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Ein Quantum Wunder
07.11.2023 23:39

Hand in Hand liege ich mit meinem liebsten Begleiter auf dem Bett in der Finca. Das Moskitonetz berührt mich sachte am Arm. Ein Bettlaken haben wir uns sicherheitshalber bis hoch zum Bauch gezogen, falls wir einschlafen sollten. Zwar ist es auch im Hausinneren in diesem seltsamen Regenmonat noch recht warm, aber wenn man lange ohne Decke daliegt, wird es doch ungemütlich.

Aus der kleinen Lautsprecherbox erklingt die Stimme des deutschen Alter Ego von Dr. Joe Dispenza. Ich verbinde mich unter seiner Anleitung mit dem Quantenfeld, in dem Fuchs und Hase dasselbe sind – Bewusstsein, Energie. Ich als alter Meditation-Fuchs muss das ja wissen. Ha, ich mache das jetzt seit einem Jahr! Womit Ruben sich hingegen verbindet oder ob er schon wieder völlig abgeschweift ist, weiß ich nicht. Er behauptet, er könne nicht meditieren. Trotzdem probiert er es an diesem Tag doch noch mal mir zuliebe. Zwischen Niesanfällen und heftigem Räuspern. Seine Stirn ist auch ziemlich heiß. Ich halte ihn an der Hand, denn so werde ich ihn einfach mitnehmen, wo auch immer ich jetzt hingehe.

Lange höre ich dieses Räuspern noch in meiner Versenkung, aber irgendwann bin nur ich noch da oben, ganz allein, in der imaginären Schwärze, wo alles nur noch Bewusstsein ist, ohne Körper und ohne Geist, ohne Zeit und ohne Materie, ein Niemand im Nirgendwo der Ewigkeit. Wo man einen Anstoß geben kann, etwas im eigenen Universum zu ändern, wenn das Gehirn in den Zustand der Thetafrequenz gelangt. Wenn man dann die Idee loslässt und einfach nicht mehr drüber nachdenkt, manifestiert sie sich, sofern man es hinkriegt, eine höhere Emotion zu fühlen, die sich mit der Gehirnfrequenz in dieser glasklaren Absicht paart. Dann funktioniert man wie ein Sender im Universum und zieht Ereignisse und Synchronizitäten in sein Leben.

Ich fühle in der Meditation eine riesige Dankbarkeit darüber, dass wir gut wieder in München ankommen, dass alles glatt läuft, unglaublich glatt, völlig problemlos und unbeschwert. Dass unsere Reise ein denkwürdig gutes Ende hat. Dass Ruben so schnell wie möglich wieder ganz gesund wird. Dass unsere Liebe nach diesem Prüfstein von Urlaub von Bestand sein wird. Dass unser Leben von nun an weiter miteinander stattfindet und keiner Grund haben soll, sich wieder aus der Beziehung zu lösen. Neben mir ertönt ein heftiges Schnarchen, das mich fast aus meiner Meditation reißt.

Der deutsche Sprecher beschwört uns (oder vermutlich nur noch mich), wir sollen darum bitten, dass uns auf eine völlig unerwartete Weise gezeigt werden soll, dass unser Experiment mit dem Schicksal tatsächlich angefangen hat zu laufen, weil wir es wirklich geschafft haben, heute mit dem Universum Kontakt aufzunehmen. Das Schöpferbewusstsein in uns soll uns ein Zeichen senden, auf eine Weise, die wir am wenigsten erwarten und die keinen Zweifel daran lässt, dass es von diesem Bewusstsein stammt. Ruben schläft inzwischen neben mir den Schlaf des Gerechten, aber ich stelle mich dieser Aufgabe.

Ich erwache im Gefühl, es richtig gut gemacht zu haben. Ich war so weit weg. Ich hatte so viel Gefühl. Der Schlüssel zum Manifestieren ist die Dankbarkeit. Voller Mitgefühl streiche ich über Rubens schweißnasse Stirn. Es geht ihm wirklich nicht gut. Aber wir müssen heim. Die Koffer sind gepackt. Alles steht bereit.

