacken, hatte er allerdings vergessen, und nun waren sogar zwei paar Beine damit zu trocknen. So musste er das klatschnasse Handtuch außen am Rucksack befestigen. Er zwickte es in einen Reißverschluss ein und witzelte, dass er damit seine Last, die über die Karosserie hinausragte, vorschriftsmäßig gekennzeichnet hätte. Ansonsten hatte sie ihr gemeinsames Abenteuer für den Rest der Tour beflügelt, sich gegenseitig Geschichten zu erzählen, wo auch schon unwegsame Pfade beschritten worden waren. Das war Leon schon öfter passiert, und im Nachhinein gab es über solche Geschehnisse viel zu lachen.

Sie mussten nun erstmal wieder ein Stück Wegs zu Fuß zurücklegen, denn das zweite Auto - in das er am Vortag bereits vorausschauend, als der Regen noch nicht so schlimm und das Flussbett noch nicht so wässrig war, alles eingepackt hatte, was er heute für seinen Kurs benötigen würde - hatte er ebenfalls in Sicherheit vor dem Berghang geparkt, der mit seinen Fähigkeiten, Steine, Felsen und sonstiges abzuwerfen, für den normalen Parkplatz am Ufer eine zu große Gefahr dargestellt hätte. Ohnehin war dieses Gebiet heute gesperrt, stellten sie im Vorbeilaufen fest.

Weiter oben konnten sie dann jedoch endlich einsteigen, und so waren beide mehr als rechtzeitig da, wo sie hingemusst hatten. Dies gab Leon Zeit, in aller Gemütsruhe alle Spuren seiner Tour abzuschütteln, abzuwischen und zu verwischen. Gemütlich saß er am Tisch, zu dem er bereits sämtliches Material gebracht und geordnet hatte, bevor die ersten Kursteilnehmer eintrudelten.

„Guten Morgen, na, trotz des miesen Wetters hier?“, grinste er sie an. Oh ja…, und die Teilnehmer berichteten ein paar herzzerreißende Details, wie sie sich fast im Bett noch einmal umgedreht und ihm abgesagt hätten, dann aber doch mit Hilfe eines Schirms schicksalsergeben die fünfzehn Meter bis zum Auto bewältigt hatten, um zum Kurs zu kommen. Stillvergnügt schmunzelte Leon und schlürfte seinen dritten Morgenkaffee. Nach der Kneippkur war er fit, energiegeladen und hatte beste Laune. Später würde er jedoch so nebenbei in der Runde erzählen, was er heute schon geleistet hatte. Und die anderen kleinen Geschichten packten stillschweigend ein. Die Lorbeeren gebührten heute ihm, ganz unbestritten.

 

© 2025 Manuela Hoffmann-Maleki (Letteratour) – Ich. Einfach unver-besserlich.

 

Als der Boden Risse bekam

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