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Se
A man’s world
29.09.2023 10:04

Erleeebe die Legende, Tina Tuuuuuurner…, kreischt ein Werbeclip aus meinem Handy. Entsetzt stelle ich den Ton ab und scrolle weiter. So ein Geschrei kann ich gar nicht brauchen am frühen Morgen, im schummrigen Halbdunkel! Auch wenn das eine großartige starke Frau war, die sich quasi aus Knechtschaft zu schier übermenschlicher Größe gemausert hat.

Ich bin noch müde, meine Augen auf Halbmast, meine Frisur würde Albert Einstein als Waisenkind dastehen lassen. Das rote Seidennachthemd rutscht mehr oder weniger lasziv von der Oberweite, denn es ist irgendwie viel zu groß. Ich fühle mich wie ein Babybel, dessen Wachshülle geöffnet wurde. Mein Freund knipst natürlich Nachthemd samt Inhalt.

Ein heißer Tag erwartet uns, einer der letzten, denn eigentlich hat es schon angefangen zu herbsteln. Hier in der Gegend von Karlsruhe sei es generell wärmer als woanders in Deutschland, sagt er mir. Das kommt mir zupass. Mit Kälte kann ich nicht umgehen! Vielleicht bin ich ja ein Reptilienmensch. Man biete mir Sonne und ich funktioniere bestens. Man lasse mich in kühlen Räumen darben, dann gefriertrockne ich, mein Hirn setzt aus und der Körper pfeift aus dem letzten Loch. (Oder vorletzten. Nicht so übertreiben! Noch besteht etwas Hoffnung.)

Bevor er sich in den Tag stürzt (heute mal wo anders arbeiten), bringt mein Freund mir noch schnell Frühstück vom Bäcker nebenan hoch. Ich darf im Bett essen. Ist ja nicht unser Bett. Wir zahlen ja dafür, dass sich hier jemand um Krümel kümmert. Hätte gern zuhause auch jemanden, der sich um Krümel kümmert, aber… selbst ist die Frau.

Ich lasse mir nochmal durch den Kopf gehen, was wir gestern gemacht haben. Denkwürdig war auf jeden Fall, dass wir abends im Dunklen in dieser fremden Stadt noch lange spazieren gingen. Durch einen Durchgang in einer hohen grauen Steinmauer betraten wir einen Park, in dem es keinerlei Beleuchtung gab. Dank des Vollmondes konnten wir aber unseren Weg finden. Zum Fotografieren, was wir bei unseren gemeinsamen Wegen mit Vorliebe betreiben, war es zu dunkel. Mein Handydisplay zeigte gar nichts mehr an von dem, was ich mit meinem Adlerauge so gerade noch erkennen konnte.

Ich frage meinen Freund, ob er, wenn ich nicht dabei wäre, auch in diesen Park gegangen wäre. Er antwortet: Klar, warum denn nicht? Tja. Frag dasselbe mal eine Frau. Ist das nicht bodenlos unfair, dass ein Mann selbstverständlich bei Nacht überall herumstreifen kann, eine Frau aber an solchen Orten einfach Angst haben muss?

Im Park erklangen dumpf, aber trotzdem aggressiv hinter den Gebüschen Geräusche eines Streitgesprächs, irgendetwas klirrte, Bierflaschen? Ich fühlte mich sehr unwohl. Die hohe Mauer am Parkrand wollte kein Ende nehmen, kein Ausgang in Sicht. Mein Schritt beschleunigte sich immer mehr, und ich versuchte, immer leiser aufzutreten, was gar nicht so einfach war, da schon etliche Blätter am Boden lagen, während mein Partner nonchalant immer wieder stehenblieb, um irgendetwas mit Blitz abzulichten. Ich wollte eigentlich nur noch weg.

Auch in den Straßen neben dem Park wäre ich um diese Uhrzeit niemals alleine herumgelaufen. Das mickrige Licht der Funzeln hoch oben in den noch immer dicht belaubten Bäumen ließ kaum erkennen, wo man gefahrlos seine Füße hinsetzen könnte.  Auf einem Spielplatz neben der Straße piepte irgendetwas immer wieder. Ich entdeckte schließlich einen Mann, der mit einem Metalldetektor gebeugt durch den Sandkasten schlich. Was der wohl suchte? Mein Freund meinte: Münzen. In meinem Kopf jedoch sprach es: Spritzennadeln.

Was auch immer, nachts habe ich Angst vorm Leben. Nachts haben viele Frauen Angst vorm Leben. Vorm Alleinsein. Vorm Frausein. Vor der bösen Welt da draußen. Ich sage: viele. Natürlich nicht alle. Ich habe auch eine Bekannte, die mir mal erzählte, sie ginge nachts gern in verlassenen Straßen spazieren. In einem Hinterhof habe sie schon mal Junkies entdeckt, da sei sie hingegangen, um mit denen zu reden. Sie kann nachts oft nicht schlafen, dann geht sie schon mal ins Bahnhofsviertel oder gar in den Hauptbahnhof und redet mit irgendwelchen Leuten. Nein, nicht um irgendjemanden aufzureißen. Echt nur zum Reden. Ich frage sie, ob sie denn keine Angst habe. Sie sagt: Nö, wieso? Ich bin doch groß. Mit mir legt sich keiner an. Tatsache, sie überragt mich schon mindestens um Haupteslänge. Trotzdem – ob ich dann so anders wäre? Ich glaube eher nicht.

Eine Frau ist immer ungeschützt. Zieht sehr leicht den Kürzeren. Eine Frau, die das mal erlebt hat, wird nie wiederhergestellt, ist nie wieder so unbefangen wie zuvor. Das ist ein Knacks, der für immer bleibt. Da hilft auch kein rotes Seidennachthemd. Es täuscht höchstens drüber hinweg. Verdeckt den Knacks.

Ich stehe auf, genug der trüben Gedanken. Anständig wie ich bin, picke ich die Krümel selber aus dem Bett. So mag ich das der anderen hier nicht hinterlassen, die das Zimmer um elf Uhr putzen kommt. Selbst ist die Frau. Frau ist die Frau.

 

© Manuela Hoffmann-Maleki (Letteratour) – Ich. Einfach unver-besserlich.

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