Ein wenig später wecke ich ihn. Er wirft schicksalsergeben eine weitere Ibu ein, wäscht sein Gesicht und schleppt sich, etwas lahm und energielos, aber immerhin entschlossen in den Kampf. Die Koffer wollen im Leihwagen verstaut sein, alles muss noch einmal kontrolliert werden, ob wir die Finca auch in gutem Zustand verlassen und nichts hier vergessen.

Dann drehen wir den Schlüssel im Schloss, etwas wehmütig, aber auch voller Freude auf die schöne gemütliche Höhle zuhause, die schon sehnlichst auf uns wartet. Jeder wird heute Abend in seinem eigenen Bett schlafen. Aber morgen vielleicht schon wieder nicht. Wer weiß?

Der Weg zum Flughafen ist mir langsam hinreichend bekannt. Nach den vielen Windmühlen sind wir da. Das Auto wird anstandslos akzeptiert trotz der Schrammen. Ich hab ja eine Vollkaskoversicherung. Bei der Gepäckabfertigung bin ich schon Profi, Ruben ist erst das vierte Mal in seinem Leben auf einem Flughafen. Aber er ist vollkommen unbeeindruckt von allem, oder er blufft meisterhaft.

Wir sind zwar mit genügend Vorlaufzeit angekommen, aber glücklicherweise geht die Warterei relativ schnell vorbei, wir haben uns immer noch so viel zu sagen. Ich hole noch mehrere Stangen Zigaretten für die Freunde, und bald geht schon das Boarding los. Wir regen uns nicht weiter auf, alles mit der Ruhe.

Schließlich sind wir an Bord, sitzen ungefähr in der Mitte des Fliegers. Unsere kleinen Gepäckstücke und die Tüte mit den Zigaretten dümpeln gemütlich im Fach über uns. Das Buch für den Flug steckt im Netz vor unserem Sitz. Ruben geht es besser durch sein Medikament, er gibt mir einen Kuss auf die Wange und freut sich doch trotz der Alter-Hase-Show, dass ich ihn am Fenster sitzen lasse. Das Handy wartet bereits auf schöne Fotos von Himmel und Flugzeugflügelspitze. Das sieht ja jedes Mal anders aus. Alles ist perfekt, wir haben sogar Platz für unsere Beine.

Die Sicherheitsvorkehrungen nimmt er schon mit Fassung entgegen, tut gelangweilt, schaut nicht hin, sondern lieber aus dem Fenster. Er hat das alles ja auch schon dreimal in seinem Leben gehört. Ich muss ein wenig schmunzeln. Dann fangen wir an zu rollen. Erst rückwärts, aber bald darauf geht es quer über das Flughafengelände, auf die Startbahn. Da ist schon der breite Zebrastreifen neben dem Flugzeug, jetzt wird es ernst!

Meine ewige Flugangst lässt mich die Sitzlehnen fest umklammern. Ruben schaut total gelassen aus dem Fenster und genießt es, in den Sitz zurückgedrückt zu werden, als das Flugzeug plötzlich mit brüllenden Turbinen losprescht und sich nach kurzer Strecke bereits friedlich und befreit in die Lüfte erhebt. Man spürt förmlich die Begeisterung der großen Maschine, die Luftmassen unter sich bändigen zu können, ihnen ein Schnippchen zu schlagen, sich über sie zu erheben, obwohl da quasi keine Materie ist, nur ein bissel Atomkerne.

Ruben ist Physiker, für ihn ist das alles kein Wunder. Wenn ich ihn fragen würde, würde er mir bestimmt irgendwas von Schub und Geschwindigkeit und letztendlich der Fehldeutung des Quantenfeldes erzählen, denn es gibt sowas wie ein Quantenfeld gar nicht, das sei eine unzulässige Zusammenziehung der Feldtheorie über die Quanten, und das Feld gehöre zum Wort Theorie und nicht zu den Quanten. Wenn er dann in Fahrt geriete, würde er mir irgendwelche Gleichungen erläutern wollen, und wenn eine Gleichung ins Spiel kommt, schaltet mein Hirn bereits ab. Ich frage also lieber nicht. Ruben macht etliche Fotos. Ich sabotiere manche Fotos, weil auch ich das Handy dazwischen halte.

Ein letztes Mal die wunderbare Insel kurz von oben sehen, den Hafen von Palma, dann das Meer. Oben blau und unten blau. Der Himmel ist wirklich so wunderschön. Herrliche Wolkengebilde zeigen sich, als wir weiter steigen, und als die kleine Flugzeugglocke „Ding“ macht und die Anschnallzeichen verlöschen, bin auch ich bereits ganz beruhigt und beseelt.

Wir haben einen ruhigen Flug und essen unsere mitgebrachten kleinen Snacks. Ruben fühlt sich wieder ganz gut. Das ewige Räuspern hat auch aufgehört, und er streichelt liebevoll mein Bein, ein Zeichen, dass es mit ihm aufwärts geht. Wir lachen über Ereignisse der letzten Wochen, die bereits zur Erinnerung geworden sind. Manche waren diesmal nicht so gut, aber wir haben es geschafft, auch in Zeiten der Überschwemmung und des Mistwetters gute Laune zu bewahren. Ich war einige Zeit ziemlich krank gewesen, er hat mich liebevoll gepflegt. Wir hatten außerdem Probleme mit Katzenflöhen, die wir am eigenen Körper zu spüren bekamen und mit Heerscharen von Mücken. Auch das ist nun Geschichte.

Der Kapitän geht bereits in den Sinkflug. Letztes Mal war die Landung so mies, dass ich befürchtet hatte, das Flugzeug wäre irgendwo auseinandergebrochen. Dieses Mal landen wir butterweich und gefühlvoll. Das Flugzeug rollt noch eine Weile über den Flughafen und dockt dann sicher an einer dieser Röhren für die Passagiere an. Reihe für Reihe werden alle in die Freiheit entlassen. Als wir dran sind, kruschtelt Ruben noch eine Weile herum und ich sage, ich gehe schon mal voran.

Draußen warte ich in der Röhre auf ihn. Die Fluggäste vor mir verschwinden aus dem Blickfeld, er kommt und kommt nicht. Schließlich ist er da, ganz allein. Ich sage: „Wo sind die anderen?“ Er meint: „Die sind noch drin. Die Frau hinter mir blockiert grad alles, die sucht auch noch ihre Sachen zusammen.“

Wir streben der Rolltreppe zu, die hinter der rüsselförmigen Fluggastbrücke auf uns wartet. In diesen Röhren zu gehen ist immer ein bisschen anstrengend, weil sie leicht nach oben führen. Als wir bei der Rolltreppe sind, ist niemand dort zu sehen. Alle anderen vor uns sind längst weg. Wir fahren hoch, machen dabei ein Foto von uns, da wir uns in einer spiegelnden Fläche sehen und stehen da glücklich nebeneinander und strahlen uns an. Erstaunlich ist, dass immer noch niemand aus dem Flugzeug uns nachkommt. Aber egal, wer weiß, was die da alles noch aus dem Gepäckfach ziehen musste.

Wir folgen den großen Anzeigetafeln zum Baggage Claim. Es ist eine ziemlich lange Strecke. Schließlich stellen wir fest, dass wir sogar innerhalb des Flughafens mit einem Zug ein kleines Stück fahren müssen. Zwei Herren sind da auch, sehen aus wie Piloten. Wir fahren also zu viert in diesem Zug eine Station weit, dann wieder Treppe und danach kommen Rollbänder, die einen irgendwohin bringen. Wir bleiben frohgemut die ganze Zeit beieinander. Alles läuft super, wir legen die Strecke in kurzer Zeit zurück dank der Rollbänder. Da sind Toiletten. Ach was, neben der Gepäckausgabe gibt es auch welche. Da müssen wir eh noch lang genug anstehen, bis endlich mal unsere Koffer kommen!

Wir unterhalten uns angeregt und fahren auf dem Laufband. Und auf dem nächsten. Und auf noch einem. Diesmal haben wir nicht die Zigaretten im Flugzeug vergessen wie letztes Mal, wo wir leider alles liegengelassen haben und das erst bemerkt hatten, als wir durch eine Glastür gegangen waren, auf der stand: „After this point no return.“ Aber kaum waren wir draußen, fiel es mir damals siedend heiß ein. Wir waren sofort zur Gepäcknachforschungsstelle gegangen und hatten drum gebeten, den Stewardessen im Flugzeug Bescheid zu sagen, aber das wurde abgelehnt. Man musste stattdessen einen Antrag ausfüllen und würde informiert. Drei Tage später geschah das dann auch. Die Zigaretten waren unauffindbar. Eine Stange Geld verloren im wahrsten Sinne. Bzw. acht für uns zwei Passagiere. Diesmal waren wir also nicht so achtlos gewesen. Wir haben nichts, aber auch gar nichts im Flugzeug liegen gelassen! Tabula rasa.

Endlich kommen wir am Baggage Claim an. Palma de Mallorca steht auf dem Schild. Unsere Flugnummer. Das schwarze Band aus großen Kunststoffkettengliedern fährt darunter klappernd und gelangweilt im Kreis. Kein Mensch ist da außer uns! Bereits in der Erweiterungsschleife das Mallorca-Bandes kreiselt ein schwarzer Koffer, gelehnt an einen himbeerroten Koffer. Das sind unsere! Ansonsten nichts auf dem Band. Nicht mal ein Regenschirm oder eine Schachtel. Es ist seltsamerweise absolut kein anderer Fluggast da. Hinter uns kommt auch keiner mehr nach. Vor uns sind alle bereits weg. Das gesamte Gepäck aus der Maschine ist ebenfalls weg. Sieht aus wie Feierabend.

Wir ziehen unsere Koffer vom Band und schauen uns ratlos an. Wie kann das sein? Bis alle Passagiere ihre Koffer haben, dauert es immer eine Ewigkeit. Wir waren schnurstracks auf geradem Weg, ohne uns irgendwo aufzuhalten, zur Kofferausgabe gekommen. Und alle sind fort! Alle unsere Mitreisenden, sämtliche Koffer.

So als wären nur wir die einzigen Passagiere gewesen. Gibt es in unserem Universum nur noch ihn und mich? Dieses Kapitel unseres Lebens haben nur er und ich erlebt. Wir verstehen dieses Universum gerade nicht. Uns fehlt irgendwie mindestens eine halbe Stunde! War da irgendwo ein Wurmloch? Sind wir in einem Paralleluniversum gelandet? Hat die Zeit einen Sprung getan? Sind wir Zeitreisende und sind gerade zurückgekommen, irgendwie ein bisschen holperig? Haben wir irgendeine Mission erfüllt? Sind wir wirklich hier? Sind wir wirklich wir?

Wir holen uns einen Trolley und schieben die Koffer unbehelligt durch den Zoll und bis dahin, wo die S-Bahn uns in die Stadt bringen wird. Bis dass der Hauptbahnhof uns scheidet. Von dort fährt jeder erstmal in sein eigenes Zuhause. Rubens Fieber ist weg. Es ist kalt in Deutschland. Jede Menge Regen. Kennen wir schon aus dem Urlaub! Aber hier erwarten uns keine weiteren Katzenflöhe. Verursachen Katzenflöhe Halluzinationen? Oder war der „Besuch im Quantenfeld“ daran schuld?

Vielleicht sind wir immer noch mit dem Quantenfeld verbunden? Wenn uns keiner betrachtet, sind wir übrigens nicht anwesend. Dann schwirren wir irgendwo in der Weltgeschichte herum. Tun unseren Job, schrauben ein bisschen hier und ein bisschen dort. Und wenn einer in unsere Richtung schaut, kommen wir zurück und erleben seltsame Überraschungen. Wir oder ihr.

Der Abschied tut weh nach dieser gemeinsamen Zeit. Wir drücken einander fest. Gute Nacht, Fuchs! Bis morgen, Hasi! Falls da nicht wieder ein Wurmloch dazwischenkommt.

 

© Manuela Hoffmann-Maleki (Letteratour) – Ich. Einfach unver-besserlich.

 

Her Majesty
Eine unmöblierte Geschichte

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